Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.08.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 267/06
Rechtsgebiete: VV RVG


Vorschriften:

VV RVG Nr. 4100
Zur Berechnung der für die Zuschlagsgebühr des Pflichtverteidigers maßgeblichen Hauptverhandlungszeit.
Beschluss

Strafsache

gegen M.R.

wegen Betruges,

(hier: Beschwerde des Verteidigers gegen die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung),

Auf die Beschwerde des Pflichtverteidigers B. der ehemaligen Angeklagten R. gegen den Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 31. Januar 2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. August 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf weitere 125,28 € festgesetzt.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 RVG).

Gründe:

I.

Durch Antrag vom 16. November 2004 beantragte der durch Beschluss der 1. Strafkammer vom 05.10.2004 zum Pflichtverteidiger der Angeklagten Reich bestellte Beschwerdeführer die Festsetzung von Pflichtverteidigervergütung in Höhe von insgesamt 1.768,42 €. Der Rechtspfleger des Landgerichts hat die Pflichtverteidigervergütung durch Beschluss vom 15. Februar 2005 unter Kürzung zweier geltend gemachter Zusatzgebühren gemäß Nr. 4116 VV RVG auf insgesamt 1.517,86 € festgesetzt. Die Zusatzgebühren gemäß Nr. 4116 VV RVG hat der Beschwerdeführer für die Hauptverhandlungstage am 5. und am 8. Oktober 2004 in Höhe von jeweils 108,- € zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG beantragt.

Die gegen die Kürzung dieser Gebühren gerichtete Erinnerung des Verteidigers vom 29.09.2005 hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 31.01.2006 zurückgewiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde des Beschwerdeführers vom 14.03.2006 hat das Landgericht durch Beschluss vom 15.03.2006 nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 - 8 RVG zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

1. Der begehrte Längenzuschlag nach Nr. 4116 VV RVG ist für den Terminstag des 5. Oktober 2004 nicht gerechtfertigt. Nach Nr. 4116 VV RVG erhält der gerichtlich bestellte Verteidiger die zusätzliche Terminsgebühr, wenn er mehr als fünf und bis zu acht Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn die Hauptverhandlung am 05.10.2004 dauerte ausweislich der Sitzungsniederschrift von 09.25 Uhr bis 14.15 Uhr. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Hauptverhandlung bereits auf 09.15 Uhr terminiert war, wird eine Dauer von fünf Stunden nicht überschritten.

Wartezeiten zwischen dem terminierten Beginn und dem tatsächlichen Aufruf der Sache sind nach Auffassung des Senates nicht in Abzug zu bringen, denn ein Verteidiger, der zur anberaumten Terminsstunde im Gerichtssaal anwesend ist, ist auch dann durch die Sache in Anspruch genommen und der Wahrnehmung seiner übrigen Geschäfte entzogen, wenn sich der Aufruf verzögert. Der Rechtsanwalt kann die Wartezeit vor Aufruf der Sache nicht anderweitig nutzen, so dass ihm Verzögerungen, die nicht aus seiner Sphäre stammen, gebührenrechtlich nicht zum Nachteil gereichen dürfen. Dies hat der Senat in mehreren gleichgelagerten Fallgestaltungen inzwischen wiederholt entschieden, (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. März 2006 - 3 Ws 583 u. 584/05 - und vom 16. März 2006 - 3 Ws 565/05 - m.z.w.N. sowie vom 20. April 2006 - 3 Ws 49/06 -). Lediglich bei Vorliegen von Umständen, die darauf hindeuten, dass der verspätete Beginn des Hauptverhandlungstermins auf einer Verzögerung durch den Verteidiger beruht, kommt eine andere Beurteilung in Betracht. Für den 5. Oktober 2004 ergibt sich indes auch unter Berücksichtigung dieser zehnminütigen Wartezeit zwischen dem terminierten Beginn der Hauptverhandlung und dem Aufruf zur Sache um 09.25 Uhr bis zum Terminsende um 14.15 Uhr - und auch bei Nichtabzug der zwei erfolgten Unterbrechungen von 10.45 Uhr bis 11.10 Uhr und 12.45 Uhr bis 13.25 Uhr - keine längere Dauer als fünf Stunden, sondern eine lediglich genau fünfstündige Hauptverhandlung. Die Gewährung des Längenzuschlages nach Nr. 4116 VV RVG setzt jedoch voraus, dass der Verteidiger mehr als fünf Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt. Da es hieran fehlt, kommt eine Festsetzung der Zusatzgebühr für diesen Terminstag nicht in Betracht.

