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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.12.2008
Aktenzeichen: 4 Ss 484/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichende Anhaltspunkte erbracht sind. Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung.
Beschluss

Strafsache

wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Münster gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 24. Juni 2008 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 9. Dezember 2008, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht und Richter am Oberlandesgericht als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft,

Rechtsanwalt O. als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

I. Der Angeklagte ist durch das Amtsgericht Steinfurt am 10. Oktober 2007 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einem dreimonatigen unbeschränkten Fahrverbot verurteilt worden. Außerdem ist die Verwaltungsbehörde angewiesen worden, ihm vor Ablauf von zwei Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen.

Auf die dagegen fristgerecht eingelegte Berufung hat das Landgericht Münster den Angeklagten unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, da es sich nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugen konnte. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte und rechtzeitig mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft Münster, die die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den getroffenen Feststellungen und die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster erstrebt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der Revision der Staatsanwaltschaft Münster beigetreten. In der Hauptverhandlung hat sie beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen. Der Angeklagte hat beantragt, die Revision zu verwerfen.

II. Das angefochtene Urteil war mit den Feststellungen aufzuheben. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält der sachlich rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Das Landgericht Münster hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

"Auf die Berufung des Angeklagten hat die Kammer das angefochtene Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Bei der Beweisaufnahme, deren Inhalt sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt, hat sie dazu die folgenden Feststellungen getroffen:

In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 2007 befuhr der Zeuge Ti. mit seinem Taxi die Straße "Weizen" zwischen L. und Holthausen. Ihm fiel dabei auf, dass ein Roller neben der Straße lag. Der Zeuge Ti. brachte seinen Fahrgast an dessen Ziel und kehrte kurz darauf an diese Stelle zurück. Dabei bemerkte er jetzt den Angeklagten, der etwa 60 cm vom Fahrbahnrand entfernt im Gras lag und schlief. Etwas weiter davon entfernt lag der Roller des Angeklagten. Der Roller lag aus Richtung L. gesehen in einer Rechtskurve neben dem linken Fahrbahnrand in hohem Gras. Der Zeuge konnte nicht mehr sicher angeben, ob der Angeklagte einen Helm trug, ob der Motor lief und ob das Licht des Rollers eingeschaltet war.

Nachdem der Zeuge Ti. die Polizei angerufen hatte, erschienen gegen 03.00 Uhr die Zeugen PK Mü. und PHK He.. Der Zeuge PK Mü. weckte den Angeklagten und versuchte, ihn zu befragen. Der Angeklagte verweigerte die Aussage, fragte jedoch mehrfach, ob ihn "jemand verpfiffen" habe. Der Zeuge PHK He. stellte fest, dass eine etwa drei bis vier Meter lange "Fahrspur" von der Fahrbahn aus etwa parallel zur Straße durch das Gras zum Roller führte. Für ihn ergab sich der "Eindruck", dass keine Fußspuren im Gras waren. Er stellte fest, dass der Angeklagte nach Alkohol roch. Deswegen vermutete er, dass der Angeklagte betrunken gefahren sei. Er überprüfte den Roller auf die Wärme des Motors. In seiner Strafanzeige vom 03.07.2006 notierte er dazu: "Der Motor war nur noch ganz leicht warm. Das Licht war eingeschaltet." Der Zeuge He. hat diese schriftlichen Angaben über die Temperatur des Motors bei seiner Vernehmung vor der Kammer bestätigt. Nach den Angaben vor der Kammer hatte er das Mofa auf die Wärme des Motors überprüft. Dabei hatte er festgestellt, dass der Motor nur "leicht warm" gewesen sei, allerdings wärmer, als es nach der Witterung in der fraglichen Nacht zu erwarten gewesen wäre. Auf weiteren Vorhalt hat er später eingeräumt, dass er möglicherweise nicht den Motor, sondern den Auspuff angefasst habe. Dabei habe er den Eindruck gewonnen, dass dieses Teil wärmer gewesen sei, als die Umwelt es damals hätte erwärmen können. In der Hauptverhandlung hatte er keine sichere Erinnerung mehr daran, ob das Licht eingeschaltet war.

Die Zeugen Mü. und He. konnten sich nicht daran erinnern, ob sie an der fraglichen Stelle einen Helm gesehen hatten. Sie meinten allerdings, dass der Angeklagte keinen Helm auf dem Kopf hatte, als sie ihn fanden.

