Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.11.2007
Aktenzeichen: 4 Ws 496/07
Rechtsgebiete: StGB, StVollzO


Vorschriften:

StGB § 68 b Abs. 1 Nr. 1
StGB § 68 c Abs. 1 S. 1
StGB § 68 f Abs. 1 S. 1
StGB § 68 f Abs. 2
StVollzO § 54 a Abs. 2 S. 1
Die Neuregelung des § 68 f StGB verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG.
4 Ws 496/07 OLG Hamm 4 Ws 498/07 OLG Hamm

Beschluss

Strafsache gegen F. E.,

wegen Betruges u.a..

hier: a) sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die gegen die Feststellung des Eintritts der Führungsaufsicht

b) Beschwerde des Verurteilten gegen die Anordnung von Weisungen.

Auf die sofortige und einfache Beschwerde des Verurteilten vom 15. Oktober 2007 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 10. Oktober 2007 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Leygraf, den Richter am Oberlandesgericht Eichel und den Richter am Oberlandesgericht Schwens nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige und die einfache Beschwerde werden auf Kosten des Verurteilten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

I. Der Verurteilte verbüßt zur Zeit u.a. eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten wegen Betruges in 35 Fällen und versuchten Betruges in einem Fall, sowie wegen tateinheitlich mit Urkundenfälschung begangener Unterschlagung sowie versuchter Nötigung aus dem Urteil des Landgerichts Münster beim Amtsgericht Bocholt vom 25. November 2002, wobei keine höhere Einzelstrafe als sieben Monate Freiheitsstrafe verhängt worden war.

Nach Einholung schriftlicher Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt Werl und der Staatsanwaltschaft Bocholt sowie nach mündlicher Anhörung des Verurteilten, in dessen Rahmen er erklärt hat, nach seiner Entlassung im Haus Nordpark in Bielefeld seine Wohnung zu nehmen, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg durch den angefochtenen Beschluss vom 10. Oktober 2007 festgestellt, dass nach vollständiger Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintritt, deren Dauer auf 3 Jahre bemessen und dem Verurteilten unter anderem folgende Weisungen erteilt:

I. Der Verurteilte wird angewiesen, während der Führungsaufsicht

1. nach seiner Entlassung Wohnung zu nehmen in Haus N. in Bielefeld und diesen Wohnsitz nicht ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle zu wechseln...

..........

Gegen diesen Beschluss richtet sich die form- und fristgerecht erhobene und näher begründete sofortige Beschwerde des Verurteilten.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, wie erkannt.

II. 1. Das den Beschluss insgesamt angreifende, einheitlich bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gegen den Eintritt der Führungsaufsicht (genauer: gegen die Ablehnung des Entfallens derselben) sowie als einfache Beschwerde gegen die Dauer der Führungsaufsicht und gegen die Gesetzmäßigkeit der erteilten Weisungen auszulegen (§ 300 StPO).

2. Die gemäß §§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1 StPO, § 68 f Abs. 2 StGB statthafte und auch im übrigen zulässige sofortige Beschwerde gegen den Eintritt der Führungsaufsicht hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Soweit der Verurteilte in seiner Beschwerdeschrift vorträgt, er sei zur Frage der Anordnung der Führungsaufsicht nicht angehört worden, entspricht dies ausweislich des Protokolls der Anhörung vom 10.10.2007 nicht den Tatsachen.

Anlässlich seiner Anhörung bedurfte der Verurteilte auch nicht der Anwesenheit eines Verteidigers, da kein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO vorlag. Weder gebot die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Beiordnung eines Verteidigers, noch erscheint der Verurteilte nicht in der in der Lage zu sein, seine Rechte selbständig wahrzunehmen, was sich aus der Vielzahl seiner Eingaben im Rahmen seines Strafvollzuges unschwer ergibt.

