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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.07.2008
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 550/08
Rechtsgebiete: StVO, OWiG


Vorschriften:

StVO § 3
StVO § 4
OWiG § 17 Abs. 2
OWiG § 17 Abs. 3
OWiG § 19
Zum Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung.
Beschluss

Bußgeldsache gegen A. G.,

wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung u.a..

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Rheine vom 11. April 2008 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 07. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Rheine zurückverwiesen.

Gründe:

I. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sowie fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes um weniger als 3/10 des halben Tachowertes" zu einer Geldbuße von 730,00 Euro und unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG zu einem zweimonatigen Fahrverbot verurteilt. Außerdem hat es dem Betroffenen gestattet, die Geldbuße in monatlichen Teilbeträgen von 100,00 Euro zu zahlen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung des materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die in zulässiger Weise erhobene Sachrüge hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Die Feststellungen zum objektiven Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Abstandsunterschreitung sind allerdings sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden. Nicht rechtsfehlerfrei begründet ist allerdings der festgestellte Vorsatz des Betroffenen hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit in ihrer Zuschrift an den Senat vom 10. Juli 2008 folgendes ausgeführt:

"Die auf die Sachrüge vorzunehmende Überprüfung der angefochtenen Entscheidung führt zu dem Ergebnis, dass die Beweiswürdigung des Urteils an einem Rechtsfehler leidet, der zu dessen Aufhebung nötigt.

Die Feststellungen des Amtsgerichts Rheine tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Verkehrsverstoß sich außerhalb geschlossener Ortschaft auf einer Autobahn zugetragen hat, auf der - zumindest grundsätzlich - eine Geschwindigkeitsbeschränkung nicht besteht. Auch die Tatsache, dass der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen eingeräumt hat, zu schnell gefahren zu sein, vermag die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht zu begründen, zumal Leugnen aufgrund des von der Polizei gefertigten Videofilms auch wenig Sinn gemacht hätte. Der Betroffene hat sich jedoch eingelassen, die die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrsschilder, die nach den Urteilsfeststellungen am linken Fahrbahnrand angebracht waren, nicht gesehen zu haben. Allein die Tatsache, dass auf dem von der Polizei gefertigten Videofilm die geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrsschilder deutlich sichtbar sind, ist nicht geeignet, die Einlassung des Betroffenen zu widerlegen. Weitere Ausführungen dazu, warum das Gericht die Einlassung des Betroffenen als Schutzbehauptung ansieht, enthält die angefochtene Entscheidung nicht. Die Feststellungen des Amtsgerichts zu einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sind daher lückenhaft und unterliegen der Aufhebung."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Da der Senat nicht für völlig ausgeschlossen hält, dass in einer neuen Hauptverhandlung tragfähige ergänzende Feststellungen zur inneren Tatseite getroffen werden können, die möglicherweise auch eine Verurteilung wegen Vorsatzes rechtfertigen könnten, war das Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Ein weiterer sachlich-rechtlicher Mangel besteht darin, dass das Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden Ordnungswidrigkeiten nicht hinreichend dargelegt worden ist. Zwar wird im Rahmen der Rechtsfolgenbemessung erwähnt, beide Ordnungswidrigkeiten stünden in Tateinheit, auf einer dargelegten Tatsachengrundlage beruht diese rechtliche Würdigung jedoch nicht. Die Richtigkeit lässt sich allenfalls vermuten, da beide Ordnungswidrigkeiten zeitgleich erfolgt sein sollen, wobei dann allerdings nur schwer nachvollziehbar ist, dass das Fahrzeug mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gemessen worden sein soll.

Das Konkurrenzverhältnis hätte im Tenor der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck kommen müssen, wobei die Größenordnung der Abstandsunterschreitung in den Tenor nicht aufzunehmen ist.

Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch der gesamte Rechtsfolgenausspruch.

Die Berechnung der Geldbuße erinnert an eine - in vielen Fällen nicht unübliche - Gesamtstrafenbildung im Strafrecht. Bei Vorliegen von Tateinheit hätte das Amtsgericht jedoch von §§ 19, 17 Abs. 3 OWiG ausgehen müssen und die höchste verwirkte Geldbuße angemessen erhöhen müssen, um so der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem Maß des Vorwurfs insgesamt angemessen Rechnung zu tragen. Insoweit ist es zudem in jedem Fall rechtsfehlerhaft, allein wegen der Annahme von Vorsatz den Regelsatz der Geldbuße für die Geschwindigkeitsüberschreitung nach der Bußgeldkatalogverordnung (Nr. 11.3.8 der Tabelle 2 im Anhang zu Nr. 12 der Anlage) zu verdoppeln. Ein solcher "Mechanismus" lässt sich insbesondere nicht aus § 17 Abs. 2 OWiG ableiten.

Auch die Ausführungen zur Dauer des Fahrverbotes lassen rechtliche Bedenken aufkommen. Insoweit ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil Hinweise darauf, dass die Verhängung eines zweimonatigen Fahrverbotes für den Betroffenen eine unzumutbare Härte darstellen könnte, wenn er tatsächlich nur als Taxifahrer tätig ist und die Angaben zu seinem Einkommen richtig sein sollten, woran jedoch Bedenken bestehen. Ausgehend von einem festgestellten Einkommen von 699,00 Euro wäre nämlich kaum vorstellbar, dass er die Kosten für seine Unterkunft und Verpflegung sowie monatliche Raten von 100,00 Euro aufbringen könnte. Die Erwägungen des Amtsgerichts, dass sonst "gegen einen Taxifahrer praktisch nie ein Fahrverbot verhängt werden" könnte, gehen schon deshalb fehl, weil sich nicht die Frage stellt, ob ein einmonatiges, sondern ein zweimonatiges Fahrverbot verhängt werden muss. Der Betroffene hatte insoweit ausweislich der Urteilsgründe angegeben, ein einmonatiges Fahrverbot durch Urlaub überbrücken zu können. Insoweit besteht deshalb weitreichender Aufklärungs- und Abwägungsbedarf. Das Gericht wird dabei jedoch dem Gewicht der begangenen Ordnungswidrigkeiten, wie es in den Regelrechtsfolgen der Bußgeldkatalogverordnung Niederschlag gefunden hat, und den verkehrsrechtlichen Vorbelastungen insoweit großes Gewicht beizumessen und zu berücksichtigen haben, dass ein Abweichen von den Regelrechtsfolgen nur in engen Grenzen zuzulassen ist.

Die Sache bedarf somit insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung durch das Amtsgericht Rheine. Veranlassung, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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