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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.07.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 9/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56f Abs. 1 Nr. 2
StPO § 33a
StPO § 453 Abs. 1 S. 3
1. Wer selbst die gebotene Anhörung vereitelt und sich ohne Angabe einer neuen Anschrift ins Ausland absetzt, kann sich nicht auf die Verletzung rechtlichen Gehörs berufen.

2. In diesem Fall ist die nach § 453 Abs. 1 S. 3 StPO gebotene Anhörung nach §§ 33a StPO nachträglich zu gewähren.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld hat dem Beschwerdeführer im Nachverfahren über den Widerruf der Strafaussetzung entsprechend § 33a Abs. 1 StPO nachträglich rechtliches Gehör zu gewähren.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 22.11.2006 nach Verbüßung von zwei Dritteln der gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz und anderer Delikte verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bedingt aus der Strafhaft entlassen worden. In dem Beschluss wurde die Dauer der Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt. Der Verurteilte wurde (u.a.) der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und er wurde angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel der Strafvollstreckungskammer umgehend mitzuteilen. Nachdem der Bewährungshelfer mit Schreiben vom 01.06.2007 erstmals und sodann mit mehreren weiteren Schreiben bis Juli 2007 der StVK mitgeteilt hatte, dass der Verurteilte ("seit längerem") keinen Kontakt halte, wurde der Verurteilte von der Strafvollstreckungskammer am 06.08.2007 zu einem Anhörungstermin geladen, dem er unentschuldigt fern blieb. Auch dem am 05.09.2007 auf den 19.09.2007 anberaumten Anhörungstermin blieb er ohne Angabe von Gründen fern. Am 10.09.2007 teilte der Bewährungshelfer mit, dass der Verurteilte unter der bisherigen Anschrift nicht mehr wohnhaft sei.

Tatsächlich hat sich der Verurteilte bereits am 22.03.2007 von seiner bisherigern Anschrift meldebehördlich nach Österreich abgemeldet. Dort ist er nach eigenen Angaben bei einem österreichischen Unternehmen als LKW-Fahrer tätig. Unter dem Datum des 12.11.2007 hat die Staatsanwaltschaft Paderborn eine neue Anklage gegen den Verurteilten wegen Betruges erhoben (310 Js 146/07). Der Verurteilte soll seinen Umzug und seine Neueinstellung in Österreich ab dem 02.04.2007 der Agentur für Arbeit nicht gemeldet und deswegen vom 12.04. - 19.04.2007 207,52 Euro Arbeitslosengeld I zu Unrecht erhalten haben.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angfochtenen Beschluss die Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB widerrufen, weil der Verurteilte über längere Zeit keinen Kontakt zum Bewährungshelfer gehalten, die Anhörungstermine vor der StVK nicht wahrgenommen und seinen Wohnsitzwechsel nicht dem angezeigt hatte. Es bestehe der Verdacht neuer Straftaten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, da der Verurteilte keine gültige Fahrerlaubnis habe und als LKW-Fahrer arbeite sowie des Betruges.

Ausweislich der Zustellungsurkunde ist der Widerrufsbeschluss dem Verurteilten am 22.10.2007 persönlich zugestellt worden. Eine weitere Zustellung durch Niederlegung ist am 02.11.2007 erfolgt. Beide Zustellungen sind unter der Anschrift

"P-Straße, ##### E2" erfolgt. Hier wohnt der Vater des Verurteilten (C G), dessen Vorname der gleiche ist, wie ein Vorname des Verurteilten, nicht aber der Verurteilte selbst. Für eine Zustellvollmacht des Vaters im vorliegenden Verfahren ergeben sich keine Anhaltspunkte.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.11.2007, eingegangen am 30.11.2007, hat der Verurteilte gegen den Widerrufsbeschluss Beschwerde erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Beschluss sei nicht zugestellt worden, vielmehr habe der Vater des Verurteilten den Beschluss erhalten.

Da der Senat nach Vorlage des Rechtsmittels Zweifel an der ordnungsgemäßen Zustellung hatte, hatte das Landgericht die öffentliche Zustellung des Beschlusses versucht. Diese ist mit Beschluss vom 31.07.2008 angeordnet und in der Folgezeit auch ausgeführt worden. Dabei sind allerdings nicht die Vorschriften der §§ 40 StPO; 186 ZPO eingehalten worden, so dass auch hier eine wirksame Zustellung nicht vorlag.

