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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 688/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 3
StGB § 56b Abs. 2 Nr. 4
Auch bei einer Reststrafenaussetzung zur Bewährung kann zur Genugtuung für begangenes Unrecht die Zahlung eines Geldbetrages auferlegt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn dem Genugtuungsinteresse aufgrund der bedingten Entlassung und wegen des Verbleibs bei dem Verurteilten sonst nicht hinreichend genügt würde.
Oberlandesgericht Hamm

3. Strafsenat

Aktenzeichen: 3 Ws 688/07

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft nach Verbüßung von Zweidritteln der mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21.06.2005 (9 KLs 6 Js 191/01 - R 1/4 IX) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wird angeordnet.

3. Der noch nicht verbüßte Strafrest der durch das oben genannte Urteil verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wird gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt.

Die Bewährungszeit wird auf 3 Jahre festgesetzt.

Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

Dem Verurteilten wird auferlegt, einen Geldbetrag von 40.000,- Euro zugunsten der Staatskasse zu zahlen nach folgender Maßgabe:

a) Einen Betrag von 5000,- Euro bis zum 15.01.2008.

b) Sodann jeweils einen Betrag von 1000,- in 35 monatlichen Raten jeweils zum ersten eines jeden Kalendermonats, beginnend mit dem 01.02.2008.

Er hat jeden Wechsel seines Wohnsitzes dem für die Bewährungsaufsicht zuständigen Gericht unverzüglich anzuzeigen.

4. Die Belehrung über die Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung sowie über einen möglichen Widerruf (auch bei Verstoß gegen Auflagen und Weisungen) wird dem Leiter der Vollzugsanstalt übertragen.

5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in diesem Verfahren dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Bielefeld hat den Verurteilten mit Urteil vom 21.06.2005 wegen Untreue in drei Fällen, wegen Betruges, wegen Anstiftung zum Betrug und wegen Beihilfe zur wettbewerbsbeschränkenden Absprache bei einer Ausschreibung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die höchsten Einzelstrafen lagen bei 1 Jahr und 10 Monaten. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass sich der Verurteilte für die Beschaffung von Planungsaufträgen für diverse Bauvorhaben eine Provision versprechen ließ. Diese Provision sollte durch die Stellung betrügerisch überhöhter Rechnungen durch einige am Bau beteiligte Handwerker "finanziert" werden. Durch die Taten wurde ein Gesamtschaden von insgesamt rund 373.000,- DM verursacht, der Verurteilte vereinnahmte aus ihnen insgesamt 346.550 DM. Da die Geschädigten bereits Schadensersatz bei den beteiligten Handwerkern erlangen konnten, traten sie nicht an den Verurteilten heran. Von der Anordnung des Verfalls sah das Tatgericht im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius ab, da in einem vorangenen landgerichtlichen Urteil, welches vom Bundesgerichtshof auf die Revision des Verurteilten teilweise aufgehoben worden war, ein solcher ebenfalls nicht angeordnet worden war. Einen vorübergehend arrestierten Betrag von rund 92.000,- Euro erhielt der Verurteilte im September 2003 auf ein Konto seiner Ehefrau zurückbezahlt.

In dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die Ansicht vertreten, dass eine Erprobung des Verurteilten in Freiheit nicht verantwortet werden könne. "Aufschlussreich" sei das Verhalten des Verurteilten in finanzieller Hinsicht, denn ihm sei die gesamte Beute verblieben. Die vom Verurteilten im Rahmen der Anhörung angebotene Zahlung von insgesamt 15.000 Euro sei gemessen an den nachgewiesenen Einkünften als ehemaliger Bundestagsabgeordneter nur Ausdruck einer unzureichenden Würdigung des von ihm angerichteten "immateriellen" Schadens und könne "von der Allgemeinheit eher als Hohn betrachtet werden".

Zweidrittel der verhängten Strafe wird der Verurteilte am 26.12.2007 verbüßt haben, das Strafende ist auf den 26.10.2008 notiert.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel des Verurteilten ist zulässig und begründet.

