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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.02.2006
Aktenzeichen: 4 UF 225/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2. 8. 2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

A.

Die Klägerin ist die Tochter der Beklagten aus deren seit dem 21. 9. 2004 rechtskräftig geschiedener Ehe mit dem Vater der Klägerin. Bis zum 7. 5. 2005 lebte die Klägerin bei der Beklagten und danach bei ihrem Vater. Sie geht zur Schule und hat kein eigenes Einkommen.

Bei der Beklagten lebt die am 8. 9. 1986 geborene Schwester der Klägerin, N, für die der Vater der Klägerin Barunterhalt in Höhe von monatlich 316 € leistet. N besucht die Gesamtschule, um ebenso wie die Klägerin das Abitur zu machen.

Die Beklagte arbeitet als Verkäuferin für die Fa. N2; der Vater der Klägerin bezieht eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.535,00 €. Hinzu kommt ein Nebenverdienst in Höhe von 325 €. Bei seinem Ausscheiden bei der S AG im Jahre 2002 erhielt er eine Abfindung in Höhe von 20.000 €.

Die Klägerin hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren auf Zahlung des Mindestunterhalts am Mai 2005 in Anspruch genommen; die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat sich darauf berufen, dass sie bei einem Nettoeinkommen von rund 1.000 € und unvermeidbar überhöhten Wohnungskosten nicht leistungsfähig sei.

Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat

der Beklagten ein bereinigtes Nettoeinkommen (unter Einbeziehung von Sonderzahlungen) in Höhe von 1.029 € monatlich zugerechnet und hieraus unter Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehaltes für die Zeit bis zum 30. 6. 2005 einen monatlichen Unterhaltsanspruch in Höhe von 189 € und ab 1. 7. 2005 in Höhe von 139 € errechnet.

Mit ihrer hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages weiter.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

B.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, denn ein Unterhaltsanspruch der Klägerin besteht nicht, weil die Beklagte nicht leistungsfähig ist.

I.

Die Beklagte erzielt ein bereinigtes Erwerbseinkommen in Höhe von durchschnittlich 993,81 € im Monat.

1.

Aus den vorgelegten Verdienstbescheinigungen für die Monate Januar bis Oktober 2005 ergibt sich ein Bruttoeinkommen in Höhe von 15.084,32 €; darin sind das im Juni 2005 ausgezahltes Urlaubsgeld von 153 € sowie das im Oktober ausgezahlte Weihnachtsgeld von 205 € enthalten. Das Nettoeinkommen beträgt einschließlich der Sonderzahlungen 10.885,32 €, wovon (bei einer Nettoquote von rund 71%) ein Nettobetrag von rund 254 € auf die Sonderzahlungen entfällt. Da die Sonderzahlungen auf einen Zeitraum von 12 Monaten umzulegen sind, sind sie zunächst herauszurechnen, so dass sich eine Zwischensumme von (10.885,32 - 254 =) 10.631,32 € ergibt; das sind monatlich 1.063,13 €. Hinzu kommen die Sonderzahlungen in Höhe von (254 : 12 =) 21,17 €, so dass das Nettoeinkommen im Durchschnitt 1.084,30 € betragen hat.

Der Arbeitgeberanteil an den vermögenswirksamen Leistungen ist mit der Nettoquote und damit in Höhe von (20,72 x 0,71 =) 14,71 € in Abzug zu bringen, so dass sich ein Resteinkommen von 1.069,59 € ergibt.

2.

Hiervon sind Fahrtkosten in Höhe von 75,78 € in Abzug zu bringen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Beklagte normalerweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fährt und für das "Ticket 2000" monatlich 37,38 € aufzuwenden hat. Allerdings hat die Beklagte unwidersprochen dargelegt und durch Vorlage des Arbeitsvertrages belegt, dass sie an unterschiedlichen Verkaufsstellen eingesetzt wird, weshalb sie mehrmals im Monat darauf angewiesen ist, mit ihrem PKW zur Arbeit zu fahren. Deshalb muss die Beklagte aus beruflichen Gründen ein Kraftfahrzeug vorhalten; die hierfür erforderlichen Kosten entsprechend mindestens dem insoweit geltend gemachten Abzugsbetrag von 38,40 €. Es ergeben sich somit Fahrtkosten in Höhe von (37,38 + 38,40 =) 75,78 €.

3.

Sonstige Abzüge sind dagegen nicht vorzunehmen:

a)

Kosten für das Reinigen der Arbeitskleidung sind nicht zu berücksichtigen, denn es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die erforderlichen Reinigungskosten für die Arbeitskleidung höher sind als die andernfalls für die Reinigung der Privatkleidung anfallenden Kosten.

b)

Auch ein restlicher Barunterhaltsbedarf für die bei der Beklagten lebende volljährige Tochter N ist nicht zu berücksichtigen. Unstreitig zahlt der Vater der Klägerin für N einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 316 €, so dass für den Unterhalt einschließlich des Kindergeldes 470 € zur Verfügung stehen. Dass dieser Betrag zur Deckung des Barunterhaltsbedarfs von N nicht ausreicht, ist nicht mit Substanz dargelegt worden.

Es verbleibt damit ein bereinigtes Einkommen der Beklagten in Höhe von 993,81 €.

II.