Soweit der Verurteilte weiter der Auffassung ist, das Landgericht habe zu spät über die Frage der Führungsaufsicht befunden, geht auch diese Ansicht fehl. Zwar soll die Vollstreckungsbehörde 3 Monate vor der Entlassung des Verurteilten die Vorlage der Akten an das Gericht in die Wege leiten (§ 54 a II 1 StVollstrO), damit es rechtzeitig entscheiden kann, ob die gesetzliche Folge des § 68 f Abs.1 S.1 StGB mit der Entlassung aus dem Strafvollzug tatsächlich eintritt. Die Einhaltung der Frist ist aber keine zwingende Verfahrensvoraussetzung (vgl. OLG Düsseldorf StV 1986, 26 = MDR 1986, 255). Denn § 54 a StVollstrO enthält nur eine Ordnungsvorschrift (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1984, 428; OLG Hamm JMBl NW 1982, 131; LK-Hanack 11. Aufl., § 68 f Rn 22; S/S-Stree a.a.O. Rn 13 m.w.N.). Es soll möglichst frühzeitig feststehen, ob die gesetzliche Folge des § 68 f Abs. 1 S. 1 StGB mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug eintritt. Unterbleibt die Entscheidung versehentlich, so kann sie später nachgeholt werden (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

Gemäß § 68 f StGB n.F (geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änd. der Vorschriften über die nachträgl. Sicherungsverwahrung vom 13.4.2007) ist bei Vollverbüßung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Taten die Führungsaufsicht von Gesetzes wegen anzuordnen.

aa) Soweit der Beschwerdeführer der Auffassung ist, seine Verurteilung würde durch die Neuregelung nicht erfasst, da es sich bei der Neuregelung des § 68 f StGB ansonsten um eine unzulässige Rückwirkungsnorm handeln würde, geht seine Meinung fehl.

Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG liegt nicht vor. Der Anwendungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG ist auf staatliche Maßnahmen beschränkt, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient. Die Führungsaufsicht stellt demgegenüber eine präventive Maßnahme dar, deren Zweck es nicht ist, begangenes Unrecht zu sühnen, sondern Tätern mit einer vielfach schlechten Sozialprognose und auch solchen der Schwerkriminalität nach Strafverbüßung eine Lebenshilfe vor allem für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit zu geben und sie dabei zu führen und zu überwachen (Tröndle/Fischer StGB, Vor § 68 StGB, Rn.2).

bb) Die Neuregelung des § 68 f Abs. 1 StGB verstößt auch nicht gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot. Grundsätzlich unzulässig ist zwar die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten. Die Zulässigkeit einer tatbestandlichen Rückanknüpfung, bei der die Rechtsfolge an einen vor der Verkündung der Norm liegenden Sachverhalt anknüpft, ist demgegenüber von der Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des mit der Rückanknüpfung verfolgten gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl abhängig (vgl. BVerfGE 109, 133 (180 ff.) m.w.N.). Eine solche tatbestandliche Rückanknüpfung entfaltet die Neuregelung des § 68 f StGB, die zwar gegebenenfalls an eine vor ihrer Verkündung begangene Anlasstat anknüpft, nicht aber nachträglich eine an die Anlasstat anknüpfende Rechtsfolge ändert.

Mit der Neuregelung des § 68 f StGB verfolgte der Gesetzgeber das Ziel die bis zur Neuregelung in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage zu klären, ob einer Gesamtstrafe wenigstens eine wegen einer Vorsatztat verhängte Einzelstrafe von mindestens 2 Jahren zugrunde liegen muß (so OLG Celle, StV 1982, 227; OLG Koblenz, MDR 1980, 71; OLG Bremen, MDR 1980, 512; OLG Karlsruhe, NStZ 1981, 182; OLG Stuttgart, NStZ 1992, 101; OLG Schleswig, MDR 1981, 1034; KG, JR 1979, 421; OLG Zweibrücken, MDR 1986, 870; OLG Naumburg, MDR 1995, 85; Hanack, in: LK, StGB, 11. Aufl., § 68 f. Rdnr. 14; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 68 f. Rdnr. 4; Nomos-Frehsee, StGB, 24. Aufl., § 68 f. Rdnr. 4) oder eine Gesamtstrafe von mindestens zwei Jahren auch bei kürzeren Einzelstrafen ausreicht (vgl. so OLG Hamburg, JR 1979, 116 und MDR 1982, 689; OLG Nürnberg, MDR 1978, 858; OLG Düsseldorf, MDR 1981, 70 und 336; OLG Frankfurt a.M., MDR 1982, 164; OLG München, NStZ 1984, 314; OLG Hamm, MDR 1979,601; OLG Schleswig, SchlHA 1995, 2; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 68 f Rn. 3).Nach dem Willen des Gesetzgebers tritt nunmehr bei jeder Verurteilung von mindestens 2 Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender vollständiger Vollstreckung die Führungsaufsicht regelmäßig und automatisch ein. Der Gesetzgeber verfolgt hiermit zwei unterschiedliche Zwecke: Einerseits soll dem nach Verbüßung einer langen Haftstrafe Entlassenen geholfen werden, sich in der Freiheit zurechtzufinden, weil er der besonderen Hilfe regelmäßig bedarf (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O., Rn 1), andererseits indiziert die vollständige Vollstreckung der in § 68 f I 1 StGB genannten Freiheitsstrafen die fortdauernde Gefährlichkeit des Täters.

