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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.10.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 461/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 353
Nicht der Verdacht jeder Straftat eines Amtsträgers schlechthin rechtfertigt die Durchbrechung des Steuergeheimnisses.
Beschluss

Ermittlungsverfahren

(Klageerzwingungsverfahren)

gegen den Bediensteten des Finanzamtes Hattingen, XX,

wegen Verletzung des Steuergeheimnisses,

Auf den Antrag des Antragstellers vom 11. September 2006 auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 S. 1 StPO gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 3. August 2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 10. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Die Aufnahme von Ermittlungen gegen den Beschuldigten X.X. wegen des Verdachts der Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 355 Abs. 1 StGB) wird angeordnet.

2. Die Staatsanwaltschaft Essen wird ersucht, die angeordneten Ermittlungen durchzuführen.

Gründe:

I.

Mit dem am 11. September 2006 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom selben Tage wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 3. August 2006, mit dem die Beschwerde des Antragstellers vom 17. März 2006 gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Essen vom 7. März 2006 zurückgewiesen worden ist.

Durch Beschluss vom 31. Mai 2007 hat der Senat diesen Antrag insoweit als unzulässig verworfen, als er die Bediensteten des Finanzamtes Hattingen, die Herren pp. betrifft.

Soweit der Antrag im Übrigen den beschuldigten Bediensteten des Finanzamtes X.X., betrifft, entspricht der Antrag noch den Formerfordernissen des § 172 Abs. 2 StPO und ist insgesamt zulässig. Er führt zur Anordnung der Aufnahme der durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungen gegen diesen Beschuldigten wegen des Verdachts der Verletzung des Steuergeheimnisses gemäß § 355 Abs. 1 StGB. Der Beschuldigte soll sich nach dem Vorbringen des Antragstellers wegen folgenden - zusammengefassten - Sachverhalts strafbar gemacht haben:

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens 301 Js 324/05 der StA Essen hatte die Steuerberaterin des Antragstellers, YY. Strafanzeige gegen verschiedene Mitarbeiter des Finanzamtes Hattingen wegen übler Nachrede erstattet, nach der im Rahmen der Einspruchsentscheidung des Finanzamtes Hattingen vom 12. Mai 2005 in einer Steuersache des Antragstellers folgendes ausgeführt worden ist:

"Aufgrund dieser Feststellungen hat die Staatsanwaltschaft Essen unter dem Aktenzeichen 301 Js 219/03 ein Strafverfahren gegen den Einspruchsführer und seine steuerliche Beraterin eröffnet, und zwar gegen den Einspruchsführer wegen Verstoß gegen das Ausländergesetz und Sozialversicherungsbetruges und gegen die steuerliche Beraterin wegen vorsätzlicher Beihilfe zu diesen Straftaten."

Im Zuge des nachfolgend eröffneten Ermittlungsverfahrens forderte der zuständige Dezernent der Staatsanwaltschaft Essen die Steuerakten des Antragstellers beim Finanzamt Hattingen zur Einsicht an; diesem Begehren war der Antragsteller zuvor mit Schreiben an das Finanzamt Hattingen im Juni 2005 entgegengetreten. Mit Schreiben vom 3. August 2005 übersandte der Beschuldigte X.X. - in teilweise neutralisierter Fassung - sowohl den Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 04.03.2005 als auch die nicht anonymisierte Fassung der Einspruchsentscheidung des Finanzamtes Hattingen gegen den Antragsteller vom 12. Mai 2005 in Kopie an die Staatsanwaltschaft Essen.

Durch die Übersendung dieser Schriftstücke und die damit einhergehende Offenbarung seiner steuerlichen und persönlichen Verhältnisse sieht der Antragsteller das Steuergeheimnis zu seinen Lasten verletzt. Die Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2005 enthält nähere Angaben und Einzelheiten zu den steuerlichen und persönlichen Verhältnissen des Antragstellers und zum Gegenstand der Ermittlungen des Arbeitsamtes Hagen und des Hauptzollamtes Dortmund gegen den Antragsteller im Zusammenhang mit dem Vorwurf der illegalen Beschäftigung eines polnischen Arbeitnehmers, zur steuerlichen Auswertung dieser Feststellungen, zum Inhalt des Haftungsbescheides gegen den Antragsteller, zum Inhalt seines Einspruchsvorbringens und dessen rechtlicher Bewertung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der in der Antragsschrift des Antragstellers vom 11. September 2006 wörtlich wiedergegebenen Einspruchsentscheidung des Finanzamtes vom 12. Mai 2005 Bezug genommen.

