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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.02.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 16/07
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 37 Abs. 2
StPO § 44
StPO § 46 Abs. 3
StPO § 145 a Abs. 1
StPO § 311 Abs. 2
StPO § 329 Abs. 1
StPO § 329 Abs. 3
ZPO § 181
ZPO § 181 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 14.11.2006 gewährt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Dorsten vom 09.12.2004 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe vom neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner rechtzeitig durch Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt Y aus C vom 09.12.2004 eingelegten Berufung. Nach Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens beraumte das Landgericht Essen Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 14.11.2006 an. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte unter der Anschrift Q-Straße in ####2 C mittels Ersatzzustellung durch Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten am 28.08.2006 geladen. Das Ladungsschriftstück wurde am 29.09.2006 an das Landgericht Essen mit einem Begleitschreiben der Frau D, Q-Straße, #### C zurückgesandt, in welchem Frau D darauf hinweist, dass sie die Zustellung an den Angeklagten in ihrem Briefkasten vorgefunden habe, dieser aber nicht bei ihr wohne und auch nicht unter der o. g. Anschrift gemeldet sei. Der Aufenthaltsort des Angeklagten sei ihr zur Zeit nicht genau bekannt. Insofern wisse sie nur, dass er derzeit bei Freunden in Belgien wohne. Er melde sich bei ihr vorher an, wenn er vorbei komme, um seine Post abzuholen.

Zu dem von der Kammer aufrechterhaltenen Berufungshauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht, sondern lediglich als sein Verteidiger Rechtsanwalt Y aus C. Durch Urteil vom 14.11.2006 hat die XIII. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO mit der Begründung verworfen, der Angeklagte sei trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen. Nach Zustellung dieses Urteil hat der Angeklagte durch Schreiben vom 23.11.2006 rechtzeitig beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe die Ladung zu dem Termin am 14.11.2006 nicht erhalten. Er habe seinen Wohnsitz für die Sommerzeit vorübergehend nach Belgien und in die Niederlade verlegt gehabt. Der Termin sei für ihn zwei Jahre nach dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten unerwartet gekommen. Rechtsanwalt Y aus C habe für die Berufungshauptverhandlung von ihm kein Vertretungsmandat erhalten.

Die Vorsitzende der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen hat durch den angefochtenen Beschluss vom 04.12.2006 den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen. Zur Begründung wird ausgeführt, die Zustellung der Ladung sei unter der Anschrift Q-Straße, ####2 C bewirkt worden. Dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Zustellung dort nicht aufgehalten habe und dort auch nicht gemeldet gewesen sei, stehe der Wirksamkeit der Ladung nicht entgegen. Über diese Anschrift habe er nämlich auch während seiner Abwesenheit seinen Postverkehr abgewickelt, was sich aus dem Schreiben der Wohnungsinhaberin vom 29.09.2006 sowie angesichts der Tatsache ergebe, dass ihn das Verwerfungsurteil unter dieser Anschrift erreicht habe. Überdies habe er dafür Sorge tragen müssen, dass ihn seine Post auch tatsächlich erreiche.

Gegen diesen dem Angeklagten am 08.12.2006 und Rechtsanwalt Y aus C am 11.12.2006 zugestellten Beschluss wendet sich der Angeklagte durch seine beim Landgericht Essen am 18.12.2006 eingegangene sofortige Beschwerde vom 16.12.2006.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthaft und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) von dem Angeklagten eingelegt worden.

Maßgeblich für den Beginn des Fristenlaufs zur Einlegung der sofortigen Beschwerde war hier die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an Rechtsanwalt Y aus C mittels dessen Empfangsbekenntnis vom 11.12.2006. Die Frist des § 311 Abs. 2 StPO endete danach erst mit Ablauf des 18.12.2006, so dass die an diesem Tag beim Landgericht Essen eingegangene sofortige Beschwerde des Angeklagten fristgerecht erfolgt ist.

Nach § 37 Abs. 2 StPO richtet sich die Berechnung einer Frist, sofern die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt wird, nach der zuletzt bewirkten Zustellung. Dies ist vorliegend die Zustellung des angefochtenen Beschluss an Rechtsanwalt Y aus C am 11.12.2006. Dieser war auch noch ermächtigt, gemäß § 145 a Abs. 1 StPO Zustellungen für den Beschwerdeführer in Empfang zu nehmen. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass das Verteidigungsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und Rechtsanwalt Y zum Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Beschlusses nicht mehr bestand. Ausweislich der bei den Akten befindlichen Vollmacht des Angeklagten vom 24.11.2004 hatte er Herrn Rechtsanwalt Y mit seiner Verteidigung in diesem Strafverfahren vor dem erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Dorsten beauftragt. Diese Vollmacht erstreckte sich, vorbehaltlich einer vorzeitigen Beendigung des Mandatsverhältnisses, auf das gesamte Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss. Dass es zu einer Beendigung des Verteidigerverhältnisses, die durch den Angeklagten jederzeit durch Kündigung herbeigeführt werden konnte (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl., vor § 137 Rn. 5, 6), vor der Zustellung des angefochtenen Beschlusses gekommen war, ist nicht ersichtlich und ergibt sich insbesondere nicht aus der in dem Wiedereinsetzungsantrag enthaltenen Erklärung des Angeklagten, Rechtsanwalt Y für die Berufungshauptverhandlung kein Vertretungsmandat erteilt zu haben. Aus dieser Erklärung ergibt sich lediglich, dass der Angeklagte Herrn Rechtsanwalt Y, nachdem dieser für ihn durch Schriftsatz vom 09.12.2004 Berufung eingelegt hatte, nicht ausdrücklich damit beauftragt hat, ihn in der Berufungshauptverhandlung zu vertreten. Dies war indes für ein Fortbestehen des Mandatsverhältnisses nach dem oben Gesagten auch nicht erforderlich. Dafür, dass es vor der Berufungshauptverhandlung und auch danach nicht zu einer Beendigung des Verteidigungsverhältnisses gekommen ist, spricht demgegenüber, dass Herr Rechtsanwalt Y als Verteidiger des Angeklagten zu dem Termin am 14.11.2006 beim Landgericht Bielefeld erschienen ist und trotz der in der Folgezeit jeweils auch an ihn erfolgten Zustellungen in dem gegen den Angeklagten gerichteten Strafverfahren eine Beendigung des Mandatsverhältnisses gegenüber dem Landgericht nicht mitgeteilt hat.

