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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.02.2006
Aktenzeichen: 4 Ws 51/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
StPO § 120
1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet, gerade Haftsachen bevorzugt und mit besonderer Beschleunigung zu bearbeiten. Das bedeutet aber zugleich, daß gewisse Verzögerungen von einem nicht in Untersuchungshaft genommenen Angeklagten hingenommen werden müssen.

2. Zur bejahten Fluchtgefahr bei einem vielfach vorbestraften Angeklagten, der zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren veruretilt worden ist, von denen noch 17 Monate zu verbüßen sind.

3. Zur Frage der Verhältnismäßig der Untersuchungshaft unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BVerfG.


Beschluss

Strafsache

gegen H.H:

wegen Steuerhinterziehung (hier: Haftbeschwerde des Angeklagten)

Auf die (Haft-)Beschwerde des Angeklagten vom 16. Januar 2006 gegen den Haftfortdauerbeschluß der 9. großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Münster vom 16. November 2005 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 02. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls der 12. großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Münster vom 5. April 2004 (12 KLs 1/04) in dieser Sache seit dem 25. April 2004 in Untersuchungshaft. In der Zeit vom 11. Mai bis zum 18. August 2004 einschließlich ist die Untersuchungshaft zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 100 Tagen unterbrochen worden. Der ursprüngliche Haftbefehl ist durch die Strafkammer am 31. Januar 2005 entsprechend der Verurteilung vom selben Tage wegen Steuerhinterziehung in 12 Fällen und Vorenthalten von Arbeitsentgelt in weiteren 12 Fällen neu gefaßt worden. Als Haftgrund hat die Strafkammer, die den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten verurteilt hat, Fluchtgefahr angenommen. Unter Verwerfung der Revision im Übrigen hat der Bundesgerichtshof am 21. September 2005 - 5 StR 263/05 - das angefochtene Urteil im Strafausspruch in den Fällen 13 bis 24 der Urteilsgründe (Vorenthalten von Arbeitsentgelt) und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere große Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Das angefochtene Urteil hielt der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand, weil die Strafkammer bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt hatte, daß der Angeklagte die betroffenen Arbeitnehmer als freiwillige Mitglieder bei den gesetzlichen Krankenkassen angemeldet und für die fristgerechte Zahlung der freiwilligen Beiträge gesorgt hatte.

Auf den Haftprüfungsantrag des Angeklagten vom 20. Oktober 2005 hat die nunmehr zuständige 9. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Münster mit Beschluß vom 28. Oktober 2005 die Untersuchungshaft aufrecht erhalten. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 7. November 2005 hat der Angeklagte hiergegen Beschwerde eingelegt. Die neue Hauptverhandlung hat am 16. November 2005 stattgefunden. An diesem Tage ist gegen den Angeklagten auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren erkannt und die Untersuchungshaft erneut aufrechterhalten worden. Der Senat hat am 22. November 2005 - 4 Ws 491/05 - festgestellt, daß die Haftbeschwerde aufgrund der neuen Haftentscheidung vom 16. November 2005 gegenstandslos geworden war.