Aus der Antragsschrift ist im Übrigen zu entnehmen, dass der Beschuldigte X.X. als Vertreter des Amtsvorstehers des Finanzamtes Hattingen die Übersendung der betreffenden Steuerunterlagen aufgrund des von ihm unterzeichneten Anschreibens vom 3. August 2005 zumindest mit veranlasst haben soll.

Das wegen des vorgenannten Sachverhalts aufgrund der Strafanzeige des Antragstellers und seines Strafantrages vom 05.12.2005 zunächst eröffnete Ermittlungsverfahren 301 Js 650/05 hat die Staatsanwaltschaft Essen mit Bescheid vom 7. März 2006 gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts aus Rechtsgründen ohne weitere Ermittlungen eingestellt. Zur Begründung hat die Staatsanwaltschaft ausgeführt, dass gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO hinsichtlich der übersandten Schriftstücke eine Offenbarungsbefugnis bestanden habe, da die Beschuldigung eine Straftat im Amt zum Gegenstand habe und insoweit grundsätzlich ein zwingendes öffentliches Interesse an der Offenbarung bestehe. Eine Verletzung des Steuergeheimnisses liege daher bereits aus Rechtsgründen nicht vor.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat der Generalstaatsanwalt in Hamm durch Bescheid vom 3. August 2006 zurückgewiesen und ergänzend u.a. ausgeführt, dass der Beschuldigte im Übrigen nicht tatbestandsmäßig gehandelt habe, weil er aufgrund der Anzeigeerstattung durch die steuerliche Beraterin von der Erteilung einer konkludenten Zustimmung des Antragstellers gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO habe ausgehen dürfen.

II.

Die Ermittlungen gegen den Beschuldigten X.X. wegen des Vorwurfs der Verletzung des Steuergeheimnisses gemäß § 355 Abs. 1 StGB sind aufzunehmen. Einer vorläufigen Bewertung der durch den Beschuldigten veranlassten Übersendung der nicht anonymisierten Fassung des Einspruchsbescheides vom 12.05.2005 und der teilweise anonymisierten Fassung des Haftungsbescheides vom 04.03.2005 als Straftat nach § 355 Abs. 1 StGB, mithin einer Verletzung des Steuergeheimnisses, stehen nicht bereits Rechtsgründe entgegen. Es bedarf vielmehr der Durchführung von Ermittlungen zum Tatgeschehen. Diese Ermittlungen sind geboten, weil der Ermittlungsstand derzeit weder die Verwerfung des Antrags als unbegründet noch die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigt. Auch wenn der Senat damit (zumindest vorläufig) zu einem anderen Ergebnis als die Staatsanwaltschaft gelangt, besteht Anlass darauf hinzuweisen, dass damit nicht bereits die gerichtliche Feststellung einer Straftat des Beschuldigten verbunden ist; es sind derzeit lediglich Ermittlungen in dieser Hinsicht anzuordnen.

1. Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes besteht nach Auffassung des Senates bei dem derzeitigen Ermittlungsstand hinreichender Tatverdacht: Zumindest der Einspruchsbescheid vom 12. Mai 2005 beinhaltet unzweifelhaft Angaben zu Verhältnissen des Antragstellers, die dem Schutzbereich des § 355 Abs. 1 StGB unterfallen; dies wird auch von der Staatsanwaltschaft ersichtlich nicht anders beurteilt. Verhältnisse in diesem Sinne sind nicht nur Einkommens- und Vermögensverhältnisse, sondern auch persönliche Umstände und sonstige steuerrechtlich relevante oder nicht relevante Verhältnisse, die nicht allgemeinkundig sind, in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung erörtert wurden oder an deren Geheimhaltung offensichtlich kein Beteiligter ein Interesse hat (vgl. Schönke/Schröder-Perron, StGB-Kommentar, 27. Aufl., Rdnr. 4 zu § 355). Derartige vom Schutzbereich der Norm erfasste Verhältnisse sind jedenfalls in der nicht anonymisierten Fassung des Einspruchsbescheides vom 12.05.2005 enthalten, die der Antragsteller in seiner Antragsschrift in vollem Wortlaut dargetan hat. Inwieweit dies auch für die teilweise anonymisierte Fassung des Haftungsbescheides vom 03.04.2005 gilt, deren wörtliche oder inhaltliche Wiedergabe die Antragsschrift vermissen lässt, kann dahingestellt bleiben.

