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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.02.2003
Aktenzeichen: 4 Ss 1165/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 315 c Abs. 1 Nr. 2
Ein Seitenstreifen gehört nicht zur Fahrbahn, auf ihm kann daher nicht rechts überholt werden.
Beschluß

Strafsache

wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Paderborn vom 30. September 2002 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 02. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die

Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Paderborn hat den Angeklagten am 30. September 2002 wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Straßenbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von noch einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der zulässigen Sprungrevision, mit der er in erster Linie seinen Freispruch, hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Paderborn verfolgt. Der Angeklagte hat sein Rechtsmittel unter näherer Darlegung mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat keinen Antrag gestellt.

Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen (Teil-)Erfolg.

Die materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils führt zwar nicht zum Freispruch des Angeklagten, jedoch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Paderborn, § 349 Abs. 4 StPO.

Das Amtsgericht hat eine vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, begangen durch falsches Überholen, durch Nichtbeachten der Vorfahrt und durch zu schnelles Fahren an Straßenkreuzungen, mit vorsätzlicher Gefährdung von Leib oder Leben anderer oder fremder Sachen von bedeutendem Wert angenommen, weil der Angeklagte am 8. April 2002 mit seinem Pkw Clio in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise an insgesamt drei vor einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage an der Münsterstraße in Paderborn-Sande haltenden Fahrzeugen auf dem rechten Mehrzweckstreifen vorbeigefahren und trotz des Rotlichts geradeaus über die Kreuzung gefahren sei. Dabei sei es fast zu einem Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden anderen Fahrzeug gekommen, das bei Grünlicht nach links in die Nesthauser Straße habe einbiegen wollen. Nur durch starkes Abbremsen und beiderseitiges Ausweichen sei ein Unfall gerade noch verhindert worden.

Zunächst hat das Amtsgericht rechtsfehlerhaft die Tatbestandsalternative des falschen Überholens bejaht. Das Überholen stellt nach einhelliger Auffassung einen tatsächlichen Vorgang dar, der vorliegt, wenn ein Verkehrsteilnehmer von hinten an einem anderen vorbeifährt, der sich auf derselben Fahrbahn in derselben Richtung bewegt oder nur mit Rücksicht auf die Verkehrslage anhält (vgl. BGHSt 26, 73 (74)). Da § 2 Abs. 1 S. 2 StVO klarstellt, daß der Seitenstreifen nicht zur Fahrbahn gehört, kann auf ihm auch nicht rechts überholt werden (so auch Hentschel, StVR, 36. Auflage, § 5 StVO Rdnr. 19 a).

Die Verurteilung kann auch nicht auf ein zu schnelles Fahren an Kreuzungen gestützt werden. Nach den Aussagen der befragten Zeugen ist der Angeklagte mit einer geschätzten Geschwindigkeit von 40 bis maximal 60 km/h an den wartenden Fahrzeugen vorbeigefahren. Eine solche Geschwindigkeit dürfte, selbst wenn Ausführungen zur erlaubten Geschwindigkeit für diese Kreuzung fehlen, die Feststellung einer für die fragliche Kreuzung zu hohen Geschwindigkeit kaum zulassen.

Nach den getroffenen Feststellungen kommt somit allein die Nichtbeachtung der Vorfahrt in Betracht. Insoweit ist aber zumindest der erforderliche Vorsatz hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Rücksichtslosigkeit - der Vorsatz muß sich nicht nur auf den Verkehrsverstoß als solchen, sondern auch auf die weiteren Tatbestandsmerkmale der groben Verkehrswidrigkeit und der Rücksichtslosigkeit beziehen - nicht hinreichend aus dem Beweisergebnis abgeleitet. Der Angeklagte hätte nämlich nur dann vorsätzlich rücksichtslos gehandelt, wenn er sich im Straßenverkehr aus eigensüchtigen Gründen über die sich aus den entsprechenden Verkehrsvorschriften für ihn ergebenden Pflichten bewußt hinweggesetzt hätte, während eine innere Einstellung der Art, daß der Täter aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen läßt und deshalb die Gefährlichkeit seiner Fahrweise und das mit ihr verbundene hohe Unfallrisiko nicht erkennt, nur den Vorwurf einer fahrlässig rücksichtslosen Fahrweise zu begründen vermag (vgl. Schönke/Schröder-Cramer, StGB, 26. Aufl., § 315 c Rdnr. 30 m.w.N.; BayObLG, VRS 64, 123, 124 f; ferner: BGH, VRS 50, 342, 343; OLG Köln, VRS 48, 205, 206 f; OLG Koblenz, VRS 64, 125, 126; OLG Koblenz, VRS 71, 278, 279 f; OLG Düsseldorf, VRS 79, 370, 371; OLG Koblenz, NZV 1993, 318, 319). Der Vorsatz ist durch das Amtsgericht jedoch allein damit begründet worden, die Kreuzungsanlage sei bereits von weitem einsehbar gewesen. Auch die vom Amtsgericht festgestellte Eile des Angeklagten läßt für sich genommen beide Wertungen, nämlich vorsätzliche oder fahrlässige Rücksichtslosigkeit, zu. Soweit das Amtsgericht zudem die Einlassung des Angeklagten, er sei unachtsam an das letzte Fahrzeug herangefahren und habe nach rechts ausweichen müssen, um einen Unfall zu vermeiden, als widerlegt angesehen hat, enthält das angefochtene Urteil insoweit einen Widerspruch, als es an dieser Stelle die Einlassung des Angeklagten mit einem stattgefundenen Abbremsen anders wiedergibt als zuvor.

Das Amtsgericht ist, was sich zwar nicht aus dem Schuldspruch (vgl. § 11 Abs. 2 StGB), aber zumindest aus dem angewendeten Strafrahmen des § 315 c Abs. 1 StGB ergibt, zudem davon ausgegangen, der Angeklagte habe vorsätzlich Leib oder Leben anderer oder Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Auch insoweit ist der zumindest bedingte Vorsatz des Angeklagten nicht ausreichend dargelegt.

Auch die Strafzumessungserwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat die "nicht unerhebliche, konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer" strafschärfend gewertet. Abgesehen davon, daß nicht nachvollziehbar ist, inwieweit mehr als der entgegenkommende Fahrzeugführer gefährdet worden sein soll, hat das Amtsgericht hier gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, der im Rahmen der Strafzumessung die strafschärfende Berücksichtigung von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen untersagt.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zudem darauf hin, daß sich für den Fall der erneuten Verhängung einer Maßregel nach §§ 69, 69 a StPO die Frage stellen könnte, ob dem Angeklagten die Fahrerlaubnis bereits vorläufig entzogen worden war. Im übrigen könnte Anlaß zur Prüfung bestehen, ob der Angeklagte, der britischer Staatsangehöriger ist, über eine deutsche oder möglicherweise eine britische Fahrerlaubnis verfügt und ob die Einziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis überhaupt möglich ist.

Ende der Entscheidung

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