Die Polizeibeamten nahmen den Angeklagten in ihrem Wagen zur Wache. Sie ließen den Roller zurück, ohne auszuprobieren, ob er funktionierte. Dem Angeklagten wurde um 04:12 Uhr eine Blutprobe entnommen. Sie ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,70 Promille.

Aufgrund dieser Feststellungen konnte die Kammer sich nicht mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen, dass der Angeklagte tatsächlich mit dem Roller gefahren ist:

Der Angeklagte hat behauptet, dass er nicht gefahren sei. Am Freitag, dem 01.06.2007, habe er festgestellt, dass der Roller defekt sei und nicht mehr gefahren werden könne. Er habe sich deswegen an seinen Freund, den Zeugen Mo., gewandt, der ihm diesen Roller gebraucht verkauft habe. Bei diesem Zeugen habe er am Morgen des 02.06.2007 das Ersatzteil gekauft. Im Laufe des 02.06.2007 habe er jedoch keine Zeit gehabt, dieses Teil einzubauen. Er habe danach den Tag mit seiner Freundin, nämlich der Zeugin Em., und der gemeinsamen Tochter verbracht. Anschließend habe er den Abend mit seinem Vater, nämlich dem Zeugen Bö., und anderen beim Dartspielen verbracht. Dabei habe er viel Alkohol getrunken. Nachts sei er dann nach dem Dartspielen betrunken auf den Gedanken gekommen, diesen Roller von seiner damaligen Wohnung in L. zu seiner etwa 4 km entfernten Scheune zu schieben. Er habe damals befürchtet, dass andere sich über ihn lustig machten, wenn sie sähen, wie er den Roller tagsüber durch den Ort schiebe. Auf dem Weg zur Scheune sei er dann im Gras neben der Fahrbahn hingefallen und eingeschlafen.

Diese Einlassung konnte dem Angeklagten nicht mit ausreichender Sicherheit widerlegt werden. Es gab keinen Zeugen, der gesehen hat, dass der Angeklagte gefahren ist. Nach den vorhandenen Indizien ist es ohne weiteres möglich, dass er betrunken mit dem Roller bis zu der Stelle gefahren ist, wo er später gefunden wurde. Dieser Rückschluss ist aber nicht zwingend. Es ist jedenfalls nicht sicher auszuschließen, dass seine Einlassung zutrifft und dass er den Roller lediglich geschoben hat:

Es ist möglich, dass der Motor beziehungsweise der Auspuff des Rollers "noch ganz leicht warm" war, als der Zeuge He. die Temperatur überprüfte. Das würde den Rückschluss zulassen, dass der Angeklagte relativ kurze Zeit vorher mit dem Roller gefahren war. Die Kammer hielt es aber auch für möglich, dass der Zeuge sich geirrt hat. Sowohl die verlesenen und dem Zeugen vorgehaltenen schriftlichen Angaben als auch seine mündlichen Ausführungen vor der Kammer waren sehr einschränkend. Der Zeuge meinte, nur einen ganz geringen Temperaturunterschied feststellen zu können. Die Kammer konnte es nicht ausschließen, dass der Polizeibeamte erwartete, einen warmen Motor oder Auspuff vorzufinden, und dass er sich aufgrund dieser Erwartungshaltung getäuscht hat. Ebenso war es nicht völlig ausgeschlossen, dass er das Metall leicht erwärmte, als er es mit der Hand anfasste. Die Kammer hat auch berücksichtigt, dass der Angeklagte den Zeugen Mü. und He. aus früheren dienstlichen Einsätzen bekannt war. Die Zeugen teilten dazu einerseits mit, dass sie in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 2007 den Verdacht hatten, dass der Angeklagte betrunken ein Kraftfahrzeug geführt hatte. Andererseits befürchteten sie ihren Angaben zufolge auch, dass der Angeklagte ihnen gegenüber gewalttätig werden und Widerstand leisten würde. Ihnen war bekannt, dass der Angeklagte in der Vergangenheit mit derartigem Verhalten aufgefallen war. Das legt es aber auch nahe, dass der Zeuge He. die Temperatur nur flüchtig überprüfte, um anschließend seinen Kollegen Mü. zu unterstützen, der sich um den Angeklagten kümmerte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass seine schriftlichen Feststellungen in der Anzeige vom 03.06.2007 zumindest in einem Punkt nicht ganz den Tatsachen entsprechen. Nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen, die er anhand von Fotos belegt hat, kann der Motor eines Rollers der Marke K. "nur unter Verrenkungen" erreicht werden. Der Motor wird von der Verkleidung des Rollers verdeckt. Auf Vorhalt hat der Zeuge He. dann eingeräumt, dass er wohl eher den Auspuff als den Motor auf die Temperatur überprüft habe. Die anders lautenden Feststellungen in der schriftlichen Anzeige legen es nahe, dass die Temperatur des Fahrzeuges bei den Ermittlungen nicht im Vordergrund gestanden hat. Auch danach ist es jedenfalls möglich, dass der Zeuge He. sich geirrt hat.

