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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.09.2007
Aktenzeichen: 5 UF 57/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1626a Abs. 1 Nr. 1
BGB § 1626a Abs. 2
BGB § 1680 Abs. 2 S. 2
BGB § 1697
BGB § 1773
BGB § 1774
BGB § 1791b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Iserlohn vom 26. März 2007 abgeändert.

Für das am 28.10.2003 geborene Kind U wird Vormundschaft angeordnet.

Zum Vormund wird bestimmt:

Rechtsanwalt N

X-str. ##, ####5 I

Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert wird für die Rechtsmittelinstanz auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I

Das am 28.10.2003 geborene Kind U stammt aus einer Beziehung der Kindesmutter B (geb. 14.12.1973) mit dem Beteiligten zu 1) (geb. 23.08.1975). Die Kindeseltern, die seit 1999 zusammen lebten, waren nicht miteinander verheiratet. In ihrem Haushalt lebte auch die aus einer geschiedenen Ehe der Kindesmutter stammende Tochter M (geb. 25.06.1995). Eine gemeinsame Sorgeerklärung (§ 1626a I Nr. 1) für U haben die Kindeseltern nicht abgegeben.

Nach der Geburt Us kam es zu vermehrten Streitigkeiten zwischen den Kindeseltern, die dazu führten, dass sich die Kindesmutter im Sommer 2005 vom Kindesvater trennte. Der Kindesvater, der die Trennung nicht akzeptieren konnte, stellte der Kindesmutter nach, bedrohte und beleidigte sie.

Eine Tätlichkeit des Kindesvaters am 20.08.2005 (u.a. heftige Ohrfeige) und weitere telefonische Drohungen am 06.09.2005 waren für die Kindesmutter Anlass, eine einstweilige Anordnung, die am 09.09.2005 erlassen wurde, zu erwirken, wonach es dem Kindesvater untersagt wurde, die Wohnung der Kindesmutter zu betreten, sich in einem Umkreis von 20 Metern der Wohnung zu nähern, mit der Kindesmutter Verbindung - auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln - aufzunehmen, Zusammentreffen mit der Kindesmutter herbeizuführen oder ihr nachzustellen. Weiterhin wandte sich die Kindesmutter an das Jugendamt, da die Streitigkeiten mit dem Kindesvater auch dessen Umgang mit dem gemeinsamen Sohn U betrafen und die Kindesmutter aufgrund von Äußerungen aus dem familiären Umfeld des Kindesvaters eine Entführung des Kindes befürchtete. Unter Mitwirkung des Vaters der Kindesmutter gelang es in dieser Phase des Elternkonfliktes zunächst, einige Umgangskontakte zwischen U und dem Kindesvater zu vermitteln und durchzuführen. Der Konflikt zwischen den Kindeseltern eskalierte jedoch weiter, als sich die Kindesmutter im Oktober 2005 einem anderen Mann (T) zuwandte. In täglich mehrfachen SMS beleidigte der Kindesvater die Kindesmutter mit Ausdrücken wie "Schlampe", drohte ihr und ihrer Familie und brachte zum Ausdruck, dass er keinen anderen Mann an der Seite der Kindesmutter sehen wolle. Gegenüber dem Vater der Kindesmutter äußerte er, wenn die Kindesmutter so weiter mache, werde er sie töten, da könnten ihn nicht mal zehn Jahre Knast stoppen. Ab dem 29.10.2005 ließ die Kindesmutter einen Umgang des Kindesvaters mit U nicht mehr zu. Anfang November 2005 zerstörte der Kindesvater die Wohnungstür der Kindesmutter. Am 10.11.2005 beantragte die Kindesmutter beim Amtsgericht gegen den Kindesvater ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft anzudrohen weil dieser am 31.10., 04.11., 05.11. und 06.11.2005 gegen das durch Beschluss vom 06.09.2005 angeordnete umfassende Kontaktverbot verstoßen habe. In den Konflikt hatten sich inzwischen auch die Brüder und weitere Familienangehörige des Kindesvaters eingeschaltet, die nicht nur auf die Kindesmutter einwirkten, sondern auch den Vater der Kindesmutter bedrohten und den neuen Freund der Kindesmutter und dessen Familie in den Konflikt einbezogen.

