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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.06.2008
Aktenzeichen: 4 Ss 226/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StGB § 64
StPO § 264
Der Hang des Täters, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, muss, nachvollziehbar auf Tatsachen gestützt, positiv festgestellt werden.
Beschluss

Strafsache

gegen C.K.

wegen versuchter räuberischer Erpressung u. a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 05. März 2008 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 06. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB entfällt.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Angeklagte. Jedoch wird die Gebühr um 1/3 ermäßigt; in diesem Umfang hat die Landeskasse die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 22. Oktober 2007 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in 2 Fällen und versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Ferner hat das Amtsgericht ein einmonatiges Fahrverbot gem. § 44 StGB sowie eine isolierte Sperrfrist von einem Jahr gem. § 69 a StGB verhängt.

Das Landgericht hat auf die dagegen gerichtete teilbeschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt, und zudem die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB angeordnet.

Die Anordnung der Unterbringung hat die Strafkammer wie folgt begründet:

"Der Sachverständige Dr. D. hat den Angeklagten psychiatrisch begutachtet. Er hat seinem Gutachten zum Einen die Verfahrensakten nebst Beiakten sowie eine eigene Untersuchung des Angeklagten, die er am 28.01.2008 in seiner Praxis in Rheda-Wiedenbrück durchgeführt hat, zugrundegelegt. Nachdem er ihn noch zusätzlich in der Hauptverhandlung beobachten konnte, hat er aufgrund der damit vollständig ermittelten Befund- und Anknüpfungstatsachen festgestellt, dass der Angeklagte den Hang habe, alkoholische Getränke wie auch berauschende Mittel in Form von Cannabis im Übermaß zu sich zu nehmen.

Auch wenn beim Angeklagten sich nur ein Alkoholmissbrauch sowie ein Cannabis-Missbrauch in der Vorgeschichte feststellen lasse, ohne Zeichen einer körperlichen Abhängigkeitsentwicklung, so handele es sich dennoch um eine Suchterkrankung, d. h. eine intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, die auf Dauer zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit, der Arbeits- und der Leistungsfähigkeit führe. Bei den Taten aus Juni 2007 handele es sich keineswegs nur um eine einmalige "Episode". So sei darauf hinzuweisen, dass die der Verurteilung vom 08.04.2004 zugrundeliegende Tat des gemeinschaftlichen Raubes ebenfalls Folge erheblichen Alkoholkonsums gewesen sei und zuvor auch eine Haschisch-Zigarette konsumiert worden sei. Der Angeklagte sei nicht einmal unter dem Einfluss der laufenden Gerichtsverhandlung in der Lage gewesen, seinen Cannabis-Konsum zu beenden, was sich am positiven Drogenscreening mit einer relative hohen Cannabiskonzentration im Rahmen der Begutachtung dokumentieren lasse (Cannabinoide > 100 ng/ml im Urin). Der Angeklagte habe im Rahmen der Begutachtung vom 28.01.2008 ihm gegenüber angegeben, zuletzt vor vier Tagen Cannabis konsumiert zu haben, obwohl er seinerzeit bereits von dem Explorationstermin gewusst habe. Die von dem Angeklagten angegebene Alkoholabstinenz lasse sich anhand der objektiven Laborparameter weder belegen noch ausschließen. Suchtprobleme bedürften jedoch grundsätzlich einer suchttherapeutischen Aufarbeitung, die der Angeklagte nicht absolviert habe.

Die dem Angeklagten hier zur Last gelegten Straftaten - insbesondere die Tat vom 03.06.2007 - sind auf seinen Hang zurückzuführen, alkoholische Getränke im Übermaß zu konsumieren. Dies ergibt sich aus den Gesamtumständen. Der Angeklagte missachtet die körperliche Integrität und das Eigentum seiner Mitmenschen offensichtlich nur dann, wenn er zuvor in erheblichen Mengen Alkohol konsumiert hat. Insoweit ist nochmals auf die Verurteilung vom 08.04.2004 und auch die damalige eigene Einschätzung des Angeklagten zu verweisen. Im Übrigen - ohne den vorherigen Konsum von Suchtmitteln - ist der Angeklagte in dieser Hinsicht bisher nicht aufgefallen.

Es besteht nach der Beurteilung des Sachverständigen des weiteren die Gefahr, dass der Angeklagte in Folge seines Hangs zukünftig neue einschlägige Straftaten i. S. d. §§ 249, 253, 255 StGB begeht. Betrachte man sein bisheriges Suchtverhalten sowie seine Deliktsvorgeschichte, so müsse man mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Angeklagte auch weiterhin Alkohol konsumieren werde und dass es hierunter auch zu weiteren rechtswidrigen Handlungen kommen werde, entsprechend der ihm hier zur Last gelegten.

