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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.08.2006
Aktenzeichen: 3 UF 72/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 538 Abs. 2
ZPO § 538 Abs. 2 S. 3
ZPO § 538 Abs. 2 Ziff. 7
ZPO § 543 Abs. 2 Ziff. 2, 2. Variante
ZPO § 620 S. 1 Nr. 1
ZPO § 620 Nr. 6
ZPO § 623
ZPO § 623 Abs. 2
ZPO § 623 Abs. 2 S. 2
ZPO § 623 Abs. 2 S. 4
ZPO § 623 Abs. 2 Ziff. 1
ZPO § 628
ZPO § 628 S. 1 Ziff. 3
ZPO § 628 S. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 16. Februar 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bochum wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

(abgekürzt gem. § 540 Abs. 1 ZPO)

I.

Der Antragsteller (nachfolgend ASt.), gelernter Elektroanlageninstallateur, und die Antragsgegnerin (nachfolgend AGg.), die die Ausbildung zur Altenpflegerin vor dem Examen abgebrochen hat, haben am 03.07.1990 geheiratet. Aus der Ehe ist der am 21.09.1992 geborene Sohn E hervorgegangen. Die Parteien leben seit Februar 2001 getrennt. Die Zustellung des Scheidungsantrages erfolgte am 30.05.2001.

Der ASt. lebt zwischenzeitlich in der Schweiz und hat dort ein weiteres Kind, die am 05.09.2003 geborene G, aus einer Beziehung mit seiner jetzigen Lebensgefährtin, Frau G1. Durch Unterhaltsvertrag vom 15.10.2003 hat er sich zur Zahlung von Unterhalt für das Kind G verpflichtet. Daneben zahlt er an die AGg. aufgrund des Urteils des AG Bochum vom 07.04.2003 im Verfahren 57 F 174/01 monatlich 150,00 € Trennungs- und 291,00 € Kindesunterhalt.

Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien um Zugewinn, Nachscheidungsunterhalt und elterliche Sorge für das gemeinsame Kind. Während das Zugewinnverfahren von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, hat das Familiengericht die Verbundanträge der AGg. vom 13.02.2006 zur Regelung der elterlichen Sorge und zum Nachscheidungsunterhalt auf Antrag des ASt. und gegen den Widerspruch der AGg. mit Beschluss vom 16.02.2006 gem. § 623 II ZPO abgetrennt und mit dem angegriffenen Urteil die Ehe der Parteien geschieden sowie den Versorgungsausgleich durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten und der erstinstanzlichen Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der AGg., die die Abtrennung aus Rechtsgründen für unzulässig hält und deshalb die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache beantragt.

Der ASt. verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat im Ergebnis aber keinen Erfolg. Das Familiengericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Verfahren zum Nachscheidungsunterhalt und zur elterlichen Sorge auf Antrag des ASt. abgetrennt.

1. Zulässigkeit der Berufung

Die Berufung gegen das Scheidungsurteil ist zulässig, auch wenn sich der Berufungsangriff allein auf die erfolgte Abtrennung bezieht.

Da eine Abtrennung nach § 623 ZPO nicht anfechtbar ist (Büttner FamRZ 1998, 585, 592), kann das Scheidungsurteil nur mit der Begründung angefochten werden, § 623 ZPO sei verletzt, weil die Voraussetzungen für eine Abtrennung nicht vorgelegen haben (Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 623 Rz. 32 i).

2. Begründetheit der Berufung

Entgegen der Auffassung der AGg. ist das Scheidungsurteil nicht aufzuheben und die Sache an das Familiengericht gem. § 538 Abs. 2 ZPO zurückzuverweisen.

a.

Der AGg. ist zwar dahin Recht zu geben, dass sich die Entscheidung über den vorliegenden Berufungsantrag nach § 538 Abs. 2 Ziff. 7 ZPO richtet. Denn wenn die Abtrennung zu Unrecht erfolgt ist, hat dies zur Konsequenz, dass das Scheidungsurteil ein unzulässiges Teilurteil darstellt, weil über eine von mehreren im Verbundverfahren geltend gemachten Klagen entschieden worden ist, obwohl sie nach den §§ 623, 628 ZPO noch nicht zur Entscheidung reif war (Zöller-Philippi, a.a.O.,§ 628 Rz. 14). Für diesen Fall ist nach § 538 Abs. 2, S. 3 ZPO ein Antrag nicht erforderlich ist, ein solcher liegt hier allerdings ausdrücklich vor.

b.

