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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.11.2002
Aktenzeichen: 5 Ss 1016/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 267
Auf die Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten kann nur in sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen verzichtet werden
Beschluss

Strafsache

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendschöffengerichts Dortmund vom 20. August 2002 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 11. 2002 durch die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an ein anderes Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

I. Das Jugendschöffengericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, "in einem Fall: minder schwerer Fall", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten, mit der er ausschließlich die Verletzung materiellen Rechts hinsichtlich des Schuldspruchs wie auch des Rechtsfolgenausspruchs rügt.

2. Zum Tatgeschehen hat das Jugendschöffengericht festgestellt:

"An einem nicht näher bestimmbaren Tag Anfang bis Mitte 1993, eventuell auch 1992, die Zeugin H.M. mag 6 oder 7 Jahre alt gewesen sein, hielt sich diese in der beschriebenen Wohnung der Familie S. im Hause G.Straße 41 auf, weil sie mit ihrer Freundin F. S. zusammen war. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch der Angeklagte in der Wohnung. Es kam dazu, dass sich der Angeklagte zusammen mit den beiden Mädchen im Kinderzimmer der Wohnung aufhielt. Die beiden Mädchen spielten gern mit dem Angeklagten. Ob im Rahmen eines Spiels oder weil der Angeklagte etwas vorlas, kam es dazu, dass der Angeklagte auf dem Boden saß, den Rücken an die Heizung gelehnt, die Beine gespreizt. Zwischen seinen gespreizten Beinen saß die Zeugin H.M., links oder rechts neben ihr F. S.. Während H.M. zwischen seinen gespreizten Beinen saß, schob der Angeklagte nun von oben durch den Hosenbund seine Hand unter die getragene Oberbekleidungshose sowie die Unterhose der H.M. und manipulierte mit seinen Fingern an der Scheide des Kindes H.M.. Dabei fragte er sinngemäß das Kind, ob das gut sei oder ob ihr das gefalle. So handelte der Angeklagte einige Minuten, bis aus irgendeinem Grund die Situation ein Ende nahm. Das Kind H.M. wehrte sich nicht gegen die Manipulation des Angeklagten. Ihr war es zwar fremd, dass sie an dieser Stelle angefasst wurde. Da es nicht weh tat, allenfalls kitzelte, widersetzte sie sich nicht.

Allerdings, als sie auf ihre Mutter traf, erzählte sie, dass der Onkel H. ohne Bart, der Angeklagte, sie an der "Muschi gekrault" habe. Die Mutter, die Zeugin E.M., stellte einige Nachfragen und es kam zu einem Gespräch mit Herrn Axel S., wie aber auch in der Wohnung Mohr zwischen dem Ehepaar Mohr und dem Ehepaar Siwek. Der Angeklagte stritt ab. Ergebnis der Erörterung war, dass das geschilderte Erlebnis der H.M. nicht weiter verfolgt werden sollte. Jedoch wurde H.M. untersagt, zu ihrer Freundin F. S. zu gehen, wenn der Angeklagte sich in der Wohnung S. aufhalte.

Einige Zeit später, es mag ein Jahr gewesen sein, die Zeugin E.M. meint, es sei vor den Osterferien 1994 gewesen, kam die Zeugin H.M. vom Tennistraining. Sie hatte ihrer Freundin F. versprochen, dass sie danach zu ihr in die Wohnung kommen wolle. Das tat die Zeugin H.M.. Offenbar war sie sich nicht bewusst darüber, dass der Angeklagte sich in der Wohnung S. aufhielt. Jedenfalls kam es dann im Kinderzimmer der Zeugin F. S. zu einem lustigen Spiel, sodass die Zeugin H.M. das Verbot ihrer Eltern beiseite schob. Der Angeklagte krabbelte auf allen Vieren hinter den Mädchen über den Boden. Es mag sein, dass sich das Spiel um die Geschichte von Tarzan und Jane drehte. Jedenfalls kam es dazu, dass der Angeklagte die vor ihm krabbelnde Zeugin H.M. mit er Hand von hinten um den Bauch fasste, fest- und hochhielt, bei dieser Gelegenheit wiederum unter ihre Kleidung und ihre Unterhose von oben hineinfasste und mit der Hand die Scheidengegend berührte. Diesmal reagierte die Zeugin H.M. sofort, indem sie sich dem Griff des Angeklagten entzog und das Haus verließ. Auch hierüber berichtete sie ihren Eltern. Gleichwohl wurde damals entschieden, dass es nicht zu einer Anzeige kommen sollte."

