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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.04.2006
Aktenzeichen: 3 W 22/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO §§ 567 ff.
ZPO § 935
BGB § 823
BGB § 1004
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Im Wege der einstweiligen Verfügung - wegen der Eilbedürftigkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung - wird dem Antragsgegner aufgegeben, es zu unterlassen, in den städtischen Bühnen das Stück "Ehrensache" des Autors Lutz H aufzuführen.

Für den Fall der Zuwiderhandlung wird dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,-- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren angedroht.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens bei einem Gegenstandswert von 12.000,-- €.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 567 ff., ... ZPO zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zum Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung gemäß § 935 ZPO. Ferner war der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für das Verfügungsverfahren zu bewilligen.

Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr ein Verfügungsanspruch gegen den Antragsgegner gemäß §§ 1004, 823 BGB zusteht. Jedenfalls in der vorliegenden Fassung verletzt die von dem Antragsgegner zu verantwortende Aufführung des Stückes "Ehrensache" von Lutz Hübner im städtischen Jugendtheater das von der Antragstellerin wahrzunehmende postmortale Persönlichkeitsrecht ihrer verstorbenen Tochter ..., ohne dass sich der Antragsgegner auf Rechtfertigungsgründe berufen kann. Insofern kann dahinstehen, ob die Aufführung auch in eigene Persönlichkeitsrechte der Antragstellerin eingreift, ...

Das Recht jedes Menschen auf Schutz vor Eingriffen gegen seine Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG wirkt anerkanntermaßen auch über den Tod hinaus und führt zu einem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit. Dieser Schutz bewahrt den Verstorbenen insbesondere davor, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Schutz genießt dabei insbesondere der sittliche, personale und soziale Geltungswert vor groben Entstellungen seines Lebensbildes. Die nächsten Angehörigen, wie im vorliegenden Fall die Antragstellerin als Mutter der verstorbenen ..., sind berufen, den fortwirkenden Wert- und Achtungsanspruch zu schützen (vgl. BVerfGE 30, S. 173; BGHZ 50, S. 133; OLG Hamm - 9. Zivilsenat -, NJW 2002, S. 609 m. w. N.).

Das Bühnenstück "Ehrensache" beachtet diesen Wert- und Achtungsanspruch der Verstorbenen nicht in dem gebotenen Maße. So besteht aufgrund der vorliegenden Beschreibungen des Theaterstücks in den dazu herausgegebenen Informationsblättern kein Zweifel, dass Personen, welche die Verstorbene kannten, diese in der Figur der "Elena" unschwer wiedererkennen werden. Dem Bühnenstück liegt ersichtlich der sogenannte "Hagener Mädchenmord" vom 31.05.2004 auf dem Parkplatz in Hagen-Holthausen zu Grunde. Die wesentlichen Umstände des Geschehens, die auch durch die Presseberichterstattung über die Straftat und über den daraufhin folgenden Strafprozess in der Öffentlichkeit im Bekanntenkreis der Verstorbenen bekannt sind, werden teilweise detailgenau wiedergegeben, wie sie auch in dem Strafurteil der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Hagen gegen den für den Tod der ... verantwortlichen Täter (im Bühnenstück "Cem" genannt) festgestellt wurden. So schildert das Bühnenstück das Zusammentreffen von zwei Jugendlichen türkischer Herkunft mit zwei jüngeren Mädchen, eine Fahrt nach Köln, einen Streit zwischen "Elena" und "Cem", bei welchem "Elena" dem "Cem", der sie als Schlampe/Hure bezeichnet, unter Hinweis auf einen zuvor ausgeführten ungeschützten Geschlechtsverkehr provoziert und schließlich den Totschlag des Mädchens auf einem Parkplatz mit 30 (laut Strafurteil mindestens 29) Messerstichen. Allein durch das Verwenden anderer Namen und die Abänderung einiger Details wie etwa des Alters der "Elena" mit 16 statt ...' Alter von ... Jahren bewirkt keine derartige Verfremdung, dass die in dem Stück auftretenden Personen als Kunstfiguren ohne realen Bezug zu den Beteiligten des "Hagener Mädchenmords" erscheinen könnten. In einem Informationsblatt, welches für eine Aufführung desselben Bühnenstücks in der "Casa" des Schauspiels Essen herausgegeben wird, wird die Grundlage des "Hagener Mädchenmords" auch offen herausgestellt. Durch die Aufführung im - ... als früheren Wohnort der Verstorbenen - benachbarten Hagen ist schließlich zu erwarten, dass der maßgebliche Bekanntenkreis der Verstorbenen das Theaterstück entweder besucht oder sonst - etwa durch weitere Presseberichterstattung über die Aufführung - davon Kenntnis erlangt.

Durch die Darstellung der "Elena" wird das Lebensbild der verstorbenen ... entstellt und ihr Wert- und Achtungsanspruch nicht gewahrt. Die Darstellung der Person beschränkt sich, wie sich insbesondere aus den eidesstattlichen Versicherungen der ... ergibt, darauf, die Frühreife und starke sexuelle Ausrichtung der Verstorbenen sowie ihre charakterliche und moralische Haltlosigkeit darzustellen. Das Negativbild dieser Person wird verstärkt durch die Schilderung zusätzlicher unwahrer und die Persönlichkeit negativ prägender Einzelheiten wie insbesondere die Darstellung als Ladendiebin, welche auch ihre Begleiter zum Diebstahl vergeblich anzustiften versucht. Zudem wird "Elena" quasi als Hure dargestellt, welche für die - vorgebliche - Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr von "Cem" Geld annimmt. ...