Entgegen der Auffassung der AGg. ist die Abtrennung durch das Familiengericht in nicht angreifbarer Weise erfolgt.

aa)

Nach dem Wortlaut des § 623 II Ziff. 1, S. 2 ZPO trennt dass Gericht im Falle einer Folgesache elterliche Sorge, wie sie hier von der AGg. in den Verbund eingebracht worden ist, diese auf Antrag ab. Eine irgendwie geartete Ermessensentscheidung besteht - jedenfalls nach dem Wortlaut - nicht. Nach Satz 4 des zweiten Absatzes kann der Antrag mit der Abtrennung einer Folgesache Nachscheidungsunterhalt, der hier ebenfalls von der AGg. eingebracht worden ist, verbunden werden.

bb)

Trotz des eindeutigen Wortlauts der Norm sind aber die Voraussetzungen der Abtrennung der Folgesachen elterliche Sorge und Unterhalt aus dem Scheidungsverbund nach § 623 Abs. 2 ZPO in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

(1)

Aus dem Wortlaut der Vorschrift leitet eine Meinung ab, dass in den genannten Fällen eine Abtrennung vorzunehmen ist ("trennt ab"), dem Gericht also insoweit keine Ermessensentscheidung eingeräumt worden ist. Gerade darin unterscheide sich § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO von der bloßen "Möglichkeit", eine Folgesache nach § 628 ZPO abzutrennen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich kein Hinweis darauf, das Gericht könne trotz eines entsprechenden Antrages eines Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen von einer Abtrennung absehen. Dementsprechend müsse das Gericht einem Antrag auf Abtrennung die Antragsfolgesachen stattgeben, eine Abtrennung sei also zwingend vorgeschrieben (OLG Hamm FamRZ 2001, 1229; einschränkend OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 840).

(2)

Die wohl h.M. geht ebenfalls davon aus, dass § 623 Abs. 2 ZPO die Abtrennung bei entsprechendem Antrag zwingend vorschreibt, will die Vorschrift aber teleologisch eingeschränkt dahin auslegen, dass die Abtrennung grundsätzlich nur für den Fall, dass die Sorgerechtsregelung bereits vor Rechtskraft der Scheidung wirksam wird, vorgesehen ist und ein zur Umgehung dieses Gesetzeszwecks gestellter Antrag wegen Missbrauchs zurückzuweisen ist. Ein solcher Missbrauch liege z.B. vor, wenn der Sorgerechtsantrag nur zu dem Zweck gestellt worden ist, die Abtrennung der Folgesache Unterhalt zu erzwingen (OLG Frankfurt FamRZ 2001, 554 und 1229; OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 840 und 842; OLG Karlsruhe NJOZ 2005, 4412, 4413; AG Rastatt FamRZ 1999, 515; Zöller/Philippi, a.a.O., § 623 Rz. 32 f.; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 623 Rz. 20).

Auf den Fall bezogen bedeutet dies, dass die Abtrennung zulässig ist, da ein Missbrauch nicht festzustellen ist. Denn die Anträge zur elterlichen Sorge und zum Nachscheidungsunterhalt sind von der AGg. selbst eingebracht worden.

(3)

Eine dritte Meinung geht davon aus, dass die nach dem Wortlaut umfassende Abtrennungsmöglichkeit eingeschränkt werden müsse. Der Gesetzgeber habe nur eine Entscheidung über die elterliche Sorge vor Scheidung ermöglichen wollen. Deshalb seien Anträge, durch die allein eine Beschleunigung des Scheidungsverfahrens bewirkt werde, zurückzuweisen (OLG Frankfurt FF 2001, 66, m. zust. Anm. Miesen; OLG Schleswig NJWE-FER 2000, 299 = OLG Report 2000, 111; Büttner, Die Entwicklung des Unterhaltsrechts bis Anfang 1999, NJW 1999, 2315, 2326; ders., Familienverfahrensrecht im KindRG, FamRZ 1998, 585, 592; Hagelstein, Die Abtrennung gemäß § 623 II ZPO, FamRZ 2001, 533; Miesen, Anm. zu AG Rastatt, FamRZ 2000, 167).

Zur Begründung stellen die Vertreter dieser Meinung entscheidend auf die Entwurfsbegründung zu § 623 II ZPO ab. Dort heißt es:

"Das geltende Recht eröffnet jedem Ehegatten ungeachtet der Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 620 S. 1 Nr. 1 eine Hauptsacheentscheidung über die elterliche Sorge für die Zeit der Trennung (§ 1672 BGB) auch bei bereits anhängigen Scheidungsverfahren. Mit der Möglichkeit der Abtrennung der Sorgeverfahren von der Scheidungssache kann auch künftig bereits für die Zeit der Trennung eine Entscheidung in der Hauptsache erreicht werden" (BT-Drucks. 13/4899, S. 122).