Es kommt auch nicht darauf an, dass das Licht eingeschaltet war, wie der Zeuge He. in seiner Anzeige notiert hatte. Nach der Einlassung des Angeklagten lief der Motor nicht, weil ein bestimmtes Teil der Lichtmaschine fehlte. Der Sachverständige Dipl. Ing. Fr. hat sich das fehlende Teil durch den Angeklagten näher beschreiben und anhand von Fotos darstellen lassen. Nach den Angaben des Sachverständigen ist es aus technischer Sicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Roller nicht fährt, wenn dieses Teil fehlt. Nach seinen weiteren Angaben ist es aber trotzdem möglich, dass zumindest das Standlicht leuchtet, auch wenn dieses Teil fehlt. Das ist für die Kammer plausibel. Auch bei einem Auto kann das Standlicht über die Batterie betrieben werden, wenn die Lichtmaschine defekt ist. Wenn das Standlicht eingeschaltet war, lässt das aber nicht zwingend darauf schließen, dass der Roller vorher gefahren worden war. Es ist auch möglich, dass der Angeklagte das Mofa mit eingeschaltetem Standlicht geschoben hat. Das ist deswegen nachvollziehbar, weil der Angeklagte nachts auf einer unbeleuchteten Straße unterwegs war. Sowohl der Angeklagte als auch die Zeugen He. und Mü. haben Fotos von der Straße "Weizen" vorgelegt. Aus diesen Fotos ergibt sich, dass es im fraglichen Bereich weder eine Bebauung noch Laternen noch sonstige Lichtquellen gibt. Dann ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der betrunkene Angeklagte das Standlicht einschaltete, um etwaige Verkehrsteilnehmer auf sich aufmerksam zu machen.

Auch die sonstigen Indizien lassen nicht zwingend darauf schließen, dass der Angeklagte mit dem Roller gefahren ist. Die Zeugen Mü. und He. haben eine etwa 3 bis 4 m lange Spur im Gras festgestellt, die zum Mofa hinführte und die sie selbst als "Fahrspur" bezeichneten. Trittspuren konnten sie dagegen nicht erkennen. Diese relativ lange Spur kann dafür sprechen, dass der Angeklagte tatsächlich gefahren ist. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Straße in dem Bereich, welchen der Angeklagte angegeben hat, eine leichte Rechtskurve macht. Der Angeklagte ist seinen Angaben zufolge an einer Stelle von der Straße abgekommen, die darauf schließen lassen kann, dass er nicht richtig auf die Kurve reagiert hat, sondern geradeaus weitergefahren und so in das Gras neben der Straße gelangt ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das vom Angeklagten überreichte obere Foto in der Anlage 1 zum Protokoll verwiesen. Die Stelle, an der er von der Straße abgekommen ist, wird dort durch ein "x" gekennzeichnet. Die Kammer hält es allerdings auch für möglich, dass der Angeklagte das Mofa deswegen über etwa 3 bis 4 m durch das Gras geschoben hat, weil er erheblich unter Alkoholeinfluss stand. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass er zunächst wegen des Alkoholeinflusses nicht bemerkte, dass er sein Mofa in der Rechtskurve von der Straße weg in das Gras schob, oder dass er wegen des Alkoholeinflusses darauf zumindest nicht so reagierte, wie es von einem Nüchternen zu erwarten gewesen wäre. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass der Angeklagte an Alkohol gewöhnt ist. Das belegt der Auszug aus dem Bundeszentralregister. Sie hat aber auch berücksichtigt, dass dem Angeklagten um 04:12 Uhr eine Blutprobe entnommen wurde, die eine Blutalkoholkonzentration von 1,70 Promille ergab. Die Blutalkoholkonzentration dürfte noch höher gewesen sein, als der Angeklagte mindestens eine Stunde vorher von der Straße abgekommen war. Außerdem hat der Alkohol bei ihm in der Nacht vom 02. auf den 03.06.2007 zu Ausfallerscheinungen geführt. Der Angeklagte ist auf nicht näher geklärte Weise von der Straße abgekommen, im Gras neben der Fahrbahn liegen geblieben und dann dort eingeschlafen.

