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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: 4 Ws 136/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
Bei mehreren aufeinander folgenden, denselben Gegenstand betreffenden Haftentscheidungen kann grundsätzlich nur jeweils die letzte Haftentscheidung angefochten werden kann. Etwas anderes gilt aber dann, wenn dies lediglich zu einer sachlich nicht gebotenen kurzfristigen erneuten Haftentscheidung desselben Spruchkörpers führen und die erstrebte Anrufung des Beschwerdegerichts dadurch ohne sachlich zwingende Gründe verzögert würde, weil derselbe Spruchkörper erst kurz zuvor eine ausreichend begründete Haftentscheidung als Beschwerdegericht getroffen hat.
Beschluss

Strafsache gegen K. L.,

wegen versuchten Totschlags u.a.,

hier: Haftbeschwerde.

Auf die (Haft-)Beschwerde des Angeklagten vom 30. April 2008 gegen den Haftfortdauerbeschluss der 1. großen Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Paderborn vom 24. April 2008 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 05. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I. Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Paderborn vom 7. Februar 2008 seit dem 8. Februar 2008 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Mit dem vorgenannten Haftbefehl wird ihm zur Last gelegt, am 30. Januar 2008 in Paderborn durch dieselbe Handlung versucht zu haben, einen Menschen zu töten und eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben. Er soll nach telefonischer Voranmeldung gegen 19.30 Uhr die Prostituierte Ir. Mö. in ihrer Wohnung in Paderborn aufgesucht haben. Nachdem das Gespräch auf den Preis für die Leistungen der Zeugin gekommen sei, soll der Angeklagte diese auf das Bett geworfen und sich auf ihre Hüfte gesetzt haben. Dabei soll er sie mit einem Messer bedroht und gesagt haben "Jetzt ist Schluss mit Dir!" Er soll ihr sodann mit dem Messer vor dem Gesicht hin- und hergefahren sein und dabei geäußert haben: "Das war's jetzt!" Als er versucht habe, mit dem Messer auf sie einzustechen, soll es der Zeugin gelungen sein, das Messer festzuhalten. Nachdem die Zeugin dem Angeklagten Reizgas in das Gesicht gesprüht habe, sei der Angeklagte aus der Wohnung geflohen. Durch den Griff in das Messer soll die Zeugin eine tiefe Schnittwunde erlitten habe, wodurch die Sehne zum Zeigefinger und ein Nerv durchtrennt worden sei.

Als Haftgrund hat das Amtsgericht Fluchtgefahr und den Haftgrund der Schwere der Tat bejaht.

Seine Haftbeschwerde vom 9. März 2008 hat das Schwurgericht durch Beschluss vom 26. März 2008 verworfen. Die weitere Beschwerde vom 9. April 2008, die am 14. April 2008 bei dem Landgericht eingegangen ist, hat das Schwurgericht als Antrag auf Haftprüfung ausgelegt, nachdem die Staatsanwaltschaft unter dem 14. April 2008 Anklage erhoben hatte. Mit Beschluss vom 24. April 2008 hat das Schwurgericht den Haftbefehl aufrechterhalten.

Am 30. April 2008 hat das Schwurgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft Paderborn wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Hauptverhandlung zugelassen, die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und die Hauptverhandlung auf den 27. Juni 2008 bestimmt.

II. 1. Die Haftbeschwerde des Angeklagten ist vorliegend ausnahmsweise zulässig, obwohl der Angeklagte nicht die letzte Haftentscheidung, nämlich die Haftfortdauerentscheidung im Eröffnungsbeschluss vom 30. April 2008, angegriffen hat. Zwar wird in der Rechtsprechung angenommen, dass bei mehreren aufeinander folgenden, denselben Gegenstand betreffenden Haftentscheidungen grundsätzlich nur jeweils die letzte Haftentscheidung angefochten werden kann (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1969, 779 (780); StV 1993, 592; MDR 1995, 950; Hanseat. OLG Hamburg, MDR 1984, 72; StV 1994, 323 (324); Schlesw.-Holst. OLG, SchlHA 1986, 104; OLG Hamm, 3. Senat, Beschluss vom 28. Januar 1999 - 3 Ws 34/99 -, 4. Senat, Beschlüsse vom 31. Oktober 2001 - 4 Ws 225/01 - und vom 4. November 2004 - 4 Ws 441/04 -, 5. Senat, Beschluss vom 8. Mai 2001 - 5 Ws 190/01 -; so auch Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 114 Rn. 33, § 117 Rn. 18, Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 117 Rdnr. 8). Begründet wird diese Ansicht damit, dass es einem vernünftigen Verfahrensablauf widerspreche, wenn der Beschuldigte beliebig auf frühere, denselben Sachvorgang betreffende Haftentscheidungen zurückgreifen könnte, deren Begründung möglicherweise bereits überholt ist (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1969, 779 (780); Hanseat. OLG Hamburg, MDR 1984, 72; so auch Hilger, a.a.O., § 114 Rn. 33). Etwas anderes gilt aber dann, wenn dies lediglich zu einer sachlich nicht gebotenen kurzfristigen erneuten Haftentscheidung desselben Spruchkörpers führen und die erstrebte Anrufung des Beschwerdegerichts dadurch ohne sachlich zwingende Gründe verzögert würde, weil derselbe Spruchkörper erst kurz zuvor eine ausreichend begründete Haftentscheidung als Beschwerdegericht getroffen hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.08.1977 - 1 Ws 236/77 -; Kammergericht Berlin, Beschluss vom 12.08.1999 - 2 AR 119/99 und 4 Ws 201/99 -, OLG Hamm, 2. Strafsenat, Beschluss vom 24. Oktober 2007 - 2 Ws 322/07 -).