Selbst eine größere räumliche Distanz durch einen innerörtlichen Umzug der Kindesmutter im Dezember 2005 konnte den Konflikt nicht beruhigen, der am 31.12.2005 darin gipfelte, dass die Kindesmutter und ihr Freund gegen 23.20 Uhr auf offener Straße erschossen und ein Bruder des Freundes angeschossen wurde. Die Tat ereignete sich unmittelbar vor einem Mehrfamilienhaus, in dem die Eltern des Freundes wohnten in deren Obhut die Kindesmutter M und U an diesem Abend gelassen hatte und die sie dort abholen wollte. Sowohl M als auch U sahen ihre getötete Mutter auf der Straße liegen, als sie von Polizeibeamten aus dem Haus geführt wurden. U weiß, dass seine Mutter tot ist, kennt aber die Umstände ihres Todes bisher nicht.

Nach den Feststellungen der 4. Strafkammer (Schwurgericht) des Landgerichts Hagen in dem Urteil vom 10.11.2006 (31 Ks 400 Js 179/06 - 9/06) kommen als Täter nur der Kindesvater, einer seiner beiden Brüder oder allenfalls noch ein Schwager in Betracht, wobei jedoch keinem dieser genannten Personen die Tat mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden konnte und der allein angeklagte Bruder des Kindesvaters freigesprochen wurde.

Die Kinder U und M wurden nach dem Tod der alleinsorgeberechtigten Kindesmutter vom Jugendamt der Stadt J in Obhut genommen und zunächst in einer Kinder- und Jugendklinik für Traumatologie untergebracht. Das Jugendamt der Stadt J wurde durch Beschlüsse des Vormundschaftsgerichts vom 05.01.2006 gem. §§ 1773,1774, 1791b BGB vorläufig zum Vormund der Kinder bestellt.

Die Kinder verblieben bis zum 27.01.2006 in der Klinik. Die dortige Therapeutin verwies auf die enge Verbindung zwischen den Kindern und sprach sich für ein Zusammenbleiben und gemeinsame Unterbringung der Kinder aus. Ms in Süditalien lebender Vater, dem durch Beschluss des Familiengerichts vom 20.01.2006 (15 F 10/06) die elterliche Sorge übertragen worden war, holte M aus der Klinik ab und nahm sie in seinen Haushalt auf. U wechselte in ein Kleinstheim, wo er sich bis heute befindet.

Die Großeltern mütterlicherseits hatten während des Klinikaufenthalts fast täglich Kontakt zu den Kindern, der zu U nach dessen Wechsel in die Kleinsteinrichtung nicht abgerissen ist und auch dort regelmäßig stattfindet. M wechselte am 21.06.2006 mit Einverständnis ihres Vaters in den Haushalt der Großeltern, weil sich das stark traumatisierte Kind in der für sie fremden Umgebung im Haushalt des Vaters nicht wohlfühlte und dort nicht zurecht kam. Auch sie hat seit Dezember 2006 regelmäßigen Umgangskontakt zu U.

