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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.12.2008
Aktenzeichen: 4 Ss 512/08
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 64
Anlass für die Prüfung der Frage der Unterbringung besteht - auch nach der Neufassung des § 64 StGB - dann, wenn es nach den Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind und sich eine entsprechende Prüfung für den Tatrichter daher aufdrängen musste.
Beschluss

Strafsache

gegen S. M.,

wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte u.a..

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 11. September 2008 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 9. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

I. Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Münster vom 5. Mai 2008 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Seine dagegen gerichtete Berufung, die der Angeklagte wirksam auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt hatte, hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er insbesondere die Nichtanwendung von § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) rügt.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat auf die erhobene Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in Ihrer Zuschrift vom 1. Dezember 2008 wie folgt ausgeführt:

"Die Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam, da das zunächst angefochtene Urteil des Amtsgerichts Münster vom 05.05.2008 ausreichende Feststellungen zu der Straftat enthält, die eine zuverlässige Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung bilden.

Der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Mit der Revision rügt der Angeklagte unter anderem die Nicht Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB. Ihr dürfte mit dieser Rüge ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen sein.

In dem Urteil des Landgerichts Münster finden sich keine Ausführungen zu einer möglichen Anwendung des § 64 StGB, so dass nicht erkennbar ist, ob sich das Landgericht Münster der Möglichkeit einer Anwendung dieser Vorschrift bewusst gewesen ist.

Hat ein Täter den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und wird er wegen auf den Hang zurückzuführender rechtswidriger Taten verurteilt, so soll das Gericht nach § 64 Abs. 1 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung darf nur unterbleiben, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint (§ 64 S. 2 StGB). Anlass für eine entsprechende Überprüfung besteht auch nach der Neufassung des § 64 StGB (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.02.2008 3 Ss 548/07 ) dann, wenn es nach den Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind und sich eine entsprechende Prüfung für den Tatrichter daher aufdrängen musste (BGH, NStZ 1992, S. 33; OLG Hamm, Beschluss vom 16.03.2006 2 Ss 67/06 ).

So liegt der Fall hier: Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seit vielen Jahren alkoholabhängig ist. Im Alter von 17 Jahren fing der Angeklagte an, auf Baustellen regelmäßig Bier zu trinken, anfangs etwa zwei bis drei Flaschen pro Tag. Dieser Konsum steigerte sich bis zum Ende seiner Tischlerlehre hin, so dass er im Alter von etwa 21 Jahren pro Tag etwa 18 Flaschen Bier trank (UA S.3). Auch in der Folgezeit hat der Angeklagte massiv Alkohol konsumiert, zeitweise etwa 5 bis 6 Flaschen Bier pro Tag, später 10 Flaschen Bier pro Tag (UA S. 3). Darüber hinaus hat das Landgericht Münster auch festgestellt, dass sich der Angeklagte mehrfach zu einer zum Teil stationären Alkoholentwöhnungsbehandlung in die LWL Klinik in Münster begeben hat (UA S. 6). In den Feststellungen des Landgerichts Münster findet sich des Weiteren, dass der Angeklagte bei den der Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten erheblich alkoholisiert war. Hinsichtlich der Tat vom 19.07.2007 verweist das Landgericht Münster auf ein Untersuchungsergebnis des Blutalkoholbefundes, das eine Blutalkoholkonzentration von 1,74 %o festgestellt hat (UA S. 7). Bezüglich der Tat vom 07.02.2008 hat das Landgericht einen vorherigen Bierkonsum von etwa 6 bis 7 Flaschen zugrunde gelegt (UA S. 7).

Angesichts dieser Feststellungen hätte die Kammer nach Anhörung eines Sachverständigen konkret das Vorliegen eines Hanges i.S. des § 64 StGB sowie darüber hinaus prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, dass der Angeklagte infolge seiner Abhängigkeit erneut rechtswidrige Taten begehen wird und ob dem durch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begegnet werden kann.

Zwar haben die bislang durchgeführten Alkoholentwöhnungsbehandlungen keinen dauerhaften Erfolg gehabt. Das Landgericht Münster hat im Rahmen der Strafzumessungserwägungen aber ausgeführt, dass der Angeklagte bereit sei, eine längere Therapie machen zu wollen (UA S. 7) und sein Alkoholproblem anzugehen (UA S. 9). Damit hat es ohne dies indessen ausdrücklich auszusprechen eine fehlende Erfolgsaussicht einer evtl. Unterbringung ausgeschlossen (zu vgl. Senatbeschluss vom 13.05.2003 4 Ss 316/03 ).

Da der Verurteilte in der Vergangenheit auch wegen Körperverletzungsdelikten aufgefallen ist (UA S. 4, 5), das Landgericht Münster die insoweit zugrunde liegenden Sachverhalte, insbesondere auch hinsichtlich einer etwa vorhanden gewesenen alkoholischen Beeinflussung, aber nicht mitteilt, kann die Frage der Gefahr der Begehung neuer erheblicher Straftaten derzeit nicht beantwortet werden (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2005 2 Ss 330/05 ).

Da die Verhängung einer Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei der Beurteilung der zu erkennenden Rechtsfolge Wechselwirkung entfalten und nach Lage des Falles nicht auszuschließen ist, dass im Falle der Anordnung der Unterbringung auf geringere Einzelstrafen bzw. eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt worden wäre, ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.)."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Das angefochtene Urteil war im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, und die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen. Diese wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben, da der Erfolg dieses Rechtsmittels noch nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

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