Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.06.2008
Aktenzeichen: 4 U 56/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 936
ZPO § 927
ZPO § 929 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 19. Februar 2008 verkündete Urteil der VI. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

A.

Die Parteien streiten um die Aufhebung der vom Senat im Senatstermin vom 13.11.2007 verkündeten Urteilsverfügung wegen nicht rechtzeitiger Vollziehung innerhalb der Monatsfrist des § 929 II ZPO. Über die ursprüngliche Hauptsache, nämlich über die Verbotswidrigkeit der Bezeichnung der Antragsgegner "die neue Leitmesse der Region (OWL)", wird nicht mehr gestritten. Die Antragsgegner haben diesbezüglich mit Schreiben vom 14.12.2007 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird gemäß § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils S. 2 bis 4 verwiesen.

Das Landgericht hat die Urteilsverfügung des Senats vom 13.11.2007 aufgehoben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückgewiesen. Es hat sich auf die §§ 936, 927 und 929 II ZPO gestützt und dazu ausgeführt, dass die Vollziehung binnen eines Monats ab Verkündung zu erfolgen habe. Dies sei vorliegend nicht geschehen. Die Parteizustellung sei erst am 21.12.2007 erfolgt. Auf den Streit der Parteien, wann das anwaltliche Schreiben der Antragstellerin vom 11.12.2007 den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegner zugegangen sei, komme es nicht an, denn die Ablichtung des Verhandlungsprotokolls sei zum Zwecke der Parteizustellung schlechthin ungeeignet. Deshalb komme auch keine Heilung nach § 189 ZPO in Betracht. Das Landgericht hat dabei die Frage, ob sich die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Vollziehungsfrist um die rechtzeitige Zurverfügungstellung des Urteils bemüht haben, offen gelassen, da es auf ein Verschulden der Antragstellerin ebenso wenig ankomme wie auf etwaige gerichtliche Versäumnisse.

Die Antragstellerin wendet sich hiergegen mit der von ihr eingelegten Berufung, mit der sie die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und damit die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung begehrt. Sie macht zunächst eine Rechtsverletzung geltend, weil das Landgericht ihren Vortrag - dass ihre Vertreter nach Verkündung des Urteils des OLG Hamm am 13.11.2007 mehrfach bei der Geschäftsstelle des 4. Zivilsenats hätten nachfragen lassen, wann mit der Zurverfügungstellung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils zu rechnen sei - als streitigen Vortrag angesehen habe. In materieller Hinsicht gehe das Landgericht zwar von dem Grundsatz aus, dass die Vollziehung des Urteils in aller Regel nur durch Parteizustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils bewirkt werden könne. Das Urteil verhalte sich aber nicht auch über etwaige Ausnahmen, die hier eingreifen würden. Mit Schreiben vom 11.12.2007 nebst Übersendung der beglaubigten Ablichtung des Verhandlungsprotokolls mit der Urteilsformel vom 13.12.2007 sei den Antragsgegnern eine zuverlässige Kenntnis über die gegen sie ergangenen Maßnahmen gegeben worden. Die in dem Verhandlungsprotokoll umfassend abgedruckte Urteilsformel sei unabänderlich. Infolgedessen sei dem telos des § 929 ZPO bereits mit dem Zugang des Verhandlungsprotokolls nebst Urteilsformel Genüge getan. Auf die jeweilige Urkundsqualität könne es dabei nicht ankommen. Es sei auch nicht ersichtlich, welchen weiteren Schutz der Schuldner durch die maschinenschriftlichen Namenszüge unter dem Urteil, die der Betrachter einer vollstreckbaren Ausfertigung eines Titels nur zur Kenntnis nehmen könne, im Vergleich zum Verhandlungsprotokoll nebst Urteilsformel erfahren solle. Auch sei eine andere Betrachtungsweise dann angezeigt, wenn das erkennende Gericht die vom obsiegenden Anspruchsgläubiger beantragte vollstreckbare Ausfertigung nicht innerhalb der gesetzlichen Vollziehungsfrist erteile. Ansonsten sei die Antragstellerin durch die zu späte Zurverfügungstellung des vollstreckbaren Titels rechtlos gestellt. Das Urteil müsse dann aber wenigstens im Wege der Heilung vollstreckbar bzw. vollziehbar bleiben. Bei der Übersendung des Schreibens vom 11.12.2007 handele sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um die Übermittlung eines "schlechthin ungeeigneten" Schriftstücks. Die Übermittlung einer beglaubigten Ablichtung des Verhandlungsprotokolls nebst Urteilsformel könne allenfalls als ein geringfügiger Formfehler gewertet werden. Das Gericht müsse den Zugang in demjenigen Zeitpunkt als erfolgt behandeln, in dem der Zustellungsadressat das Dokument in seinen Besitz bekommen habe. Das Schreiben sei nicht erst mit dem Aufsetzen des Eingangsstempels in den Besitz der Antragsgegnervertreter gelangt, sondern bereits mit dem Einwurf in deren Postfach.

