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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.03.2000
Aktenzeichen: 4 Ss 121/2000
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 473
StGB § 315 b Nr. 1
StGB § 315 b Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

4 Ss 121/2000 OLG Hamm 13 Ns 36 Js 958/97 (102/98) LG Münster 5 Ds 36 Js 958/97 (22/98) AG Ahlen

Strafsache

wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 18. November 1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. März 2000 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Steinberger,

den Richter am Oberlandesgericht Finger und

den Richter am Oberlandesgericht Duhme

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Gründe:

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Das Amtsgericht Ahlen hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,- DM verurteilt und ihm verboten, für die Dauer von zwei Monaten im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.

Hiergegen haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft - diese beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch - Berufung eingelegt. Die Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass das Fahrverbot auf einen Monat "reduziert" wurde. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hat die Kammer mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe des Tagessatzes auf 70,- DM festgesetzt wurde.

Die Strafkammer hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:

"Bis zu dem hier zu beurteilenden Unfall vom 07.08.1997 war der Angeklagte mit dem Zeugen befreundet gewesen. Am frühen Abend des 07.08.1997 war mit seinem PKW zum Elternhaus des Angeklagten in gefahren, wo auch der Angeklagte wohnte. Dort grillten der Angeklagte, dessen Vater; sowie der Zeuge, sie tranken auch Alkohol. Der Angeklagte trank in mindestens einer Stunde (nach der Aussage des Zeugen in zwei bis drei Stunden) drei Flaschen Bier à 0,5 Liter, so daß sein Blutalkoholgehalt zur Zeit des hier zu beurteilenden Tatgeschehens im Höchstfall bei 1,0 o/oo lag. Der Zeuge trank soviel Alkohol, daß eine ihm um 22.37 Uhr entnommene Blutprobe einen Blutalkoholgehalt von 0,17 o/oo ergab.

Im weiteren Verlauf des Abends entschlossen sich der Angeklagte und der Zeuge, mit dem PKW des Zeugen zu dessen Wohnung, die nur wenige 100 m von dem Elternhaus des Angeklagten entfernt ebenfalls in liegt, zu fahren. Bei dem PKW des Zeugen "handelte es sich um einen VW-Corrado, den der Zeuge knapp zwei Wochen zuvor gebraucht für 16.000,00 DM gekauft hatte. Das Fahrzeug war erst kurz zuvor TüV-abgenommen worden. Der Angeklagte war schon öfter mit dem Zeugen gefahren. Von daher wußte er, daß es sich bei dem Zeugen um einen rasanten Kraftfahrer handelte, der sich häufig auch nicht an die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten hielt. Etwa gegen 20.40 Uhr traten dann der Angeklagte und der Zeuge mit dem vorerwähnten PKW die Fahrt zur Wohnung des Zeugen an, wobei der Zeuge das Fahrzeug führte. Während der Angeklagte angeschnallt war, hatte sich der mit Rücksicht auf die geringe Entfernung zwischen den beiden Häusern nicht angeschnallt. Während der Fahrt kam der Zeuge dann auf die Idee, zuvor noch einen Bekannten in zu besuchen. Er fuhr deshalb durch hindurch und von dort auf die Bundesstraße, die von kommend in Richtung führt.

Auf der Bundesstraße beschleunigte der Zeuge seinen PKW alsbald bis auf ca. 140 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit dort nur 100 km/h beträgt. Allerdings ist die Fahrbahn der B im dortigen Bereich bis zur Unfallstelle und auch darüber hinaus gut und modern ausgebaut. Die Fahrbahn mit einer Breite von insgesamt ca. 8 m verläuft bis zur späteren Unfallstelle völlig gradlinig. Eine sich hinter der Unfallstelle anschließende Linkskurve ist mit 140 km/h ohne Schwierigkeiten zu durchfahren. Der Angeklagte bekam wegen der rasanten Fahrt des Zeugen aber große Angst. Er forderte den Zeugen auf, langsamer zu fahren und sich anzuschnallen; anderenfalls werde er die Handbremse ziehen. Der Zeuge reagierte darauf jedoch nicht. Entweder nahm er die Ankündigung des Angeklagten nicht ernst. Möglich ist aber auch, daß er wegen des mit großer Lautstärke eingeschalteten Radios nicht hörte, was der Angeklagte sagte. Daraufhin zog der Angeklagte die in der Mitte zwischen beiden Vordersitzen des Fahrzeugs befindliche Handbremse bis zum Anschlag an, so daß das Fahrzeug abgebremst wurde. Dies tat der Angeklagte in Kenntnis des Umstandes, daß das Betätigen der Handbremse bei voller Fahrt, insbesondere bei einer Geschwindigkeit im Bereich von 140 km/h, in höchstem Maße gefährlich ist und die Gefahr eines Verkehrsunfalls besteht. Nicht ausschließen kann die Kammer aber, daß der Angeklagte infolge seiner Angst und einer gewissen alkoholischen Enthemmung als Folge des zuvor genossenen Alkohols in der konkreten Situation nicht damit rechnete, daß es zu einem Unfall kommen werde. Bei seiner Kritik- und Urteilsfähigkeit hätte er aber ohne Schwierigkeiten damit rechnen können und müssen, daß der Zeuge infolge der für ihn überraschenden Bremsung- und bei der hohen Fahrgeschwindigkeit die Gewalt über das Fahrzeug verlieren könnte, daß das Fahrzeug von der Fahrbahn abkommen und verunglücken könnte und daß dabei die Insassen schwer verletzt werden könnten.