1.

a) Die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB liegen hier vor. Insbesondere kann diese unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden. Hierbei bedarf es einer Abwägung zwischen dem Resozialisierungsinteresse des Verurteilten und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, bei der auch das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts für die Bestimmung des Maßes der noch hinnehmbaren Rückfallgefahr eine Rolle spielt (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 17.03.1998 - 3 Ws 111/98). Eine Gewissheit zukünftiger Straffreiheit ist nicht erforderlich, ein vertretbares Restrisiko kann verbleiben (OLG Hamm NJW 2000, 2453, 2454), die zukünftiger Straffreiheit muss lediglich wahrscheinlich sein (OLG Koblenz NJW 2000, 734, 735).

Der Senat hält eine erneute Straftatenbegehung durch den Verurteilten nach Gesamtabwägung aller relevanten Umstände für unwahrscheinlich. Der Verurteilte war - bis zur Begehung der hier relevanten Straftaten ab der zweiten Hälfte der neunziger Jahre - nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er ist Erstverbüßer. Er hat sich im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und sich während zahlreicher Vollzugslockerungen bewährt. Er findet nach seiner Entlassung einen geordneten sozialen Empfangsraum vor und verfügt mit einer Pension (zusammengesetzt aus der Altersversorgung als ehemalige Bundestagsabgeordneter und einer Rente des LVM) von ingesamt 3.770,- Euro (brutto) pro Monat über eine hinreichende finanzielle Absicherung. Er ist mit 68 Jahren bereits fortgeschrittenen Alters. Insbesondere die Begehung von Straftaten vergleichbarer Art sieht der Senat als unwahrscheinlich an, da der Verurteilte wegen seiner prominenten Stellung als ehemaliger Bundestagsabgeordneter hierfür kaum mehr nicht vorgewarnte Opfer finden dürfte. Der Gefahr etwaiger Fehlentwicklungen kann durch die Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung durch den Bewährungshelfer und durch die mahnende Wirkung der erteilten Geldauflage hinreichend begegnet werden. Allein der Umstand, dass er keine erkennbare Reue zeigt und die Tatbeute, da eine Rückzahlung an die bereits anderweitig befriedigten Geschädigten ausschied, nicht z. B. gemeinnützigen Zwecken zur Verfügung gestellt hat, vermag an dieser Bewertung nichts zu ändern.

b) Es kam hier nicht in Betracht, dem Verurteilten trotz günstiger Legalprognose die vorzeitige Entlassung gem. § 57 Abs. 5 StGB zu versagen. Die Vorschrift kommt nur dann zum Tragen, wenn der Verurteilte unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib der Tatbeute macht, nicht aber, wenn er die Vereinnahmung der Tatbeute und deren Verbleib bei sich überhaupt nicht bestreitet und diese lediglich nicht herausgibt.

c) Die Abfassung des angefochtenen Beschlusses gibt dem Senat Anlass zu der Bemerkung, dass allgemeinpolitische Ausführungen in einem solchen Beschluss fehl am Platze sind.

2.

Die Anordnungen zur Bewährung beruhen auf § 57 Abs. 3 i.V.m. §§ 56a ff. StGB.

a) Anhaltspunkte dafür, hier von der vom Gesetz als Regelfall vorgesehenen Unterstellung unter die Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers (§ 57 Abs. 3 S. 2 StGB) abzusehen, ergeben sich nicht.

b) Der Senat hat dem Verurteilten gemäß §§ 57 Abs. 3; 56b Abs. 2 Nr. 4 StGB die aus dem Tenor ersichtliche Zahlung eines Geldbetrages auferlegt.

Nach den genannten Vorschriften kann das Gericht dem Verurteilten Auflagen erteilen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Eine solche Geldauflage kommt auch - nach dem klaren Verweis in § 57 Abs. 3 StGB - bei der Reststrafenaussetzung in Betracht (einschränkend: Tröndle/Fischer 54. Aufl. § 57 Rdn. 38).

