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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.02.2009
Aktenzeichen: 3 UF 48/08
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1666 Abs. 1
BGB § 1666 a
BGB § 1680 Abs. 1
BGB § 1680 Abs. 3
FGG § 13 a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1.) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Herne- Wanne vom 21.12.2007 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10.03.2008 wie folgt abgeändert und insgesamt neu gefasst:

Der Beteiligten zu 1.) wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitssorge sowie das Recht, Maßnahmen nach dem SGB VIII zu beantragen, für die Kinder N F, geb. am 14.10.2004, und Q F, geb. am 30.03.2006, entzogen; der weitergehende Antrag der Beteiligten zu 3.) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

Geschäftswert für die Beschwerde: 3.000,--€.

Gründe:

I.

Die 1980 geborene Kindesmutter, die Beteilige zu 1.), ging am 06.07.2004 die Ehe mit C D-F, dem Beteiligten zu 2.), ein. Am 14.10.2004 wurde die Tochter N F, geboren, die an Mukoviszidose leidet. Sie und die am 30.03.2006 geb. Q stammen nach Angaben der Mutter, denen der Beteiligte zu 2.) nicht widerspricht, von T D1-H ab. Spätestens im Laufe des Jahres 2006 freundete sich die Kindesmutter mit dem 1985 geborenen C1 L an, der später regelmäßig in der Ehewohnung in der G-Straße in I verkehrte. Im Frühjahr 2007 soll der Beteiligte zu 2.) "endgültig" die Ehewohnung verlassen haben. Erst seit dieser Zeit will die Kindesmutter mit L dauerhaft zusammen gelebt haben, von dem sie sich im Herbst 2008 trennte. Ein Scheidungsverfahren ist bislang nicht anhängig.

Nach eigener Bekundung der Kindesmutter stellte sie in der Nacht vom 23. auf den 24.12.2006 fest, dass Q "mit erheblichen Schwellungen und blauen Flecken im Nacken hinter beiden Ohren, unter dem rechten Auge und an der Stirn im Bett saß" und schrie. Sie stellte das Kind daraufhin dem Kinderarzt Dr. O, dem Vertreter der Kinderärztin Dr. W, vor, der den Verdacht auf Kindesmisshandlung äußerte. N wurde am 30.01.2007 wegen einer Unterarmfraktur im N1-Hospital in I behandelt. Am 16.05.2007 brachte die Kindesmutter N wegen einer Oberschenkel-Fraktur oberhalb des rechten Knies erneut in das N1-Hospital. Die behandelnde Ärztin Dr. med. C2 teilte dem Jugendamt mit, die Mutter habe für diese Verletzung keine plausible Erklärung vorgebracht. Daraufhin nahm das Jugendamt N in Obhut, leitete eine rechtsmedizinische Untersuchung ein und stellte am 23.05.2007 den Antrag, der Kindesmutter die elterliche Sorge im Wege einstweiliger Anordnung für beide Töchter zu entziehen. Q gelangte im Wege der Inobhutnahme alsbald zu einer Pflegefamilie, seit Ende 2007 in eine Dauerpflegefamilie. N wurde wegen der Mukoviszidose im T-K-Hospital in C bis zum 13.06.2007 weiter behandelt. Sie lebte zunächst bis zum 08.02.2008 in einer ersten und alsdann bis zum 12.06.2008 in einer zweiten Bereitschaftspflegefamilie. Mit Beschluss vom 24.05.2007 hat das Familiengericht der Stadt I im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Personensorge übertragen.

Mit Schriftsatz vom 11.07.2007 hat die Stadt I beantragt,

beiden Kindeseltern die gesamte elterliche Sorge für die Kinder N und Q zu entziehen (§§ 1666, 1666a BGB) und sie dem Jugendamt als Vormund zu übertragen.

Die Beteiligte zu 1.) ist diesem Antrag entgegen getreten; der Beteiligte zu 2.) ist am Sorgerechtsverfahren nicht beteiligt worden.

Das Familiengericht hat ein ergänzendes rechtsmedizinisches Gutachten im Hinblick auf die Erklärungen der Mutter zu den Verletzungsursachen eingeholt. Mit Beschluss vom 21.12.2007, fälschlich im Titel der Entscheidung als "Einstweilige Anordnung" überschrieben und insofern mit Beschluss vom 10.03.2008 berichtigt, hat das Familiengericht lediglich der Kindesmutter die elterliche Sorge für beide Töchter entzogen und auf das Jugendamt der Stadt I als Vormund übertragen.

Gegen diesen Beschluss hat die Kindesmutter unter dem 31.12.2007 eingehend Beschwerde eingelegt. Nach Zugang des Berichtigungsbeschlusses hat die Kindesmutter erneut Beschwerde eingelegt. Sie bestreitet, die Kinder misshandelt zu haben. Weder ihr noch "dem Vater" sei eine Misshandlung nachzuweisen. Die beiden Kinder sollten zusammen aufwachsen. Da sie unter der "erhöhten Kontrolle" des Jugendamts stehe, sei auch die Gefahr einer künftigen Misshandlung "nahezu ausgeschlossen". Sie verweist darauf, dass das aufgrund des Oberschenkelbruchs N eingeleitete Strafverfahren gegen sie und L wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (StA C Az. 210 Js 583/07) am 30.06.2008 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden ist.