Tatsächlich konnte der Zeuge das von ihm geführte Fahrzeugs angesichts der für ihn völlig überraschenden Bremsung nicht mehr auf der Fahrbahn halten. Das Fahrzeug kam - gegen 20.50 Uhr - nach links von der Fahrbahn ab, geriet in ein neben der Fahrbahn liegendes Maisfeld, überschlug sich mehrfach und blieb schließlich in dem Maisfeld liegen. Beide Insassen würden schwer verletzt, und zwar der Zeuge, da er nicht angeschnallt war, wesentlich schwerer als der Angeklagte. Der Zeuge erlitt einen Wirbelbruch, mehrere Haarrisse der Wirbelsäule, mehrere Rippenbrüche, einen Brust- und Schlüsselbeinbruch sowie einen Bluterguß im Herzbeutel. Er wurde wegen dieser Verletzungen zunächst vier Wochen stationär im Krankenhaus behandelt. Später wurde eine Nachoperation erforderlich, die einen weiteren Krankenhausaufenthalt von einer Woche erforderlich machte. Seinen Beruf als Maurer konnte der Zeuge nicht mehr ausüben. Er leidet noch heute insofern an den Folgen des Unfalls, als daß er erst jetzt mit einer Umschulungsmaßnahme beginnen kann.

Der Angeklagte erlitt bei dem Unfall einen Bruch des Brustbeines; außerdem rissen ihm mit Ausnahme der Achillessehne alle Sehnen am linken Fuß. Er wurde 10 Tage stationär im Krankenhaus behandelt.

An dem PKW des Zeugen entstand Totalschaden.

Die Strafkammer hat zur subjektiven Seite festgestellt:

"Was die subjektive Tatseite im übrigen angeht, kann kein Zweifel bestehen, daß der Angeklagte bewußt und gewollt die Handbremse gezogen hat. Er hatte dies zuvor gegenüber dem Zeugen angekündigt. Das Ziehen der Handbremse war eine Reaktion auf die rasante Fahrweise des Zeugen. Der Angeklagte hat auch eingeräumt, daß er sich der Gefährlichkeit eines solchen Verhaltens schon zur Tatzeit grundsätzlich bewußt gewesen sei. Wie schon ausgeführt, hat er im Krankenhaus gegenüber dem Zeugen aber bekundet, mit solchen Folgen, wie sie eingetreten seien, habe er nicht gerechnet. Unter Berücksichtigung der damaligen Angst des Angeklagten und seiner alkoholischen Enthemmung kann die Kammer danach zugunsten des Angeklagten nicht ausschließen, daß er in dem Moment nicht an die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung des Fahrzeugführers gedacht hat. Dafür spricht im übrigen auch die mit seiner Handlungsweise verbundene Selbstgefährdung. Der Angeklagte hätte aber unschwer erkennen können und müssen, daß es unter den gegebenen Umständen nicht nur zu einer konkreten Gefährdung, sondern sogar zu einem Verkehrsunfall mit den sich daraus ergebenden Folgen - schwere Verletzung des Fahrzeugführers - kommen könnte. Dafür spricht zum einen die Bildung des Angeklagten, der Grund- und Hauptschule ebenso wie die Gesellenprüfung als Fleischer erfolgreich absolviert hat. Dafür spricht desweiteren seine langjährige Erfahrung als Kraftfahrzeugführer."

