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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.01.2001
Aktenzeichen: 4 Ss 1261/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 312
StPO § 335
StPO § 345 Abs. 1
Leitsatz

Wird ein amtsgerichtliches Strafurteil mit einem umbenannten Rechtsmittel angefochten und trifft der bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO keine eindeutige und verbindliche Wahl des Rechtsmittels als der Revision, so ist es als Berufung durchzuführen.


Beschluss Strafsache gegen M.K.,

wegen Trunkenheit im Verkehr,

(hier: Anfechtung des Urteils des Amtsgerichts Lippstadt vom 19. Oktober 2000).

Auf die Vorlage der Akten hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.01.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.

Das Rechtsmittel des Angeklagten vom 20. Oktober 2000 ist als Berufung durchzuführen. Die Akten sind dem dafür zuständigen Landgericht Paderborn vorzulegen.

Das Wiedereinsetzungsgesuch bezüglich der vermeintlichen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist gegenstandslos.

Gründe:

Das Amtsgericht Lippstadt hat den Angeklagten wegen ."fahrlässiger Trunkenheit am Steuer" zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,00 DM verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf "von 7 Monaten 2 Wochen" keine Fahrerlaubnis zu erteilen.

Hiergegen hat der Angeklagte mit am 21. Oktober 2000 bei dem Amtsgericht Lippstadt eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Oktober 2000 "Rechtsmittel" eingelegt. Daraufhin wurde das Urteil seinem Verteidiger, dessen Zustellungsvollmacht sich bei den Akten befindet, am 30. Oktober 2000 zugestellt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Dezember 2000, eingegangen bei dem Amtsgericht Lippstadt am 6. Dezember 2000, hat der Angeklagte mit näheren Ausführungen "wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, das Rechtsmittel als Revision bezeichnet und eine Revisionsbegründung angebracht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat mit den Anträgen vorgelegt, dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren und die Revision des Angeklagten durch Beschluss gemäß § 349 Abs.2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Der Angeklagte hat sich zu den Anträgen nicht geäußert.

Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst, weil das Rechtsmittel des Angeklagten vom 20. Oktober 2000 als Berufung durchzuführen ist. Deshalb sind die Akten dem dafür zuständigen Landgericht Paderborn vorzulegen.

Wird ein erstinstanzliches Strafurteil, gegen das wie hier gemäß §§ 312, 335 StPO sowohl Berufung als auch Revision statthaft ist, ohne nähere Bezeichnung mit einem "Rechtsmittel" angefochten, so kann der Rechtsmittelführer bis zum Ablauf der Frist, die für eine Revisionsbegründung gelten würde (§ 345 Abs.1 StPO) die endgültige Wähl seines Rechtsmittels erklären (vergl. Löwe-Rosenberg-Hanack, StPO, 24. Auflage, § 335 Rdn. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 335 Rdn. 3 m.w.N.). Erfolgt bei unbestimmter Einlegung keine oder keine rechtzeitige Wahl, so ist das Rechtsmittel als Berufung zu behandeln (vergl. BGHSt 33, 183, 189 m.w.N.).Da mit Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO die Möglichkeit der Gestaltung des Rechtsmittels als Revision endgültig untergeht, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand insoweit nach der hierzu nahezu einhellig in der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung nicht möglich (vergl. OLG Hamm, NStZ 1991, 601 m.w.N.; KK-Kuckein, § 335 StPO, Rdnr. 6 m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 8 zu § 335 StPO; Pfeiffer, StPO, 3.Auflage, § 335 Rdn. 2 ). Von dieser Auffassung abzugehen besteht kein Anlass.

