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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: 4 Ws 181/07
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1
StPO § 140 Abs. 2
StPO § 454
Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren und zur Ablehnung der bedingten Entlassung.
Beschluss

Strafvollstreckungssache gegen O. F., zur Zeit in dieser Sache in Strafhaft in der Justizanstalt Werl,

wegen Totschlags,

hier: Ablehnung der bedingten Entlassung.

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 21. März 2007 gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 14. März 2007 hat der 4 . Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. April 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht Duhme, den Richter am Oberlandesgericht Eichel und den Richter am Amtsgericht Meiring nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer Arnsberg zurückgegeben. Diese wird auch über die Kosten der Beschwerde zu befinden haben.

Gründe: I. Durch den angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer Arnsberg die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft nach Verbüßung von zwei Dritteln der gegen ihn wegen Totschlages verhängten Freiheitsstrafe von elf Jahren zur Bewährung abgelehnt. Nach den im zugrundeliegenden Urteil getroffenen Feststellungen hatte der Verurteilte einem schlafend oder bewußtlos am Boden liegenden Hausmitbewohner mit einem Werkzeug mit stumpfer Schneide wie zum Beispiel einem Beil mehrere wuchtige und jeder für sich todeswürdige Hiebe auf den Kopf erteilt. Der Verurteilte, der von seinem Recht zu schweigen, Gebrauch gemacht hatte, war aufgrund von Indizien als Täter überführt worden.

Gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung wendet sich der Verurteilte mit seinem Schreiben vom 21. März 2007, das insbesondere unter Berücksichtigung seiner Ausführungen im Schreiben vom 1. April 2007 unzweifelhaft als sofortige Beschwerde auszulegen ist.

II. Dem zulässigen Rechtsmittel ist ein jedenfalls vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.

Die angefochtene Entscheidung leidet unter einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil die Anhörung durchgeführt und die Entscheidung ergangen ist, ohne daß dem Verurteilten zuvor ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden war. Dies wäre jedoch im vorliegenden Fall zwingend notwendig gewesen, weil der Verurteilte wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage ersichtlich nicht in der Lage war, seine Interessen, insbesondere in der Anhörung, selbst sachgerecht wahrzunehmen. Vorliegend war die Auseinandersetzung mit einem Prognosegutachten, einer 9-seitigen Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl unter Einschluß umfangreicher Ausführungen des Sozialdienstes und des psychologischen Dienstes sowie dessen ergänzender Stellungnahme erforderlich. Schließlich ist die Strafvollstreckungskammer vom Ergebnis des eingeholten Gutachtens und der abschließenden positiven Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl abgewichen. Daß sich in einem solchen Fall ein zudem in Rumänien geborener und aufgewachsener Verurteilter nicht selbst hinreichend verteidigen kann, liegt auf der Hand.

Der angefochtenen Entscheidung ist im Einzelnen folgender Verfahrensgang vorausgegangen:

Die Strafvollstreckungskammer hatte zur Vorbereitung ihrer Entscheidung zunächst Stellungnahmen der örtlichen Staatsanwaltschaft und der Justizvollzugsanstalt Werl zur Frage der bedingten Entlassung eingeholt. Die örtliche Staatsanwaltschaft hatte sich ohne nähere eigene Ausführungen dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl folgend gegen eine bedingte Entlassung ausgesprochen. In seiner Stellungnahme war der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl zwar im Ergebnis dazu gekommen, eine bedingte Entlassung derzeit nicht befürworten zu können. Die sehr ausführlichen Ausführungen des psychologischen Dienstes belegen jedoch die Einschätzung, daß auf der Basis einer legalprognostisch eher günstigen Einschätzung eine vorzeitige Entlassung nach § 57 StGB jedenfalls aus psychologischer Sicht vertretbar erscheine. Allerdings wurde angeregt, diese prognostische Einschätzung über den Gefangenen gutachterlich überprüfen zu lassen.

Dem folgend hatte die Strafvollstreckungskammer durch Beschluß vom 13. Dezember 2006 die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlaßt. Der Sachverständige Dr. Si. kommt nach Exploration des Verurteilten in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, die Frage, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr bestehe, daß dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe, lasse sich zwar nicht eindeutig beurteilen, weil der Verurteilte die Täterschaft weiter leugne und daher die Hintergründe der Tat auch jetzt nicht sicher aufzuklären seien. Trotz der Leugnung der Täterschaft, so der Sachverständige, ließen jedoch Lebenslauf- und Tatanalyse sowie die Persönlichkeitsdiagnose in Verbindung mit der krankheitsbedingt nachlassenden Vitalität aber auf eine insgesamt günstige Legalprognose schließen. Sofern eine bedingte Entlassung in Erwägung gezogen werde, sollte jedoch die Unterkunft mit einer entsprechenden richterlichen Weisung bei der Schwester und nicht wie vom Verurteilten präferiert bei dessen Bekannten erfolgen. Auch sei eine enge Anbindung an die Bewährungshilfe erforderlich.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl hatte sich nach Kenntnisnahme diesem Gutachten angeschlossen und "mit einer entsprechenden Vorbereitung im sozialen Umfeld des Herrn F." eine bedingte Entlassung nunmehr befürwortet.

Die Strafvollstreckungskammer hatte das Gutachten dem Verurteilten zur Kenntnisnahme und mit der Anfrage übersandt, ob auf eine Anhörung des Sachverständigen verzichtet werde. Eine Verzichtserklärung hatte der Verurteilte nicht abgegeben.