Es kommt auch nicht darauf an, dass die Polizeibeamten keine Trittspuren im Gras erkennen konnten. Die Kammer hat die Fotos in Augenschein genommen, welche die Zeugen He. und Mü. in der Nacht vom 02. auf den 03.06.2007 angefertigt haben. Es bereitet schon erhebliche Mühe, auf diesen Fotos die sogenannte "Fahrspur im Gras" zu erkennen, welche von dem Roller verursacht wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die vier Fotos Blatt 6 und 7 der Akte verwiesen. Die Kammer konnte es nicht ausschließen, dass die Polizeibeamten etwaige Fußspuren des Angeklagten übersehen haben. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Fahrspur zumindest auf den Fotos nur schwer zu erkennen ist, dass die Polizeibeamten die fragliche Stelle nur nachts gesehen haben, dass die Spur nur etwa 3 bis 4 m lang war und dass die Polizeibeamten sich aus den oben genannten Gründen möglicherweise mehr mit dem Angeklagten beschäftigen als mit den Indizien, die auf eine Trunkenheitsfahrt schließen lassen konnten. Danach ist es zumindest möglich, dass es eine Fußspur gegeben hat, welche die Polizeibeamten nicht gesehen haben.

Darüber hinaus haben die Zeugen Mü. und Ti. glaubhaft bekundet, dass der Angeklagte in Gegenwart der Polizeibeamten mehrfach fragte, ob ihn "jemand verpfiffen" habe. Das kann darauf schließen lassen, dass der Angeklagte selbst meinte, eine Straftat begangen zu haben. Dieser Rückschluss ist aber nicht zwingend. Der Angeklagte hat dazu angegeben, dass er "immer Theater mit der Polizei" gehabt habe. Die Polizei sei ständig präsent gewesen, egal, wo er sich in L. aufgehalten habe. Es sei gewesen, als ob man ihn beobachtet habe. Er habe hier wohl geglaubt, dass eine Freundin ihm grundlos die Polizei auf den Hals gehetzt hätte. "Im Vorfeld" habe er "Stress" mit der Freundin gehabt. Auch diese Einlassung konnte die Kammer nicht sicher widerlegen. Es ergibt sich schon aus dem Auszug aus dem Bundeszentralregister, dass der Angeklagte der Polizei bereits öfter aufgefallen war. Das haben auch die Zeugen Mü. und He. bekundet. Ihnen war der Angeklagte aus verschiedenen polizeilichen Einsätzen bekannt. Danach ist es möglich, dass der Angeklagte glaubte, jemand habe ihm die Polizei hinterhergeschickt, beispielsweise, um ihn zu beobachten oder in einer etwaigen verfänglichen Situation zu entdecken. Auch dabei musste die Kammer berücksichtigen, dass der Angeklagte die Tatsachen möglicherweise nicht richtig einordnen konnte, weil er erheblich unter Alkoholeinfluss stand.

Die Kammer hat bei der Beweiswürdigung nicht übersehen, dass die Einlassung des Angeklagten nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist. So erscheint es auf den ersten Blick wenig plausibel, dass der Angeklagte mitten in der Nacht den Entschluss gefasst haben soll, das Mofa über 4 km hinweg durch eine einsame Gegend zu seiner Scheune zu schieben, dort unter Umständen auf dem dort vorhandenen Sofa zu übernachten und das Mofa dann zu reparieren. Es kommt hinzu, dass die Tat dem Angeklagten auch zuzutrauen ist. Er ist mehrfach einschlägig vorbestraft. Die Kammer musste aber berücksichtigen, dass der Angeklagte zwar an Alkohol gewöhnt ist, aber in dieser Nacht erheblich betrunken war. Es ist zumindest möglich, dass er wegen dieser Trunkenheit auf den Gedanken gekommen war, das Mofa noch in der Nacht zur Scheune zu schieben. Darüber hinaus waren die Angaben des Angeklagten zum Defekt an seinem Roller widersprüchlich, worauf der Vertreter der Staatsanwaltschaft in seinem Plädoyer hingewiesen hat. Der Angeklagte hat zunächst behauptet, dass die CDI Einheit defekt gewesen sein soll. Später hat er dann angegeben, dass ein anderes Teil defekt gewesen sein soll, nämlich ein Bestandteil der Lichtmaschine. Diesen Widerspruch hat er allerdings plausibel damit erklärt, dass er sich wegen der Bezeichnung des Ersatzteils auf die Angaben des Zeugen Mo. verlassen habe. Diesem habe er den Defekt beschrieben. Der Zeuge Mo. habe ihm dann gesagt, dass das CDI Gerät defekt sei. Das lässt sich nicht widerlegen. Der Zeuge Mo. hat diese Einlassung bei seiner Vernehmung bestätigt. Die Kammer hat auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Angeklagte sicher wusste, wie die Einzelteile des Mofas bezeichnet werden. Dafür genügt es nicht, dass er eine Lehre als Kfz Mechaniker begonnen hatte. Es ist trotzdem ohne weiteres möglich, dass er die Ersatzteile dieses Roller nicht im einzelnen zutreffend bezeichnen konnte.