Die vom Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative getroffene Wertung, dass sowohl derjenige Strafentlassene, der eine Einzelfreiheitsstrafe von mindesten zwei Jahren als auch derjenige, der eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vollständig verbüßt hat, einerseits der Hilfe bedarf und andererseits aus der Vollverbüßung eine erhöhte Gefährlichkeit respektive ein erhöhtes Rückfallrisiko besteht, ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, dies umso mehr, als aufgrund des bisherigen Meinungsstreites in der obergerichtlichen Rechtsprechung ein Vertrauensschutz eines Betroffenen in die eine oder andere Richtung kaum angenommen werden kann.

3) Der Beschwerdeführer hat auch keinen Anspruch auf Entfallen der Maßregel gemäß § 68 f Abs. 2 StPO.

Gemäß § 68 f Abs. 2 StGB ordnet das Gericht an, dass die Maßregel entfällt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begeht.

Dementsprechend ist es in der Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 283; OLG Karlsruhe MDR 1987, 784; KG JR 1993, 301, 302) anerkannt, dass die durch § 68 f Abs. 2 StGB ermöglichte Anordnung des Entfallens der Maßregel Ausnahmecharakter hat und nur getroffen werden kann, wenn konkrete Tatsachen für eine günstige Prognose vorliegen, die eine höhere als die zur Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB genügende Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit verlangt (vgl. OLG Frankfurt a.M. OLG Düsseldorf StV 1995, 539; MDR 1990, 356; KG a.a.O. und JR 1988, 295, 296); selbst eine vorzeitige Entlassung in anderer Sache auf Grund einer günstigen Prognose gem. § 57 Abs. 1, Nr. 2 StGB führt daher nicht automatisch auch zum Entfallen der Führungsaufsicht (vgl. OLG Düsseldorf wistra 2000, 314 = NStZ-RR 2000, 347, 348). Erst recht muss das für den Fall der Vollverbüßung gelten. Denn außer in dem Fall, dass der Verurteilte nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht in die vorzeitige Entlassung eingewilligt hat, spricht das Erfordernis, die Strafvollstreckung fortzusetzen, dafür, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten noch nicht behoben ist; es sei denn, gerade in den letzten Monaten des Strafvollzuges ist ein Wandel deutlich geworden, der die Erwartung künftiger Straffreiheit begründet (vgl. OLG Frankfurt a.M. a.a.O.; OLG Düsseldorf StV 1982, 117 mit Anm. Deckers; KG JR 1988, 295, 296). Ein solcher Wandel ist beim Verurteilten aber in keiner Weise erkennbar.

4. Die gemäß §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 1 StPO, § 68 c Abs. 1 StGB statthafte einfache Beschwerde gegen die erteilten Weisungen sind unbegründet.

Gemäß § 453 Abs. 2 StPO kann die Beschwerde nur darauf gestützt werden, dass eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist oder dass die Bewährungszeit nachträglich verlängert worden ist. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die erstmalige Bemessung der Führungsaufsichtsdauer auf drei Jahre lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Sie hält sich innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 68 c Abs. 1 S. 1 StGB.

Die Weisung, an einem bestimmten Ort Wohnung zu nehmen und den Wohnsitz nicht ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle zu wechseln, ist gemäß § 68 b Abs.1 Nr.1 StGB zulässig. Soweit dieses Weisung dahingehend konkretisiert worden ist, der Verurteilte habe seinen Wohnsitz im Haus N. in Bielefeld zu nehmen, entsprach dies der Erklärung des Beschwerdeführers über seinen zukünftigen Aufenthalt anlässlich seiner Anhörung am 10.10.2007.

Die weiteren Weisungen begegnen keinen Bedenken.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück