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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 12.09.2005
Aktenzeichen: 3 U 71/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 4
BGB § 31
BGB § 278
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
BGB § 847 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.02.2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Der am 31.12.1926 geborene Kläger begab sich wegen seit Jahren andauernder Beschwerden im Zusammenhang mit einer Trigeminus-Neuralgie am 25.02.2002 in das B. Krankenhaus in F. Dort erfolgte am 01.03.2002 eine neurovaskuläre Dekompression nach Janetta über eine subokzipitale Trepanation. Von dieser Operation erholte der Kläger sich rasch und vollständig, so dass er am 18.03.2002 aus der stationären Behandlung entlassen werden konnte. Am 27.03.2002 begab sich der Kläger in die stationäre neurologische Anschlussrehabilitation in die N-Klinik in C3. Die Beklagte zu 1) ist die Trägerin, der Beklagte zu 2) ist der Chefarzt der Klinik. Am 19.04.2002 erfolgte die erste und einzige Oberarztvisite während des stationären Aufenthalts des Klägers. Im Rahmen dieser Visite stellte der Oberarzt Dr. N fest, dass der Kläger psychomotorisch verlangsamt war. Noch am 19.04.2002 beendete der Kläger die Rehabilitationsmaßnahme vorzeitig. Wegen seines zwischenzeitlich weiter verschlechterten Zustands begab sich der Kläger am 23.04.2002 erneut in das B.-Krankenhaus in F. Dort wurden beidseitig ausgedehnte hirnisodense subdurale Hämatome mit erheblichem raumfordernden Effekt festgestellt und noch am selben Tag notfallmäßig operiert. Der Kläger wurde am 07.05.2002 ohne neurologische Defizite aus der Klinik entlassen. Bereits am 17.05.2002 musste er sich wegen veränderter bzw. vergrößerter Restergüsse erneut in die stationäre Behandlung begeben; am 18.05.2002 erfolgte im B.--Krankenhaus eine weitere operative Resthämatomentfernung. Am Folgetag entwickelte der Kläger mehrfach generalisierte Krampfanfälle. Nachdem er am 30.05.2002 aus der stationären Behandlung entlassen worden war, unterzog sich der Kläger in der Zeit vom 17.02. bis 08.03.2003 und vom 05.05. bis 24.05.2003 zwei Kurbehandlungen in Bad Sassendorf und Bad Wörishofen. Der Kläger hat von den Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung (unzureichende ärztliche Überwachung) verlangt. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines schriftlichen neurologischen Gutachtens nebst ergänzender Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. y2 abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Mit der Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Es sei als grob behandlungsfehlerhaft zu bewerten, dass er im Rahmen der stationären neurologischen Anschlussheilbehandlung keinerlei ärztliche Versorgung erfahren habe. Zu seinen Gunsten sei deshalb von einer Beweislastumkehr auszugehen. Das postoperative Auftreten subduraler Hämatome sei eine typische Folge des Ersteingriffs im B.-Krankenhaus in F. Deshalb sei von den behandelnden Ärzten der Beklagten zu 1) zu verlangen gewesen, dieses Risiko ständig vor Augen zu haben und beim ersten Auftreten von Besonderheiten unverzüglich zu intervenieren. Das am 14.04.2002 von seinen Angehörigen erkannte Beschwerdebild müsse schon tagelang oder wochenlang vorgelegen haben. Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils 1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.09.2003 zu zahlen, 2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 10.508,66 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2003 zu zahlen, 3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtlichen weiteren immateriellen und materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Fehlbehandlung durch die Beklagten im März bzw. April 2002 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist. Der Kläger beantragt vorsorglich, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren gem. § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht Paderborn zurückzuverweisen. Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigen das angefochtene Urteil und machen im Wesentlichen geltend: Es sei bereits kein Behandlungsfehler festzustellen. Ein etwaiger Überwachungsfehler sei nur als einfacher Behandlungsfehler zu bewerten und jedenfalls nicht kausal geworden für die Hämatombildung und für die beim Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen sowie die erforderlichen weiteren stationären und ambulanten Behandlungen. Die Hämatombildung sei vor dem 19.04.2002 nicht erkennbar gewesen. In jedem Fall seien die Operationen vom 23.04.2002 und 28.05.2002 nicht vermeidbar gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen, das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 12.09.2005 über die ergänzende Anhörung des Klägers, des Beklagten zu 2) und des Sachverständigen Prof. Dr. y2 Bezug genommen. II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat weder gegen die Beklagte zu 1) Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 Abs. 1, 831, 31, 847 a.F. BGB oder aus Schlechterfüllung des Behandlungsvertrags in Verbindung mit § 278 BGB, noch stehen ihm gegen den Beklagten zu 2) solche Ansprüche aus den §§ 823 Abs. 1, 831, 847 a.F. BGB zu. In der medizinischen Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. y2 eigen, der das Gutachten auch bei seiner Anhörung in zweiter Instanz eingehend und sachlich überzeugend begründet hat. Der Kläger kann sich zur Begründung seiner Schadensersatzansprüche nicht mit Erfolg darauf berufen, dass durch eine unzureichende fachärztliche Überwachung im Rahmen der stationären neurologischen Anschlussrehabilitation in der Klinik der Beklagten zu 1) bei ihm erhebliche dauerhafte Beeinträchtigungen in Form einer psychosomatischen Verlangsamung mit (u.a.) Sprach- und Wortfindungsstörungen verursacht worden wären. 1. Nach den sachlich fundierten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. y2 steht zur Überzeugung des Senats allerdings fest, dass die nur einmalige Oberarztvisite vom 19.04.2002 während des mehr als 3-wöchigen stationären Aufenthalts des Klägers nicht dem zu fordernden (fach-) ärztlichen Standard entsprochen hat und damit als fehlerhaft anzusehen war. Der Sachverständige hat insoweit dargestellt, dass Facharztvisiten, deren Häufigkeit in der Krankenhausordnung nicht festgelegt ist, üblicherweise nach Bedarf stattfinden, jedenfalls aber nicht seltener als einmal wöchentlich. Mit der ersten Facharztvisite am 24. Tag des stationären Aufenthalts war der Kläger deshalb fachärztlicherseits nur unzureichend überwacht. 2. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass diese unzureichende Überwachung für die Operationen vom 23.04.2002 und 18.05.2002 und die psychomotorische Verlangsamung ursächlich oder zumindest mitursächlich gewesen ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hat sich das subdurale Hämatom vermutlich - aber keinesfalls zwingend - bereits Mitte April 2002 beim Kläger entwickelt. Auch unter der Annahme, dass zu diesem Zeitpunkt eine Facharztvisite durchgeführt worden wäre, hätten für die behandelnden Ärzte der Beklagten zu 1) diagnostische Schwierigkeiten vorgelegen, so dass die Hämatombildung möglicherweise gar nicht hätte frühzeitiger (als am 19.04.2002) erkannt werden können. Denn das mit zunehmender Größe des subduralen Hämatoms rasch progrediente demenzielle Beschwerdemuster konnte nicht so leicht als eine Äußerung der Gehirnkompression erkannt werden, weil der Kläger selbst zum Zeitpunkt der Visite vom 19.04.2002 noch keinerlei Kopfschmerzen hatte und auch keine fokalen sensomotorischen Defizite bot. Aber auch unter der weiteren Annahme, dass bereits am 13. bzw. 14.04.2002 im Rahmen einer Visite das subdurale Hämatom zutreffend diagnostiziert worden wäre, hätte das zwingende Erfordernis der beidseitigen, operativen Entlastung des Hämatoms bestanden. Zu diesem Zeitpunkt wäre das Hämatom zwar etwas weniger ausgedehnt gewesen, wegen der Progredienz der neurologischen Ausfälle wäre aber in jedem Fall eine Operation in Form einer Bohrloch-Trepanation durchzuführen gewesen. Der Umfang der Operation und die hiermit für den Kläger verbundenen Belastungen sind dabei unabhängig von der Größe des Hämatoms. Ob durch den Umstand, dass der Kläger den Einwirkungen des subduralen Hämatoms aufgrund der unzureichenden fachärztlichen Überwachung etwa eine Woche länger ausgesetzt war, die körperlichen Belastungen und dauernden Beeinträchtigungen erheblicher geworden sind, lässt sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen. Der Sachverständige hat insoweit lediglich eine "gewisse Wahrscheinlichkeit" für geringere Beschwerden zum Ausdruck gebracht, konkreter ist dies jedoch nicht feststellbar; insbesondere ist auch nicht feststellbar, ob eine möglicherweise einige Tage früher entdeckte psychomotorische Verlangsamung etwa zu sprübaren geringeren Belastungen in diesen Tagen geführt hätte. 