Nach den Urteilsgründen beruhen diese Feststellungen "auf der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, im Übrigen auf den Bekundungen vor allen Dingen der Zeugin H.M., aber auch ihrer Mutter E.M., der sich H.M. tatzeitnah anvertraut hat". Wie sich der Angeklagte im Einzelnen zur Sache eingelassen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Insoweit heißt es lediglich: "Der Angeklagte bestreitet sämtliche Vorwürfe und versucht wortreiche Erklärungen".

Der auf die Sachrüge vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung des angefochtenen Urteils halten die Darlegungen des Jugendschöffengerichts zur Beweiswürdigung nicht stand.

1. Grundlage jeder Sachentscheidung des Strafrichters ist der Tathergang, von dem der Richter überzeugt ist. Gemäß § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters. Allerdings sind dem Gericht bei der ihm nach § 261 StPO eingeräumten Freiheit der Überzeugungsbildung Grenzen gesetzt, deren Beachtung das Revisionsgericht prüft.

Grundlage dieser revisionsgerichtlichen Beweiswürdigungsprüfung ist das schriftliche Urteil, mit dem der Tatrichter darüber Rechenschaft gibt, auf welchem Wege er von den Beweismittelergebnissen zum festgestellten Sachverhalt gelangt ist (vgl. BGH NStZ 1985, 184). Aus der Verfahrensvorschrift des § 267 StPO, die den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist eine entsprechende Erörterung und Würdigung dann notwendig, wenn das Revisionsgericht nur auf dieser Grundlage nachprüfen kann, ob das materielle Recht richtig angewendet worden ist und ob die Denk- und allgemeinen Erfahrungssätze beachtet worden sind. Das ist in aller Regel der Fall; nur bei sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen kann das Gericht auf die Wiedergabe der Einlassung und auf eine Auseinandersetzung mit den Angaben des Angeklagten ohne Verstoß gegen seine materiell-rechtliche Begründungspflicht verzichten (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 217 und StV 1984, 64; Niemöller, Die strafrichterliche Beweiswürdigung in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StV 1984, 431 (436/437); OLG Köln VRS 87, 205 (206); OLG Stuttgart, Die Justiz 1990, 372; OLG Düsseldorf, NStZ 1985, 323; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., § 267 StPO Rdnr. 12 m.w.N.). Wie von der Revision mit Recht geltend gemacht wird, genügt das angefochtene Urteil diesen Anforderungen nicht, weil es an der Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten fehlt, obwohl die Sache offenkundig weder tatsächlich noch rechtlich einfach gelagert ist.

Schon dieser sachlich-rechtliche Mangel nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, da der Senat nicht prüfen kann, ob die Überzeugung des Jugendschöffengerichts auf rechtlich fehlerfreien Erwägungen beruht. Das angefochtene Urteil war deshalb mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Dortmund zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), das auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird, da deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.

2. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil weitere rechtliche Bedenken bestehen. Das Jugendschöffengericht hat (auch) den Inhalt der Aussage der Zeugin H.M., auf die es sich bei ihrer Entscheidung maßgeblich gestützt hat, nicht mitgeteilt, sondern insoweit lediglich ausgeführt: Diese Ausführungen, die sich nicht im Ansatz an den Grundsätzen der Strafzumessung gemäß § 46 StGB orientieren, stellen eine tragfähige und für das Revisionsgericht nachprüfbare Begründung für die Verhängung der ausgesprochenen Strafe nicht dar, was die Revision zu Recht beanstandet.

Was die Verhängung der Freiheitsstrafe von fünf Monaten für die "zweite Straftat" betrifft, hat das Jugendschöffengericht strafschärfend verwertet, dass der Angeklagte "auch trotz der beeindruckenden Zeugenaussage H.M. bei seinem Bestreiten" blieb, was zeige, "dass er sein Fehlverhalten nicht einräumen kann". Auch dies ist rechtlich fehlerhaft. Zwar hätte die Einsicht des Angeklagten in von ihm begangenes Unrecht einen Strafmilderungsgrund darstellen können. Das Fehlen eines solchen Umstandes ist aber nicht umgekehrt ein strafschärfender Gesichtspunkt (vgl. BGH MDR 1980, 240; Stree in SchönkelSchröder, StGB, 26. Aufl., § 46 Rdnr. 45 b).

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