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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.01.2008
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 741/07
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 74
StPO § 137
StPO § 216
Das Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung durch einen Rechtsanwalt einerseits und das Interesse der Justiz an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens andererseits sind gegeneinander abzuwägen, wobei dem Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang gebührt.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen V.O.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 07. September 2007 gegen das Urteil des Amtsgerichts Warburg vom 29. August 2007 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 01. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Warburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Gegen den Betroffenen ist durch Bußgeldbescheid des Landrats des Kreises Höxter vom 10. Mai 2007 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 36 km/h außerorts eine Geldbuße in Höhe von 125,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt worden.

Das Amtsgericht Warburg hat den dagegen gerichteten Einspruch des Betroffenen vom 29. Mai 2007 mit folgender Begründung verworfen:

"Der Betroffene ist in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben.

Die Erkrankung des Verteidigers, die nicht glaubhaft gemacht ist, reicht nicht aus, da der Einspruch auch bei Anwesenheit des Verteidigers wegen Ausbleibens des Betroffenen verworfen worden wäre. Eine Vollmacht zur Vertretung in der Bußgeldsache als Betroffener befindet sich nicht in der Akte.

Der Einspruch ist daher nach § 74 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) verworfen worden."

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und führt zu einem - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Ein Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG ist zwar grundsätzlich mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Hier hat der Betroffene durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 07. September 2007 ausdrücklich nur die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Die Begründung des Rechtsmittels mit Schriftsatz vom 04. Oktober 2007 lässt jedoch hinreichend deutlich erkennen, dass der Betroffene geltend macht, der Amtsrichter habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung nach § 74 Abs. 2 OWiG verkannt und es aufgrund dessen rechtsfehlerhaft unterlassen, den Hauptverhandlungstermin wegen der krankheitsbedingten Verhinderung des Verteidigers zu verlegen. Dieser Vortrag genügt noch den Erfordernissen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdnr. 48 b; OLG Brandenburg, JMBl. BB 2005, 94).

Das Rechtsmittel ist auch begründet.

Der Betroffene rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Begriff der genügenden Entschuldigung im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG verkannt habe.

Die dem Amtsgericht obliegende prozessuale Fürsorgepflicht hätte es geboten, den Hauptverhandlungstermin wegen der Erkrankung des Verteidigers, die im Übrigen über die anwaltliche Versicherung hinaus nicht weiter glaubhaft zu machen ist, antragsgemäß zu verlegen.

Soweit das Amtsgericht eine Vollmacht des Verteidigers zur Vertretung des Betroffenen vermisst - die bis zu diesem Zeitpunkt in der Akte befindliche schriftliche Vollmacht bezieht sich lediglich auf die "Angelegenheit Zeugenaussage der M. und O. GmbH" - ist klarzustellen, dass eine Vollmachtsurkunde als schriftlicher Nachweis für die Beauftragung des Wahlverteidigers nicht vorgeschrieben ist (vgl. Göhler a.a.O., § 60 Rdnr. 13 und § 73 Rdnr. 26 m. w. N.). Die Bevollmächtigung kann sich auch aus den Umständen des Einzelfalles ergeben (Göhler a.a.O.). Hier hat sich der Verteidiger u. a. mit Schriftsatz vom 28. März 2007 ausdrücklich für den Betroffenen V.O. als anwaltlicher Vertreter gemeldet und mit Schriftsatz vom 29. Mai 2007 gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht hat den Verteidiger ausweislich der Verfügung Bl. 41 d. A. und des Empfangsbekenntnisses Bl. 42 d. A. auch zum Hauptverhandlungstermin geladen. An der Bevollmächtigung des Verteidigers kann unter diesen Umständen kein ernsthafter Zweifel bestehen.

Der Verlegungsantrag ist rechtzeitig gestellt worden. Das entsprechende Fax ist am Terminstage nach vorrangegangener telefonischer Ankündigung um 8.23 Uhr beim Amtsgericht eingegangen. Der Beginn der Hauptverhandlung war auf 11.20 Uhr terminiert.

Diesem Antrag hätte das Amtsgericht stattgeben müssen.

Es war für den Betroffenen im vorliegenden Falle nicht zumutbar, sich auf eine Hauptverhandlung ohne seinen gewählten Verteidiger einzulassen. Zwar gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG nicht den Beistand durch einen bestimmten Verteidiger (vgl. Göhler a.a.O., § 80 Rdnr. 16 a m. w. N.). Zudem hat ein Betroffener gem. § 228 Abs. 2 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG keinen Anspruch darauf, im Falle der Verhinderung des Verteidigers die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Andererseits kann gem. § 137 Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG sich ein Betroffener in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes durch einen Verteidiger bedienen. Das Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung durch einen Rechtsanwalt einerseits und das Interesse der Justiz an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens andererseits sind gegeneinander abzuwägen, wobei dem Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang gebührt (vgl. Beschluss des Senats vom 06. März 2006 - 4 SsOWi 44/06 -; Göhler a.a.O., § 71 Rdnr. 30 m. w. N.). Das gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene - wie hier - den Tatvorwurf bestreitet und die im Verurteilungsfalle zu erwartenden Rechtsfolgen - hier: Verhängung eines Fahrverbots - einschneidend sind.

Der Betroffene war daher nach allem als entschuldigt anzusehen. Die Einspruchsverwerfung war mithin rechtsfehlerhaft.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung (vgl. Göhler a.a.O. Rdnr. 48 m. w. N.) des Amtsgerichts Warburg zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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