Damit sei ausdrücklich klargestellt, dass mit der Abtrennungsmöglichkeit eine Vorabentscheidung über das Sorgerecht - und gemäß Satz 3 dieses Absatzes auf Antrag auch des Unterhalts -, nicht aber allein eine Beschleunigung des Scheidungsverfahrens bezweckt sei. Denn der Gesetzgeber habe mit der Regelung nicht die Scheidung - ohne Klärung der Folgesachen -beschleunigen wollen, sondern nur eine Entscheidung über die elterliche Sorge vor Scheidung ermöglichen wollen, was früher im selbstständigen Hauptsacheverfahren nach § 1672a.F. zu erreichen gewesen sei. Zudem laufe anderenfalls § 623 Abs. 2 ZPO der Regelung von § 628 ZPO zuwider und werde die Schutzfunktion des Scheidungsverbunds erheblich eingeschränkt (so OLG Frankfurt a.M., FF 2001, 66 m. zust. Anm. Miesen; OLG Schleswig, NJWE-FER 2000, 299 = OLG Report 2000, 111; OLG Bamberg FamRZ 1999, 1434; OLG Köln, NJOZ 2003, 3092, 3094; Büttner, NJW 1999, 2315, 2326; ders., FamRZ 1998, 585, 592; Hagelstein, FamRZ 2001, 533; Miesen, Anm. zu AG Rastatt, FamRZ 2000, 167). Für diese Auffassung spreche zudem die inhaltlich unverändert gebliebene Regelung in § 628 S. 1 Nr. 3 ZPO, wonach nur bei außergewöhnlicher Verzögerung des Scheidungsausspruchs durch eine Folgesache und eine dadurch bedingte unzumutbare Härte die Trennung des Verbunds möglich ist. Denn diese Entscheidung sei vom Gericht im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens zu prüfen und zu entscheiden und damit sei damit der Dispositionsbefugnis der Parteien entzogen. Auch spreche die Entstehungsgeschichte des ersten EheRG, das den Scheidungsverbund eingeführt hat, für die Einschränkung der Abtrennungsmöglichkeit (OLG Köln NJOZ 2003, 3092, 3094). Denn der Scheidungsrichter solle alle bei ihm im Zusammenhang mit der Scheidung anhängigen Verfahren zur gleichen Zeit erledigen, damit der Ausspruch der Scheidung möglichst nicht ohne Regelung der wichtigsten Scheidungsfolgen ergehe (BT-Dr 7/650, S. 61; s. auch BGH NJW 1991, 1616 = FamRZ 1991, 687)

c)

Der Senat schließt sich der h.M. an, die eine teleologische Einschränkung des § 623 Abs. 2 ZPO nur im Falle des Missbrauchs zulässt. Maßgebend ist insoweit für den Senat zunächst der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, der eine Abtrennung auf entsprechenden Antrag hin und bei Vorliegen der Voraussetzungen ausdrücklich vorsieht. Auf die Formulierung der Begründung zum Gesetzesentwurf kann nicht entscheidend abgestellt werden, da dort nur ein Aspekt der möglichen Anwendung des § 623 Abs. 2 ZPO dargestellt wird, nicht aber das Ausschließlichkeitspostulat, wie es die vorgenannte Meinung aufstellt, formuliert wird.

Darüber hinaus zeigen die Regelungen in § 623 Abs. 2 S. 4 ZPO und § 628 S. 1 Ziff. 3 ZPO, dass das Gesetz eine Fortdauer der Folgesache über den Zeitpunkt der Scheidung hinaus durchaus in Kauf nimmt (so auch Büttner, FamRZ 1998, 585, 592), so dass es auch nach dem Willen des Gesetzgebers zu einer Verzögerung der Entscheidung über die Sorge- und Umgangssachen sowie über Ehegatten- und Kindesunterhalt über den Zeitpunkt der Scheidung hinaus kommen kann.

Auch die befürchtete Rechtlosstellung des anderen Ehegatten im Falle der Abtrennung auch des Nachscheidungsunterhalts findet im Ergebnis nicht statt, da eine bereits erlassene einstweilige Anordnung nach § 620 Nr. 6 ZPO weiter gilt.

3.

Der Senat hat auf die Anregung der AGg. hin die Revision gem. § 543 Abs. 2 Ziff 2, 2. Variante ZPO zugelassen, da die Frage der einschränkenden Auslegung des § 623 Abs. 2 ZPO in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten ist und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der zu dieser Frage, soweit ersichtlich, noch nicht Stellung genommen hat, erforderlich ist.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 704 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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