Die Anfechtung eines amtsgerichtlichen Strafurteils mit einem umbenannten Rechtsmittel ist ihrem Wesen nach von Anfang an eine Berufung (vergl. BGHSt 33, 183, 189). Denn damit erklärt der Rechtsmittelführer ebenso wie in Fällen einer sonstigen unscharfen oder mehrdeutigen Willensäußerung, die sich erkennbar gegen den Fortbestand der Entscheidung richtet, die unbedingte und umfassende Anfechtung des Urteils mit einem Rechtsmittel. Trifft er danach bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO keine eindeutige und verbindliche Wahl des Rechtsmittels als der Revision, so ist es in Anwendung der zu § 300 StPO entwickelten Auslegungsgrundsätze (vgl. auch § 335 Abs. 3 Satz 1 StPO) als dasjenige durchzuführen, welches es dem Wesen nach bereits von Anfang an war, nämlich als Berufung. Denn dieses umfassendere der beiden statthaften Rechtsmittel gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil ist in der Regel am ehesten geeignet, eine möglichst wirksame Kontrolle des angefochtenen Urteils zu eröffnen. Es führt nicht nur zu einer rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils und des zugrundeliegenden Verfahrens anhand der im Rahmen einer Revision erhobenen Rügen, sondern zu einer völligen Neuverhandlung der Sache mit neuer Feststellung der für erwiesen erachteten Tatsachen, neuer rechtlicher Würdigung des Sachverhalts und neuer Rechtsfolgenbemessung durch eine Strafkammer.

Trifft der Rechtsmittelführer nach Beginn, aber vor dem Ende der Begründungsfrist für eine Revision die nähere Wahl des Rechtsmittels, so ist diese Prozesserklärung wirksam und für ihn bindend (vgl. z.B. LR-Hanack a.a.O. Rdn. 9; KK-Kuckein a.a.O. Rdn. 5 und Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., Rdn. 3 zu § 335 StPO jeweils m.w.N.; BGH a.a.O.). Nichts anderes kann aber für den Fall gelten, dass bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO eine wirksame Wahlerklärung des Rechtsmittelführers nicht bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen ist. Vielmehr muss er sich ebenso wie derjenige, der die Wahl der Revision erklärt hat und hieran gebunden ist, an dem Rechtsmittel in derjenigen rechtlichen Gestalt festhalten lassen, die er ihm durch Nichtausübung der wirksamen Revisionswahl nach ursprünglich unbestimmter Urteilsanfechtung bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO belassen hat. Mit Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO ohne eine Bestimmung des Rechtsmittels als Revision geht das Wahlrecht des Rechtsmittelführers zwischen den beiden gesetzlich statthaften Anfechtungsmöglichkeiten unter (Löwe-Rosenberg-Hanack a.a.O., Rdn. 14 m.w.N.; BayObLGSt 1970, 158, 159; OLG Hamm NJW 1956, 1168). Nunmehr muss und kann dem Verfahren in der Form des Rechtsmittels, als das es anhand der bis dahin vorliegenden Erklärungen des Rechtsmittelführers zu beurteilen ist, Fortgang gegeben werden. Demgegenüber besteht für den Rechtsmittelführer über diesen Zeitpunkt hinaus an einer weiteren Aufrechterhaltung oder Nachholung der Wahlmöglichkeit zwischen den Rechtsmitteln kein schutzwürdiges Interesse mehr. Auch der Gedanke der Sicherung und Effektuierung des Wahlrechts (vgl. BGH a.a.O., S. 188) rechtfertigt es nicht, die eingetretene Bindungswirkung durch die Eröffnung einer Wahlausübung auch noch nach Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO bei gleichzeitiger Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einzuschränken, zumal dem Rechtsmittelführer dadurch, dass seine Urteilsanfechtung als Berufung durchgeführt wird, der umfassendste mögliche Rechtsschutz zuteil wird (OLG Hamm, NStZ 1991, 601).

Das Wiedereinsetzungsgesuch bezüglich der vermeintlichen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist gegenstandslos, da diese Frist vorliegend nicht zu wahren ist. Das Rechtsmittel der Berufung bedarf keiner Begründung seitens des Angeklagten.



Ende der Entscheidung

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