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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.08.2005
Aktenzeichen: 4 Ws 340/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
StPO § 120
Zur Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes durch zu späte Terminierung im Berufungsverfahren und zu den Auswirkungen auf die Fortdauer der U-Haft.
Beschluss

Strafsache

gegen R. J.,

zur Zeit in dieser Sache in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Münster,

wegen Diebstahls,

(hier: Haftbeschwerde des Angeklagten).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 13. und 24. Juni 2005 gegen den Beschluss der 6 . kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 09. Juni 2005 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Leygraf, den Richter am Oberlandesgericht Eichel und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

1. Der dringende Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 StPO ergibt sich aus der erstinstanzlichen Verurteilung des Angeklagten. dass dieses Urteil nicht rechtskräftig ist, steht der Annahme dringenden Tatverdachts nicht entgegen. Allein der Umstand, dass das Gericht nach Durchführung eines rechtsstaatlichen Regeln unterworfenen Erkenntnisverfahrens zu der Überzeugung der Täterschaft und Schuld des Angeklagten gelangt ist, spricht für eine hohe Wahrscheinlichkeit seines strafbaren Handelns in der festgestellten Weise (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08. Juli 1999, 4 Ws 242/99). Für eine andere Beurteilung gibt es keinen Anlass. Im übrigen ergibt sich der dringende Tatverdacht auch aus den Angaben der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen Ka. (Fall 8 des Urteils), Bu. (Fälle 2, 3, 6 und 7), St. (Fälle 1, 2, 4 und 6), We. (Fall 3 und 6), Be. (Fälle 2 bis 6), PK Kl. (Fälle 1 bis 8), De. (Fälle 1,2,3,4 und 6), Be. (Fall 4) und KOK Ve. (Fall 9).

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Selbst wenn man davon ausgeht, dass in Anbetracht des Suchthintergrundes der Straftaten und der auffälligen Diskrepanz zwischen Einsatz- und Gesamtfreiheitsstrafe bei Bestätigung des Schuldspruchs durch das Berufungsgericht eine Strafmaßreduzierung in Betracht kommt, so steht doch unter Berücksichtigung der Tatfrequenz und des Beutewertes eine nicht mehr aussetzungsfähige Freiheitsstrafe zu erwarten. Und selbst bei aussetzungsfähigem Strafmaß würde in Anbetracht der fortbestehenden tatursächlichen Suchtkrankheit und der damit einhergehenden negativen Legal- und Sozialprognose eine Strafaussetzung zur Bewährung ausscheiden. Der dadurch begründete Fluchtanreiz wird in Anbetracht der durch die Suchtkrankheit bestimmten unsteten Lebensumstände des Angeklagten nicht anderweitig gemildert.

Im übrigen ergeben sich aus dem zuvor Gesagten auch die Voraussetzungen des subsidiären Haftgrundes der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Die von dem Angeklagten verübten und aufgrund des Suchthintergrundes weiterhin zu befürchtenden Einbruchsdiebstähle sind Katalogtaten und stellen mit Rücksicht auf die hohe Tatfrequenz und den nicht unerheblichen Beutewert die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftaten dar.

3. Zwar offenbart der Verfahrensablauf nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils vermeidbare Verfahrensverzögerungen; diese führen aber noch nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft.

Auch außerhalb des Verfahrens nach den §§ 121, 122 StPO (Haftprüfung durch das Oberlandesgericht bei länger als 6 Monate andauernder Untersuchungshaft) ist bei der gemäß § 120 Abs. 1 StPO in jedem Verfahrensabschnitt zu prüfenden Frage, ob die weitere Untersuchungshaft noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, das in Haftsachen im besonderen Maße geltende, aus Art. 2 Abs. 2 , 104 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 MRK herzuleitende Beschleunigungsprinzip zu beachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils das Rechtsmittelverfahren ungebührlich verzögert (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16. Januar 2003, 3 Ws 20/03).

Ein solcher Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist hier gegeben. Der Angeklagte befindet sich seit nunmehr neun Monaten in Untersuchungshaft. Angesichts dieser langen Haftdauer und des daraus folgenden erhöhten Gebots zügiger Verfahrensförderung ist es bedenklich, dass in der dem Landgericht seit Ende April 2005 vorliegenden Berufungssache bislang kein Verhandlungstermin bestimmt wurde. Zwar hat die Strafkammer zwischenzeitlich ein schriftliches Haftprüfungsverfahren durchgeführt und einen Gutachterauftrag erteilt. Abgesehen davon, dass diese Vorgänge der gebotenen unverzüglichen Terminierung nach Akteneingang nicht entgegenstanden, weisen diese Vorgänge ihrerseits vermeidbare Verzögerungen auf. So ist der Haftprüfungsantrag vom 04. Mai 2005 erst einen Monat später beschieden worden und dem Gutachter sind die Vorgänge ausweislich der dem Senat vorliegenden Doppelakten ohne nachvollziehbaren Grund erst am 08. Juli 2005 und ohne Fristsetzung oder ausdrücklichen Eiligkeitsvermerk übersandt worden.

Indes führen eingetretene vermeidbare Verfahrensverzögerungen nicht generell zur Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft. Vielmehr sind bei der Frage, ob ein Haftbefehl nach Erlass eines tatrichterlichen Urteils wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen ist, zutreffender Ansicht nach das Ausmaß der Verfahrensverzögerung und der Grad des die Justiz treffenden Verschuldens gegen das Gewicht der Straftat und die Höhe der verhängten bzw. im Rechtsmittelzug zu erwartenden Strafe abzuwägen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. September 2004, 2 Ws 235/04). Selbst wenn man hier von einer Strafmaßreduktion im Berufungsrechtszug ausgeht, ist die Bedeutung der in Rede stehenden Straftaten mit Rücksicht auf die hohe Tatfrequenz und den erheblichen Beutewert doch so groß, dass die eingetretenen Verfahrensverzögerungen derzeit noch kompensiert werden. Der Senat geht bei dieser Beurteilung davon aus, dass die Strafkammer nunmehr unverzüglich und zeitnah Termin zur Berufungshauptverhandlung ansetzen und auf beschleunigte Vorlage des Gutachtens hinwirken wird.

Ende der Entscheidung

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