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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.09.2002
Aktenzeichen: 4 Ss 666/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 267
Nimmt das Berufungsgericht zugunsten des Angeklagten eine gravierende Strafrahmenverschiebung im Vergleich zum amtsgerichtlichen Urteil vor, setzt aber dennoch im Vergleich dazu eine höhere Einzelstrafe fest, ist dies nur schwer nachzuvollziehen und darf einer eingehenden und besonderen Begründung.
Beschluss Strafsache A.X. wegen schweren räuberischen Diebstahls u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XVI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 28. Dezember 2001 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 09. 2002 durch die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Die Revision wird, soweit sie den Schuldspruch betrifft, verworfen.

2. Der Tenor des angefochtenen Urteils wird insoweit jedoch klarstellend wie folgt neu gefasst:

Der Angeklagte ist - unter Freisprechung im Übrigen - schuldig des schweren räuberischen Diebstahls, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

3. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch unter Verwerfung der weitergehenden Revision hinsichtlich der Gesamtstrafe und der Einzelstrafen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht - Coesfeld hat den Angeklagten am 17. Februar 2001 des schweren räuberischen Diebstahls im minder schweren Fall, des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen und des tateinheitlichen Besitzes von und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge für schuldig befunden und auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten erkannt.

Auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Münster hat die - erweiterte - XVI. kleine Strafkammer des Landgerichts Münster unter Verwerfung der Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft im Übrigen das Urteil des Amtsgerichts Coesfeld teilweise aufgehoben und abgeändert und den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls in einem minder schweren Fall, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einem minder schweren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

In den Urteilsgründen wird ausgeführt, über die teilweise Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts hinaus sei versehentlich kein ausdrücklicher Freispruch des Angeklagten mit entsprechender Kostenentscheidung wegen eines Falles des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erfolgt.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Revision des Angeklagten, die, mit näherer Begründung, die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte wegen schweren räuberischen Diebstahls, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt und im Übrigen freigesprochen wird.

II.

Dem in zulässiger Weise erhobenen Rechtsmittel ist ein Teilerfolg beschieden.

1. Die Revision ist offensichtlich unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch des angefochtenen Urteils richtet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, § 349 Abs. 2 StPO.

2. Der Senat hat den Tenor des angefochtenen Urteils hinsichtlich des versehentlich unterlassenen Teilfreispruchs, dessen Notwendigkeit sich aus den Gründen des landgerichtlichen Urteils in Verbindung mit dem Urteil des Amtsgerichts Coesfeld ergibt, ergänzt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 354 Rdnr. 33 m.w.N.).

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte mithin des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen, begangen an den Wochenenden des 11./12. September 1999, 18./19. September 1999, 25./26. September 1999, 2./3. Oktober 1999, 9./10. Oktober 1999, 16./17. Oktober 1999 und 30./31. Oktober 1999 schuldig und bezüglich des achten, vom Amtsgericht zur Verurteilung gebrachten Falles freigesprochen.

Die Schuldspruchberichtigung im Übrigen ist geboten, da die Benennung als minder schwerer Fall als Strafzumessungsregel nicht in die Urteilsformel aufzunehmen ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 260 Rdnr. 25 m.w.N.).

Die mit der Revision begehrte Änderung der Kosten- und Auslagenentscheidung im Hinblick auf den zunächst unterlassenen und nunmehr nachgeholten Teilfreispruch musste demgegenüber unterbleiben. Insoweit hätte eine Anfechtung der Kostenentscheidung gemäß § 464 Abs. 3 StPO mit der sofortigen Beschwerde erfolgen müssen, was nicht der Fall ist. Die eingelegte Revision beinhaltet die - ausdrücklich einzulegende - sofortige Beschwerde nicht (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 464 Rdnr. 21 m.w.N.).

3. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet der Rechtsfolgenausspruch, soweit gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen jeweils eine Einzelstrafe von einem Jahr und zwei Monaten festgesetzt worden ist.

Das Amtsgericht war wegen dieser Taten jeweils von einem besonders schweren Fall gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG ausgegangen und hatte auf das gesetzliche Mindestmaß von jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe erkannt.

Demgegenüber hat das Landgericht zwar das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit bejaht, letztlich aber unter Abwägung aller Umstände das Vorliegen eines besonders schweren Falles verneint und für jede der sieben Taten den Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt. Wenn das Landgericht trotz dieser - zugunsten des Angeklagten - gravierenden Strafrahmenverschiebung jeweils eine im Vergleich zum amtsgerichtlichen Urteil höhere Einzelstrafe festsetzt, ist dies nur schwer nachzuvollziehen, zumindest hätte es einer eingehenden und besonderen Begründung bedurft. Zwar ist die Strafzumessung in der teilweise aufgehobenen amtsgerichtlichen Entscheidung kein alleiniger Maßstab für die Bemessung der Strafe in dem neuen Urteil. Das Berufungsgericht hätte jedoch eingehend und nachvollziehbar darlegen müssen, warum es trotz der Annahme des Normalfalles mit deutlich geringerer Strafandrohung bei ansonsten im Wesentlichen übereinstimmenden Strafzumessungserwägungen zu höheren Einzelstrafen gelangt ist.

Dieser besonderen Begründungspflicht wird das angefochtene Urteil nicht gerecht (vgl. BGH StV 1989, 341; OLG Köln NJW 1986, 2328; Senatsbeschlüsse vom 28. März 2000 - 4 Ss 124/00 - und vom 4. Oktober 2001 - 4 Ss 788/01 -). In der erneuten Hauptverhandlung wird zudem zu erwägen sein, ob die - relativ geringe - Handelsmenge von je 0,5 bis maximal 1 g Heroin trotz der guten Qualität des Betäubungsmittels bei einem nicht erheblich und vor allem nicht einschlägig vorbelasteten Angeklagten in Anbetracht des anzuwendenden Strafrahmens, der von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von fünf Jahren reicht, die Verhängung derart hoher und für alle Fälle gleich hoher Freiheitsstrafen, bereits für die erste Tat des Handeltreibens, erfordert.

Wegen der aufgezeigten Mängel können die sieben Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und zwei Monaten und die (unter anderem) daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben.

Die Strafzumessungserwägungen bezüglich der weiteren abgeurteilten Taten sind demgegenüber rechtlich nicht zu beanstanden. Die weitergehende Revision insoweit war daher zu verwerfen.

4. Das angefochtene Urteil war nach alledem im tenorierten Umfang unter Verwerfung der Revision im Übrigen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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