Der Angeklagte hat durch seinen Verteidiger am 17. November 2005 gegen das gegen ihn ergangene Urteil Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz desselben Verteidigers am 30. November 2005 zurückgenommen. Über die Wirksamkeit der Rücknahme und über die Revision ist noch nicht entschieden. Mit Schreiben des Angeklagten vom 2. und 7. Dezember 2005 sowie Schriftsatz seines Verteidigers vom 12. Dezember 2005 ist die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme mangels ausdrücklicher Ermächtigung durch den Angeklagten in Zweifel gezogen worden. Am 13. Dezember 2005 ist deshalb die förmliche Zustellung des Urteils durch den Vorsitzenden der Strafkammer angeordnet die Zustellung am 15. Dezember 2005 bewirkt worden. Die Revisionsbegründungsschrift ist beim Landgericht Münster am Montag, den 16. Januar 2006 eingegangen.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. Januar 2006 hat der Angeklagte gegen die letzte Haftentscheidung vom 16. November 2005 Haftbeschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, das zugrundeliegende Ermittlungsverfahren laufe gegen ihn seit dem 8. Januar 2002. Anklage sei erst am 20. Februar 2004 erhoben worden. Dadurch sei in eklatanter Weise gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen worden. Gegen ihn seien in der Zeit vom 31. Januar 2002 bis zum 24. Februar 2004 (richtig: 24. April 2004) verschiedene andere Freiheitsstrafen vollstreckt worden. Mit Beschluß vom 5. April 2004 habe die Wirtschaftsstrafkammer das Hauptverfahren eröffnet, die erste Hauptverhandlung habe in der Zeit vom 14. Juni 2004 bis zum 31. Januar 2005 stattgefunden. Seine Revision habe teilweise Erfolg gehabt, so daß eine neue Hauptverhandlung erforderlich geworden sei. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2005 - 2 BvR 109/05 - könne die Untersuchungshaft wegen nicht zureichender Verfahrensbeschleunigung nicht aufrechterhalten bleiben.

Im Übrigen liege der Haftgrund der Fluchtgefahr nunmehr nicht mehr vor, nachdem sich der Angeklagte seit rund 18 Monaten in Untersuchungshaft befinde. Der Angeklagte müsse davon ausgehen, bis zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt nur noch sechs Monate in Haft bleiben zu müssen. Hinsichtlich des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens vor dem Landgericht Detmold gelte insoweit die Unschuldsvermutung und die dort verhängte Freiheitsstrafe dürfe nicht berücksichtigt werden. Außerdem habe der Angeklagte sein bisheriges Leben bis auf urlaubsbedingte Auslandsaufenthalte ununterbrochen in Deutschland verbracht, hier würden auch seine erwachsenen Kinder leben, zu denen er brieflichen Kontakt habe. Eine weitere tragfähige Bindung bestehe zu seiner Lebensgefährtin..

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Haftbeschwerde zu verwerfen.

Der Senat hat die Akten vom Bundesgerichtshof angefordert, die dort dringend wegen des laufenden Revisionsverfahrens in dieser Haftsache benötigt werden. Wegen der Eilbedürftigkeit der Sache hat der Senat mit Einverständnis der zuständigen Dezernentin davon abgesehen, die beigezogenen Akten der Generalstaatsanwaltschaft zur weiteren Stellungnahme vorzulegen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Senat kann nach der Aktenlage nicht hinreichend feststellen, daß dem Verteidiger für die Rechtsmittelrücknahmeerklärung durch den Angeklagten die erforderliche besondere Vollmacht i.S.d. § 302 StPO erteilt worden war. Diese Frage, die zudem ggfls. abschließend vom Bundesgerichtshof zu klären ist, kann aber letztlich dahinstehen, da die Aufrechterhaltung und auch der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nach Ansicht des Senats zulässig und auch erforderlich ist.

1. Der dringende Tatverdacht ergibt sich schon daraus, daß der Schuldspruch (Steuerhinterziehung in 12 Fällen und Vorenthalten von Arbeitsentgelt in weiteren 12 Fällen) mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 21. September 2005 in Rechtskraft erwachsen ist.

2. Es besteht auch weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

Der Angeklagte ist durch das Landgericht Münster am 16. November 2005 wegen der rechtskräftig feststehenden Taten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Der Generalbundesanwalt hat mit Antragsschrift vom 30. Januar 2006, die am 1. Februar 2006 bei dem Verteidiger des Angeklagten eingegangen ist, beim Bundesgerichtshof auf die Verwerfung der Revision des Angeklagten angetragen. Damit hat sich für den Angeklagten die Aussicht weiter verdichtet, daß er diese erkannte Strafe auch wird verbüßen müssen.