Seit dem 13.06.2008 befindet sich N in einer Dauerpflegefamilie, einer sog. Sonderpädagogischen Pflegestelle, in der Grafschaft C2.

Der Senat hat die Beteiligten zu 1.) - 5.) sowie den Verfahrenspfleger, ferner Frau T, Diakonie in E, in der Verhandlung vom 27.01.2009 sowie N im

Betreuungszimmer des Oberlandesgerichts angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstatter-Vermerk Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Familiengerichts ist form- und fristgerecht eingelegt worden, hat in der Sache jedoch nur geringfügig Erfolg.

1.

Soweit das Familienrecht der Beteiligten zu 1.) die elterliche Sorge gem. §§ 1666 Abs. 1, 1666 a BGB entzogen hat, hat dies - allerdings beschränkt auf die Bereiche des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitssorge sowie der Antragstellung nach dem SGB VIII - Bestand. Die Voraussetzungen für einen solchen - partiellen - Sorgerechtsentzug liegen weiterhin vor. Nach § 1666 Abs. 1 BGB n.F. ist das der Fall, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Erforderlich ist dabei eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BGH NJW 2005, S. 672; Celle FamRZ 2003, 1490; Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1666 Rn. 10). So liegt es hier:

Die Beschwerdeführerin verfolgt das Ziel der Rückkehr beider Kinder in ihre Obhut. Damit sind auch im jetzigen Zeitpunkt noch gegenwärtige Gefahren für das körperliche, geistige und seelische Wohl der Kinder verbunden, die nicht anders als durch die Aufrechterhaltung der Trennung von ihr verhindert werden können. Im Einzelnen:

Bereits im Dezember 2006 sind bei der seinerzeit 8 Monate alten Q während ihres Aufenthalts in der elterlichen Wohnung in erheblichem Umfang Schwellungen und Blutergüsse ("blaue Flecken") im gesamten Kopfbereich aufgetreten, die bei dem behandelnden Kinderarzt zum Verdacht der Misshandlung geführt haben und für die die Beschwerdeführerin eine andere plausible Erklärung nicht aufgezeigt hat. Ihre gegenüber dem Senat mitgeteilte Auffassung, für sie hätten sich als Ursache letztlich nur "die Zähnchen" des Kindes ergeben, ist in diesem Zusammenhang absurd. Sofern diese Misshandlungen nicht durch die Beschwerdeführerin selbst verursacht worden sind, geschahen sie durch eine Person, die sich mit ihrem Wissen und Wollen in der Nähe des Kindes aufgehalten hat.

Ferner hat N im Mai 2007 einen Bruch des rechten Oberschenkels unter Beteiligung der Metaphyse (Abschnitt eines Röhrenknochens zwischen Mittelstück und Endstück) oberhalb des Kniegelenks erlitten. Der rechtsmedizinische Sachverständige Privatdozent Dr. med. C3, Institut für Rechtsmedizin der Universität E2-F1, teilte aufgrund der Untersuchung vom 18.05.2007 mit, dass Metaphysenkantenabbrüche eine hohe Spezifität bezogen auf eine Kindesmisshandlung durch Überstrecken oder -dehnen des Gelenks aufwiesen und dass die knöchernen Verletzungen N auf eine grobe Gewalteinwirkung gegen das Kind hindeuteten. Die Erklärungsversuche der Beschwerdeführerin, die angab, sie könne sich nur vorstellen, dass sich N diese Verletzung am Tag vor der Vorstellung im Krankenhaus zugezogen habe, als sie die Treppe herauf "gekrabbelt" und dann "nach vorne umgekippt" sei, oder dass es erst beim Röntgen im Krankenhaus zum weiteren Bruch des Knochens gekommen sei, haben sich als untauglich erwiesen. Das folgt aus der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 22.10.2007.

Danach ist es "höchst unwahrscheinlich", dass ein gesunder Knochen bei der von der Beschwerdeführerin wiederholt dargestellten Sturzbelastung "bricht oder auch nur anbricht". Ebenso unwahrscheinlich sei eine Bruchentstehung im Rahmen der Röntgendiagnostik, weil dem Personal der Umgang mit verletzten Gliedmaßen bekannt sei. Anhaltspunkte für eine Schwächung der Knochenstabilität N, die eine Verletzung der eingetretenen Art bereits bei geringfügigerer Einwirkung verständlich erscheinen lassen können, haben sich nicht ergeben (s. vorläufiger Arztbrief des St.K-Hospitals C vom 13.06.2007). Der Senat geht deshalb auch bezüglich dieser Oberschenkelverletzung davon aus, dass das Kind entweder durch die Beschwerdeführerin selbst oder durch eine Person verletzt wurde, die sich mit ihrem Wissen und Wollen in seiner Nähe befand.

