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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.07.2003
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 385/03
Rechtsgebiete: BKatV, StVG


Vorschriften:

BKatV § 4
StVG § 25
Zum (verneinten) Absehen vom Fahrverbot bei einem Rechtsanwalt
Beschluss[Bußgeldsache gegen J.S. wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaft

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen den Beschluss des Amtsgericht Menden vom 17. Februar/28. März 2003 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 07. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Betroffenen bzw. dessen Verteidigers gemäß § 79 Abs. 5 OWiG beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass gegen den der fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 45 km/h schuldigen Betroffenen eine Geldbuße von 125,00 Euro und ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats festgesetzt wird. Es wird bestimmt, dass das verhängte Fahrverbot erst dann wirksam wird, wenn der Führerschein des Betroffenen nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene.

Gründe:

Der Landrat des Märkischen Kreises hat mit Bußgeldbescheid vom 3. Januar 2003 gegen den Betroffenen wegen (fahrlässiger) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein Bußgeld in Höhe von 160,- Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats mit der Maßgabe nach § 25 Abs. 2 a StVG festgesetzt, weil der Betroffene am 5. September 2002 mit dem Pkw Porsche, amtliches Kennzeichen xxxxxxxxxx, in Menden die Unnaer Landstraße die dort zulässige innerörtliche Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 45 km/h überschritten hat.

Hiergegen hat der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt, den er mit Schreiben vom 14. Januar 2003 unter Hinweis auf seine Eingabe vom 12. Dezember 2002 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.

Das Amtsgericht hat im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG durch Beschluss vom 17. Februar 2003 gegen den Betroffenen ein Bußgeld vom 320,- Euro festgesetzt. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat es abgesehen.

Diesen Beschluss hat das Amtsgericht, nachdem die Staatsanwaltschaft Arnsberg ein Rechtsmittel eingelegt hatte, gemäß § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG mit Beschluss vom 28. März 2003 begründet. Unter Hinweis auf eine straßenverkehrsrechtliche Voreintragung des Betroffenen, nach der gegen ihn durch Bußgeldbescheid vom 28. März 2001 wegen Geschwindigkeitsüberschreitung um 34 km/h ein Bußgeld von 150,- DM festgesetzt worden ist, hat das Amtsgericht bei der Rechtsfolgenbemessung folgendes ausgeführt:

"Da der Betroffene eine einschlägige Voreintragung aufweist, war die Regelgeldbuße von 125,- EUR angemessen zu erhöhen. Eine Erhöhung auf 160,- EUR ist nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall angemessen.

Nach § 4 Abs. 1 Bußgeldkatalogverordnung kommt die Anordnung eines Fahrverbots gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht, wenn die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 der Bußgeldkatalogverordnung aufgeführten Tatbestände verwirklicht sind. Diese Voraussetzungen liegen hier bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 45 km/h vor (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Bußgeldkatalogverordnung).

Das Gericht hat im vorliegenden Fall jedoch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, bei gleichzeitiger angemessener Erhöhung der Geldbuße von der Anordnung eines Fahrverbots abzusehen.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nur in Ausnahmefällen von der Anordnung eines (Regel-) Fahrverbot abgesehen werden kann und nicht jeder wirtschaftliche oder berufliche Nachteile eine Ausnahme vom Regelfahrverbot rechtfertigt. Vielmehr kann eine Ausnahme grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn besondere Härten vorliegen, zudem die Verhängung des Fahrverbots führen würde.

Das Gericht ist der Überzeugung, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen dafür gegeben sind, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen.

Der Betroffene hat im Schriftsatz seines Verteidigers vom 12.12.2002, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, im Einzelnen und nachvollziehbar unter Beifügung entsprechender Unterlagen dargelegt, dass angesichts der Struktur der Anwaltssozietät, der er angehört, der Struktur der Mandantschaft und der örtlichen Besonderheit, dass für ihn eine relativ große Anzahl verschiedener Gerichte erreichbar sein muss, die Verhängung eines Fahrverbotes zu erheblichen Auswirkungen auf seine berufliche Tätigkeit und damit auf seine wirtschaftliche Situation führen würde.

Sicherlich würde sich die Verhängung eines Fahrverbotes für den Betroffenen nicht existenzbedrohend auswirken. Es ist aber von wirtschaftlichen Beeinträchtigungen in einem Ausmaß auszugehen, das auch unter Berücksichtigung der Voreintragung in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem in Rede stehenden Regelverstoß stehen würde.

Im diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass auch Mandanten eines Rechtsanwaltes, der in den Augen der Öffentlichkeit mehr und mehr in die Stellung eines allgemeinen Dienstleisters rückt, nicht mehr bereit sind, Einschränkungen in der Dienstleistungsbereitschaft des von ihnen beauftragten Anwalts hinzunehmen und in weitaus stärkerem Maße als früher sehr schnell bereit sind, einen Anwaltswechsel vorzunehmen, wenn der ursprüngliche beauftragte Anwalt - aus welchen Gründen auch immer - ihnen mit seiner Dienstleistung nicht so uneingeschränkt zur Verfügung steht, wie sie dies von ihm erwarten.

Der Betroffene könnte bei Verhängung eines Fahrverbots auch unter Ausnutzung der Möglichkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs Gerichtstermine mit Sicherheit nicht mehr in den bisherigen - und von der Mandantschaft erwarteten - Umfang wahrnehmen. Durch den erheblichen vermehrten Zeitaufwand allein schon für die Anreise zu Gerichtsterminen würde sich zwangsläufig die Zahl der von dem Betroffenen in seiner Kanzlei wahrzunehmenden Besprechungstermine verringern. Dies hätte zur Folge, dass Mandanten länger auf einen gewünschten Gesprächstermin warten müssten, als jedes heute oftmals zu tun bereit sind.