Entgegen der Ansicht der Verteidigung sieht der Senat - und das ist auch dem strafrechtlich erfahrenen Angeklagten klar - keine berechtigten Aussichten auf eine vorzeitige Haftentlassung. Sein Strafregisterauszug weist seit 1991 insgesamt elf Eintragungen auf. Durch Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 17. September 1991, rechtskräftig seit dem 25. November 1991, ist gegen ihn wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit einem Vergehen gegen das Waffengesetz eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung festgesetzt worden. Am 25. März 1992, rechtskräftig seit dem 16. April 1992, verhängte das Amtsgericht Bielefeld gegen ihn wegen fortgesetzten Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen sowie falschen Angaben über die Leistung der Gesellschaftseinlagen eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen. Bereits am 21. Januar 1993, rechtskräftig seit dem 18. Juni 1993, folgte die Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht Frankfurt/M. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Einbezogen wurde die vorgenannte Entscheidung des Amtsgerichts Lippstadt. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der erkannten Strafe wurde ein Strafrest von 390 Tagen am 10. August 1998 durch die Strafvollstreckungskammer Bielefeld zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafaussetzung wurde jedoch später widerrufen, so daß die Strafvollstreckung am 24. Februar 2004 erledigt war. Am 3. Juni 1993 wurde der Angeklagte wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt. Wegen desselben Delikts verhängte das Amtsgericht Bielefeld am 21. April 1994, rechtskräftig seit dem 12. Mai 1994, eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen und erneut am 22. Januar 1997, rechtskräftig am 30. Januar 1997 eine solche von 90 Tagessätzen. Am 23. August 1999, rechtskräftig seit dem 24. Juni 2000, folgte die Verurteilung durch das Amtsgericht Bielefeld wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Auch diese Strafaussetzung wurde später widerrufen. Am 2. April 2001 verurteilte ihn das Amtsgericht Weißenburg i. Bay., rechtskräftig seit dem 19. April 2001, wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Am 21. Mai 2001 folgte die Verurteilung durch das Amtsgericht Bielefeld wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Dieses Urteil ist seit dem 18. Juli 2001 rechtskräftig. Aus den Verurteilungen vom 2. April und 21. Mai 2001 wurde nachträglich eine Gesamtgeldstrafe von 140 Tagessätzen gebildet. 100 Tagessätze hiervon wurden, wie oben bereits ausgeführt, in Unterbrechung der vorliegenden Untersuchungshaft als Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt. Schließlich wurde der Angeklagte am 7. August 2001, rechtskräftig seit dem 9. Januar 2002, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht Warendorf zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung war am 24. April 2004 erledigt.

Der Angeklagte hat sich aufgrund des Raubes in Frankfurt in der Zeit vom 27. August bis zum 6. November 1991 in Untersuchungshaft befunden. Die Strafhaft aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 21. Januar 1993 wurde ab Mitte 1996 gegen ihn vollstreckt, die Vollstreckung des Strafrestes von 390 Tagen und weiterer Freiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen erfolgte vom 31. Januar 2002 bis zum 24. April 2004.

Angesichts dieses strafrechtlichen Vorlebens und der vollständigen Verbüßung mehrerer Freiheitsstrafen sieht der Senat keine Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte in der vorliegenden Sache, die Rechtskraft der ergangenen Entscheidung unterstellt, vorzeitig aus der Strafhaft entlassen werden könnte. Davon wird der hafterfahrene Angeklagte - er hat bereits Freiheitsstrafen von insgesamt vier Jahren fünf Monaten vollständig verbüßt und war zudem bis 1988 Polizeibeamter - auch selbst nicht ausgehen. Er hat also zu gegenwärtigen, daß er noch rund 17 Monate der erkannten Freiheitsstrafe wird verbüßen müssen, falls sein Rechtsmittel entsprechend der Stellungnahme des Generalbundesanwalts keinen Erfolg hat.

Hinzu kommt, daß er durch das Amtsgericht Detmold am 22. August 2005 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln innerhalb der Justizvollzugsanstalt Detmold zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist. Seine Berufung hat das Landgericht Detmold, wie der Senat durch telefonische Auskunft der Berufungskammer erfahren hat, am 24. Januar 2006 verworfen. Weil der Angeklagte gegen dieses Urteil Revision eingelegt hat, ist das Urteil zwar nicht rechtskräftig. Gleichwohl hat sich verdichtet, daß er auch diese Strafe wird - vollständig - verbüßen müssen, was den Fluchtanreiz verstärkt.

