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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.09.2001
Aktenzeichen: 4 Ss 775/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 318
Zur Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung bei einem Verstoß gegen das BtM-Gesetz
Beschluß Strafsache

gegen G.B.,

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 9. April 2001 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.09.2001 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs.4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht (Schöffengericht) Ibbenbüren hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in sechs Fällen sowie unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren acht Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt und in der Berufungshauptverhandlung vom 9. April 2001 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung seines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch erklärt. Mit dem angefochtenen Urteil hat die Strafkammer die Berufung des Angeklagten "mit der Maßgabe" verworfen, dass er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr neun Monaten verurteilt wird.

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die Strafkammer hat zu Unrecht die Berufungsbeschränkung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch hingenommen und damit zugleich den Umfang ihrer Prüfungs- und Feststellungspflicht verkannt. Diesen durchgreifenden Mangel hatte der Senat auf die zulässige Revision von Amts wegen unabhängig von einer sachlichen Beschwer und ohne Bindungen an die rechtliche Beurteilung der Berufungsbeschränkung durch das Berufungsgericht zu prüfen (vergl. BGH, NStZ 1984, 566; KK-Ruß, StPO, 5. Auflage § 318 Rdnr. 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 352 Rdn. 3, 4 m.w.N.).

Zwar ist grundsätzlich der Rechtsfolgenausspruch allein anfechtbar, wenn die Schuldfeststellungen eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben. Sind sie dagegen so dürftig, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat, zu dem insbesondere der Schuldumfang zählt, nicht erkennen lassen, so. ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (vergl. BGHSt 33, 59; BayObLGSt 1968, 68). Dies ist hier der Fall.

Soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige auf der Grundlage des § 29 a BtMG in sechs Fällen verurteilt worden ist, lassen die Feststellungen zu diesen Fällen zwar erkennen, dass der Angeklagte zu den im Urteil aufgeführten Tatzeiten die im einzelnen festgestellten Mengen an Betäubungsmitteln erworben und weiterveräußert, mithin Handel getrieben hat. Dem Urteil ist aber nicht nachprüfbar zu entnehmen, in welchen Mengen er in den festgestellten Fällen die Betäubungsmittel an Minderjährige abgegeben hat. Das Landgericht hat jeweils pauschal die amtsgerichtlichen Feststellungen mitgeteilt, nach denen der Angeklagte "an die Abnehmer E., S. und A. jeweils Einzelmengen von bis zu drei Gramm zu einem Einzelverkaufspreis von jeweils etwa 10 DM je Gramm" veräußert hat. Im weiteren hat die Strafkammer hierzu ausgeführt:

"Mit dem Verkauf an die Abnehmer E., S. und A. begann der Angeklagte bereits Anfang Januar 2000, als er am 04./05. Januar 2000 100 Gramm Haschisch erworben hatte. Von sämtlichen seitdem erworbenen Mengen veräußerte er auch an diese drei jungen Leute. An den Abnehmer Eiter veräußerte er Cannabis in mindestens acht Einzelfällen, an den Abnehmer Siemens veräußerte er in mindestens 11 Einzelfällen, worunter sich auch der Einzelverkauf von drei Gramm Marihuana für 40 DM am 17./18.02.2000 fällt, an den Abnehmer A. veräußerte er Cannabis in mindestens vier Einzelfällen. Zu welchen Zeitpunkten der Angeklagte an diese drei Abnehmer veräußerte, konnte nicht sicher festgestellt werden, sicher festgestellt worden ist aber, dass der Angeklagte von den seit Anfang Januar 2000 erworbenen Cannabismengen bewusst und gewollt auch an diese drei jungen Leute wie vorerwähnt veräußerte, wobei lediglich nicht sicher festgestellt werden konnte, in wie viel Einzelfällen er von den jeweils erworbenen Mengen an diese veräußerte."

Diesen mitgeteilten Feststellungen ist eine konkrete Zuordnung zu den einzelnen selbständigen Taten nicht sicher zu entnehmen. Es bleibt offen, welche Mengen von Betäubungsmitteln er anlässlich der ihm zur Last gelegten Taten an die Minderjährigen veräußert hat. Insoweit hätte die Strafkammer gegebenenfalls Mindestfeststellungen hinsichtlich der einzelnen Taten feststellen müssen.

Abgesehen davon, dass konkrete Feststellungen insoweit fehlen, spielt neben der den Einzelfällen zuzuordnenden Menge des Rauschgifts dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Insoweit fehlt es dem angefochtenen Urteil an jeglichen Feststellungen. Soweit die Strafkammer ergänzend einen "nur geringen Wirkstoffgehalt" angenommen hat (vergl. S. 13 UA), genügt auch das nicht den Anforderungen. Insbesondere ist es nämlich für die Beurteilung des Schuldumfanges erheblich, weiche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich in den - insbesondere auch an die Minderjährigen - veräußerten Betäubungsmitteln befunden haben (BGH NStZ 1985, 271; bei Schoreit NStZ 1988, 348, 350; BayObLG 1988, 62, Körner, BtMG, 4. Aufl. § 29 Rdn. 359, 361 und § 29 a Rdn. 86 ff.). Der Tatrichter hat deshalb entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach dem Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muss vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung der Betäubungsmittel durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels auszugehen ist (vergl. auch BayObLGSt 1997, 95, 96 ). Entsprechende Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt im angesprochenen Sinne sind allenfalls im Bereich des § 29 Abs.5 BtMG entbehrlich. Insoweit entspricht es der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Begriff der geringen Menge, dass diese bis zu drei Konsumeinheiten eines Probierers umfasst (vergl. BayObLG 1995, 22, 24).

Da bereits diese Grundsätze - auch den Fall 7 des Urteils betreffend - nicht berücksichtigt sind, war die Berufungsbeschränkung mangels Feststellungen zum Umfang des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat nicht wirksam.

In der neuen Hauptverhandlung wird auch der anzuwendende Strafrahmen zu prüfen sein. Bei der bisherigen Strafzumessung hat die Strafkammer minderschwere Fälle der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige nach § 29 a Abs.2 BtMG bejaht und dabei ausgeführt, dass die allgemeinen strafmildernden Gesichtspunkte für sich allein noch nicht zur Annahme eines minderschweren Falles führen, dass jedoch "im Ergebnis" die Kammer von einem minderschweren Fall ausgegangen ist, "weil die Voraussetzungen des § 31 BtmG" vorliegen. Dies mag im Ausgangspunkt noch zutreffend sein (vergl. BGH NStZ 1987, 72; 1984, 357). In diesem Zusammenhang ist bei der Prüfung eines minderschweren Falles, wenn neben allgemeinen Milderungserwägungen (bei denen dem Wirkstoffgehalt der veräußerten Betäubungsmittel Bedeutung zukommen kann) auch ein sog. gesetzlich "vertypter" Milderungsgrund vorliegt, zuerst zu erwägen, ob schon die umbenannten Milderungsgründe für die Annahme eines minder schweren Falles ausreichen, oder ob erst das Hinzutreten des vertypten Milderungsgrundes die Tat als minderschweren Fall erscheinen lässt, oder ob - was der Tatrichter auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu beurteilen hat - der wegen des vertypten Milderungsgrundes nach § 49 StGB gemilderte Strafrahmen besser zur Ahndung des Unrechts geeignet und gegebenenfalls günstiger ist vergl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Auflage, § 50 Rdn.2 b m.w.N.

Ende der Entscheidung

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