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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.05.2003
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 386/03
Rechtsgebiete: AEntG


Vorschriften:

AEntG § 3 Abs. 1
Ein Arbeitgeber, der seine Mitteilungspflichten nach § 3 Abs. 1 AEntG seinem pflichtgemäßen Kenntnisstand entsprechend ordnungsgemäß erfüllt hat, handelt nicht ordnungswidrig, wenn sich die Arbeitsaufnahme eines Arbeitnehmers aus für ihn nicht vorhersehbaren Gründen kurzfristig verzögert und er eine Berichtigung seiner Anmeldung nicht vornimmt.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

4 Ss OWi 386/03 OLG Hamm

Bußgeldsache

gegen

wegen fahrlässig begangenen Verstoßes gegen § 3 AEntG.

Auf den Antrag des Betroffenen vom 20. Dezember 2002 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff. OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Münster vom 17. Dezember 2002 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 27. Mai 2003 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Leygraf, den Richter am Oberlandesgericht Eichel und den Richter am Oberlandesgericht Duhme (zugleich als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 2 Nr. 2 OWiG)

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen (Entscheidung des Einzelrichters).

2. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Betroffene wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, freigesprochen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen zwei fahrlässig begangener "Ordnungswidrigkeiten gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 2 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG)" zu zwei Geldbußen von je 100 Euro verurteilt.

Hiergegen richtet sich der rechtzeitig eingelegte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den der Betroffene ausweislich der Sendezeile des entsprechenden Telefaxes rechtzeitig und formgerecht unter konkludenter Erhebung der Sachrüge begründet hat.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen, denn es bedarf der Klärung, ob sich ein Betroffener einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 3, 3 Abs. 1 AEntG schuldig macht, der eine ordnungsgemäße Anmeldung nach § 3 Abs. 1 AEntG vornimmt, unvorhersehbare Änderungen des Arbeitsbeginns der Arbeitnehmer jedoch nicht nachmeldet (Entscheidung des Einzelrichters).

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung des Betroffenen.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffenen:

"I.

Der 42 Jahre alte Betroffene ist Angestellter der Firma E. M. S.A., Warszawa (nachfolgend Firma E. M.). Die Firma E. M. erbringt überwiegen Bauleistungen im Sinne des § 211 SGB III und unterhält in Deutschland eine unselbständige Niederlassung mit der Firmierung E. M. S.A. unter der Anschrift xxx. Der Betroffene ist Leiter der buchhaltungs- und verwaltungstechnischen Abteilung der Betriebsstätte der Firma E. M. S.A. in Deutschland und zuständig für die Abwicklung der nach dem Entsendegesetz vornehmenden Meldungen.

II.

1.) In den von dem Betroffenen abgegebenen und unterschriebenen Meldung(en) gem. § 3 des Arbeitnehmer Entsendegesetztes (AEntG) vom 18.12.2000 teilte der Betroffene mit, dass die polnischen Arbeiter D., G. und S. auf der Baustelle D. Lengerich eingesetzt werden und ihre - voraussichtlich bis zum 31.03.2001 dauernde - Beschäftigung am 03.01.2001 jeweils aufnehmen werden. Tatsächlich nahmen die Arbeiter D., G. und S. die Arbeiten erst am 04.01.2001 auf. Hierüber informierte der Betroffene das zuständige Arbeitsamt nicht.

2.) Durch vom Betroffenen abgegebene unterschriebene Meldung vom 05. Januar 2001 erfolgte seitens des Betroffenen die Anmeldung von sechs polnischen Arbeitern, darunter auch des Si., die ihre Arbeit am 08. Januar 2001 aufnehmen sollten und auf der Baustelle D Lengerich bis zum 24. September 2001 beschäftigt werden sollten. Tatsächlich nahm der Arbeiter Si. seine Tätigkeit erst am 10. Januar 2001 auf. Auch hierüber machte der Betroffene dem zuständigen Arbeitsamt keine Meldung. 3.) Durch vom Betroffenen abgegebene und unterschriebene Meldung vom 07. April 2001 teilte dieser dem Arbeitsamt wiederum mit, dass fünf polnische Arbeiter, darunter der Arbeiter St., vom 19. April 2001 bis voraussichtlich zum 30. Juni 2001 auf der bereits erwähnten Baustelle D Lengerich eingesetzt werden. Tatsächlich nahm der Arbeiter St. die Arbeit erst am 23. April 2001 auf. Auch hierüber informierte der Betroffene das zuständige Arbeitsamt nicht. Die Abweichungen der schriftlichen Anmeldung von den tatsächlichen Belegschaftszahlen an den genannten Tagen wurde durch Ermittlung des Arbeitsamtes aufgedeckt.

