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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.09.2002
Aktenzeichen: 4 Ss 782/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 315 c
StGB § 46
Zwar hat der Tatrichter bei der Strafzumessung einen weiten Bewertungsspielraum, gleichwohl ist eine eingehende Abwägung der wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen erforderlich. Das gilt auch in Fällen wie hier, in denen die durch Alkohol im Straßenverkehr hervorgerufenen Gefahren und Schäden grundsätzlich ein nachdrückliches und energisches Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden erfordern).
Beschluss Strafsache

gegen G.L.,

wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung u.a..

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 27. Mai 2002 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 09. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch das Amtsgericht Paderborn am 8. Februar 2002 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung (richtig: in drei Fällen) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr drei Monaten verurteilt worden. Außerdem ist ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und die Straßenverkehrsbehörde angewiesen worden, ihm vor Ablauf von noch einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte am 1. Mai 2001 gegen 10.30 Uhr die Bundesstraße 1 aus Fahrtrichtung Schlangen kommend in Richtung Paderborn. Die B 1 weist in dem Bereich, in dem sich der folgenschwere Unfall ereignete, aus der Sicht des Angeklagten eine Fahrspur, die Gegenrichtung zwei Fahrspuren aus. Enthemmt durch den genossenen Alkohol entschloss sich der Angeklagte trotz bestehenden Überholverbots zu einem Überholmanöver und kollidierte dabei mit dem von Dr. G. geführten Pkw Audi. Dr. G. verstarb am 11. Mai 2001 nach den getroffenen Feststellungen an den Folgen der Unfallverletzungen. Der Beifahrer des Angeklagten, der Zeuge B., erlitt leichte Verletzungen. Von den Mitfahrern des Dr. G. erlitt dessen Ehefrau eine Schnittwunde am Finger und Hämatome, die Tochter Sabine G. zog sich Schnittwunden im Gesicht mit verbliebener Narbenbildung und ein HWS-Syndrom zu. Zu eventuellen Verletzungen der weiteren Mitfahrerin Andrea G. ist nichts festgestellt. Der Angeklagte wurde bei dem Unfall "nicht unerheblich" verletzt. Die Verletzungen waren bis zur Hauptverhandlung noch nicht ausgeheilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel zugleich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht hat die Beschränkung des Rechtsmittels hingenommen. Das war in Anbetracht des Umstandes, dass dem Tatgericht insoweit nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen ist, noch vertretbar. Das Landgericht hat die Berufung verworfen, jedoch die Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auf acht Monate ermäßigt.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat.

II.

Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Der auf die Sachrüge vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung des angefochtenen Urteils halten die Darlegungen des Landgerichts zur Strafzumessung insgesamt nicht stand.

Dabei ist davon auszugehen, dass es grundsätzlich die Aufgabe des Tatrichters ist, die für die Strafzumessung wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu werten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Einzelakte der Strafzumessung ist u.a. nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt (vgl. BGHSt 34, 345, 349). Das ist hier der Fall.

Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass das Gericht bei den Strafzumessungserwägungen im Rahmen von §§ 46 Abs. 1, 56 Abs. 2 und 3 StGB die wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Zwar hat der Tatrichter bei der Entscheidung hierbei einen weiten Bewertungsspielraum, gleichwohl ist eine eingehende Abwägung der wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen erforderlich (BGH NStZ 1994, 336; NJW 1995, 1038). Das gilt auch in Fällen wie hier, in denen die durch Alkohol im Straßenverkehr hervorgerufenen Gefahren und Schäden grundsätzlich ein nachdrückliches und energisches Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden erfordern. Bei auf Trunkenheit zurückzuführenden Verkehrsvergehen mit schweren, insbesondere tödlichen Unfallfolgen wird deshalb die Versagung der Strafaussetzung häufig näher liegen als deren Bewilligung (BGHSt 24, 64 (68 f.)). Doch dürfen auch bei der Ahndung solcher Taten die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht außer acht gelassen werden. Vielmehr ist auch hier eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung erforderlich, bei der Tat und Täter umfassend zu würdigen sind (BGHSt a.a.O., S. 66 f; BGH NJW 1990, 193 (194)). So kann der Tatrichter aufgrund der Besonderheiten des Falles zu der Überzeugung gelangen, dass die Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat nicht als unangebracht erscheint und auch nicht den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderläuft (vgl. BGHSt 29, 370 (371)).

Vorliegend fehlt es an der gebotenen Abwägung, vielmehr sind wesentliche Gesichtspunkte unzureichend festgestellt oder sogar gänzlich unberücksichtigt geblieben.

Das gilt zunächst für die vor allem gesundheitlichen, aber auch die möglichen sonstigen Folgen der Tat für den Angeklagten. Wenn schon das Landgericht die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch hingenommen hat, hätten deshalb zumindest ergänzend Feststellungen zu den konkreten Unfallfolgen für den Angeklagten getroffen werden müssen. Das Landgericht hat hier lediglich festgestellt, dass der Angeklagte "derzeit noch" als Industriemechaniker beschäftigt ist und er den Hauptverhandlungssaal " immerhin fast dreizehn Monate nach dem Unfall " mit Krücken betreten habe. Damit sind weder die gesundheitlichen noch die sonstigen nachteiligen Folgen des Unfalls für den Angeklagten in einem Umfang festgestellt, dass die Schlussfolgerung des Landgerichts, die den Angeklagten getroffenen Folgen des Tatgeschehens ließen eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht zu, nicht rechtsfehlerfrei möglich ist.

Unberücksichtigt geblieben ist auch, ob nicht gegebenenfalls andere Ursachen als die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit für den Unfall mitursächlich geworden sind. Hier drängt sich insbesondere die Frage auf, ob das Unfallgeschehen möglicherweise auch auf eine nach der gut vierstündigen Ruhezeit verbliebene, aber unerkannt gebliebene Übermüdung des Angeklagten zurückzuführen ist. Dieser Umstand könnte für die Strafzumessungserwägungen und die Frage der Strafaussetzung Bedeutung haben.

Schließlich fehlen ergänzende Feststellungen zur Todesursache. Aufgrund der Beschränkung der Berufung steht zwar bindend fest, dass Dr. G. an den Folgen des Unfalles verstorben ist, unklar ist jedoch, ob insoweit eine enge oder eine eher weite Ursachenkette vorliegt. Derartige ergänzende Feststellungen drängen sich auf, da der Tod des Unfallopfers erst geraume Zeit nach dem Unfall eingetreten ist. Ohne dass die Ursächlichkeit der dem Angeklagten vorgeworfenen Handlung für den Tod des Dr. G. entfiele, ist einerseits möglich, dass dessen Tod unmittelbare Folge des Tatgeschehens ist, aber auch, dass nur ein mittelbarer, eher schicksalhafter Verlauf zu seinem Tode geführt hat.

Schon diese wesentlichen Punkte, die bisher in die Strafzumessungserwägungen nicht oder unzureichend eingeflossen sind, können sich auf die Höhe der Strafe und auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 2 und 3 StGB) ausgewirkt haben.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO. Diese wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben, da deren Erfolg noch nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

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