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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 4 Ss 1134/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB 315 c Abs. 1 Nr. 2 b
Leitsatz

Zur Straßenverkehrsgefährdung durch falsches Überholen


Beschluß Strafsache gegen T.A.,

wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 17. August 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.12.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

I. Der Angeklagte ist durch das Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 16. September 1999 wegen "fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch falsches Verhalten beim Überholen" zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 80,00 DM verurteilt worden. Zugleich ist ihm für die Dauer von zwei Monaten untersagt worden, Kraftfahrzeuge aller Art im Straßenverkehr zu führen. Durch das angefochtene Urteil ist die Berufung des Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil verworfen worden. Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründete Revision des Angeklagten, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Münster begehrt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision hat zumindest vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand, so daß es aufzuheben ist und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen ist, § 354 Abs. 2 StPO.

1. Die Feststellung der Strafkammer, der Angeklagte habe nach dem Überholen auf der rechten Fahrspur durch den Fahrstreifenwechsel auf die linke Fahrspur durch Fahrlässigkeit das Fahrzeug des Zeugen E. oder die Insassen, die Zeugen E. und D., konkret gefährdet, ist nicht rechtsfehlerfrei aus dem Beweisergebnis hergeleitet.

Die Kammer hat insoweit folgendes festgestellt:

"Der Angeklagte, dem es darauf ankam, möglichst schnell sein Fahrziel zu erreichen, hatte erkannt, dass ihm eine größere Lücke zwischen LKW die Möglichkeit bot, die auf der linken Fahrspur fahrende Kolonne mehrerer PKW rechts zu überholen und dann kurz hinter dem vorausfahrenden LKW wiederum auf die linke Fahrspur zu wechseln. Er entschloss sich, diese Möglichkeit zu nutzen und fuhr sodann mit deutlich hoher Geschwindigkeit an der Kolonne mehrerer PKW rechts vorbei und zog unvermittelt im Bereich des rechts fahrenden LKW, der deutlich langsamer war, auf die linke Fahrspur, ohne sich darum zu kümmern, ob und in welchem Abstand sich dort Fahrzeuge links von ihm befanden. Infolge des Fahrmanövers musste der Zeuge E., der sich auf der linken Fahrspur befand, seinen PKW nach links bis fast unmittelbar an den Grünstreifen lenken, um einer Kollision auszuweichen, und andererseits eine Vollbremsung vollführen, ohne die es zu einer Kollision gekommen wäre." (S. 3 U.A.)

Diese Feststellungen hat die Strafkammer aufgrund der Aussagen der Zeugen E. und D. getroffen, die wie folgt im Urteil wiedergegeben worden sind (S. 4 U.A.):

"In Sonderheit hat der Zeuge Erntges bekundet, dass der Angeklagte, von ihm bereits im rechten Außenspiegel bemerkt, über eine längere Strecke sich mit hoher Geschwindigkeit auf der rechten Fahrspur, ersichtlich um zu überholen, genähert habe. Der Angeklagte sei dann an ihm vorbeigerast und habe unvermittelt, als er auf den LKW aufgefahren sei, sein Fahrzeug nach links herübergezogen, so dass er nur durch einerseits eine Vollbremsung und andererseits ein Ausweichen bis fast auf den Grünstreifen eine Kollision habe verhindern können.

Diese Darstellung hat auch der Zeuge Dreeßen insoweit bestätigt, als es sich um das einerseits Vorbeifahren am Fahrzeug des Zeugen Erntges und das Ausscheren auf die linke Fahrspur gehandelt hat."

Legt man die Aussage dieser beiden Zeugen zugrunde, ist es zumindest nicht ohne weiteres nachvollziehbar, daß es durch das Verhalten des Angeklagten zu einer konkreten Gefährdung des Fahrzeugs des Zeugen E. oder der Insassen gekommen sein soll, da der Angeklagte das Fahrzeug des Zeugen E. mit deutlich überschießender Geschwindigkeit ("vorbeigerast") überholt haben soll und erst anschließend, nach der Aussage dieser Zeugen nach dem Vorbeifahren am Fahrzeug des Zeugen E., auf die linke Fahrspur gewechselt sein soll. In dieser Situation ist nicht erklärbar, warum der Zeuge E. eine Vollbremsung vornehmen und nach links ausweichen mußte. Ohne nähere Feststellungen zu den Abständen der drei beteiligten Fahrzeuge und zum konkreten Fahrverhalten des Angeklagten (z.B. mögliches Abbremsen des Angeklagten bei Annäherung an den vorausfahrenden LKW) und des Zeugen E., der die Annäherung des Angeklagten und den Überholvorgang beobachtet haben will, läßt sich die vom Landgericht angenommene konkrete Gefährdung, nämlich die auf festgestellte Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, bei dem der Eintritt des Schadenseintritts wahrscheinlicher ist als sein Ausbleiben (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Auflage, § 315 c Rdnr. 15), somit nicht hinreichend ableiten.

2. Ein weiterer sachlich-rechtlicher Mangel der angefochtenen Entscheidung besteht darin, daß die Strafkammer den offenbar der Entscheidung zugrundegelegten Umstand, der Angeklagte habe vorsätzlich rücksichtslos gehandelt, nicht hinreichend dargelegt und aus dem Beweisergebnis abgeleitet hat. Obwohl die Strafkammer das Verhalten des Angeklagten als "fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung" gewertet hat, hat es als verletzte Rechtsnorm § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 3 Nr. 1 StGB angenommen. Hierbei handelt es sich jedoch gemäß § 11 Abs. 2 StGB um ein Vorsatzdelikt, das hinsichtlich der Tathandlung und damit auch hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rücksichtslosigkeit Vorsatz erfordert.

Der Angeklagte hätte jedoch nur dann vorsätzlich rücksichtslos gehandelt, wenn er sich im Straßenverkehr aus eigensüchtigen Gründen über die in § 315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB genannten Verkehrsvorschriften und die sich daraus für ihn ergebenden Pflichten hinweggesetzt hätte, während eine innere Einstellung der Art, daß der Täter aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen läßt und deshalb die Gefährlichkeit seiner Fahrweise und das mit ihr verbundene hohe Unfallrisiko nicht erkennt, nur den Vorwurf einer fahrlässig rücksichtslosen Fahrweise begründen kann (vgl. Schönke/Schröder-Cramer, StGB, 25. Aufl., § 315 c Rdnr. 30 m.w.N.; BayObLG, VRS 64, 123, 124 f; ferner: BGH, VRS 50, 342, 343; OLG Koblenz, VRS 71, 278, 279 f; OLG Koblenz, NZV 1993, 318, 319; vgl. auch Spöhr/Karst, Zum Tatbestandsmerkmal "rücksichtslos" des § 315 c StGB, NJW 1993, 3308, 3308; Haubrich, Verkehrsrowdytum auf Bundesautobahnen und seine strafrechtliche Würdigung, NJW 1989, 1197, 1199 f.). Hinreichende Feststellungen zum konkreten äußeren Ablauf des Geschehens (Abstände, Geschwindigkeiten, etc.), die einen tragfähigen Schluß auf ein vorsätzlich rücksichtloses Verhalten des Angeklagten zulassen, hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen.

3. Letztlich begegnet auch die festgesetzte Tagessatzhöhe angesichts der getroffenen Feststellungen (1.300,- DM Unterhaltszahlung bei einem monatlichen Nettoeinkommen von rund 3.400,-DM) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Über die Kosten der Revision konnte der Senat nicht entscheiden, da der Erfolg des Rechtsmittels noch nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

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