Durch die Aufführung auf der von ihm betriebenen Jugendbühne "Lutz" greift der Antragsgegner in das Recht der Verstorbenen ein. Dieser Eingriff wird durch das Grundrecht der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht gerechtfertigt.

Zwar besteht kein Zweifel daran, dass es sich bei dem beanstandeten Bühnenstück um ein Kunstwerk handelt, welches den grundgesetzlichen Schutz in Anspruch nehmen kann. Diesen Schutz kann auch der Antragsgegner als Betreiber der Jugendbühne in Anspruch nehmen. Das Bühnenstück stellt eine eigenständige schöpferische Leistung des Autors dar, indem der zu Grunde liegende Kriminalfall nicht lediglich dokumentarisch wiedergegeben, sondern dramaturgisch aufgearbeitet wird und so als Ausgangspunkt dient, um die Problematik des Aufeinandertreffens von Personen aus verschiedenen Kulturkreisen mit unterschiedlichen Ehrvorstellungen darzustellen.

Die Kunstfreiheit wird jedoch trotz des Fehlens eines in Art. 5 Abs. 3 GG ausdrücklich normierten Gesetzesvorbehalts nicht schrankenlos gewährt. Die grundrechtliche Freiheitsverbürgung geht vielmehr vom Menschenbild des Grundgesetzes aus. Diesem Menschenbild ist das Recht auf Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG als oberster Wert zugeordnet. Die Kunst muss daher die Menschenwürde Betroffener achten. Im Spannungsfall ist eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht einer durch ein Kunstwerk nachteilig dargestellten Person und der Kunstfreiheit erforderlich (vgl. BVerfGE 30, S. 173). Diese Abwägung fällt im konkreten Fall zu Ungunsten des Antragsgegners aus.

Zwar besteht kein Zweifel an der achtenswerten Zielsetzung des Bühnenstücks, welche das Landgericht in den Gründen des angefochtenen Beschlusses beschrieben hat. Andererseits fällt aber die betont negative Darstellung der Verstorbenen in der Person der "Elena", mag dies auch aus dramaturgischen Gründen und zur Verdeutlich der mit dem Theaterstück verbundenen Botschaft grundsätzlich gewollt sein, entscheidend ins Gewicht. Die Wiedererkennbarkeit der Verstorbenen in der Person des Tatopfers tritt für jeden Betrachter, der die Verstorbene persönlich kannte, offen zu Tage. Hinzu kommt, dass charakterisierende Merkmale der "Elena" wie das aufreizende Auftreten sowie das Ausführen des Geschlechtsverkehrs mit "Cem" bereits am Tage des ersten Zusammentreffens zum Intimbereich einer Person gehören, bei dem ein besonders starkes Bedürfnis besteht, dies nicht zum Gegenstand öffentlicher Darstellung und Erörterung zu machen. Je weiter durch ein Kunstwerk die Intimssphäre einer Person betroffen ist, um so größer ist das Bedürfnis nach Verfremdung gegenüber dem realen Vorbild (vgl. KG, NJW-RR 2004, S. 1415). Auch kann nicht außer Acht bleiben, dass die Tochter der Antragstellerin noch minderjährig war, wobei das Recht den besonderen Schutz von Minderjährigen aufgrund ihrer Unreife zu achten hat und in zahlreichen Vorschriften des Zivil- und Strafrechts auch achtet.

Soweit das Landgericht zu einem anderen Abwägungsergebnis kommt, weil die dem Bühnenstück zu Grunde liegende Straftat und die Lebensumstände des Tatopfers bereits Gegenstand zahlreicher und wiederholter Medienberichterstattung waren, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Durch diesen Umstand wird das postmortale Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen nicht gemindert. Vielmehr besteht gerade ein schützenswertes Interesse zugunsten der Verstorbenen daran, dass in einem Zeitpunkt, in welchem das Medieninteresse aufgrund des Abschlusses des Strafprozesses gegen den Täter beendet war, die Erinnerung an diese Tat- und Lebensumstände nicht weiter in der Öffentlichkeit und damit in ihrem Bekanntenkreis wach gehalten wird. Erst wenn die Erinnerung soweit verblasst ist, dass eine Auffrischung der Erinnerung durch das Aufführen des Theaterstücks bei dem maßgeblichen Personenkreis nicht mehr zu erwarten ist, mag ein weniger strenger Maßstab gerechtfertigt sein.

Für den Erlass der einstweiligen Verfügung besteht auch ein Verfügungsgrund, da ansonsten eine fortlaufende Beeinträchtigung des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Verstorbenen zu erwarten ist. Durch jede weitere Aufführung des Bühnenstücks in der vorliegenden Form wird der Eingriff in das Recht intensiviert. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass für den 26.04., 04.05., 05.05., 09.05., 10.05., 31.05., 01.06. und 02.06.2006 weitere Aufführungen angesetzt sind.

Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht erfordert den Ausspruch eines Aufführungsverbots des Bühnenstücks. Der Senat ist weder in der Lage noch dazu berufen, festzulegen, in welcher abgeänderten Form das Bühnenstück in Hagen gezeigt werden darf.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 ZPO, 48 GKG.

Ende der Entscheidung

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