Die Strafkammer wertet das festgestellte Verhalten als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung. Das Betätigen der Handbremse durch den Beifahrer bei einer Fahrgeschwindigkeit von 140 km/h stelle" einen ebenso gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr wie das Zerstören oder Beschädigen von Fahrzeugen oder das Bereiten von Hindernissen dar; eine solche Handlungsweise sei ebenso gefährlich wie das in § 315 b Nr. 1 und 2 StGB vorausgesetzte Verhalten. Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer darauf hingewiesen, es handele sich nicht um einen "klassischen" Fall eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, "der durch eine verkehrsfeindliche Gesinnung geprägt sei. Ausschlaggebend für die Tat sei vielmehr die Angst des Angeklagten gewesen".

Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gegen seine Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.

Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es einer Erörterung der Verfahrensrüge nicht bedarf.

Im Ausgangspunkt zutreffend hat die Strafkammer dargelegt, dass das Ziehen der Handbremse durch den Beifahrer bei einer Fahrgeschwindigkeit von 140 km/h objektiv ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr ist. Zu Recht ist sie auch davon ausgegangen, dass der Beifahrer in einem PKW Täter i.S.d. § 315 b Abs. 1 StGB sein kann, wenn er gewaltsam in die Führung des Kraftfahrzeugs eingreift (vgl. BGH, VRS 36, 267; OLG Hamm, NJW 1969, 1975). In subjektiver Hinsicht ist jedoch erforderlich, dass der Beifahrer das Fahrzeugin verkehrsfeindlicher Absicht seinem Zweck als Verkehrsmittel entfremden will (vgl. BGH NZV 1990, 35 m.w.N.). Ziel des Täters muss es sein, dass der von ihm herbeigeführte Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr "pervertiert"; es muss ihm darauf ankommen, dadurch in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen. Sein Handeln muss durch ein verkehrsfeindliches Verhalten unter bewusster Zweckentfremdung des Fahrzeugs gekennzeichnet sein (vgl. BGH NZV 1990, 35; BayObLG bei Janiszewski, NStZ 1992, 271 = Beschluss vom 28. November 1991 in RReg. 2 St 210/91; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 315 b StGB Rdnr. 13 m.w.N.).

Eine solche bewusste Zweckentfremdung des Kraftfahrzeugs durch den Angeklagten hat die Strafkammer in dem angefochtenen Urteil nicht festgestellt. Sie läge vor, wenn das Fahrzeug als Mittel zur Durchsetzung verkehrsfremder Absichten, z.B. als Mittel der Gewalt bei der Begehung einer Straftat hätte dienen sollen. Das war nach den bisher von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nicht der Fall. Der Angeklagte hat danach das Kraftfahrzeug nicht etwa zur Durchsetzung einer Nötigungs- oder Verletzungsabsicht verwendet, sondern nur während der Fahrt versucht, durch Anziehen der Handbremse die Geschwindigkeit des Fahrzeugs zu verringern und das Verhalten des Fahrers in Richtung einer den Verkehrsvorschriften angepaßten Fahrweise zu beeinflussen, wobei er wegen der Fahrweise des Zeugen große Angst hatte. Das Verhalten des Angeklagten war insoweit nicht auf eine "Pervertierung" oder 1 wie die Strafkammer ausführt "Verhinderung" eines Verkehrsvorganges gerichtet, sondern er verfolgte das Ziel, eine aus seiner Sicht "verkehrsgerechte" Fahrweise des Fahrers herbeizuführen. Für eine etwaige Absicht, mit dem Kraftfahrzeug einen Verkehrsunfall herbeizuführen, etwa um den Fahrer dadurch körperlich zu verletzen, spricht nach den getroffenen Feststellungen ebensowenig wie dafür, dass der Angeklagte bezüglich der Gefährdung des Fahrers oder des Kraftfahrzeugs mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Deshalb lässt sich nach den bisherigen Feststellungen das Verhalten des Angeklagten nicht als "bewusst verkehrsfeindlich" werten (vgl. dazu auch OLG Köln, NZV 1994, 365).

Bereits aus diesem Grund war die angefochtene Entscheidung mit den Feststellungen aufzuheben. Die Aufhebung erfasst gleichermaßen die tateinheitliche Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung.

Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird auch über die Kosten der Revision entscheiden, da deren Erfolg i.S.d. § 473 StPO noch nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

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