Der Kindesvater wandte sich erstmals durch Anwaltsschreiben vom 16.01.2006 und in einem persönlichen Gespräch am 06.02.2006 zum Zwecke des Umgangs mit U an das Jugendamt. Begleitete Umgangskontakte fanden daraufhin am 03.03. und 16.03.2006 in den Räumen des Jugendamtes statt. Ein für den 03.04.2006 geplanter Umgang fand nicht mehr statt, weil an diesem Tag ein Bruder des Kindesvaters wegen Mordverdachtes verhaftet wurde und das Jugendamt die Besuchskontakte wegen des Verdachtes der Verwicklung des Kindesvaters in die Tötung der Kindesmutter aussetzte. Am 09.06.2006 stellte der Kindesvater beim Familiengericht einen Antrag auf Regelung des Umgangs. Am 06.10.2006 vereinbarten die Verfahrensbeteiligten vor dem Familiengericht, dass begleitete Umgangskontakte zunächst 14-tägig in dem Räumen des Jugendamtes M stattfinden sollten. Aufgrund dieser Absprache kam es zu Umgangskontakten am 20.10. und 06.11.2006. Als das Jugendamt M aufgrund einer Rückmeldung der Kleinsteinrichtung, dass U den 14-tägigen Rhythmus nicht verkrafte, mit dem Kindesvater einen monatlichen Umgangskontakt vereinbaren wollte, kam es zu keinen weiteren Umgangskontakten, weil der Kindesvater mit der Reduzierung des Umgangs nicht einverstanden war.

Durch Beschluss vom 23.03.2007 hat das Familiengericht festgestellt, dass die elterliche Sorge nicht auf den Kindesvater zu übertragen ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kindesvater weiterhin als Mörder der Kindesmutter in Betracht komme. Zwar sei der Kindesvater nicht angeklagt worden und die Anklage seines Bruders habe mit einem Freispruch geendet. Nach den Feststellungen in den Urteilsgründen bestehe aber kein Zweifel, dass es sich bei der Tötung der Kindesmutter um einen sogenannten Ehrenmord handele, der entweder vom Kindesvater oder einem seiner beiden Brüder begangen worden sei. Auf diesem Hintergrund entspreche es nicht dem Kindeswohl, dem Kindesvater, der sich zum Verhältnis zur Kindesmutter und zu Tat nicht geäußert und sich von dieser auch nicht distanziert habe, die elterliche Sorge zu übertragen, zumal dann auch ein Umgang mit den Großeltern mütterlicherseits mit Sicherheit auf Dauer abgeschnitten sei.

Der Kindesvater wendet sich mit seiner Beschwerde gegen diese Entscheidung und macht geltend, dass er zu keinem Zeitpunkt als Täter des Tötungsdeliktes gegen die Kindesmutter in Betracht gekommen sei. Er habe geglaubt, dass das Thema "Sippenhaft" in Deutschland seit einigen Jahren erfreulicherweise der Vergangenheit angehöre. Selbst wenn ein Verwandter die Tat begangen haben sollte, so besage dies nichts über seine Erziehungseignung und Erziehungsbereitschaft. Er sei der leibliche Vater des Kindes und stehe als feste Bezugsperson für U zur Verfügung. Er sei erziehungsgeeignet und erziehungsbereit. Gründe, ihm die elterliche Sorge nicht zu übertragen, hätten sich aus dem bisherigen Verfahren nicht ergeben.

Der Senat hat den Kindesvater, das Kind, dessen Großeltern (mütterlicherseits), die Leiterin der Kleinsteinrichtung sowie die weiteren Beteiligten angehört. Auf die Sitzungsniederschriften, die Berichterstattervermerke sowie die schriftlichen Stellungnahmen, Berichte und Erklärungen der Beteiligten wird Bezug genommen. Umgangskontakte erfolgten in der Beschwerdeinstanz am 12.07. und 22.08.2007.

II

Die elterliche Sorge ist nicht gem. § 1680 II 2 BGB auf den Kindesvater zu übertragen. Für das Kind U war gem. §§ 1697, 1773, 1774 BGB Vormundschaft anzuordnen und ein Vormund auszuwählen.

1. Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge für das Kind U war gem. § 1626a II BGB bis zu ihrem Tod die Kindesmutter, die mit dem Kindesvater, dem Beteiligten zu 1) nicht verheiratet war und mit diesem keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben hatte.