Auch ist der Beschuldigte als Mitarbeiter des Finanzamtes Hattingen und Vertreter des Behördenleiters Amtsträger i.S.d. § 355 i.V.m. § 11 Abs. 1 Ziffer 2 StGB und sind - jedenfalls nach Aktenlage - dem Beschuldigen die Verhältnisse des Antragstellers in dieser Funktion in einem Verwaltungsverfahren (in Steuersachen) bekannt geworden, die im Rahmen der hier betreffenden Übersendung an die Staatsanwaltschaft Essen dieser offenbart worden sind.

Eine Offenbarungsbefugnis bestand hierfür nach Auffassung des Senates auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Ermittlungsstandes nicht, so dass auch der hinreichende Verdacht besteht, dass der Beschuldigte "unbefugt" i.S.d. § 355 Abs. 1 StGB gehandelt hat.

Die Offenbarung war insbesondere nicht gemäß § 30 Abs. 4 Ziffer 5 AO - wegen Bestehen eines zwingenden öffentlichen Interesses - gerechtfertigt. Die Regelbeispiele des § 30 Abs. 4 Ziffer 5 a und b AO liegen in der gegebenen Konstellation, bei der Ermittlungen (lediglich) wegen des Verdachts der üblen Nachrede geführt werden sollten, ersichtlich nicht vor. Auch eine Offenbarungsbefugnis gemäß § 30 Abs. 4 Ziffer 5 c zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern, lässt sich nicht herleiten. Hier fehlt es an dem Umstand der Verbreitung unwahrer Tatsachen in der Öffentlichkeit - die Übersendung der Schriftstücke erfolgte lediglich an eine Behörde -, aber auch an Tatsachen, die geeignet, sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern.

Der Umstand, dass zum Teil in der Kommentarliteratur die Auffassung vertreten wird, bei Straftaten im Amt sei das erforderliche zwingende öffentliche Interesse im Allgemeinen zu bejahen (vgl. Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., Rdnr. 198 zu § 30 AO; Koch/Scholtz, AO-Kommentar, 5. Aufl., Rdnr. 26 zu § 30), führt vorliegend zu keiner anderen Beurteilung, denn nicht der Verdacht jeder Straftat eines Amtsträgers schlechthin rechtfertigt die Durchbrechung des Steuergeheimnisses. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass das Gesetz die Offenbarung wegen Vorliegens eines zwingenden öffentlichen Interesses in den Regelbeispielen des § 30 Abs. 4 Ziffer 5 AO nur zulässt, wenn bei Unterbleiben der Mitteilung die Gefahr bestünde, dass schwere Nachteile für das allgemeine Wohl des Bundes, eines Landes oder einer anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaft eintreten (vgl. Koch/Scholtz, a.a.O., Rdnr. 24 zu § 30 m.w.N.; BFH BStBl II 1987, 546, 548). Angesichts dieser gesetzlichen Wertung zugunsten einer Durchbrechung des Steuergeheimnisses nur bei schwerwiegenden Straftaten kann nicht davon ausgegangen werden, dass schlechthin bei jeder Straftat - auch einer solchen von geringerem Gewicht - die ein Beschuldigter anlässlich seiner Amtsausübung begeht, dass zwingende öffentliche Interesse zu bejahen ist. Vielmehr muss es sich entsprechend der in § 30 Abs. 5 Ziffer 5 StGB zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers zumindest um solche Taten erheblichen Gewichts handeln, wie sie im Strafgesetzbuch im 30. Abschnitt als "Straftaten im Amt" zusammengefasst sind. Die bloße Stellung eines Beschuldigten als Amtsträger bei der Begehung einer Straftat von geringerem Gewicht, wie sie insbesondere von Gesetzes wegen nach § 374 StPO auf den Weg der Privatklage verwiesen sind, rechtfertigt demgegenüber nicht bereits eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses wegen eines zwingenden öffentlichen Interesses. Der Unrechtsgehalt dieser Straftatbestände ist von ungleich geringerem Gewicht; die Tatsache, dass sie ggf. im Zuge der Ausübung eines Amtes erfolgen, führt noch nicht zur Annahme eines Rechtfertigungsgrundes i.S.d. § 30 Abs. 4 Ziffer 5 AO. Gleiches ist für fahrlässige Vergehen anerkannt (vgl. Koch/Scholtz, a.a.O., Rdnr. 27 zu § 30).

