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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.10.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 598/07
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 51 Abs. 4
StPO § 450a
In Polen erlittene Auslieferungshaft wird grds. im Verhältnis 1 : 1 auf die Strafe angerechnet. Es ist jedoch in jedem Einzelfall zu prüfen, ob nicht Umstände vorliegen, die einen abweichenden Anrechnungsmaßstab rechtfertigen.

Bei der Bemessung des Anrechnungsmaßstabs ist eine Gesamtbetrachtung der im Ausland erlittenen Freiheitsentziehung geboten.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Beschwerdeführer (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:

I.

Der Verurteilte wurde durch Urteil des LG Essen vom 20.09.1999 wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Da er der Ladung zum Haftantritt nicht Folge leistete und sein Aufenthalt in Polen vermutet wurde, wurde er schließlich mit Europäischem Haftbefehl zur Festnahme ausgeschrieben. In Polen wurde er schließlich am 23.08.2006 festgenommen und befand sich dort in Auslieferungshaft bis zum 20.10.2006.

Mit Schreiben vom 27.02.2007 hat die Staatsanwaltschaft Essen dem Verurteilten mitgeteilt, dass die in Polen erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1: 1 auf die Strafe angerechnet werde. Der Verurteilte hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13.03.2007 beantragt, die in Polen erlittene Auslieferungshaft "mindestens" im Verhältnis 1:2 auf die Strafe anzurechnen.

Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme vom deutschen Vizekonsulat in P hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss "die Einwendungen des Verurteilten gegen die Anrechnung der in Polen erlittenen Haft gemäß § 51 Absatz 4 StGB im Maßstab 1:1 als unbegründet auf Kosten des Verurteilten zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Verurteilte fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1.

Die StVK war gem. § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG in der Besetzung mit einem Richter zur Entscheidung berufen. Die Entscheidung OLG Hamm NStZ-RR 1999, 126, in der für eine Entscheidung nach § 458 StPO die Besetzung mit drei Richter für erforderlich erachtet wurde, betraf den Sonderfall von Einwendungen gegen die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung.

2.

Der Anrechnungsmaßstab von 1:1, den das Landgericht gem. § 450a StPO i.V.m. § 51 Abs. 4 StGB für die in Polen vom 23.08. bis zum 20.10.2006 in Polen erlittene Auslieferungshaft zu Grunde gelegt hat, ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Verurteilten zutreffend. Bei der Entscheidung hat das Gericht das im Ausland erlittene Strafübel zu schätzen und in ein dem inländischen Strafensystem zu entnehmendes Äquivalent umzusetzen. Der Richter hat zu erwägen, wie schwer das Übel wiegt, das dem Verurteilten durch die ausländischen Strafverfolgungsmaßnahmen widerfahren ist, und wieviel dieses Übel von demjenigen schon vorweggenommen hat, mit dem das inländische Urteil den Angekl. belasten will; dabei ist der Maßstab zu berücksichtigen, der sich aus dem Vergleich der ausländischen mit der inländischen Strafenordnung ergibt (BGH NStZ 1986, 312 f. m.w.N.). Wenn der Verurteilte im Ausland besonders schwere Haftbedingungen zu ertragen hatte, kann der Anrechnungsmaßstab für ihn günstiger als im Regelverhältnis eins zu eins festgesetzt werden (LK-Theune, 12. Aufl., § 51 Rdn. 58). Grundsätzlich kann bei Freiheitsentziehungen in EU-Staaten von einem Anrechnungsmaßstab von 1:1 ausgegangen werden, wobei jedoch immer eine Einzelfallprüfung stattzufinden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 04.06.2003 - 5 StR 124/03; BGH Beschl. v. 21.09.1999, 5 StR 416/99).

Soweit der Verurteilte in der JVA X etwa 1 Monat und drei Wochen Auslieferungshaft erlitten hat, sind keinerlei Anhaltspunkte für einen anderen Maßstab als 1:1 ersichtlich. Die vom Verurteilten vorgetragenen Unannehmlichkeiten sind, soweit sie sich überhaupt durch das vom Vizekonsulat P im Auftrag des Landgericht erstellte Gutachten bewahrheitet haben, nicht so, dass sie die dortige Freiheitsentziehung als wesentlich härter erscheinen ließen, als eine Freiheitsentziehung, wie sie auch in vielen Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik Deutschland vorkommen kann.

Auch im Hinblick auf die im einwöchigen Polizeigewahrsam in Q behaupteten Umstände, die sich vom Vizekonsulat, da die Räumlichkeiten inzwischen zu Büroräumen umgebaut wurden, nicht mehr verifizieren ließen, ist keine andere Entscheidung geboten. Streitig ist bereits, ob Nachteile, die der Häftling aufgrund seiner persönlichen Disposition oder Pflichtverletzung einzelner Personen erleidet (z. B. wegen Krankheit), die ihm auch in deutscher Untersuchungshaft hätten wiederfahren können, nach § 51 Abs. 4 StGB anrechnungsfähig sind (dag.: LK-Theune § 51 Rdn. 59; daf.: BGH Beschl. v. 21.09.1999 - 5 StR 416/99). Das kann hier aber dahinstehen. Zum einen handelt es sich auch bei den hier vorgetragenen Umständen jedenfalls z. T. um Erschwernisse, wie sie auch in Deutschland vorkommen können (besonders unangenehme Unterbringung im Rahmen einer Verschubung oder eines Aufenthalts in Vorführzellen bei Vorführung vor den Haftrichter). Zum anderen sind sie für die Auslieferungshaft insgesamt nicht derart prägend, dass sie einen anderen Anrechnungsmaßstab als 1:1 rechtfertigen würden. Bei der Entscheidung hierüber ist die im Ausland erlittene Freiheitsentziehung insgesamt zu betrachten. Es sind nicht etwa jeweils einzelne kurze Zeitabschnitte für sich zu bewerten. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 51 Abs. 4 StGB. Bei einer abschnittsweisen Betrachtung käme man ansonsten auch womöglich zu dem vom Gesetz nicht gewollten Ergebnis, dass einzelne Härten trotz eines womöglich im übrigen im Vergleich zum Inland milderen Vollzuges der Freiheitsentziehung zu einem günstigeren Umrechnungsmaßstab führten. Vielmehr geht es lediglich darum, das im Ausland erlittene (Straf-)Übel so ins Verhältnis zu setzen, dass der Verurteilte hierdurch im Vergleich zu einer vollständigen Verbüßung im Inland keinen Nachteil erleidet.

Letzteres ist hier nicht der Fall, da die knapp zweimonatige Auslieferungshaft insgesamt kein größeres Übel als eine vergleichbar lange Freiheitsentziehung im Inland darstellt.

Ende der Entscheidung

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