Nach dem Tod der allein sorgeberechtigten Kindesmutter ist in verfassungskonformer Auslegung des § 1680 II 2 BGB die elterliche Sorge grundsätzlich dem Kindesvater zu übertragen, weil dies regelmäßig dem Kindeswohl dient. Eine Übertragung hat jedoch zu unterbleiben, wenn - wie hier - konkret feststellbare Kindesinteressen der Übertragung widersprechen (BVerfG FamRZ 2006, 385).

a) Dem Kindesvater fehlt jegliches Gespür und Verständnis für die Traumatisierung des Kindes, die durch den Tod der Mutter und dem damit verbundenen plötzlichen Beziehungsabbruch zu seiner Hauptbezugsperson eingetreten ist.

Der Tod der Kindesmutter wird vom Kindesvater völlig negiert. Der Kindesvater war und ist - unbeeindruckt von den Berichten über die Befindlichkeiten und Bedürfnisse seines Sohnes - der festen und immer wieder von ihm geäußerten Überzeugung, dass alles für U gut werde und auch nur gut werden könne, wenn U zu ihm und in seine Familie käme. In seiner Anhörung vor dem Senat hat der Kindesvater erklärt, U sei sein Fleisch und Blut. U brauche ihn. Er sei sein Vater und wolle nicht, dass U in einem Heim oder in einer Pflegefamilie groß werde. Er sei die einzige Medizin für U und dessen Doktor. Kein anderer könne das. Auch gegenüber dem Verfahrenspfleger hat sich der Kindesvater am 05.06.2007 dahin geäußert, für ihn stehe außer Frage, dass es keine andere Person außer ihm gebe, der sich um U kümmern könne. Er lebe für seinen Sohn. Wenn der Sohn mit ihm zusammenlebe, brauche dieser auch keine Therapie wegen des Todes der Mutter.

Bei dieser Einstellung ist der Kindesvater nicht in der Lage, dem Kind das zur Aufarbeitung des Traumas benötigte feste Beziehungsangebot und einfühlsame Erziehungsverhalten zu bieten und die erforderliche therapeutische Hilfe zu gewährleisten. Dies gefährdet das Kindeswohl.

Auch die näheren Umstände des Todes der Mutter, von denen U zur Zeit noch nichts weiß, bedürfen in der Zukunft einer einfühlsamen Aufarbeitung und therapeutischen Begleitung. Dies wird der Kindesvater aufgrund seiner Einstellung und seiner möglichen Verstrickung in den Tod der Kindesmutter nicht leisten wollen und tatsächlich auch nicht können.

Die Defizite des Kindesvaters können nicht dadurch kompensiert werden, dass der Kindesvater beabsichtigt, seine Familie in die Betreuung und Erziehung des Kindes einzubeziehen. Auch hier ist nicht ersichtlich und gewährleistet, dass U eine einfühlsame Erziehung und die für die Aufarbeitung des Traumas erforderliche Unterstützung und Begleitung erhalten würde, da nach den überzeugenden Feststellungen des Schwurgerichts der Mörder der Kindesmutter aus dem engsten Familienumfeld des Kindesvaters kommt.

b) Gegen eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater spricht weiterhin, dass er nicht über die erforderliche Bindungstoleranz verfügt. Insoweit hat er eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er die Kontakte Us zu den Großeltern (mütterlicherseits) ablehnt und Kontakte zur Schwester nur unter engen Voraussetzungen (begleiteter Umgang) zulassen würde. In seiner Anhörung vor dem Senat hat er erklärt, dass er die Großeltern nicht akzeptiere, er lebe, U habe ihn, er sei sein Vater. Dem Verfahrenspfleger gegenüber hat er am 05.06.2007 erklärt, für ihn stehe außer Frage, dass es keine andere Person außer ihm gebe, die sich um U kümmern könne. Umgangskontakte zur Schwester würde er nur begeleitet zulassen, da er Angst habe, dass sein Sohn entführt werde.