So liegt der Fall hier. Das Schwurgericht hatte nur wenige Tage vor dem Eröffnungsbeschluss die Fortdauer der Untersuchungshaft im Rahmen der ausführlichen Bescheidung seines Haftprüfungsantrages angeordnet, so dass es vorliegend als Förmelei erscheinen müsste, den Angeklagten auf eine neue Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung im Eröffnungsbeschluss zu verweisen.

2. Mit dem Schwurgericht hält der Senat die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Haftbefehls für gegeben.

a) Dringender Tatverdacht hinsichtlich eines versuchten Tötungsdelikts zum Nachteil der Zeugin Mö. ist nach der Aktenlage trotz der von der Verteidigung aufgezeigten Bedenken weiterhin gegeben. In der Strafanzeige ist aufgeführt, der Angeklagte habe versucht, mit dem Messer in Richtung auf den Hals der Geschädigten einzustechen. Der Beschwerde ist zwar zuzugestehen, dass sich die Schilderung gezielter Stiche in Richtung auf den Hals in den beiden polizeilichen Aussagen der Geschädigten so explizit nicht wiederfinden, die Art der Messerführung ist jedoch in den Vernehmungen wenig präzise hinterfragt worden. Für die Geschädigte stand jedenfalls in dieser Situation außer Frage, dass der Angeklagte sie töten wollte. Hierfür sprechen auch seine von der Zeugin geschilderten mehrfachen Äußerungen wie "Jetzt ist Schluss mit Dir!" und "Das war's jetzt!". Auch die Einlassung des Angeklagten, er sei nach dem Gespräch über den Preis "durchgetilgt", er habe in dem Moment nicht mehr gewusst, was er tue, spricht nach der Aktenlage für die Richtigkeit des Tatvorwurfs.

Hinreichende Anhaltspunkte für einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch vermag der Senat nach der Aktenlage nicht zu erkennen. Der Umstand, dass der Angeklagte vehement, aber vergeblich versucht hat, die Zeugin auf den Bauch zu drehen, spricht dafür, dass er seinen Tötungsvorsatz nur deshalb nicht durchsetzen konnte, weil die Zeugin ständig Augenkontakt zu ihm gehalten hatte. Dann liegt die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs jedoch sehr nahe.

Letztlich sind dies jedoch Fragen, deren Klärung der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben muss.

Der Senat weist darauf hin, dass im Falle der Nichterweislichkeit eines Tötungsvorsatzes nach der Aktenlage der Tat auch ein anderes Motiv zugrunde liegen könnte, nämlich eine versuchte (schwere) sexuelle Nötigung zum Nachteil der Zeugin Mö.. Der gewaltsame Versuch, die Zeugin auf den Bauch zu drehen, könnte möglicherweise den Zweck gehabt haben, mit ihr gegen ihren Willen den Analverkehr auszuführen. Die Auswertung des Laptops des Angeklagten hat ergeben, dass sich dieser bis kurz vor der Tat pornographische Bilder aus dem Internet angesehen hat, wobei gegebenenfalls noch zu klären wäre, welcher Art diese Bilder waren. Das spricht dafür, dass der Angeklagte, wenn auch äußerlich wenig erkennbar, dadurch sexuell stark stimuliert war. Für einen solchen Tatvorsatz könnte ggfls. auch die am 10. Februar 2008 um 17.57 Uhr auf dem Handy des Beschuldigten eingegangene SMS (Bl. 179 DA) sprechen.

b) Gegen den Angeklagten besteht weiterhin neben dem Haftgrund der Schwere der Tat (§ 112 Abs. 3 StPO) der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte hat selbst in dem Fall, dass ihm in der Hauptverhandlung ein versuchtes Tötungsdelikt nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden sollte, mit der Verhängung einer hohen Freiheitsstrafe zu rechnen, da dann die Verurteilung wegen eines versuchten Sexualdelikts sehr wahrscheinlich ist. Die Tat hatte für die Zeugin schwere Folgen. Der Angeklagte verfügt aktuell über keine feste Arbeitsstelle. Der Umstand, dass der über die Inhaftierung des Angeklagten informierte potentielle Arbeitgeber für den Fall, dass dieser seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen kann, bereit sein soll, ein "neues Einstellungsgespräch" mit dem Angeklagten zu führen, stellt kein ernsthaftes und schon gar nicht verbindliches Beschäftigungsangebot dar. Ein solches würde auch wenig Sinn machen, da der Angeklagte voraussichtlich in rund einem Monat zu einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe verurteilt werden wird. Hinzu kommt, dass der Angeklagte sich in der Vergangenheit mehrere Jahre beruflich in den USA aufgehalten hat und ohnehin dorthin zurückkehren möchte. Es ist deshalb wenig wahrscheinlich, dass er sich ohne den Vollzug der Untersuchungshaft dem vorliegenden Verfahren stellen würde. Deshalb hält der Senat weniger einschneidende Maßnahmen als den Vollzug der Untersuchungshaft nicht für ausreichend, so dass auch eine Haftverschonung unter Stellung einer Kaution und den weiteren vom Angeklagten angebotenen Auflagen nicht in Betracht kommt.

c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist angesichts der Schwere des Tatvorwurfs ersichtlich gewahrt. Das Verfahren ist auch beschleunigt betrieben worden. Versäumnisse, die den Justizbehörden zuzuschreiben wären, sind nicht ersichtlich.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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