In vorliegender Sache sollten die Ermittlungen wegen übler Nachrede gemäß § 186 StGB erfolgen; dieser Straftatbestand ist ein solcher, der gemäß § 374 Abs. 1 Ziffer 2 StPO zu den Privatklagedelikten gehört. Nach Auffassung des Senates besteht dabei ein besonderes öffentliches Interesse für die Offenlegung von durch das Steuergeheimnis geschützten Informationen nicht. Der Umstand, dass angesichts der Stellung des Beschuldigten aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Erhebung der Anklage im öffentlichen Interesse gelegen sein könnte (§ 376 StPO), vermag demgegenüber eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Das insoweit erforderliche "öffentliche Interesse" entspricht nicht dem wesentlich engeren Begriff des "zwingenden öffentlichen Interesses" gemäß § 30 Abs. 4 Ziffer 5 AO.

Zwar kann die Verneinung des zwingenden öffentlichen Interesses bei - leichteren - Straftaten von Amtsträgern dazu führen, dass diese - soweit nicht andere Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen - einer strafrechtlichen Aufklärung nicht zugänglich sind. Diese Konsequenz muss jedoch letztlich aufgrund des Ranges des Steuergeheimnisses und der zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung aus § 30 Abs. 4 Ziffer 5 AO hingenommen werden.

Der Mangel an strafrechtlichen Aufklärungsmöglichkeiten erscheint auch deshalb hinnehmbar, weil nach überwiegender Auffassung in der Kommentarliteratur, der der Senat sich anschließt, dienstliche Verfehlungen von Angehörigen der Steuerverwaltung unter Einschluss der damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Verhältnissen Dritter der für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständigen Stelle mitgeteilt werden dürfen, wenn sonst das Disziplinarverfahren nicht durchgeführt werden kann (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., Rdnr. 198 zu § 30; Pahlke/König-Intemann, AO-Kommentar 2004, § 30 Rdnr. 260). Entsprechendes gilt, soweit arbeitsrechtliche Maßnahmen in Frage kommen (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O.). Insoweit ist jedenfalls sichergestellt, dass zumindest dienstliche und arbeitsrechtliche Sanktionen für den Beschuldigten erfolgen können, mag im Ermittlungsverfahren auch eine Aufklärung nicht erreichbar sein. Im Übrigen wird vielfach der Betroffene vor Offenbarung der Informationen, die untrennbar mit seinen Verhältnissen verbunden sind, die Zustimmung gemäß § 30 Abs. 4 Ziffer 3 AO erteilen, insbesondere in den Fällen, in denen er selbst die Verfolgung einer entsprechenden Straftat durch Anzeige initiiert hat oder diese - ggf. im eigenen Interesse - unterstützen will. Diese Zustimmung kann schriftlich wie mündlich, persönlich, durch Bevollmächtigte oder auch konkludent erteilt werden (vgl. Koch/Scholtz, a.a.O., Rdnr. 21 zu § 30; Klein/Rüsken, a.a.O., Rdnr. 160). Von einer Zustimmung kann z.B. ausgegangen werden, wenn der Betroffene sich mit einer Petition an das Parlament oder einzelne Mitglieder wendet und bittet, sich seines Anliegens anzunehmen (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., Rdnr. 161 zu § 30).

Die vorliegende Konstellation, bei der die ihn im Steuerverfahren vertretende Steuerberaterin des Antragstellers Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der üblen Nachrede durch Übersendung der steuerlichen Unterlagen ihres Mandanten gestellt hat, ist zwar an sich geeignet, Umstände zu begründen, die auf eine konkludente Erteilung der Zustimmung zur Offenbarung schließen lassen. Dieser Bewertung steht jedoch maßgeblich entgegen, dass der Antragsteller selbst der Offenbarung der relevanten Unterlagen an die Staatsanwaltschaft in dem von ihm dargetanen Schreiben an das Finanzamt Hattingen, den Vorsteher des Amtes Kliemke, im Juni 2006 ausdrücklich entgegengetreten sein will. Vor diesem Hintergrund kann von einer konkludenten Zustimmung i.S.d. § 30 Abs. 4 Ziffer 3 AO gerade nicht ausgegangen werden.