Weitere - fiktive - Einkünfte aus einer Aufstockung ihrer derzeitigen Tätigkeit oder aus einer Nebentätigkeit sind der Beklagten nicht zuzurechnen.

1.

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Beklagte gegenüber der minderjährigen Klägerin nicht gesteigert unterhaltspflichtig ist, weil mit dem Vater der Klägerin ein weiterer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist (§ 1603 Abs. 2 S. 3 BGB).

a)

Anderer unterhaltspflichtiger Verwandter im Sinne dieser Vorschrift kann auch der andere Elternteil sein, sofern dieser unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen in der Lage ist, den Barunterhalt des Kindes ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu leisten. Dann kann die verschärfte Unterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils entfallen. Der andere Elternteil erfüllt zwar seine Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern grundsätzlich in vollem Umfang durch deren Pflege und Erziehung, während der andere Elternteil den Barunterhalt allein zu tragen hat. Dieser Grundsatz der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gilt allerdings nicht uneingeschränkt; beispielsweise gilt er nicht für Zusatzbedarf (BGH FamRZ 1983,689). Auch für den normalen Unterhaltsbedarf gilt er nicht, wenn die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des betreuenden Elternteils deutlich günstiger sind als die des anderen Elternteils. In einem solchen Fall kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils sich ermäßigen oder ganz entfallen, insbesondere dann, wenn der nicht betreuende Elternteil zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre, während der andere Elternteil neben der Betreuung des Kindes auch den Barunterhalt leisten könnte, ohne dass dadurch sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet wäre. Die Inanspruchnahme des nicht betreuenden Elternteils darf nicht zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen (BGH FamRZ 1998, 286, 288; vgl. auch Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage, § 2 Rn. 274 m. w. N.).

b)

Im Streitfall ist der Vater der Klägerin als betreuender Elternteil ohne weiteres in der Lage, den Barunterhalt für die Klägerin ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhaltes zu leisten. Er verfügt über eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.535,00 € sowie über ein Zusatzeinkommen aus einer Nebentätigkeit in Höhe von 325,00 €; sein Gesamteinkommen beträgt mithin - ohne Berücksichtigung der in 2002 gezahlten Abfindung in Höhe von 20.000 € - 1.860 €. Ob die Abfindung - was nahe liegt - monatsanteilig als zusätzliches Einkommen zu berücksichtigen ist, kann offen bleiben. Darlehensverbindlichkeiten - die der Beklagte erstmals im Senatstermin vom 26. 1. 2006 geltend gemacht hat - sind nicht in Abzug zu bringen, denn es ist davon auszugehen, dass der Darlehensbelastung ein entsprechender Wohnwert gegenübersteht; ein per Saldo negativer Wohnwert ist nicht dargetan. Dem Vater der Klägerin stehen für Unterhaltszwecke damit 860 € bzw. ab 1. 7. 2005 monatlich 760 € zur Verfügung, ohne dass sein angemessener Selbstbehalt (1.000 € bis zum 30. 6. 2005, danach 1.100 €) beeinträchtigt würde. Damit kann der Barunterhaltsbedarf sowohl für N als auch für die Klägerin bestritten werden.

Die Inanspruchnahme der Beklagten würde auch zu einem erheblichen Ungleichgewicht der Ehegatten führen, denn der Beklagten verbliebe dann nur der notwendige Selbstbehalt von 840 € bzw. ab 1. 7. 2005 von 890 €, während dem Vater der Klägerin deutlich mehr als der angemessene Selbstbehalt verbliebe. Hinzu kommt, dass der Vater der Klägerin über ein nicht unbeträchtliches Vermögen verfügt oder jedenfalls verfügt hat; er selbst hat sein Endvermögen vorprozessual (ohne die Doppelhaushälfte) mit 46.512 € angegeben. Schließlich hat der Senat berücksichtigt, dass die Beklagte für ihr geringes Einkommen nahezu vollschichtig arbeitet, während der lediglich berufs-, nicht aber erwerbsunfähige Vater der Klägerin nur einer geringfügigen Nebenbeschäftigung nachgeht und im übrigen eine Rente bezieht.

2.

Deshalb ist die Beklagte weder zu einer Aufstockung ihrer Tätigkeit noch zur Aufnahme einer Nebentätigkeit verpflichtet. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Erwerbstätigkeit der Beklagten nur minimal hinter einer vollschichtigen Tätigkeit zurückbleibt, denn aus den vorliegenden Verdienstbescheinigungen ergeben sich unter Zugrundelegung des vertraglichen Stundenlohnes von 9,04 € durchschnittlich rund 163 Stunden im Monat. Dies ist - zumal die Beklagte an 6 Tagen pro Woche arbeitet - unterhaltsrechtlich zu akzeptieren.

III.

Der Beklagten ist der angemessene Selbstbehalt von 1.000 € bis zum 30. 6. 2005 bzw. 1.100 € ab 1. 7. 2005 zuzubilligen, denn aus den oben dargelegten Gründen ist die Beklagte nicht gesteigert unterhaltspflichtig. Da ihr durchschnittliches Einkommen unter den vorgenannten Beträgen liegt, ist die Beklagte nicht leistungsfähig und damit zum Unterhalt für die Klägerin nicht verpflichtet.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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