Hinzu kommt, daß die wirtschaftliche Grundlage des Angeklagten im Falle seiner Entlassung jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland nur als desolat zu bezeichnen ist. Allein die Steuer- und Abgabenschulden des Angeklagten aufgrund des vorliegenden Verfahrens betragen rund 300.000,00 Euro. Hinzu kommen private Schulden in Höhe von mindestens 20.000,00 Euro und darüber hinaus alte Steuerschulden aus dem Jahr 1991 aufgrund des Betreibens von Gastroniebetrieben in Höhe von rund weiteren 250.000,00 Euro. Konkrete Aussicht auf Arbeit oder eine Beschäftigung hat der Angeklagte nicht. Soweit er in der Vergangenheit mehr oder weniger selbständig Betriebe geführt hat, hat dies in der Folgezeit zu einem finanziellen Desaster oder Straftaten und folgend dem wirtschaftlichen Zusammenbruch geführt.

Für den Fall einer Entlassung ist für den umfangreich vorbestraften Angeklagten nur von allgemeiner Perspektivlosigkeit auszugehen, die ihn angesichts der noch offenen (Rest-)Freiheitsstrafen dazu veranlassen wird, sich der zu erwartenden Strafvollstreckung nicht zu stellen. Der Senat sieht es als wahrscheinlich an, daß der Angeklagte allenfalls im Ausland versuchen würde, sich eine neue Existenz aufzubauen. Angesichts der drohenden weiteren Strafvollstreckung in zwei Verfahren und der erdrückenden Schulden ist nicht vorstellbar, daß der Angeklagte in der Bundesrepublik Deutschland versuchen würde, wieder Fuß zu fassen. Daß hier ein Leben oberhalb der Pfändungsfreigrenze auf Dauer nicht möglich sein wird, ist auch dem Angeklagten klar.

Daß ihn von einer Flucht die Bindungen zu seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin abhalten könnte, schließt der Senat aus. Zunächst ist zu sehen, daß sich der Angeklagte seit dem 31. Januar 2002, also seit nunmehr mehr als vier Jahren ununterbrochen in Strafhaft befindet. In dieser ganzen Zeit haben ihn seine Kinder nicht besucht, sondern nur brieflich Kontakt zu ihm gehalten. Während der ersten Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte ausweislich der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Münster vom 3. Februar 2005 (Bl. 1852 d.A.) vielmehr noch über die unterbliebenen Besuche seiner Kinder beklagt. Auch der Kontakt zu seiner Lebensgefährtin war in dieser langen Zeit von nunmehr fast vier Jahren aufgrund der Vollstreckung von Straf- und Untersuchungshaft naturgemäß erheblich eingeschränkt. Dies führt erfahrungsgemäß zu einer deutlichen Lockerung der gegenseitigen Bindung. Selbst wenn sich die Beziehung in der von ihm geltend gemachten Weise als tragfähig erweisen sollte, ist nicht erkennbar, warum die Lebensgefährtin den Angeklagten nicht auf einer Flucht begleiten sollte, um mit ihm in einem anderen Land unter sehr viel günstigeren Bedingungen eine neue Existenz aufzubauen. Gerade der Umstand, daß der Angeklagte "aufgrund seiner Intelligenz und Flexibilität immer wieder Fuß fassen" wird, legt dies sogar nahe. Denn in der Bundesrepublik Deutschland besteht dafür keine realistische Aussicht.

Insgesamt ist somit davon auszugehen, daß sich der Angeklagte dem weiteren Verfahren eher durch Flucht entzieht, als daß er sich ihm stellen würde.