Auch weitere Rechtfertigungsgründe i.S.d. § 30 Abs. 4 AO kommen nicht in Betracht. Insbesondere war die Offenbarung nicht für die Durchführung eines in § 30 Abs. 4 Ziffer 1 AO genannten Verfahrens notwendig oder gemäß Ziffer 2 durch Gesetz ausdrücklich erlaubt. Schließlich ergibt sich auch ein Rechtfertigungsgrund nicht aus § 30 Abs. 4 Ziffer 4 AO. Insoweit fehlt es daran, dass die Kenntnisse über die im Rahmen des § 355 StGB relevanten Verhältnisse des Antragstellers oder eines Dritten - jedenfalls nach Aktenlage - nicht in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden sind, sondern im Rahmen des Besteuerungsverfahrens (vgl. Koch/Scholtz, a.a.O., Rdnr. 22 zu § 30). Davon abgesehen schützt § 30 Abs. 4 Ziffer 4 AO den rechtsstaatlichen Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (vgl. Pahlke/König, a.a.O., Rdnr. 203 zu § 30 m.w.N.; Koch/Scholtz, a.a.O., Rdnr. 22 zu § 30). Inwieweit nach diesem Gesetzeszweck ein Rechtfertigungsgrund überhaupt bei der vorliegenden Fallgestaltung in Betracht kommen kann, bei der es um Ermittlungen gegen den Stellvertretenden Vorsteher einer Steuerbehörde geht, dem der Vorwurf der üblen Nachrede gemacht worden ist, erscheint zumindest äußerst zweifelhaft, kann vorliegend aber dahingestellt bleiben.

Weitere mögliche Rechtfertigungsgründe sind von den Verfahrensbeteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Danach besteht ein hinreichender Verdacht, dass der Beschuldigte X.X. den objektiven Tatbestand der Verletzung des Steuergeheimnisses erfüllt hat und Rechtfertigungsgründe hierfür nicht vorliegen.

2. Offen ist dagegen die Frage der Verwirklichung der subjektiven Voraussetzungen des § 355 StGB. Diese Frage bedarf nach Auffassung des Senates der Durchführung von Ermittlungen, an denen es bislang deshalb fehlt, weil die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren aus Rechtsgründen ohne weitere Ermittlungen eingestellt hat. Ohne entsprechende Ermittlungen ist der Senat aber weder in der Lage, die Voraussetzungen für die Verwerfung des Antrags als unbegründet festzustellen noch die Voraussetzungen für die Erhebung der öffentlichen Anklage. Offen ist insbesondere, ob dem Beschuldigten der erforderliche mindestens bedingte Vorsatz angesichts seiner Stellungnahme vom 17.08.2007 im Rahmen des vorliegenden Antragsverfahrens zur Last gelegt werden kann. Danach soll die Übersendung des Bescheides des Finanzamtes Hattingen vom 12.05.2005 sowie des Haftungsbescheides vom 04.03.2005 an die Staatsanwaltschaft Essen erst nach eingehender rechtlicher Prüfung und Abstimmung mit dem zuständigen Fachreferat der Oberfinanzdirektion Münster erfolgt sein. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang, in welcher Weise die Beteiligung der vorgesetzten Behörde erfolgt ist und ob und ggf. in welchem Umfang und mit welchen Inhalten, möglicherweise Weisungen an den Beschuldigten erteilt worden sind.

Grundsätzlich obliegt die Beurteilung, ob ein Rechtfertigungsgrund für die fragliche Offenbarung der geschützten Verhältnisse vorliegt, nicht der antragenden Stelle, sondern dem um Offenbarung ersuchten Amtsträger. Dieser kann dabei an Weisungen gebunden sein (vgl. Koch/Scholtz, a.a.O.; Rdnr. 17 zu § 30). Die Weisung steht ggf. der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung des Steuergeheimnisses durch den angewiesenen Amtsträger entgegen (vgl. Koch/Scholtz, a.a.O.).

Darüber hinaus kommt aufgrund der Stellungnahme des Beschuldigten das Vorliegen eines Verbots- oder Erlaubnistatbestandsirrtums in Betracht; unklar ist weiterhin, ob der Beschuldigte davon Kenntnis erlangt hatte, dass der Antragsteller in dem von ihm genannten Schreiben im Juni 2005 an den Vorsteher des Finanzamtes der Offenbarung seiner Verhältnisse an die Staatsanwaltschaft entgegengetreten sein will. Ohne Aufklärung der näheren Umstände ist eine Beurteilung des Vorliegens der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 355 StGB, nach denen mindestens bedingter Vorsatz gegeben sein muss und Fahrlässigkeit nicht ausreicht, nicht möglich.

