Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 03.11.2004
Aktenzeichen: 4 Ss 299/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 225
Zum Begriff des rohen Misshandelns.
4 Ss 299/04 OLG Hamm

Verkündet am 3. November 2004

Strafsache

gegen C.B.

wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Paderborn vom 13. Mai 2004 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 3. November 2004, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht und Richter am Oberlandesgericht als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.

Seine eigenen notwendigen Auslagen hat er selbst zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat durch das angefochtene Urteil den zur Tatzeit 17 Jahre alten Angeklagten der Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen für schuldig befunden und die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe gemäß § 27 JGG für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:

"Die Zeugin X. ist die Mutter der nichtehelich geborenen Kinder A. X., geboren am xxxxx 1999 und B.X., geboren am xxxxxx 2001. Im Jahre 2001 lernte die Zeugin den Angeklagten kennen. Seit Dezember 2001 unterhielt sie eine intime Beziehung zu diesem. Zunächst lebten beide im elterlichen Haushalt der Zeugin. Im April 2002 bezogen der Angeklagte, die Zeugin und deren Kinder A. und B.eine eigene Wohnung im xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx. In den ersten drei Monaten verlief das Zusammenleben problemlos. In der Folgezeit kam es jedoch zu immer größeren Spannungen und Streitigkeiten, in deren Verlauf der Angeklagte die Zeugin und später auch den Kindern gegenüber gewalttätig wurde. Die Zeugin verließ die Wohnung zweimal und begab sich ins Frauenhaus, kehrte aber auf Bitten des Angeklagten jeweils wieder in die gemeinsame Wohnung zurück.

Am 15. oder 16.12.2002 - es hatte geschneit - wollte der Angeklagte zusammen mit der Zeugin und deren Kindern "rodeln" gehen. Da die Beteiligten nicht im Besitz eines Schlittens waren, nahmen sie das Dreirad und das Bobbycar der Kinder mit. Man begab sich zu einer Anhöhe. Da der Angeklagte sich darüber ärgerte, daß die Zeugin nicht mit den mitgebrachten Gefährten den Berg hinunter fahren wollte, setzte er B.X. auf das Dreirad und schob ihn an, so daß dieser mit dem Dreirad den Berg hinunterfuhr. Da das Kind noch zu klein war, kippte es mit dem Dreirad um. Diesen Vorgang wiederholte der Angeklagte mehrfach. Das Kind weinte vor Angst und Schmerz.

Anschließend band er das Dreirad und das Bobbycar mit einem mitgebrachten Seil zusammen. Er setzte die Kinder jeweils auf eines der Fahrzeuge, faßte das Seil in der Mitte an, lief los und zog beide Gefährte mit erheblicher Geschwindigkeit so lange hinter sich her, bis beide zusammenstießen und umkippten. Auch diesen Vorgang wiederholte der Angeklagte mehrfach. Die Kinder fielen jeweils von ihren Fahrzeugen.

Am Abend desselben Tages hatte sich der Angeklagte über das Kind B.X. geärgert. Er ging in das Kinderzimmer, faßte das Kind an den Beinen und schleuderte es mehrfach um sich herum. Die Zeugin X. versuchte, das Kind zu ergreifen, damit es nicht mit dem Kopf an die Wand oder Möbel schlage. Dies gelang ihr jedoch nicht. Der Angeklagte ging sodann, das Kind immer noch an den Füßen haltend, ins Badezimmer. Dort hielt er B.kopfüber in die Toilettenschüssel und betätigte die Spülung. Als er das Kind wieder auf die Füße stellte, waren dessen Haare naß."

Das Amtsgericht hat seine Auffassung, wonach der Angeklagte der Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen schuldig sei, wie folgt begründet:

Misshandeln im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB setze eine gefühllose, fremde Leiden missachtende Gesinnung voraus. Indem der Angeklagte das Kind B.X. mehrfach auf einem Dreirad den Berg habe herunterfahren lassen mit der Folge, dass dieses angesichts seines geringen Alters umkippte, und später mehrfach Zusammenstöße mit dem Dreirad und dem Bobbycar verursacht habe, so dass die Kinder wiederum von ihren Gefährten herunterfielen, habe er eine solche Gesinnung gezeigt. Es liege auf der Hand, dass die kleinen Kinder, insbesondere B.X., der Situation in keiner Weise gewachsen gewesen seien. Es habe ständige Verletzungsgefahr bestanden. Nach den Bekundungen der Zeugin X. hat das Kind B.vor Schmerz und Angst geweint. Ebenfalls als rohes Misshandeln sei die Tat am Abend des Tattages zu werten, als der Angeklagte das Kind B.kopfüber in die Toilette gehalten und die Spülung betätigt habe. Auch insoweit könne nicht in Zweifel gezogen werden, dass das Kind sich in einer völlig hilflosen Situation befand, in der es erhebliche Ängste durchlitten haben müsse.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seinem rechtzeitig eingelegten Rechtsmittel, das mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23. Juni 2004 als Revision bezeichnet und fristgerecht mit der - näher ausgeführten - Sachrüge begründet worden ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Zuschrift vom 16. Juli 2004 beantragt, die Revision mit der Maßgabe zu verwerfen, dass der Angeklagte der Körperverletzung in zwei Fällen schuldig sei. Die Revision rüge zu Recht, dass ein Quälen oder rohes Misshandeln der Kinder i.S.d. § 225 Abs. 1 StGB den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen sei. Von einer näheren Begründung für diese ihre Auffassung hat die Generalstaatsanwaltschaft abgesehen.

Die Verteidigung des Angeklagten hat auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 23. Juli 2004 erwidert.

Der Sitzungsvertreter der Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, aber unbegründet.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 StGB in - mindestens - zwei Fällen.

Die beiden Kinder unterstanden der Fürsorge oder Obhut des Angeklagten, der gemeinsam mit ihnen und der Kindesmutter seit mehr als sieben Monaten, und damit offenbar auf Dauer angelegt, in einem eigenen Hausstand zusammenlebte (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 225 Rdnr. 4 m.w.N.).

Der Angeklagte hat beide Kinder sowohl gequält als auch roh misshandelt. Quälen bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen, wobei dieses Tatbestandsmerkmal typischerweise, wie hier, durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht wird und gerade die ständige Wiederholung für sich den besonderen Unrechtsgehalt dieser Form der Körperverletzung auszeichnet (vgl. BGHSt 41, 113, 115). Roh ist eine Misshandlung im Sinne des Tatbestandes, wenn sie aus einer gefühllosen gegen die Leiden des Opfers gleichgültigen Gesinnung heraus erfolgt, wobei die Gefühllosigkeit keine dauernde Charaktereigenschaft zu sein braucht (vgl. BGHSt 3, 105, 109 und NStZ 2004, 94 f). Dass beide Tatbestandsalternativen hier erfüllt sind, bedarf in Anbetracht der wiederholten, von erschreckender Gefühllosigkeit des Angeklagten getragenen Tathandlungen, die insbesondere bei dem erst zwei Jahre alten B.X. zwangsläufig und für den Angeklagten ohne weiteres erkennbar zu Angst und Schmerzen geführt haben, keiner weiteren Erläuterung.

Soweit das Amtsgericht die Misshandlung der Kinder A. und B.X. im Verlauf des Rodelns lediglich als eine Tat gewertet hat, liegt ein - revisionsrechtlich unbeachtlicher - Fehler zugunsten des Angeklagten vor.

Der - sehr maßvolle - Rechtsfolgenausspruch lässt ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

II.

Die Revision war daher mit der Kosten- und Auslagenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO, 74 JGG zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

Zurück