3. Der Haftbefehl ist auch nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen aufzuheben. Insbesondere sieht der Senat auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Untersuchungshaft keine Veranlassung, den Haftbefehl aus Gründen unzureichender Verfahrensbeschleunigung aufzuheben.

a) Ein Grund kann dafür insbesondere nicht darin gesehen werden, daß das Ermittlungsverfahren bis zur Anklageerhebung mehr als zwei Jahre in Anspruch genommen hat. In dieser Zeit hat sich der Angeklagte nicht in Untersuchungshaft befunden, es hat kein Haftbefehl gegen ihn bestanden. Für sich genommen ist diese Dauer des Ermittlungsverfahrens nicht zu beanstanden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet, gerade Haftsachen bevorzugt und mit besonderer Beschleunigung zu bearbeiten. Das bedeutet aber zugleich, daß gewisse Verzögerungen, soweit sie hier feststellbar sein sollten, von einem nicht in Untersuchungshaft genommenen Angeklagten hingenommen werden müssen. Eine nicht mehr hinnehmbare Verzögerung über Jahre, die eine andere Beurteilung nahe legen könnte, ist jedenfalls nicht ersichtlich.

b) Das besondere Beschleunigungsgebot war somit erst ab Erlaß des Haftbefehls vom 5. April 2004 zu beachten. Das Verfahren seit dieser Zeit weist jedoch keine der Justiz anzulastenden Verzögerungen auf, die die Aufhebung des Haftbefehls erfordern würden.

An diesem Tage hatte die Strafkammer zugleich die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster mit Änderungen zur Hauptverhandlung zugelassen. Der Haftbefehl ist dem Angeklagten am 21. April 2004 verkündet worden. Vollstreckt wird er, wie bereits erwähnt, erst seit dem 25. April 2004. Bereits am 12. Mai 2004 hat der Vorsitzende die Termine zur Hauptverhandlung beginnend ab dem 14. Juni 2004 bestimmt. Am 26. Mai 2004 ist zudem der bisherige Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger bestellt worden. Am 24. Mai 2004 legte dieser eine umfangreich begründete Haftbeschwerde ein, der die Strafkammer durch einen mehrseitigen Beschluß am 4. Juni 2004 nicht abgeholfen hat. Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2004 hat der Verteidiger dann beantragt, die Entscheidung über die Beschwerde zunächst zurückzustellen. Während der Hauptverhandlung, die am 14. Juni, 17. Juni, 24. Juni, 1. Juli, 9. Juli, 15. Juli, 22. Juli, 23. Juli, 28. Juli, 2. August, 6. August, 6. September, 9. September, 20. September, 29. September, 8. Oktober, 25. Oktober, 4. November, 12. November, 19. November, 1. Dezember, 15. Dezember, 17. Dezember 2004, 6. Januar , 19. Januar und 31. Januar 2005 stattgefunden hat, verfaßte der Verteidiger unter dem 24. Juni und 15. September 2004, der Angeklagte unter dem 22. Juli 2004 Schutzschriften, die zusätzlich zu bearbeiten waren. Ergänzende und umfangreiche Berechnungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gingen bei der Strafkammer am 8. November 2004 ein. Der erforderliche Arbeitsaufwand der Sache wird auch dadurch deutlich, daß der Verteidiger im Rahmen seines Pauschvergütungsantrages einen Zeitaufwand für seine Tätigkeit mit insgesamt 276 Stunden angegeben hat (Bl. 1954 d.A.).

Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2005 - 2 BvR 1964/05 - sieht der Senat das Beschleunigungsgebot durch die Terminsdauer der einzelnen Termine, die sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll und auch der Aufstellung im Rahmen des Pauschvergütungsantrages des Verteidigers vom 18. März 2005 (vgl. Bl. 1953 d.A.) ergeben, und die Terminsdichte der ersten Hauptverhandlung nicht verletzt. Die Förderung des umfangreichen Verfahrens bis zur Urteilsreife in rund siebeneinhalb Monaten spricht nach Ansicht des Senats für eine ausreichende Erledigung in jedenfalls noch angemessener Zeit. Zu bedenken und auch aus der Sicht eines Angeklagten in Untersuchungshaft zu akzeptieren ist, daß in der Zeit vom 6. August bis zum 6. September 2004 die Hauptverhandlung für 30 Tage unterbrochen worden ist, um den Beteiligten die berechtigte und erforderliche Möglichkeit zu eröffnen, Jahresurlaub in Anspruch zu nehmen. Wollte man dies nicht zulassen, liefe das auf ein weitgehendes Urlaubsverbot von Mitgliedern von Strafkammern hinaus, da diese ganz überwiegend mit Haftsachen befaßt sind.