Ob der Betroffene bewusst und in Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse auf den genannten Baustellen die korrekte Beschäftigungsmitteilung gegenüber dem Arbeitsamt unterlassen hat, ist in der Hauptverhandlung nicht festgestellt worden. Das Gericht geht jedoch zugunsten des Betroffenen davon aus, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass die Unterlassung der Berichtigungsmitteilungen auf fehlender Information und mangelhafter Informationsmöglichkeit seitens der jeweiligen Vorarbeiter beruhte. Hätte sich der Betroffene - dem die Pflicht gegenüber dem Landesarbeitsamt oblag, genaue Angaben über die Anzahl und Personalien der Arbeiter, die tatsächlich ihre Arbeit auf den jeweiligen Baustellen aufgenommen hatten, mitzuteilen - durch eigene Feststellungen oder - nach entsprechender Unterweisung und Belehrung der Vorarbeiter auch über die Kommunikationsmöglichkeiten mit der Firma - durch andere Personen die erforderlichen Informationen beschafft, hätte er unschwer diese an die Arbeitsverwaltungsbehörde weiterleiten können und es so erreicht, dass die von ihm gemachten Angaben u.a. über den Beginn der Tätigkeit der eingesetzten Arbeiter den tatsächlichen Verhältnissen auf den jeweiligen Baustellen die von ihm gemachten Angaben u.a. über den Beginn der Tätigkeit der eingesetzten Arbeiter den tatsächlichen Verhältnissen auf den jeweiligen Baustellen entsprachen."

Das Amtsgericht hat seiner Entscheidung die Einlassung des Betroffenen zugrundegelegt, die Arbeitnehmer D., G. und S. hätten ihre Arbeit am 4. statt am 3. Januar 2001 verspätet aufgenommen, weil sie aufgrund des großen Reiseverkehrs ihre Fahrkarte nicht hätten lösen können. Der Zeuge Si. habe seine Arbeit um zwei Tage verspätet aufgenommen, weil er aus persönlichen Gründen nicht habe vorher anreisen können. Die um vier Tage verspätete Arbeitsaufnahme des Zeugen St. habe auf dessen Erkrankung beruht.

Das Amtsgericht hat den unter 1.) dargestellten Vorwurf gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt und im übrigen auf die bereits dargestellten Rechtsfolgen erkannt. Die aufgeführten Gründe der verspäteten Arbeitsaufnahme und die Problematik der Verständigkeitsmöglichkeiten mit den verschiedenen Baustellen entlaste den Betroffenen zwar vom Vorwurf des Vorsatzes, nicht aber von dem der Fahrlässigkeit. Gemäß § 3 Abs. 1 AEntG sei von einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, der einen oder mehrere Arbeitnehmer innerhalb des Geltungsbereichs des AEntG beschäftige, vor Beginn jeder Bauleistung eine schriftliche Anmeldung in deutscher Sprache bei dem für den Ort der Baustelle zuständigen Landesarbeitsamt vorzulegen, die die für die Prüfung wesentlichen Angaben enthalte, u.a. auch Angaben über Beginn und voraussichtliche Dauer der Beschäftigung. Wenn auch der Betroffene bei Abgabe seiner Anmeldungen vom 18. Dezember 2000, 5. Januar und 7. April 2001 davon ausgegangen sei, daß die genannten Arbeitnehmer ihre Tätigkeit wie mitgeteilt aufgenommen haben würden, habe ihn das nicht von der Verpflichtung entbunden, diese Angaben, wenn sie nachträglich falsch geworden seien, unverzüglich zu korrigieren. Nur so könne der Zweck der Mitteilungen gewährleistet werden. Das sei auch für jeden Laien jederzeit leicht einsehbar.

Diese Sichtweise, mag sie auch nach dem Gedanken des Arbeitnehmerentsendegesetz nachvollziehbar sein, verkennt den u.a. auch in § 3 OWiG festgelegten Verfassungsgrundsatz, daß eine Handlung nur dann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden darf, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.

Nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 3 Abs. 1 AEntG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig vor Beginn jeder Bauleistung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig eine schriftliche Anmeldung in deutscher Sprache bei dem für den Ort der Bauleistung zuständigen Landesarbeitsamt vorlegt, die die für die Prüfung wesentlichen Angaben enthält. Wesentlich sind nach § 3 AEntG die Angaben u.a. über den Beginn der Beschäftigung.

Gegen diesen Bußgeldtatbestand hat der Betroffene nicht verstoßen, da er, seinem Informationsstand entsprechend und ohne daß ihm nach den getroffenen Feststellungen insoweit ein Verschulden nachgewiesen werden könnte, die erforderlichen Angaben rechtzeitig und nach dem ihm möglichen Kenntnisstand richtig gemacht hat. Daß ein Betroffener auch ordnungswidrig handelt, der (kurzfristig) eingetretene Änderungen der wesentlichen Angaben nicht nachträglich anzeigt oder korrigiert, ist gesetzlich nicht bestimmt. Ob etwas anderes gilt, wenn sich die Arbeitsaufnahme so erheblich verzögert, so daß die Arbeitsaufnahme als neues Arbeitsverhältnis anzusehen sein könnte, muß der Senat nicht entscheiden. Damit kann das Verhalten des Betroffenen zumindest in den vorliegenden Fällen nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Da ergänzende Feststellungen, die zu einer Verurteilung des Betroffenen führen könnten, nach Ansicht des Senats ausgeschlossen sind, war der Betroffene unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung freizusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StGB.



Ende der Entscheidung

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