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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.11.2000
Aktenzeichen: 3 U 85/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847
BGB § 823
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Aufklärung über das Risiko der Trisomie 21 (Down-Syndrom)

Leitsatz:

Es ist nicht Aufgabe des behandelnden Arztes auf einen Schwangerschaftsabbruch hinzuwirken. Er hat die Schwangere nur über ihre jeweilige Situation, die des Kindes und ggfs. über eine bestehende Indikation in geeigneter Form zu informieren.

Die Entscheidung ist rechtskräftig


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 85/00 OLG Hamm 4 O 160/99 LG Arnsberg

Verkündet am 15. November 2000

Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pelz und die Richter am Oberlandesgericht Rüthers und Lüblinghoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 23. März 2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die am 17.03.1958 geborene Klägerin wurde während der am 06.10.1995 festgestellten Schwangerschaft durch den Beklagten zu 1) frauenärztlich betreut. In den ersten Schwangerschaftswochen traten bei der Klägerin Blutungen auf, die bis zum 20.10.1995 zum Stillstand gekommen waren. Bei dem Termin am 20.10.1995 erkundigte sich die Klägerin, wie auch in der Folgezeit, nach der Notwendigkeit weiterer Untersuchungen, unter anderem auch nach der Notwendigkeit einer Fruchtwasseruntersuchung (Amniocentese). Der Beklagte zu 1) ließ das Alpha-Feto-Protein bestimmen und fertigte Ultraschalluntersuchungen. Parallel dazu überwies er die Klägerin zum Ausschluß von Mißbildungen an den Beklagten zu 2), der am 30.11.1995 eine Ultraschalluntersuchung durchführte, die Klägerin auf die Möglichkeit einer Amniocentese mit den damit verbundenen Risiken hinwies und ihr die Durchführung einer solchen Diagnostik anbot. Den schriftlichen Bericht über die Untersuchung und das Untersuchungsgespräch sandte der Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 01.12.1995 an den Beklagten zu 1). Mit diesem erörterte die Klägerin am 01.12.1995 das Ergebnis der Untersuchung. Eine Amniocentese wurde nicht durchgeführt. Am 15.04.1996 wurde die Tochter der Klägerin geboren, die an Trisomie 21 (Down-Syndrom) leidet. Am 11.01.1999 wurde ein weiteres Kind der Klägerin geboren. Beide Kinder leben bei der Klägerin.

Die Klägerin hat die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld - Vorstellung: 10.000,00 DM - und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz vergangener und zukünftiger materieller Schäden, die sie hilfsweise zum Teil beziffert hat, in Anspruch genommen. Sie hat den Beklagten Versäumnisse bei der pränatalen Diagnostik vorgeworfen. Die Beklagten hätten sie insbesondere eindringlich auf die Durchführung einer Amniocentese hinweisen müssen. Die Beklagten haben behauptet, die Durchführung einer Amniocentese und das Risiko für ein Down-Syndrom seien mehrfach mit der Klägerin erörtert worden. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die Beklagten die Klägerin in einem ausreichenden Umfang auf die Möglichkeit einer Fruchtwasseruntersuchung hingewiesen hätten.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und beantragt, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung,

1.

festzustellen, daß die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr die ihr und dem Kindesvater Herrn aufgrund der Geburt des Kindes, geboren am 15.04.1996, in der Vergangenheit entstandenen und in Zukunft entstehenden Kosten und Schäden insbesondere den Unterhaltsaufwand und die besonderen Kosten der Behandlung, zu ersetzen, soweit derartige Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, hilfsweise

a)

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 32.902,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

b)

festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihhr die ihr und dem Kindesvater aufgrund der Geburt des Kindes T, geboren am 15.04.1996, in Zukunft entstehenden Kosten und Schäden, insbesondere den Unterhaltsaufwand und die besonderen Kosten der Behandlung einschließlich des behindert bedingten Mehrbedarfes zu ersetzen soweit derartige Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;

2.

die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gesetzes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 15.04.1996 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

1.

die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;

2.

hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.

Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten darüber eingeholt, ob die Pränataldiagnostik durch die Beklagte nicht gutem fachärztlichen Standard entsprochen hat gemäß Beschluß vom 23.07.2000 (Bl. 146 d.A.). Das schriftliche Sachverständigengutachten vom 16.10.2000 (Bl. 169 bis 176 d.A.) hat Prof. Dr. im Senatstermin erläutert. Der Senat hat weiter die Klägerin und die Beklagten angehört: Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 15. November 2000 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 823 BGB oder aus einer Verletzung von Sorgfaltspflichten des Behandlungsvertrages.