Die Antragstellerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts vom 19.02.2008 aufzuheben und die durch das OLG Hamm erlassene einstweilige Verfügung vom 13.11.2007 aufrechtzuerhalten.

Die Antragsgegner beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragsgegner verteidigen das Urteil mit näheren Ausführungen. Sie bestreiten mehrfache Nachfragen der Antragstellerin bei der Geschäftsstelle des 4. Zivilsenats, um eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils zu erhalten. Sie meinen, die Übermittlung des Schreibens vom 11.12.2007 nebst einer beglaubigten Abschrift des Verhandlungsprotokolls spiele keine Rolle, da einzig und allein eine Ausfertigung des Urteils, versehen mit dem Beglaubigungsvermerk der Geschäftsstelle und dem Dienstsiegel, eine zur Vollziehung geeignete Ausfertigung darstelle. Ebenso sei unerheblich, ob die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mehrfach eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils bei der Geschäftstelle des Senats angefordert hätten. Dabei sei anzunehmen, dass diese eine vollstreckbare Ausfertigung des vollständig begründeten Urteils und nicht eine abgekürzte Ausfertigung beantragt hätten. Die Antragstellerin habe die verspätete Erteilung selbst zu vertreten und könne sich nicht auf diesen Umstand berufen. Auch sei das fragliche Schreiben, wie die Antragsgegner behaupten, bei ihren Prozessbevollmächtigten erst am 17.12.2007 in die Post gegeben worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist unbegründet.

Die Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 13.11.2007 nach §§ 936, 927, 929 II ZPO durch das Landgericht ist mangels rechtzeitiger Vollziehung zu Recht erfolgt.

Der Aufhebung steht zunächst nicht entgegen, dass - nach Ablauf der Vollziehungsfrist - die Unterwerfungserklärung der Antragsgegner vom 14.12.2007 erfolgt ist. Denn hierdurch sollte lediglich das Hauptsacheverfahren vermieden werden. Mit dem Aufhebungsantrag wollen die Antragsgegner nunmehr der Ordnungsmittelandrohung und der Kostenlast für das Verfügungsverfahren entgehen. Ein widersprüchliches Verhalten liegt insoweit - insofern gegebenenfalls anders, als dies bei einer Abschlusserklärung der Fall gewesen wäre - nicht vor.

Die einstweilige Verfügung vom 13.11.2007 ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 929 II ZPO vollzogen worden. Ist dies so, so wird die einstweilige Verfügung unheilbar unwirksam (BGHZ 112, 356 ff.; Teplitzky, 9. Aufl. 2007, Kap. 55 Rn. 50 m.w.N.). Sie ist im Verfahren nach § 927 ZPO wegen insoweit veränderter Umstände mit Wirkung ex tunc aufzuheben, wobei die Verfahrenskosten einschließlich der des ursprünglichen Verfügungsverfahrens dem Gläubiger aufzuerlegen sind (Senat NJW-RR 1990, 1214). Auch bei der einstweiligen Verfügung in Urteilsform bedarf es zum Erhalt ihrer Bestandskraft der rechtzeitigen Vollziehung.