Der Aktenvermerk über die Anhörung, an der der Sachverständige Dr. Si. teilgenommen hat, enthält nur kurze Erklärungen des Verurteilten, der seinen Unwillen über die Frage zum Ausdruck gebracht hat, ob er die Tat begangen habe, der ausgeführt hat, er habe bisher weder um Urlaub nachgesucht noch Urlaub bewilligt bekommen, er sei schwer krank und ihm sei es egal, wo er im Falle seiner Haftentlassung Wohnung zu nehmen habe. Fragen an den Sachverständigen hatte er, so der Vermerk, nicht. Irgendwelche Ausführungen des Sachverständigen sind offenbar nicht erfolgt, jedenfalls nicht vermerkt.

Die Strafvollstreckungskammer hat ihre Entscheidung mit folgenden Gründen versehen:

"Die Gesamtwürdigung aller für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte ergibt, dass unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden kann, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen (§ 57 Abs. 1 StGB). Die bedingte Entlassung mußte deshalb abgelehnt werden.

Der Verurteilte ist nicht vorbestraft. Er befindet sich erstmals in Haft. Er leidet an einer koronaren Gefäßerkrankung und ist auf Medikamente angewiesen.

Er hat Besuchs- und Briefkontakt zu seiner Schwester in Eschweiler und einem früheren Arbeitskollegen, Herrn W., in Aachen. Er könnte nach einer Entlassung bei einem der beiden wohnen. Allerdings wissen beide nichts Genaues über die Tat.

Der Verurteilte leugnet weiter der Täter zu sein. Der Sachverständige kommt in seinem überzeugenden Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Verurteilte weiß, dass er der Täter ist, sich aber zur Wahrung seines Selbstbildes nicht dazu bekennen kann oder will. Das wurde auch bei seiner mündlichen Anhörung deutlich, als er sich auf ein Gespräch darüber nicht einlassen wollte. Bei der Tat handelt es sich um eine Beziehungstat - die dieser Gewalttat zugrunde liegenden Motivstrukturen passen nicht in das Selbstbild des Verurteilten und werden deshalb beharrlich geleugnet.

Ein Eingeständnis der Täterschaft würde, gerade unter Berücksichtigung der Herzerkrankung, sein Selbstbild bedrohen und damit auf ein gescheitertes Leben verweisen.

Zwar lässt sich eine fortbestehende Gefährlichkeit nicht eindeutig verneinen, weil der Gefangene seine Täterschaft weiterhin leugnet.

Trotz der Leugnung der Täterschaft ist zur Überzeugung des Sachverständigen aufgrund der Lebenslauf- und Tatanalyse sowie der Persönlichkeitsdiagnose, auch in Verbindung mit der krankheitsbedingten nachlassen Vitalität, auf eine insgesamt günstige Legalprognose zu schließen.

Allerdings sollte der Verurteilte auf jeden Fall bei der Schwester wohnen und keinesfalls bei Herrn W., weil Konflikte im Zusammenleben der beiden Männer nicht auszuschließen sind. Eine Entlassung muss zur Überzeugung des Gerichts durch vorherige Beurlaubungen gründlich vorbereitet werden."

Diese Beschlußgründe tragen die getroffene Entscheidung auch inhaltlich nicht. Im wesentlichen werden, wie häufig bei der Strafvollstreckungskammer Arnsberg, lediglich zahlreiche für und wenige gegen eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten sprechende Gründe schlicht aufgelistet. Hier kommt hinzu, daß weder der nähere Inhalt noch die tragenden Erwägungen des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Si. mitgeteilt werden, auch setzt sich die Strafvollstreckungskammer bei ihrer abweichenden Entscheidung nicht mit dem Gutachten und der ersten bzw. zweiten Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl näher auseinander. Die Strafvollstreckungskammer wird deshalb bei der neuen Entscheidung zunächst die verschiedenen Gesichtspunkte, die für oder gegen eine bedingte Entlassung sprechen sollen, nicht nur auflisten, sondern vor allem gewichten müssen. Zudem wird sie sich sorgfältig mit dem Gutachten und den Stellungnahmen des Leiters der Justizvollzugsanstalt auseinanderzusetzen haben, insbesondere dann, wenn sie weiter von deren Ergebnis abweichen will.

Vorliegend kommt hinzu, daß der offenbar als tragend gefundene Gesichtspunkt, daß sich der Verurteilte bisher nicht unter Vollzugslockerungen habe bewähren können, ersichtlich mit dem Sachverständigen in der Anhörung nicht näher erörtert worden ist. Das wäre jedoch erforderlich gewesen, denn es erscheint unwahrscheinlich, daß dieser Punkt dem Sachverständigen bei seinem schriftlichen Gutachten entgangen sein könnte, zumal er in seinem Gutachten aus der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl zitiert hat, in dem die bisher fehlenden Lockerungen vermerkt worden sind. Zudem hat sich der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl in seiner zweiten Stellungnahme in Kenntnis des Umstandes, daß bisher keine Vollzugslockerungen gewährt worden sind, ebenfalls für eine bedingte Entlassung des Verurteilten ausgesprochen. Auf eine entsprechende ergänzende gutachterliche Stellungnahme hätte das Gericht daher in der mündlichen Anhörung drängen müssen, wenn es seine Entscheidung auf diesen Gesichtspunkt stützen will. Allein dieser Punkt zeigt eindrucksvoll, daß die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorliegend zwingend notwendig war.

Die Strafvollstreckungskammer wird nach Beiordnung eines Pflichtverteidigers und Wiederholung der mündlichen Anhörung ihr neues Ergebnis tragfähig zu begründen haben. Das ist nämlich in erster Linie die Aufgabe der Strafvollstreckungskammer und nicht des Beschwerdegerichts, denn der Verurteilte hat einen Anspruch darauf, in nachvollziehbarer Weise über die Gründe einer ihn belastenden Entscheidung informiert zu werden. Weiter wird sie über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden haben, da der Erfolg des Rechtsmittels noch nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

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