Die Kammer stuft derartige Taten des Raubes bzw. der räuberischen Erpressung als erheblich ein. Sie fallen zumindest in den Bereich der "mittleren Kriminalität ...."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die allgemeine Sachrüge erhoben und mit der Verfahrensrüge die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage der Voraussetzungen des § 64 StGB geltend macht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

Die Verteidigerin hat darauf nicht erwidert.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und führt bereits aufgrund der erhobenen Sachrüge zu einem Teilerfolg.

Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht Stand. Die Voraussetzungen des § 64 StGB ergeben sich nicht hinreichend aus dem angefochtenen Urteil. Der Hang des Täters, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, muss, nachvollziehbar auf Tatsachen gestützt, positiv festgestellt werden (vgl. BGH NStZ 2004, 111; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 64 Rdnr. 7 m. w. N.).

Unter Hang im Sinne dieser Vorschrift ist eine beherrschende Neigung mit handlungsleitender Auswirkung zu verstehen (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 8; Meyer-Goßner, a.a.O. Rdnr. 8). Die bloße Neigung zum Missbrauch reicht nicht aus (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 6). Die Zusichnahme berauschender Mittel im Übermaß (Maß und Häufigkeit) ist nur dann gegeben, wenn die Gesundheit und die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Täters dadurch beeinträchtigt sind und er aufgrund seiner Abhängigkeit, wobei psychische Abhängigkeit ausreicht, sozial gefährdet ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 7 m. w. N.).

Diese Umstände hat die Strafkammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können.

Der Angeklagte hat ausweislich der Urteilsgründe unwiderlegt seit mehreren Monaten keinen Alkohol mehr zu sich genommen. Die von dem Sachverständigen ermittelten Leberwerte lassen einen gegenteiligen Schluss nicht zu. Anhaltspunkte für Entzugserscheinungen als Beleg für eine zumindest psychische Abhängigkeit fehlen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 9). Die letzte Vorverurteilung datiert bereits aus dem Jahr 2004. Seine Arbeitsstelle und die Beziehung zu seiner Verlobten, die ein Kind von ihm erwartet, sprechen gegen eine alkoholabhängigkeitsbedingte soziale Gefährdung des Angeklagten. Eine bereits bestehende Beeinträchtigung der Gesundheit und der Arbeits- und Leistungsfähigkeit hat die Strafkammer nicht feststellen können. Dass, so die sachverständig beratende Strafkammer, die Zusichnahme von Rauschmitteln im Übermaß "auf Dauer" zu einer derartigen Beeinträchtigung führen kann, reicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter Berücksichtigung der monatelangen Abstinenz des Angeklagten nicht aus, um einen Hang im Sinne des § 64 StGB, Alkohol im Übermaße zu sich zu nehmen, annehmen zu können.

Der Konsum von Cannabis hat, soweit sich das angefochtene Urteil darüber verhält, weder bei den nunmehr abgeurteilten Taten noch im Rahmen der Vorverurteilungen eine entscheidende Rolle gespielt. Zur letzten Vortat, einem bereits länger zurückliegenden, am 27. September 2003 begangenen gemeinschaftlichen Raub, hat der Angeklagte seinerzeit angegeben, zum Tatzeitpunkt nur noch gelegentlich Haschisch konsumiert zu haben, vor der Tat habe er jedoch in erheblichen Maße Alkohol getrunken und eine Haschisch-Zigarette geraucht. Dieser Einlassung ist die Strafkammer seinerzeit gefolgt. Zum Zeitpunkt der nunmehr abgeurteilten Taten sind bei dem Angeklagten Blutalkoholkonzentrationswerte von 1,68 Promille, 1,92 Promille und 1,46 Promille festgestellt worden. Hinweise auf den Konsum von Haschisch fehlen jedoch. Nach Auffassung des Senats kann der Konsum von Cannabis bei der Prüfung der Frage, ob insoweit ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliegt, daher vernachlässigt werden. Allein der Umstand, dass der Angeklagte vier Tage vor dem Explorationstermin bei dem Sachverständigen Dr. D. Cannabis konsumiert hat, reicht nicht aus, um deswegen auf einen Hang schließen zu können.

Nach alledem hat die Strafkammer bei der Beurteilung des Hanges i. S. d. § 64 StGB einen unzutreffenden Maßstab angelegt. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist daher rechtsfehlerhaft und verhilft der Revision bereits aufgrund der allgemeinen Sachrüge insoweit zum Erfolg.

Im Übrigen hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung indes keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Erwägungen der Strafkammer zum Schuldspruch, zur Strafzumessung und zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung begegnen keinen durchgreifenden Bedenken.

Da ergänzende Feststellungen zur Frage der Unterbringung gem. § 64 StGB im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung nicht zu erwarten sind, hat der Senat gem. § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst entschieden (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 354 Rdnr. 4).

Die Revision war daher mit der Maßgabe des Entfalls der Maßregelanordnung als unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO und trägt den Teilerfolg des unbeschränkten Rechtsmittels angemessen Rechnung.



Ende der Entscheidung

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