Auch aufgrund der ergänzenden Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, daß die Schwangerschaftsbetreuung der Klägerin durch die Beklagten unsachgemäß erfolgte. In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr., der ihm aus einer Vielzahl von Verfahren als erfahren und sachkundig bekannt ist, zu eigen. Danach bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Pränataldiagnostik durch die Beklagten nicht gutem fachärztlichem Standard entsprochen hat. Nach den zu fordernden Ultraschalluntersuchungen und Durchführung des sogenannten Triple-Test ist die Klägerin über die weiterführende pränatale Diagnostik im Sinne einer Amniocentese informiert worden.

Erkennt der die Schwangere betreuende Gynäkologe, daß Hinweise auf eine mögliche Mißbildung des Kindes bestehen, dann hat er die Schwangere hierüber in geeigneter Form zu informieren.

Allein wegen des Alters der Klägerin waren die Beklagten hier gehalten, sie über das Risiko der Trisomie 21 und die Möglichkeit einer Amniocentese - zur Klärung dieses Risikos - zu informieren. Dies deshalb, um der Schwangeren die Entscheidung zu überlassen, ob sie das Kind - bei positiv festgestellter Trisomie 21 - weiter austragen möchte. Ob die Schwangere dann diese Untersuchungen vornehmen läßt und ob sie sich bei bestehender Indikation zum Schwangerschaftsabbruch entscheidet, obliegt ihrer eigenen Entscheidungsfreiheit. Dabei ist es nicht Aufgabe des behandelnden Arztes, auf einen Schwangerschaftsabbruch hinzuwirken. Er hat die Schwangere nur über ihre jeweilige Situation und die des Kindes und ggfls. über eine bestehende Indikation sachgemäß zu informieren (Senat Urteil vom 21.06.2000 - 3 U 12/00 -, Urteil vom 28. August 2000 - 3 U 31/00 -).

Daß die Klägerin anläßlich der Untersuchung durch den Beklagten zu 2) am 30.11.1995 über die Möglichkeit informiert worden ist, eine Amniocentese durchzuführen, hat die Klägerin im Senatstermin bestätigt. Sie hat auch bestätigt, daß ihr der Sinn dieser Untersuchung, nämlich das Erkennen von Behinderungen, bekannt war. Die Möglichkeit einer Fruchtwasseruntersuchung ist dann zwischen ihr und dem Beklagten zu 1) am 01.12.1995 erörtert worden. Weder von dem Beklagten zu 1) noch von dem Beklagten zu 2) war hier nach Auffassung des Senats zu fordern, daß sie die Klägerin bedrängen mußten, die Fruchtwasseruntersuchung durchführen zu lassen. Diese Frage mußte der Entscheidungsfreiheit der Klägerin überlassen bleiben. Die Durchführung einer Amniocentese ist nämlich für das Kind im Mutterleib nicht gefahrlos, sondern es kommt in jedem etwa 200. Fall, so Prof. Dr. und dies ist dem Senat auch aus anderen vergleichbaren Verfahren bekannt, zum Absterben des Kindes infolge der Durchführung der Amniocentese. Dieses Risiko von 1:200 entsprach in etwa dem Risiko, daß sich der Verdacht auf Trisomie 21 verwirklichen würde. Dieses Risiko lag bei 1:210. In einem solchen Fall gebietet das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren es geradezu, daß diese über die Vor- und Nachteile der Fruchtwasseruntersuchung nur informiert, nicht aber bedrängt wird, diese nun durchführen zu lassen.

Der Sachverständige hat auch überzeugend dargelegt, daß weitere Untersuchungen, etwa sonografischer Art oder eine rechtzeitigere Durchführung der Triple-Diagnostik nichts an dem Umstand geändert hätte, daß nur eine Amniocentese eine sichere Erkenntnis über das Vorliegen einer Trisomie 21 erbracht hätte. Anhaltspunkte dafür, daß das altersbedingte Risiko hier erhöht war, bestehen nicht. Es waren insbesondere auf den sonografischen Befunden keine Hinweise für Mißbildungen zu erkennen. Anhaltspunkte dafür, daß diese sonografischen Befunde nicht regelrecht durchgeführt worden sind, bestehen nicht. Daß auf eine Chorionbiopsie mit einer Fehlgeburtsquote von 1:20 nicht hinzuweisen ist, ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr., evident.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713. Die Beschwer der Klägerin übersteigt nicht 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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