3. Beweiserleichterungen kommen dem Kläger nicht zugute, da die hier vorliegende unzureichende Überwachung nicht die Annahme eines groben - zur Umkehr der Beweislast führenden - Fehlers rechtfertigt. Der Sachverständige Prof. Dr. y2, dessen fundierter und abgewogener Bewertung sich der Senat auch insoweit anschließt, hat dazu ausgeführt, dass es sich nicht um einen so schwerwiegenden Fehler handele, weil das Verhalten der Ärzte nicht als schlechthin unverständlich anzusehen sei. So war einerseits zu berücksichtigen, dass die einzige Oberarztvisite zwar erst am 19.04.2002 erfolgte, der Kläger aber nicht etwa seit dem 27.03.2002 ohne jede ärztliche Versorgung gewesen ist. Denn der abwesende Oberarzt Dr. N wurde durch die Oberärztin W. vertreten, die Stationsärztin Dr. T2 hat Visiten durchgeführt und am 02.04. und 04.04.2002 wurde der Kläger wegen Wundheilungsstörungen in einer chirurgischen Tagesklinik für ambulante Operationen behandelt. Der Beklagte zu 2) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Konsiliarischen Kontakte ohne vorherige Arztvisite nicht vorstellbar seien, weshalb auch der Sachverständige derartige Visiten für wahrscheinlich gehalten hat. Der Senat hat deshalb - trotz fehlender Dokumentation - an der Durchführung dieser Visiten keinen vernünftigen Zweifel. Darüber hinaus wurde der Kläger durch die Physiotherapeutin und den Pflegedienst versorgt, wobei nach Aussage der Physiotherapeutin, der Zeugin C4, keine wesentlichen Veränderungen des Patienten auffällig waren. Dass die behandelnden Ärzte der Beklagten zu 1) bereits vor dem 18. bzw. 19.04.2002 durch den Kläger oder Dritte über einen verschlechterten Allgemeinzustand des Klägers in Kenntnis gesetzt worden wären, hat der Kläger weder dargelegt noch bewiesen. Denn hierzu hat die Zeugin O in ihrer Vernehmung vom 14.06.2004 ausgesagt, dass sie am 14.04.2002, ihre Tochter bereits am 13.04.2002, festgestellt habe, dass mit dem Kläger "etwas nicht stimme". Sie habe zunächst die Vermutung gehabt, dass der Kläger Heimweh hätte. Vor dem 13. bzw. 14.04.2002 habe sie keine Auffälligkeiten des Klägers feststellen können. Erst am 18.04.2002, als der verschlechterte Allgemeinzustand des Klägers noch auffälliger gewesen sei, habe sie hierüber die Stationsschwester informiert. Andererseits war zu berücksichtigen, dass die behandelnden Ärzte bei dem Kläger weder mit dem Auftreten eines subduralen Hämatoms rechnen mussten, noch dieses früher als am 13. bzw. 14.04.2002 hätten erkennen können. Denn ein solches Hämatom stellt auch nach einer vor wenigen Wochen durchgeführten Bohrloch-Trepanation eine ungewöhnliche Komplikation dar, mit der primär nicht zu rechnen ist. Auch der Sachverständige Prof. y2 hätte deshalb nach seinen Ausführungen bei der Aufnahme des Klägers in der Klinik der Beklagten zu 1) keine weiteren Untersuchungen durchgeführt, als sie auch von den behandelnden Ärzten durchgeführt worden sind. Zudem entwickeln subdurale Hämatome sich nur langsam und die klinischen Symptome laufen nicht parallel zu der Entstehung des Hämatoms. So muss ein einseitiges subdurales Hämatom eine Größe von etwa 1,5 bis 2,0 cm entwickeln, bevor der Druck auf das Gehirn zu erkennbaren klinischen Symptomen (typisch: psychomotorische Verlangsamung) führt. Bei einem beidseitigen subduralen Hämatom ist für eine Bedrängnis des Gehirns eine Größe von etwa 1,5 cm (beidseitig) erforderlich. Der Sachverständige Prof. y2 hat ohne das erkennbare Symptom einer psychomotorischen Verlangsamung bei dem Kläger keine Veranlassung zu weitergehenden Untersuchungen gesehen. Erst dann, wenn wie hier am 13. bzw. 14.04.2002 die Angehörigen des Klägers, weil sie ihn gut kannten, eine deutliche Verlangsamung feststellen und dies den Ärzten schildern, wäre eine entsprechende "Initialzündung" für eine weitergehende Beobachtung und Untersuchung des Patienten gegeben, um so den "Wechsel" im neurologischen Befinden aufklären zu können. Dabei hat der Sachverständige bekräftigt, dass ärztlicherseits auch bei einer lückenlosen Beobachtung des Klägers die klinischen Symptome für die Entwicklung eines subduralen Hämatoms zeitlich nicht vor der entsprechenden Feststellung der Angehörigen, sondern evtl. zeitgleich mit diesen hätten erkannt werden können. In diesem Zusammenhang ist auch unerheblich, welche Raumforderung das subdurale Hämatom bis zu diesem Zeitpunkt beansprucht hat, denn eine weitergehende Untersuchung des Klägers wäre in jedem Fall erst mit dem erkennbaren Auftreten der entsprechenden Symptome zu veranlassen gewesen. In der Gesamtschau hat der Sachverständige deshalb das Vorliegen eines gravierenden Behandlungsfehlers, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er schlechterdings nicht vorkommen kann, verneint. Dieser Bewertung schließt sich der Senat an. Die prozessualen Nebenentscheidungen resultieren aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Das Urteil beschwert den Kläger mit mehr als 20.000,00 €.

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