Das Gericht ist daher der Ansicht, dass die Verhängung eines Fahrverbotes im konkreten Fall wirtschaftliche Auswirkungen auf den Betroffenen haben würde, die eine Bezeichnung als Härtefall rechtfertigen und in keinem vernünftigen Verhältnis zum Regelverstoß mehr stehen.

Die zur Akte gelangten Vermerke der Polizeidienststellen geben darüber hinaus Veranlassung zu der Feststellung, dass dem Betroffenen nicht zur Last gelegt werden kann, dass er zur Tatzeit Fahrer eines Pkw Porsche und nicht etwa eines asiatischen Kleinwagens war.

Im Rahmen eines Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht weicht das Tatbild von Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle doch letztlich in einem solchen Maße ab, dass das Fahrverbot unangemessen wäre. Von daher war die Geldbuße unter gleichzeitigem Fortfall des Regelfahrverbotes angemessen zu erhöhen. Der nunmehr festgesetzte Betrag von 320 EUR erscheint ausreichend und angemessen."

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg mit der näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Sie vertritt die Auffassung, dass das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots rechtfehlerhaft sei. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten.

Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Es führt zur Festsetzung der Regelbuße von 125 Euro und zur Verhängung eines Fahrverbots für die Dauer eines Monats mit der Maßgabe nach § 25 Abs. 2 a StVG. Insoweit hat der Senat von seiner Möglichkeit zur eigenen Entscheidung nach § 79 Abs. 5 OWiG Gebrauch gemacht.

Nach den rechtskräftig feststehenden Feststellungen hat der Betroffene am 5. September 2002 um 9.59 Uhr die in Menden innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h überschritten. Danach liegt - hiervon geht das Amtsgericht zutreffend aus - ein Regelfall für die Verhängung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 4 Abs. 1 Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 des Anhang zu Nr. 11 BKatV vor.

Die Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen aber nicht das Absehen von dem Regelfahrverbot.

Von der Anordnung eines Fahrverbots kann nur ausnahmsweise gem. § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen werden, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, das die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt und die Verhängung des Fahrverbots trotz der groben Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher durchschnittlicher Umstände ausreicht. Die Entscheidung, ob der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und somit ein Absehen von dem Fahrverbot rechtfertigt, unterliegt zwar in erster Linie der Würdigung des Tatrichters (vgl. BGHSt 38, 231 ff (237)), dem eine gewisse Entscheidungsfreiheit eingeräumt ist (vgl. BGHSt 38, 125 ff (126)). Sie kann vom Rechtsbeschwerdegericht aber auf das Vorliegen von Ermessensfehlern überprüft werden. Wenn das Tatgericht die Grenzen seiner Ermessensfreiheit - wie hier - in unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat, ist eine Entscheidung im Rechtbeschwerdeverfahren angreifbar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10.12.1996 in 3 Ss OWi 1405/96).

Umstände, die es im vorliegenden Fall rechtfertigen könnten, von der Verhängung des Regelfahrverbots abzusehen, liegen aber nach den Feststellungen des Amtsgerichts Menden nicht vor. Im Hinblick auf die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft liegen keine Anhaltspunkte dahingehend vor, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruhen könnte. Ein Absehen bei einfacher Fahrlässigkeit kommt schon deshalb nicht in Betracht (vgl. hierzu BGH, NJW 1997, 322 und 50 ff = VRS 94/221 ff).

Von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass nur ausnahmsweise von der Verhängung eines Regelfahrverbotes abgesehen werden kann, nämlich dann, wenn entweder die Umstände so aus dem Rahmen üblicher Begehungsweise fallen, dass die Vorschriften über das Regelfahrverbot offensichtlich nicht darauf zugeschnitten sind oder wenn die Anordnung für den Betroffenen eine Härte ganz außerordentlicher Art bedeuten würde. Eine außergewöhnliche Härte ist aber nicht schon bei beruflichen Nachteilen gegeben. Wirtschaftliche Nachteile sind nämlich häufig Folge eines Fahrverbots. Sie rechtfertigen in der Regel keine Ausnahme, weil sie selbstverschuldet sind. Von einem drohenden Arbeitsplatz- oder Existenzverlust geht das Amtsgericht aber selbst nicht aus. Die vom Amtsgericht beschriebenen Hinweise auf Art und Umfang der anwaltlichen Tätigkeit schliessen keinesfalls aus, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, die Zeit des Fahrverbots durch Urlaub, den er im Hinblick auf die Maßgabe nach § 25 Abs. 2 a StVO entsprechend einrichten kann, oder unter Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxen oder eines Fahrers (Büroangestellte) überbrücken kann. Die allgemeinen Erwägungen des Amtsgerichts im Zusammenhang mit der Dienstleistungsbereitschaft eines Rechtsanwalts sind einerseits eher spekulativ, andererseits liegen sie neben der Sache und betreffen nicht die Person des Betroffenen.

Mit der Verhängung des Fahrverbots ist die vom Amtsgericht vorgenommene Erhöhung der Regelbuße um die Hälfte auf 320,- Euro nicht mehr gerechtfertigt. Da in der Zwischenzeit auch die vom Amtsgericht aufgeführte Voreintragung vom 28. März 2003 tilgungsreif sein dürfte, und die vorliegende Tat sonst keine Besonderheiten für eine Erhöhung der Regelbuße aufweist und der Betroffene in jedem Fall in durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, sind keine Gründe gegeben, von der Regelbuße für die Überschreitung der zulässsigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h innerorts abzugehen. Der Senat hat deshalb die Regelbuße von 125,- Euro erkannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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