Die oben genannten Indizien lassen jeweils für sich genommen nicht den Rückschluss zu, dass der Angeklagte den Roller tatsächlich gefahren hat. Die Kammer hat auch beraten, ob sich das Zusammentreffen dieser Indizien noch mit Zufall erklären lässt oder ob zumindest die Indizien insgesamt den sicheren Rückschluss begründen, dass der Angeklagte gefahren ist. Für diesen Rückschluss sind die einzelnen Indizien jedoch nach Auffassung der Kammer zu schwach. Auch zusammen genommen legen sie den Rückschluss nahe, dass der Angeklagte mit dem Roller gefahren sein kann. Dieser Rückschluss ist aber nicht zwingend. Es bleibt möglich, dass die Einlassung des Angeklagten zutrifft. Sie lässt sich jedenfalls nicht sicher widerlegen."

Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd" erscheinen mag. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung jedoch dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht (z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes), wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 1 StR 582/06; BGH NJW 2005, 1727; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 1 StR 292/08 www.bundesgerichtshof.de/entscheidungen, jew. m.w.N.).

Das Landgericht hat umfänglich die den Angeklagten belastenden Indizien sowie die ihn entlastenden Umstände aufgelistet und gewürdigt. Gleichwohl werden die Abwägungen den vorstehenden Grundsätzen in wesentlichen Teilen nicht gerecht.

Zweifelhaft ist bereits, ob das Landgericht die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt hat, jedenfalls hat es jedoch den Zweifelssatz rechtsfehlerhaft angewendet und fehlerhafte Erwägungen angestellt. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichende Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 2 BvR 1378/06; BGH NStZ RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274, BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008, 1 StR 292/08, a.a.O.). Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist keine Beweis , sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (Senat, Urteil vom 22. Mai 2007 1 StR 582/06). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m.w.N.).

Das Landgericht hat den hohen Indizwert der erhobenen Beweise im Prinzip erkannt, ist aber aufgrund rechtsfehlerhafter ergänzender Erwägungen letztlich nicht zur Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelangt.

Zunächst ist nicht nachvollziehbar dargelegt, warum sich der Zeuge He. insoweit geirrt haben soll, dass eine drei bis vier Meter lange Fahrspur ohne korrespondierende Fußspuren im Gras erkennbar gewesen sein sollen. Es ist naheliegend und auf dem prozeßordnungsgemäß verwiesenen Lichtbild auch erkennbar, dass das lange Gras nachhaltig niedergedrückt war, wo es belastet worden ist. Derartige Fußspuren wären deshalb mit nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit leicht erkennbar gewesen, wenn der Angeklagte neben dem Roller hergelaufen wäre, zumal die im hohen Gras zurückgelegte Strecke drei bis vier Meter betrug. Der Aussage des Zeugen He. darf bei dieser Sachlage nicht allein deshalb ein geringerer Beweiswert beigemessen werden, dass sich der Zeuge durch den Gebrauch der Vokabel "Eindruck" lediglich und in der Sache korrekt vorsichtig ausgedrückt hat. Wenn also der Zeuge He. die gesamte "Fahrspur" in Augenschein genommen haben sollte, was sehr nahe liegt, und gleichwohl keine Fußspuren im hohen Gras festgestellt haben sollte, während das Gras im Bereich der "Fahrspur" niedergedrückt war, wäre ein Schieben des Rollers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen gewesen.