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass durch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe dem Genugtuungsinteresse der Geschädigten hinreichend Rechnung getragen ist. Dies kann allerdings bei einer bloßen Teilvollstreckung mit vorzeitiger Reststrafenaussetzung zur Bewährung anders sein. Dem durch die vorzeitige Entlassung möglicherweise nicht hinreichend Genüge getragenen Genugtuungsinteresse kann dann durch die Erteilung von Auflagen Rechnung getragen werden (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 126, 127). Dem Genugtuungsinteresse der Geschädigten würde im vorliegenden Fall, da die Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung unzweifelhaft gegeben sind, mangels Vollverbüßung nicht ausreichend entsprochen. Der Verurteilte hat durch die abgeurteilten Straftaten insgesamt über 340.000 DM erlangt. Ein arrestierter Betrag von über 90.000 Euro wurde - nachdem keiner der Geschädigten hierauf zurückgegriffen hatte, weil diese bereits durch Mit- bzw. Nebentäter des Verurteilten hinreichend Schadensersatz erlangt hatten - wieder an den Verurteilten ausgekehrt. Der Verurteilte hat also letztendlich die Früchte seines strafbaren Tuns behalten können. Dies war dem Tatgericht bei der Aburteilung bekannt, als es eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtete. Bei der nunmehr zu gewährenden vorzeitigen Entlassung nach Verbüßung von Zweidritteln der verhängten Strafe würde angesichts der bei dem Verurteilten verbliebenen Tatbeute das Genugtuungsinteresse (welches nicht identisch ist mit dem Schadenswiedergutmachungsinteresse) ohne Erteilung einer Geldauflage nicht hinreichend berücksichtigt. Dies gilt um so mehr, als das Tatgericht seinerzeit noch davon ausgegangen ist, dass der Verurteilte seine Pension als ehemaliger Bundestagsabgeordneter aufgrund der Verurteilung verlieren würde, was tatsächlich nicht der Fall ist.

Die auferlegte Zahlung eines Geldbetrages stellt an den Verurteilten keine unzumutbare Anforderungen. Der Verurteilte konnte sich (auch) aufgrund der Auskehrung des arrestierten Geldbetrages von bis zum Jahre 2000 aufgelaufenen Steuerschulden in Höhe von insgesamt rund 143.000 Euro befreien. Er verfügt über eine Pension in einer Gesamthöhe von 3.770 Euro. Nach der vom Verurteilten aufgestellten Einnahmen-/Ausgabenrechnung liegen seine Jahresbruttoeinnahmen bei knapp 45.000,- Euro, wovon 6000,- Euro an Steuern und rund 2.300,- Euro an Krankenkassenbeiträgen abzusetzen sind, so dass von einem Jahresnettoeinkommen von knapp 37.000,- Euro auszugehen ist. Die weiteren vom Verurteilten aufgeführten Ausgaben, wie Telefonkosten, Autofinanzierung, Miete, Zeitung, sonstige Versicherungen, Beiträge zu Vereinen etc. betreffen allgemeine Lebenshaltungsaufwendungen, die ggf. entsprechend einzuschränken sind, um die Auflage zu erfüllen. Neben seiner Ehefrau ist er niemandem gegenüber mehr unterhaltspflichtig.

Angesichts dessen sind ihm eine einmalige Zahlung von 5000,- Euro (zu der er sich selbst auch in der Anhörung vor der StVK erboten hat) sowie die weiteren 35 monatlichen Raten von 1000,- Euro durchaus zumutbar. Sie stehen seiner Resozialisierung nicht entgegen. Bei der Bemessung des Betrages hat sich der Senat von dem Gedanken leiten lassen, dass es einerseits nicht Aufgabe einer Geldauflage sein kann, einen vom Tatgericht nicht angeordneten Verfall (§ 73 StGB) nachträglich herbeizuführen. Andererseits war aber auch zu berücksichtigen, dass der Auflage die Funktion zukommen soll, den Verurteilten nach seiner Entlassung noch über eine gewisse Zeit nachdrücklich daran zu erinnern, dass die Vollstreckung nur ausgesetzt ist und er eine Zeit der Erprobung durchmacht (OLG Celle NStZ 1990, 148). Deswegen musste der Gesamtbetrag der Geldauflage hier so bestimmt sein, dass er einerseits nicht die Gesamthöhe der Tatbeute erfasst, andererseits aber eine deutlich spürbare Verringerung der dem Verurteilten monatlich zur Verfügung stehenden Finanzmittel darstellt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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