Nach einer kurzzeitigen Festnahme in anderer Sache hat der Verurteilte eine Zustellungsbevollmächtigte benannt. Die Zustellvollmacht vom 5. Mai 2009 befindet sich im Original beim Bewährungsheft. Der Zustellbevollmächtigten ist der Widerrufsbeschluss am 24.06.2009 zugestellt worden. Der Verurteilte hat (erneut) am 30.06.2009 (Eingang bei Gericht) sofortige Beschwerde hiergegen eingelegt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Der Verurteilte hat, nachdem ihm der angefochtene Beschluss erstmals am 26.05.2009 wirksam zugestellt worden ist, rechtzeitig innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO sofortige Beschwerde eingelegt.

2.

In der Sache erfolgte der Widerruf zu Recht. Die Voraussetzungen hierfür nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen vor. Der Verurteilte, der der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, hat sich dieser beharrlich entzogen, indem er mindestens seit Anfang Juni 2007 für diesen nicht mehr erreichbar war und sich ohne diesen zu benachrichtigen in das Ausland abgesetzt hatte. Sein Verhalten gibt Anlass zur Besorgnis, dass er erneut Straftaten begehen wird. Der Verurteilte wurde erstmals 1978 strafrechtlich verurteilt. Seitdem ist er vielfach mit der Begehung von Straftaten in Erscheinung getreten und deswegen verurteilt worden. Er wurde vor der Verurteilung, die diesem Verfahren zu Grunde liegt, insgesamt alleine wegen Fahres ohne Fahrerlaubnis 11 mal, zum Teil zu vollstreckbaren Freiheitsstrafen, verurteilt. Der Verurteilte hat bereits im März 2007, also kurz nach der bedingten Entlassung, seinem Bewährungshelfer einen in der Dominikanischen Republik ausgestellten Führerschein präsentiert und diesem zu erkennen gegeben, dass er die Entscheidung des Straßenverkehrsamtes, dass er damit in der Bundesrepublik Deutschland nicht fahren dürfe, innerlich nicht akzeptiert. Zu seinem Bewährungshelfer hat der Verurteilte keinen hinreichenden Kontakt gehalten. Der Verurteilte ist ausweislich der Tätigkeitsdokumentation des Bewährungshelfers am 20.03., 36.03. und 02.04.2007 zu Gesprächsterminen nicht erschienen. Am 17.04.2007 kam ein telefonischer Kontakt zustande, worin der Verurteilte mitteilte, dass er bei einer Spedition in L beschäftigt und gerade auf dem Weg nach Q sei. Er könne in 5 Wochen den österreichischen Führerschein erwerben. Sodann kam es zu einer rund dreimonatigen Kontaktunterbrechung. Beim Telefonat vom 17.07.2007 teilte der Verurteilte seinem Bewährungshelfer mit, dass er in Italien sei, am 23.03.2007 teilte er telefonisch mit, dass er kurz vor Q sei. Sodann kam kein weiterer Kontakt zwischen Verurteiltem und Bewährungshelfer zustande.

Angesichts dieser Umstände besteht die naheliegende Gefahr neuer Straftaten, insbesondere des erneuten Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Auch wenn der Verurteilte seinen Wohnsitz im Ausland genommen hat und für eine ausländische Spedition tätig war, ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass er auch im Inland ein Kraftfahrzeug ohne Fahrerlaubnis führt. Das ergibt sich aus seiner Kraftfahrertätigkeit, seinen zahlreichen einschlägigen Vorstrafen und aus dem Umstand, dass er die Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde "innerlich" nicht akzeptiert. Bei dieser Beurteilung hat der Senat bewusst den Umstand, dass gegen den Verurteilten erneut wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ermittelt wird, unberücksichtigt gelassen, da er sich hierzu im vorliegenden Verfahren noch nicht äußern konnte. Außerdem war bei der Gefahr neuer Straftaten zu berücksichtigen, dass gegen den Verurteilten auch ein Strafverfahren wegen Betruges geführt wird. Diee Tat steht im Zusammenhang mit dem Bezug von Arbeitslosengeld I Anfang April 2007, zu einem Zeitpunkt, als er bereits bei einer ausländischen Speditionsfirma beschäftigt war.