Ähnlich spekulativ verhalten sich die Erwägungen des Landgerichts zur Frage der Restwärme von Motor oder Auspuff. Abgesehen davon, dass die menschliche Hand ohne weiteres in der Lage ist, selbst geringere Temperaturunterschiede auch bei nur kurzer Berührung festzustellen, hat das Landgericht schon nicht ermittelt, ob es sich überhaupt um eine nur "flüchtige Überprüfung" durch den Zeugen He. gehandelt hat. Gerade der Umstand, dass er eine solche Überprüfung vorgenommen hat, legt anders als vom Landgericht unterstellt nahe, dass er sein Augenmerk gerade auf diese ausgesprochen naheliegende und offensichtlich wichtige Frage einer betriebsbedingten Erwärmung gerichtet hatte.

Die weiteren Erwägungen dazu, warum sich der Zeuge in diesem Zusammenhang ausnahmsweise geirrt haben könnte, halten der sachlich rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht Stand. So ist nicht nachvollziehbar dargelegt, warum der Zeuge He. in der konkreten Situation so sehr einen Angriff des Angeklagten befürchtet haben soll, dass er zu einer ausreichend konzentrierten Testung der Temperatur nicht mehr in der Lage gewesen sein sollte. Das würde bei lebensnaher Betrachtung einen Sachverhalt voraussetzen, bei dem ein erheblicher Angriff des Angeklagten aufgrund einer gefährlich drohenden Haltung des Angeklagten unmittelbar bevorstand oder gerade stattfand, wofür die getroffenen Feststellungen indes nicht das Geringste hergeben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Zeuge He. ersichtlich in unmittelbarer Nähe seines Kollegen und des Angeklagten befand, als er den Roller überprüfte, so dass er auch bei Notwendigkeit eines Eingreifens in jedem Falle sofort zur Stelle gewesen wäre.

Auch die Erwägung, der Zeuge He. könne mit seiner Handwärme den überprüften Teil des Rollers erwärmt und so einem Trugschluß erlegen sein, ist nicht nur spekulativ, sondern lebensfremd. Abgesehen davon, dass ein solcher Sachverhalt mit einer vom Landgericht an anderer Stelle unterstellten nur kurzfristigen Temperaturprüfung naturwissenschaftlich nicht zu vereinbaren ist, würde das die völlig lebensfremde Situation voraussetzen, dass der Zeuge He. zunächst durch längere Berührung des Auspuffs oder Motorteiles dieses erwärmt und anschließend bei einer erneuten Überprüfung die so vermittelte Restwärme seiner Haut gespürt hätte.

Soweit die Strafkammer möglicherweise deshalb auf die Unzuverlässigkeit des Eindrucks des Zeugen He. abstellen will, weil nach den Angaben des Zeugen "nach der Witterung in der fraglichen Nacht" eine solche Temperatur nicht zu erwarten gewesen sei, ergibt sich an keiner Stelle des Urteils, welche Witterungsverhältnisse in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 2007 überhaupt herrschten. Deshalb ist ohne weiteres aufgrund dieser Erwägungen nichts zur Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit der Aussage des Zeugen herzuleiten.

Die Erwägungen des Landgerichts zu der Spontanäußerung des Angeklagten, "ob ihn jemand verpfiffen habe", sind ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern. Die Strafkammer hat nämlich seine Einlassung, er habe geglaubt, seine Freundin habe ihm die Polizei "auf den Hals gehetzt", weil er "Streß" mit ihr gehabt habe, für nicht widerlegbar gehalten. Damit hat das Landgericht den Zweifelssatz rechtsfehlerhaft angewandt, weil es die damalige Freundin nicht zu dieser Frage vernommen hat. Es hätte jedoch zunächst überprüfen müssen, ob für eine derartige Annahme überhaupt ein realer Hintergrund bestanden hatte. Dies gilt umso mehr, als die angebliche Befürchtung des Angeklagten nach seiner nunmehrigen Einlassung nur dann Sinn macht, wenn der "Streß" mit der Freundin strafrechtlich relevanten Umfang gehabt hätte.

Berücksichtigt man weiter die gewichtigen, auch vom Landgericht aufgezeigten Indizien, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die neue Strafkammer bei rechtsfehlerfreien Erwägungen zur Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gelangt.

Die Sache bedarf daher umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung durch eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO), die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben wird, weil deren Erfolg noch nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

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