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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 626/03
Rechtsgebiete: StVG, BKatV


Vorschriften:

StVG § 24 a
BKatV § 4
StPO § 267
1. Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 24 a StVG.

2. Die Wahrscheinlichkeit des behaupteten Arbeitsplatzverlustes als Folge eines Fahrverbots ist einer besonders gründlichen und kritischen Prüfung zu unterziehen. Das Vorbringen des Betroffene , im Falle eines Fahrverbots mit der Kündigung rechnen zu müssen, reicht in aller Regel allein nicht aus. Aber auch eine schriftliche Erklärung des Arbeitgebers ist ebenso kritisch zu hinterfragen. Dabei wird auf die zeugenschaftliche Vernehmung des Arbeitgebers, um sich einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit verschaffen zu können und die Möglichkeit einer - im beiderseitigen Interesse - liegenden bloßen Gefälligkeitsbescheinigung auszuschließen, zumeist nicht verzichtet werden können.


Beschluss

Bußgeldsache

gegen A. L.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 1 StVG

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen das Urteil des Amtsgerichts Menden vom 18. Juli 2003 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 10. 2003 durch die Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Menden zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 18. Juli 2003 wegen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,36 mg/l gemäß § 24 a Abs. 1 StVG eine - erhöhte - Geldbuße von 600,- € festgesetzt, von der Verhängung des Regelfahrverbots indes abgesehen.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft mit ergänzendem Bemerken beigetreten.

Der Betroffene hat die zunächst von ihm eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgenommen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet und führt zu der Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt.

Dieses weist durchgreifende Rechtsfehler auf, die der Wirksamkeit der Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch entgegenstehen, da die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen lückenhaft sind.

Zwar unterliegen die Urteilsgründe in Verfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit grundsätzlich keinen übertrieben hohen Anforderungen, wenn ein standardisiertes Messverfahren zur Anwendung gekommen ist. Um ein derartiges standardisiertes Messverfahren handelt es sich bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration mit Hilfe des Geräts Alcotest 7110 Evidential MK III der Firma Dräger. Wenn kein Verfahrensbeteiligter die Funktionstüchtigkeit des Messgeräts in Zweifel zieht, müssen in den Entscheidungsgründen lediglich Messmethode und Atemalkoholwerte mitgeteilt werden (vgl. Beschluss des hiesigen 3. Senats vom 2. Oktober 2001 - 3 Ss OWi 989/00 - in NZV 2002, 198; Hentschel, Die Entwicklung des Straßenverkehrsrechts im Jahre 2002, NJW 2003, 716, 725 m.w.N.).

Diesen - ohnehin eingeschränkten - Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehlt die Mitteilung, mit welchem Gerät bzw. welcher Messmethode die Atemalkoholkonzentraton bestimmt worden ist. Ferner wird nur e i n Messwert, offenbar der Mittelwert, genannt. Schließlich lässt das Urteil jegliche Ausführungen zur Frage, ob der Betroffene vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, vermissen.

Auch der Rechtsfolgenausspruch weist in seiner Begründung zum Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots durchgreifende Rechtsfehler auf.

Zwar kann von der Verhängung eines Regelfahrverbots auch im Falle einer Verurteilung nach § 24 a Abs. 1 StVG ausnahmsweise - ggf. unter Erhöhung der Regelgeldbuße - abgesehen werden, wenn entweder die Tatumstände so aus dem Rahmen üblicher Begehungsweisen fallen, dass die Vorschrift über das Regelfahrverbot offensichtlich darauf nicht zugeschnitten ist, oder aber die Anordnung für den Betroffenen eine Härte ganz außergewöhnlicher Art bedeuten würde (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., Rdnr. 18 zu § 25 StVG m.w.N.). Eine derartige Härte kann der vom Amtsgericht im vorliegenden Fall angenommene drohende Arbeitsplatzverlust als Folge des Fahrverbots sein. Der Tatrichter muss für diese seine Überzeugung vom Vorliegen eines Ausnahmefalles jedoch eine auf Tatsachen gestützte Begründung geben (vgl. BGHSt 38, 231, 237), die sich nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen darf (ständige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. OLG Hamm, VRS 95, 138, 140; Hentschel, a.a.O., Rdnr. 26 m.w.N.). Zwar ist es dem Tatrichter nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung zu glauben. Die Wahrscheinlichkeit des behaupteten Arbeitsplatzverlustes als Folge eines Fahrverbots ist jedoch einer besonders gründlichen und kritischen Prüfung zu unterziehen. Ein Betroffener hat regelmäßig ein hohes Eigeninteresse daran, die Verhängung eines Fahrverbots zu vermeiden, so dass sein Vorbringen, im Falle eines Fahrverbots mit der Kündigung rechnen zu müssen, in aller Regel allein nicht ausreicht. Aber auch die schriftliche Erklärung des Arbeitgebers, der üblicherweise betriebsbedingt ein Interesse an der uneingeschränkten Mobilität seines Mitarbeiters hat, ist ebenso kritisch zu hinterfragen. Dabei wird auf die zeugenschaftliche Vernehmung des Arbeitgebers, um sich einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit verschaffen zu können und die Möglichkeit einer - im beiderseitigen Interesse - liegenden bloßen Gefälligkeitsbescheinigung auszuschließen, zumeist nicht verzichtet werden können.