2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung gemäß § 329 Abs. 3 StPO ablehnenden Beschluss ist auch begründet.

Der Angeklagte war zu dem Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Essen am 14.11.2006 nicht ordnungsgemäß geladen. Insofern ist anerkannt, dass der nicht oder nicht ordnungsgemäß Geladene dem Säumigen i. S. v. § 44 StPO gleichzusetzen ist und ihm ohne Rücksicht auf ein Verschulden Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn das Gericht das Fehlen oder die Unwirksamkeit der Ladung nicht gesehen hat (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 329 Rn. 41).

Die Ersatzzustellung der Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 14.11.2006 war unwirksam. Aufgrund des Anschreibens der Frau D vom 29.09.2006 ist die im Wiedereinsetzungsgesuch bzw. in der Beschwerdeschrift enthaltene Angabe des Angeklagten, dass er unter der Anschrift Q-Straße in ####2 C nicht mehr wohnhaft war, hinreichend glaubhaft gemacht. Die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung gemäß § 181 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn diese durch Einlegung in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten erfolgt. Grundsätzlich gilt als Wohnung der räumliche Lebensmittelpunkt des Zustellungsempfängers, wobei maßgeblich ist, ob er hauptsächlich in den Räumen lebt. Unerheblich ist es demgegenüber, ob es sich hierbei um die Meldeanschrift handelt (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 37 Rn. 8 m. w. N.). Hierbei genügt eine bloß urlaubsbedingte oder zeitlich begrenzte Abwesenheit nicht, um den Räumen die Eigenschaft, zustellungsfähige Wohnung zu sein, zu nehmen, weil sie nicht zu einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. des Lebensmittelpunktes des Zustellungsempfängers führt. Etwas anderes gilt aber dann, wenn dem Ortswechsel etwas Endgültiges anhaftet (vgl. KG VRS 2006, 434, 435). Nach diesen Kriterien wohnte der Angeklagte zur Zeit der Zustellung nicht unter der genannten Anschrift in C, da er seinen räumlichen Lebensmittelpunkt dort zu dieser Zeit nicht mehr hatte. Auch wenn der Angeklagte mit seinem Wiedereinsetzungsantrag mitgeteilt hat, seinen Wohnsitz nur "vorrübergehend für die Sommermonate" nach Belgien verlegt zu haben, so lässt sich dem nicht entnehmen, dass er nach diesem Auslandsaufenthalt wieder unter der Anschrift Q-Straße in C gewohnt hat oder dies beabsichtigte. Aus dem Inhalt des Schreibens der Frau D vom 29.09.2004 ergibt sich vielmehr, dass der Angeklagte keinerlei "Wohnbezug" zu der Wohnung Q-Straße in C mehr unterhielt, er diese vielmehr entgültig als Wohnstätte aufgegeben hatte, wovon auch nach den weiteren Angaben des Angeklagten in der Beschwerdeschrift vom 16.12.2006 auszugehen ist. Seine Angabe, nur "vorübergehend, für die Sommermonate" weggezogen zu sein, bezieht sich danach offensichtlich auf seinen Aufenthalt im Ausland und nicht auf ein zeitlich begrenztes, nur vorübergehendes Verlassen der Wohnung in der Q-Straße in C. Zwar wird darüber hinaus vertreten, dass die tatsächliche Benutzung einer Wohnung dann nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung ist, wenn sich der Adressat nicht nur für diese Wohnung angemeldet hat, sondern sich als dort wohnend geriert, seinen Schriftwechsel unter dieser Anschrift führt und seine Post dort abholt (vgl. in diesem Sinne der 2. Strafsenat des OLG Hamm VRS 2004, 57, 58; Thüringer OLG VRS 2006, 422, 423; BayObLG VRS 2004, 452, 453). Auch diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor, so dass der Senat offen lassen kann, ob für diese Fälle ausnahmsweise auch ohne eine tatsächliche Wohnnutzung die Ersatzzustellung nach § 181 ZPO wirksam sein kann. Der Angeklagte war nämlich, soweit ersichtlich, unter der Anschrift Q-Straße in C auch nicht gemeldet und gerierte sich in dem hier maßgelblichen Zeitraum der Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 14.11.2006 auch nicht als dort wohnend. Vielmehr hat er in dem Wiedereinsetzungsantrag die Anschrift Q-Straße in C lediglich als "Postanschrift z. Zt." bezeichnet und damit gerade zum Ausdruck gebracht, dass er dort nicht wohnt. Dass den Angeklagten das Verwerfungsurteil tatsächlich unter der Anschrift Q-Straße in C erreicht hat - möglicherweise weil es an ihn durch Frau D weitergereicht worden ist - ändert danach nichts an dem Umstand, dass der Angeklagte dort nicht wohnte und der Anschrift danach nicht die Eigenschaft zukam, zustellfähige Wohnung zu sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO und § 467 StPO analog.

Ende der Entscheidung

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