2. Demgegenüber ist die Gewährung des Längenzuschlages für den 18. Oktober 2004 gerechtfertigt. An diesem Terminstag war die Hauptverhandlung ebenfalls auf 09.15 Uhr terminiert; nach dem Sitzungsprotokoll dauerte sie von 09.25 Uhr bis um 15.25 Uhr, so dass sich insgesamt eine Terminsdauer von sechs Stunden und zehn Minuten ergibt. Die Sitzung wurde indes durch mehrere Pausen wie folgt unterbrochen:

09.45 Uhr - 11.30 Uhr = 1 Stunde 45 Minuten

11.35 Uhr - 11.40 Uhr = 5 Minuten

11.55 Uhr - 12.50 Uhr = 55 Minuten.

Die Frage, ob bei der Feststellung der Dauer eines Hauptverhandlungstermins für die Gewährung einer Zuschlagsgebühr Pausen in Abzug zu bringen sind, hat der Senat ebenfalls in den vorgenannten Entscheidungen bereits grundlegend behandelt. Danach sind Verhandlungspausen grundsätzlich nicht abzuziehen, da sich der Verteidiger auch während dieser Terminszeiten grundsätzlich zur Verfügung halten muss und deswegen an der anderweitigen Ausübung seines Berufes gehindert ist. Etwas anderes gilt dann, wenn der Verteidiger Sitzungspausen anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll hätte nutzen können, wobei allerdings bei Sitzungsunterbrechungen während der Mittagszeit dem Verteidiger eine Mittagspause von ca. einer Stunde zuzugestehen ist. Im Übrigen hängt die Beantwortung der Frage, ob der Verteidiger Sitzungspausen zu einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit hätte nutzen können, von den Umständen des Einzelfalles ab. Neben der Dauer der Sitzungspause ist vor allem von Bedeutung, ob es sich um eine von vornherein zu erwartende und in ihrer Länge absehbare Pause gehandelt hat, auf die sich der Verteidiger einstellen konnte. Wegen der Begründung verweist der Senat wiederum auf die Beschlussgründe der vorgenannten Senatsbeschlüsse, die diese Thematik unter Auseinandersetzung mit den in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen mit zahlreichen Nachweisen behandeln.

Unter Anwendung dieser Kriterien hat sich der Senat wegen der ersten Pause von 09.45 Uhr bis 11.30 Uhr, die mit einer Stunde und fünfundvierzig Minuten eine längere Pause darstellt, zu der Nachfrage bei dem Beschwerdeführer veranlasst gesehen, ob und ggf. warum seine Anwesenheit im Gericht während der Unterbrechung erforderlich war. Der Pflichtverteidiger hat hierzu erklärt, dass jetzt nicht mehr nachvollzogen werden könne, aus welchen Gründen die Hauptverhandlung am 18.10.04 unterbrochen worden ist. Nach seiner Erinnerung sei dies durch eine Verfügung des Vorsitzenden erfolgt, gleichwohl habe in der Zeit gewartet werden müssen, so dass andere Arbeiten nicht hätten geleistet werden können. Diese Angaben hat der Pflichtverteidiger anwaltlich versichert. Bei der gegebenen Sachlage kann nicht festgestellt werden, dass der Verteidiger die Pausenzeit bei der ersten Unterbrechung anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll hätte nutzen können, da er sich an Gerichtsstelle bereithalten und dort nicht zu seiner - wenn auch nahegelegenen - Praxis entfernen konnte. Wird die Inanspruchnahme des Verteidigers mit Wartezeiten belastet, muss sich dies grundsätzlich zu Ungunsten der Staatskasse, nicht aber des anwaltlichen Gebührenanspruchs auswirken (vgl. OLG Hamm 3 Ws 584/05 m.w.N.).

Die weiteren Unterbrechungen von 5 Minuten bzw. 55 Minuten in der Mittagszeit führen ebenfalls nicht zu Abzügen von der Dauer der Hauptverhandlung. Eine Sitzungsunterbrechung während der Mittagszeit mit einer Mittagspause von ca. einer Stunde ist dem Verteidiger zuzugestehen, wie der Senat in den vorgenannten Entscheidungen bereits mehrfach entschieden hat. Eine kurze Unterbrechung von nur fünf Minuten fällt ebenfalls nicht als Abzug ins Gewicht.

Über den festgesetzten Betrag der Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 1.517,86 € ergibt sich folgender weiterer Vergütungsanspruch:

zusätzliche Terminsgebühr nach Nr. 4122 VV RVG für den 18.10.2004 in Höhe von|108,00 € + 16 % MWSt|17,28 € |125,28 €

Ende der Entscheidung

Zurück