Die Vollziehungsfrist beginnt - bei der Urteilsverfügung - mit der Verkündung. Diese war am 13.11.2007. Die Vollziehungsfrist, die weder verzichtbar noch verlängerbar, insgesamt nicht disponibel ist (Zöller-Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 929 Rn. 3), endete daher mit Ablauf des 13.12.2007. Innerhalb dieser Frist ist die übliche und grundsätzlich zu fordernde Zustellung des Urteils im Parteibetrieb nach §§ 191 ff. ZPO nicht erfolgt. Eine solche Zustellung geschah erst am 21.12.2007, d.h. verspätet.

Im Allgemeinen "genügt", wenn die einstweilige Verfügung ein nach § 890 ZPO zu vollstreckendes Unterlassungsgebot an den Schuldner enthält, zur Wahrung der Frist die Zustellung der Verfügung an den Schuldner. Denn diese bewirkt die mit § 929 II ZPO auch angestrebte Verdeutlichung, dass es dem Gläubiger mit der Durchsetzung des erwirkten Titels ernst ist. Die Vollziehungsfrist soll im Interesse des Schuldnerschutzes verhindern, dass der Arrest bzw. die Verfügung unter wesentlich veränderten Umständen vollzogen wird als unter denen, die seiner Anordnung zugrunde gelegen haben (BGHZ 112, 361), und umgekehrt sicherstellen, dass der Grund hierfür im Zeitpunkt der Vollziehung noch fortwirkt (BVerfG NJW 1988, 3141; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 929 Rn. 3 m.w.N.).

Gesichert ist dabei auch, dass nicht schon die Zustellung der Urteilsverfügung im Amtsbetrieb, hier überdies erfolgt erst am 18.12.2007, als Vollziehung anzusehen ist (BGHZ 120, 73, 78 f. = GRUR 1993, 415). Erst recht kann dann nicht auch bereits die Zustellung des Terminsprotokolls, hier unmittelbar nach dem Senatstermin vom 13.11.2007, durch das Gericht als ausreichend angesehen werden.

Nach allgemeiner Meinung kommt zur Vollziehung von Urteilsverfügungen allein oder jedenfalls in aller Regel die Parteizustellung in Betracht (vgl. Bernecke, 2. Aufl. 2003, Rn. 312 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BGH sind neben der Parteizustellung indes noch andere Vollziehungsmaßnahmen anzuerkennen, durch die der Gebrauchmachungs- bzw. Durchsetzungswille des Gläubigers hinreichend verdeutlicht werden kann (BGH WRP 1989, 514, 517; BGHZ 120, 73, 78 f. = WRP 1993, 308 - Straßenverengung), so insbesondere bei Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen, wie etwa der Zustellung eines Ordnungsmittelantrags oder bei einer vom Schuldner vereitelten und deshalb unwirksamen Vollziehungsmaßnahme (Teplitzky, a.a.O., Kap. 55 Rn. 42). Aber nicht jede auch unmissverständliche Leistungsaufforderung oder den Vollziehungswillen erkennbar machende Handlung des Gläubigers ist in diesem Zusammenhang bereits als deren Vollziehung anzusehen. Es muss sich vielmehr um ähnlich formalisierte oder urkundlich belegte, jedenfalls leicht feststellbare Maßnahmen handeln wie die Parteizustellung (BGH a.a.O.; weitere Nachweise bei Bernecke und Teplitzky, jeweils a.a.O.).