Im Übrigen sind die angeblich negativen Folgen eines Fahrverbots und die verschiedenen Möglichkeiten, diese abzumildern, im Einzelnen konkret abzuklären. Insoweit ist festzustellen, ob und in welchem Umfang der Betroffene auf die Benutzung seines PKW angewiesen ist. Die beruflichen Einsätze und Fahrtstrecken sind ggf. durch schriftliche Unterlagen zu belegen. Daneben ist zu prüfen, ob für die Zeit der Vollstreckung des Fahrverbots ggf. ein anderer Fahrer zur Verfügung steht oder die Einsatzstellen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Dadurch zusätzlich anfallender Zeit- und Kostenaufwand rechtfertigt nicht das Absehen vom Fahrverbot, sondern ist als selbstverschuldet, die Denkzettelfunktion dieser Maßnahme unterstreichend, hinzunehmen. Ferner ist zu prüfen, ob die nachteiligen Folgen des Fahrverbots ganz oder teilweise durch Urlaub auszuschließen sind. Die auffällig häufig anzutreffende Einlassung des Betroffenen, nicht oder nicht in der erforderlichen Länge über Urlaub zu verfügen, ist, auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht, kritisch zu hinterfragen.

Der nach alledem vom Tatgericht zu leistende Aufklärungs- und Begründungsaufwand rechtfertigt sich dadurch, dass ein Fahrverbot in aller Regel die einzig angemessene und vor allem, wegen der einschneidenden Wirkung, spürbare und erzieherische Reaktion auf schweres verkehrsrechtliches Fehlverhalten ist. Auch aus Gründen der Gleichbehandlung ist es nicht hinnehmbar, dass sich ein Teil der Verkehrsteilnehmer unter Hinweis auf angebliche berufliche Nachteile durch ein zwar erhöhtes, aber selten wirklich belastendes Bußgeld davon freikauft, während andere, etwa Hausfrauen und Rentner, sich mit der vom Gesetzgeber an sich gewollten Regelfolge abzufinden haben.

Den aufgezeigten Anforderungen wird das angefochtene Urteil, das neben der Behauptung des Betroffenen, im Falle der Verhängung eines Fahrverbots seinen Arbeitsplatz zu verlieren, auf ein inhaltlich nur unvollständig wiedergegebenes und nicht eindeutiges Schreiben des Arbeitgebers stützt, nicht gerecht.

Soweit das Amtsgericht zwei Vorbelastungen des Betroffenen aus Bußgeldbescheiden vom 17. März 1998 und 18. Februar 2002 im Rahmen der Erhöhung der Regelgeldbuße berücksichtigt hat, ist im Übrigen Folgendes anzumerken:

Zum einen fehlt die Mitteilung der Rechtskraftdaten. Da gemäß § 29 Abs. 6 S. 3 StVG die Eintragung einer Ordnungswidrigkeit spätestens nach Ablauf von fünf Jahren getilgt wird, könnte die Voreintragung des Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung laut Bußgeldbescheid vom 17. März 1998 einem Verwertungsverbot unterliegen. Zum anderen fällt bezüglich der Voreintragung laut Bußgeldbescheid vom 18. Februar 2002 auf, dass ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils insoweit gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 54 km/h angeblich nur die Regelgeldbuße von 150,- € festgesetzt worden ist, nicht aber das Regelfahrverbot. Sollte diese Angabe daher, was naheliegt, unvollständig sein und gegen den Betroffenen nur einige Monate vor der hier betroffenen Tat bereits ein Fahrverbot verhängt und vollstreckt worden sein, dürfte ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots im vorliegenden Falle trotz eines neuerlichen schweren Fehlverhaltens im Straßenverkehr und der damit zutage getretenen Unbelehrbarkeit kaum zu rechtfertigen sein (vgl. zur Frage der Verhängung eines Fahrverbots trotz drohenden Arbeitsplatzverlustes - dort Taxifahrer - OLG Hamm VRS 90, 213).

Nach allem war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Menden zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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