III.

Um die Durchführung dieser Ermittlungen wird die zuständige Staatsanwaltschaft Essen ersucht. Zwar sieht das Gesetz in § 173 Abs. 3 StPO vor, dass das Gericht zur Vorbereitung seiner Entscheidung nach §§ 172 Abs. 3, Abs. 4 StPO selbst Ermittlungen anordnen und mit ihrer Vornahme einen beauftragten oder ersuchten Richter betrauen kann. Das Gericht geht dabei offensichtlich aber von dem Verfahrensgang aus, der bei der gerichtlichen Kontrolle des Legalitätsgrundsatzes nach §§ 172 ff. StPO die Regel bildet, dass nämlich die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, die nach ihrer pflichtgemäßen Auffassung erforderlichen Ermittlungen durchgeführt und sodann nach Würdigung des Ermittlungsergebnisses das Verfahren eingestellt hat. Nach der gesetzlichen Regelung soll in einem solchen Fall das Oberlandesgericht über die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Klage auch dann entscheiden, wenn sich, aus welchen Gründen auch immer, in diesem Verfahren die Notwendigkeit ergibt, zusätzliche Ermittlungen durchzuführen, von denen diese Entscheidung abhängt.

Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft demgegenüber aus Rechtsgründen keinerlei Ermittlungen angestellt, weil sie diese nicht für erforderlich hielt. Der Sachverhalt ist insoweit überhaupt nicht aufgeklärt und sämtliche Ermittlungen müssen nachgeholt werden. Diesen Fall hat der Gesetzgeber offenbar bei Einführung des 1. Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09.12.1974 (BGBl. I, 3393) nicht bedacht. Nachträglich ist insoweit eine Gesetzeslücke entstanden, als bis zu dieser Gesetzesänderung die öffentliche Klage entweder durch einen Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung oder durch Einreichung einer Anklageschrift erhoben werden konnte. Das Oberlandesgericht konnte daher auch bei fehlenden Ermittlungen über den Klageerzwingungsantrag abschließend entscheiden, ohne den Sachverhalt selbst aufklären zu müssen. Sofern ein Anfangsverdacht bestand, konnte das Oberlandesgericht die Erhebung der öffentlichen Klage in Form des Antrags auf gerichtliche Voruntersuchung anordnen, weil dies keine Entscheidung über die Eröffnungsreife voraussetzte (vgl. Rieß NStZ 1986, 433, 438 f.; KG NStZ 1990, 355; OLG Hamm StV 2002, 128). Diese Möglichkeit ist indes durch die genannte Gesetzesänderung entfallen, obwohl gerade hiermit der Gesetzgeber die Staatsanwaltschaft im Justizbereich zur alleinigen Ermittlungsbehörde mit den hierfür notwendigen Befugnissen bestimmen wollte (vgl. BT-Dr. 7/551, S. 37 ff.; KG a.a.O.). Unter Berücksichtigung der prinzipiellen strafprozessualen Rollen- und Aufgabenverteilung und der Begründung für den Wegfall des Rechtsinstituts der gerichtlichen Voruntersuchung ist der das Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft einschränkende § 173 Abs. 3 StPO mithin eng auszulegen; er erlaubt dem Gericht daher lediglich, zur Vorbereitung seiner Entscheidung lückenschließende Ermittlungen begrenzten Umfangs durchzuführen, mit denen das schon von der Staatsanwaltschaft gewonnene Ermittlungsergebnis nur noch zusätzlich ergänzt werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Rdnr. 3 zu § 173; OLG Hamm, a.a.O. m.w.N.; KG, a.a.O.; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2001, 308).

Fehlt es an Ermittlungen überhaupt, kann das Oberlandesgericht nach diesen Erwägungen nicht verpflichtet oder berechtigt sein, ein eigenständiges umfassendes Ermittlungsverfahren durchzuführen und anstelle der Staatsanwaltschaft grundlegende Aufklärungstätigkeit durchzuführen. Ausnahmsweise bleibt daher - da eigene Ermittlungen weit mehr als lückenschließenden, nämlich grundlegenden und umfassenden Charakter haben würden - vorliegend keine andere Möglichkeit, als durch eine das Verfahren abschließende Entscheidung die Anordnung entsprechender Ermittlungen auszusprechen und die zuständige Staatsanwaltschaft um die Durchführung dieser Ermittlungen zu ersuchen.

Ende der Entscheidung

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