Dazu kann die Zustellung von Anwalt zu Anwalt gemäß Schreiben vom 11.12.2007 - auch wenn dieses den Antragsgegner-Vertretern rechtzeitig innerhalb der Vollziehungsfrist zugegangen sein sollte, was streitig ist - nicht gezählt werden (vgl. Senat, Urt. v. 26.02.1987, GRUR 1987, 853; OLG Frankfurt NJW-RR 1995, 445; Bernecke, a.a.O., Rn. 222; s.a. OLG Dresden NJW-RR 2003, 1721, wonach selbst die Zustellung der einstweiligen Verfügung durch eigenes Einschreiben/Rückschein nicht genügt). Die (wenn auch vom Anwalt beglaubigte) Ablichtung des Verhandlungsprotokolls über die mündliche Verhandlung des Gerichts, das auch die verkündete Urteilsformel enthält, ist keine förmliche Ausfertigung des Urteils und kann diese auch nicht ersetzen. Das Protokoll selbst ist kein Vollstreckungstitel, der vollzogen wird. Es mangelt bis dato an den Unterschriften der beteiligten Richter. Die Authentizität und die Richtigkeit des Urteils können, auch wenn die Entscheidung nach § 318 ZPO bereits bindend ist, vorbehaltlich der erforderlichen Richterunterschriften und gegebenenfalls auch nötiger Berichtigungen im Sinne von §§ 164 ff. ZPO nicht abschließend festgestellt werden. Überdies bedarf es im Hinblick auf eine etwaige Schadensersatzverpflichtung des Gläubigers nach § 945 ZPO einer klaren Fixierung des Vollziehungszeitpunkts, die durch die Übersendung des Terminsprotokolls so nicht erzielt werden kann. Insofern ist es auch keineswegs angezeigt, von der Senatsrechtsprechung gemäß Urteil vom 26.02.1987 abzuweichen. Die Ablichtung des Verhandlungsprotokolls zum Zwecke der Parteizustellung ist und bleibt "schlechthin ungeeignet". Daran würde sich auch nichts ändern, wenn das erkennende Gericht die vom obsiegenden Gläubiger beantragte vollstreckbare Ausfertigung des (gegebenenfalls abgekürzten) Urteils nicht innerhalb der gesetzlichen Vollziehungsfrist erteilt hat, so dass im Streitfall auch dahin stehen kann, ob (was bestritten und so auch nicht festzustellen ist) ausreichende Bemühungen stattgefunden haben, um eine zunächst abgekürzte Urteilsausfertigung zu erhalten (vgl. Senat a.a.O.). Denn bei der Regelung des § 929 II ZPO handelt es sich um eine Schuldnerschutzvorschrift, die insoweit zu seinen Lasten nicht disponibel ist. Auf ein Verschulden der Antragstellerin kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob gerichtliche Versäumnisse zugrunde gelegen haben (OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 763 f.). Im Übrigen wurde von Seiten der Antragstellerin hier ersichtlich verabsäumt, im Rahmen des Fristenlaufes rechtzeitig konkret auch die Erteilung einer abgekürzten Ausfertigung des Urteils zu beantragen und diesem Begehren entsprechenden Nachdruck zu verleihen. Es kann hier schon nicht festgestellt werden, dass hier überhaupt - weder schriftlich noch mündlich - innerhalb der Vollziehungsfrist bis zum 13.12.2007 die Erteilung eines abgekürzten Urteils beantragt worden ist.

Eine Heilung von Zustellmängeln im Hinblick auf das Schreiben vom 11.12.2007 nach § 189 ZPO kommt nicht mehr in Betracht. Eine solche ist nur möglich für Mängel im Zustellvorgang, nicht aber auch für Mängel, die dem Schriftstück selbst anhaften (Teplitzky, a.a.O., Kap. 55 Rn. 47 a; Bernecke, a.a.O., Rn. 315 f.; jeweils m.w.N.). Vorliegend haben die Rechtsanwälte der Antragsgegner innerhalb der Vollziehungsfrist nicht das richtige Schriftstück, nämlich die Ausfertigung des zu vollstreckenden Urteils, wegen eines Fehlers im Zustellvorgang in die Hände bekommen, sondern lediglich das Terminsprotokoll, das diese Voraussetzungen, wie ausgeführt, eben nicht erfüllt.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 I, 708 Nr. 10 ZPO.



Ende der Entscheidung

Zurück