Der Umstand, dass der Verurteilte nicht ordnungsgemäß zu der nach § 453 Abs. 1 S. 3 StPO grundsätzlich im Falle eines Widerrufs wegen Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen vorgesehenen mündlichen Anhörung geladen wurde, hindert hier den Widerruf nicht. Nach allen Erkenntnissen aus den Akten war der Verurteilte, als er zu den Anhörungsterminen wegen des beantragten Widerrufs geladen wurde, unter den Ladungsanschriften nicht mehr wohnhaft. Vielmehr hatte er sich am 22.03.2007 an seinem österreichischen Wohnsitz an- und wurde am 02.04.2007 an seinem deutschen Wohnsitz abgemeldet. Dass der Verurteilte unter der bisherigen Anschrift nicht mehr wohnhaft war und sich ins Ausland abgesetzt hatte, war der Strafvollstreckungskammer bei Beschlussfassung bereits bekannt. Die österreichische Anschrift des Verurteilten ist ihr allerdings erst nachträglich bekannt geworden.

Eine unterbliebene (mündliche) Anhörung des Verurteilten vor Erlass der Widerrufsentscheidung führt nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte dann nicht zu einer Aufhebung der ergangenen Entscheidung, wenn der Verurteilte untertaucht und sich gegen die gerichtliche Weisung, jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, verstößt. Wer selbst die gebotene Anhörung vereitelt und sich ohne Angabe einer neuen Anschrift ins Ausland absetzt, kann sich nicht auf die Verletzung rechtlichen Gehörs berufen (OLG Hamm Beschl. v. 31.07.2008 - 3 Ws 271, 272/08 - juris; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 46, 47; OLG Köln NJW 1963, 875; Appl in KK-StPO 6. Aufl. § 453 Rdn. 7; vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ 2003, 167; OLG Thüringen Beschl. v. 03.03.2008 - 1 Ws 4/08 - juris). Eine entsprechende Weisung, jeden Wohnungswechsel mitzuteilen, war dem Verurteilten hier in dem Aussetzungsbeschluss erteilt worden. Hiergegen hat er verstoßen, indem er sich ohne weitere Mitteilung an die Justizbehörden bzw. an seinen Bewährungshelfer ins Ausland abgesetzt hat. Zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung hatte die Strafvollstreckungskammer noch keine Kenntnis von seiner österreichischen Anschrift und konnte ihn deswegen auch nicht vorher anhören.

Dass eine Bewährungsweisung, jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, nach Ansicht einiger Gerichte keine zulässige Weisung nach § 56c StGB darstellt (vgl. OLG Köln Beschl. v. 28.03.2006 - 2 Ws 123/06 - juris) steht einer selbst verschuldeten Unkenntnis des Verurteilten nicht entgegen, da es vorliegend nicht um die Sanktionierung eines Verstoßes gegen eine solche Weisung im Rahmen des § 56f StGB geht. Bei der vorliegenden Frage einer selbst verschuldeten Unkenntnis spielt ein entsprechender Hinweis im Bewährungsbeschluss - selbst wenn er als Bewährungsweisung unzulässig gewesen sein sollte, was hier offen bleiben kann - aber durchaus eine Rolle, da er nur die für den Verurteilten ohnehin bestehende Obliegenheit, sich nicht für die Strafverfolgungsbehörden unauffindbar zu machen, verdeutlicht (OLG Hamm Beschl. v. 31.07.2008 - 3 Ws 271, 272/08 - juris).

3.

Um dem Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs Genüge zu tragen, ist es aber erforderlich, dass die bisher unterbliebene (mündliche) Anhörung des Verurteilten im Nachverfahren entsprechend § 33a StPO umgehend nachgeholt wird (vgl. BGHSt 27, 127, 130; OLG Hamm Beschl. v. 31.07.2008 - 3 Ws 271, 272/08 - juris; OLG Thüringen Beschl. v. 03.03.2008 - 1 Ws 4/08 - juris), was der Senat dem Landgericht mit diesem Beschluss aufgibt.

Das Nachverfahren ist gegenüber dem Beschwerdeverfahren nicht vorrangig. Ein solcher Vorrang ergibt sich aus dem Gesetz nicht (OLG Hamm Beschl. v. 31.07.2008 - 3 Ws 271, 272/08 - juris). Insbesondere im vorliegenden Fall, in dem es durch das Abtauchen des Verurteilten bzw. die fehlerhafte öffentliche Zustellung zu großen Verzögerungen gekommen ist, wäre ein weiteres Zuwarten mit der Beschwerdeentscheidung bis zu einer vorherigen Nachholung des rechtlichen Gehörs nicht vertretbar. Dem Verurteilten werden hierdurch keine Rechte abgeschnitten, da etwaige nach der angefochtenen Entscheidung eingetretene positive Entwicklungen noch im Nachverfahren berücksichtigt werden können.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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