Bereits die dargestellten wiederholten Übergriffe auf die Kinder begründen auch gegenwärtig noch die akute Gefahr, dass es bei einer Rückkehr in die Obhut der Beteiligten zu 1.) zu weiteren erheblichen Misshandlungen kommt. Denn die äußeren Lebensumstände der Beschwerdeführerin haben sich zwischenzeitlich nicht entscheidend geändert. Soweit sie angibt, sich seit drei bis vier Monaten von L getrennt zu haben, verändert dies nicht die Gefahrenlage für die Kinder, zumal sie einräumt, weiterhin mit ihm Kontakt zu haben. Andere Personen, die eine Gewähr für die Integrität der beiden Töchter bieten könnten, sind nach wie vor nicht ersichtlich. Das gilt auch für den Beteiligten zu 2.), der sich weder während des Zusammenlebens mit der Kindesmutter noch nachher um die Kinder gekümmert hat und mit dem die Kindesmutter keine (Wieder-)Aufnahme des ehelichen Zusammenlebens plant. Eine Aufarbeitung eigener Defizite der Beschwerdeführerin, und sei es nur im Hinblick auf ihre Fähigkeit, den Übergriffen anderer auf die Kinder nachhaltig entgegenzutreten, hat nicht stattgefunden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass auf Seiten der Kinder bei einer Rückkehr in den Haushalt der Kindesmutter mit erheblichen Anpassungsreaktionen zu rechnen ist, die an die Geduld der Beteiligten zu 1.) bzw. der von ihr zur Betreuung heranzuziehenden Personen zumindest für einige Zeit sehr hohe Anforderungen stellt. Dies erhöht die Gefahr neuerlicher Übergriffe auf die Kinder zusätzlich. Bei alledem ist auch die Schwere der den Kindern drohenden Gefahren zu berücksichtigen. Insoweit ist es von Bedeutung, dass Misshandlungen in der dargestellten Art, wie offenkundig ist, nicht nur nachhaltige körperliche Schädigungen, sondern auch geistige und seelische Verletzungen erheblichster Art begründen können.

Ein verlässlicher Schutz der Kinder vor solchen Einwirkungen ist derzeit nur über die Aufrechterhaltung der Trennung von der Mutter gewährleistet. Auch eine engmaschige Überwachung durch das Jugendamt oder eine sozialpädagogische Familienhilfe, wie sie stets zu erwägen sind, vermag neuerliche Verletzungshandlungen nicht hinreichend sicher auszuschließen. Denn damit kann nicht verhindert werden, dass die Kinder über lange, nicht zu beobachtende Zeiträume ihren jeweiligen Obhutspersonen ausgeliefert sind.

Allerdings besteht derzeit kein Anlass, der Beteiligten zu 1.) das Sorgerecht vollständig zu entziehen. Das wäre erst dann der Fall, wenn eine effektive Kooperation mit dem Jugendamt in sämtlichen Bereichen überhaupt nicht möglich wäre, weil sie an der Bereitschaft oder den intellektuellen Fähigkeiten des betreffenden Elternteils scheitert. Weder das eine noch das andere lässt sich gegenwärtig feststellen.

2.

Der Beschluss des Familiengerichts kann allerdings nach derzeitiger Sachlage insoweit keinen Bestand haben, als eine Übertragung der elterlichen Sorge der Kindesmutter auf das Jugendamt angeordnet worden ist.

Insoweit verstößt er gegen die Regelung des § 1680 Abs. 1 und 3 BGB. Es ist davon auszugehen, dass die elterliche Sorge für beide Kinder den Beteiligten zu 1.) und 2.) gemeinsam zusteht. Wenngleich gewisse Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass die Beteiligte zu 1.) mit dem Beteiligten zu 2.) eine sogenannte Scheinehe eingegangen ist, um ihm ausländerrechtliche Vorteile zukommen zu lassen, ist bislang eine Aufhebung der Ehe auch seitens der Behörde (§ 1316 Abs. 3 BGB) nicht beantragt oder gar durch das Familiengericht rechtskräftig ausgesprochen worden. Die Entziehung der elterlichen Sorge, die nur einen Elternteil betrifft, hat danach zur notwendigen Folge, dass der andere Elternteil alleiniger Sorgerechtsinhaber wird.

Dem Senat ist eine Entscheidung über den Sorgerechtsentzug auch bezüglich des Beteiligten zu 2.) versagt, da eine Entscheidung des Familiengerichts insoweit noch aussteht und dem Kindesvater ansonsten "eine Instanz genommen" würde. Sollte der Beteiligte zu 2.) von seinem - alleinigen - Sorgerecht in einer dem Kindeswohl widersprechenden Weise Gebrauch machen, kann dem durch einstweilige Maßnahmen effektiv begegnet werden.

3.

Die Kostenentscheidung betreffend das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 a Abs. 1 FGG. Eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz ist seitens des Familiengerichts - letztlich zu Recht - bislang nicht getroffen worden, da noch über den Sorgerechtsantrag der Stadt I bezüglich des Beteiligten zu 2.) zu entscheiden ist.

Ende der Entscheidung

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