Das schriftliche Urteil lag fristgerecht am 18. April 2005 der Geschäftsstelle vor, was angesichts des Aktenumfangs, der Dauer der Hauptverhandlung und der Schwierigkeit der Sachlage jedenfalls aus der Sicht des Senats ebenfalls nicht zu beanstanden ist, selbst wenn die Höchstfrist für die Urteilsabsetzung ausgeschöpft worden ist. Zu Bedenken ist dabei, daß ein Urteil unterschrieben worden ist, in das keinerlei Korrekturen mehr einzuarbeiten waren, so daß die Urteilsausfertigungen ungewöhnlich schnell versandt werden konnten. Bereits am 21. April 2005 ist dem Verteidiger das vollständig abgefaßte Urteil zugestellt worden. Das Urteil umfaßt insgesamt 61 Seiten und enthält 28 Seiten umfangreiche und mehrspaltige Tabellen. Die Ausarbeitung und Kontrolle eines solchen Urteils erfordert erfahrungsgemäß einen ganz erheblichen Arbeitsaufwand.

Das Verfahren von der Urteilsverkündung bis zur Zustellung ist daher nach Ansicht des Senats insgesamt betrachtet zügig betrieben worden.

Nach Eingang der Revisionsbegründung am 23. Mai 2005 sind dem Bundesgerichtshof die Akten am 4. August 2005 mit einer 20-seitigen Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. August 2005 vorgelegt worden. Am 19. August 2005 ist dazu eine umfangreiche Gegenerklärung der Verteidigung eingegangen. Am 21. September 2005 hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil in einem Teil des Rechtsfolgenausspruchs aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Die Akten sind nach Abschluß des Revisionsverfahrens am 7. Oktober 2005 bei der Staatsanwaltschaft Münster eingegangen. Am 28. Oktober 2005 hatte die neue Strafkammer über den Antrag des Angeklagten vom 20. Oktober 2005 auf mündliche Haftprüfung zu befinden. Bereits am 31. Oktober 2005 bestimmte der Vorsitzende Termin zur neuen Hauptverhandlung auf den 16. November 2005. An diesem Tage erging ein Urteil.

Auch dieser Verfahrensgang gebietet die Aufhebung des Haftbefehls nicht. Der Senat verkennt nicht, daß es durch die teilweise Aufhebung des zunächst ergangenen Urteils vom 31. Januar 2005 zu einer gewissen Verzögerung gekommen ist. Jedoch führt dies nach Ansicht des Senats auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Beschluß vom 5. Dezember 2005 - 2 BvR 1964/05 - nicht zur Aufhebung des Haftbefehls. Die durch die Teilaufhebung eingetretene Verfahrensverzögerung hat hier nicht ein solches Gewicht, daß die Aufhebung des Haftbefehls geboten wäre. Dabei hat der Senat bedacht, daß die Dauer der Untersuchungshaft zwar nicht unerheblich, aber noch nicht übermäßig lang war. Das Verfahren ist bis zur Aufhebung durch den Bundesgerichtshof angemessen gefördert, danach sogar mit besonderer Beschleunigung betrieben worden. So lag das vollständige Urteil der 12. Großen Strafkammer mit den erforderlichen Unterschriften sogar schon am 2. Dezember 2005, also nur 16 Tage nach der Urteilsverkündung, auf der Geschäftsstelle vor. Zu einer Verzögerung ist es im weiteren Verfahrensablauf lediglich deshalb gekommen, weil der Verteidiger die Revision des Angeklagten zunächst zurückgenommen hatte, später jedoch geltend gemacht worden ist, ihm habe dazu die besondere Ermächtigung gefehlt. Diese Verzögerung ist dem Gericht nicht anzulasten. Trotz dieses Umstandes ist bereits in den nächsten Tagen mit der Entscheidung des Bundesgerichtshof über die Revision des Angeklagten zu rechnen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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