Für die Entwicklung U und sein Wohlbefinden ist es jedoch unerlässlich, dass der Kontakt zu seiner Schwester und den Großeltern (mütterlicherseits) aufrecht erhalten bleibt und uneingeschränkt stattfinden kann. Zu diesen Personen hat U von Geburt an eine starke emotionale Bindung und tragfähige Beziehung entwickelt, die nach dem Tod der Kindesmutter für U und seine seelische Entwicklung und Stabilisierung von großer Wichtigkeit waren und sind. Ein Abbruch oder eine Einschränkung dieser Kontakte, die von U regelmäßig eingefordert werden, würde eine weitere, tiefgreifende Traumatisierung und Beeinträchtigung des Kindeswohls bedeuten.

c) Letztlich spricht für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater auch nicht eine ansonsten gefährdete emotional tragfähige Bindung zwischen Sohn und Vater, da eine solche Beziehung derzeit nicht besteht.

U war 20 Monate alt, als sich die Kindeseltern trennten. Die engste Beziehung bestand bis dahin zur Kindesmutter, die U überwiegend betreute und versorgte. Sofern bei Trennung eine emotionale Bindung bestand, ist diese aufgrund des massiven, von Gewalt begleiteten Elternkonfliktes und den wenigen, nur in großen zeitlichen Abständen erfolgten Umgangskontakten verloren gegangen bzw. konnte eine solche nicht aufgebaut werden, wie die Berichte über die Umgangskontakte belegen. U hat während des gesamten Aufenthalts in der Kleinsteinrichtung nicht nach seinem Vater gefragt, aber von Anfang an nach seiner Schwester und seinen Großeltern, deren Umgang er regelmäßig einfordert. Hieran haben auch die bisher stattgefundenen Umgänge nichts geändert. Der Aufbau einer emotionalen Beziehung wurde zudem durch das in den Umgangsberichten angeführte, grenzüberschreitende Verhalten des Kindesvaters erschwert, der bei den Umgangskontakten immer wieder eindeutige Grenzziehungen durch U ignorierte und ihnen erst nach mehrfacher Wiederholung oder nach entsprechenden Hinweisen durch die Begleitpersonen nachkam.

2. Da eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater als einzig verbliebener Elternteil nach § 1680 II 2 BGB aus den dargelegten Gründen nicht in Betracht kommt, ist für das Kind U gem. §§ 1697, 1773, 1774 BGB Vormundschaft anzuordnen und ein Vormund auszuwählen.

a) Die Großeltern (mütterlicherseits), die eine "Übertragung der elterliche Sorge" auf sich, hilfsweise die Vormundschaft durch eigenes Schreiben vom 26.06.2006 und durch Anwaltsschreiben vom 13.08.2007 beantragt haben, scheiden im Ergebnis als Vormund aus.

Sie sind zwar als Vormund grundsätzlich geeignet, da eine tragfähige emotionale Beziehung zu U besteht und es sich um die einzige Beziehung handelt, die bisher nicht unterbrochen worden ist. Die Großeltern sind auch erziehungsgeeignet, wie sie in Bezug auf M unter Beweis stellen. Zudem würde es auch dem Wunsch U entsprechen, wenn er in den Haushalt der Großeltern wechseln könnte, wo auch seine Schwester lebt.

Einer Vormundschaft der Großeltern stehen aber ihre tiefgreifenden Ängste ggü. dem Kindesvater und seiner Familie entgegen, die eine Vormundschaft unzumutbar machen und auch unweigerlich negative Auswirkungen auf die Entwicklung und Erziehung U und damit auf das Kindeswohl hätten.

Die Großeltern sind aufgrund der Ereignisse im Zusammenhang mit der Trennung der Kindeseltern und dem Mord an ihrer Tochter davon überzeugt, dass der Kindesvater keine Möglichkeit auslassen werde, das Kind in seinen "Besitz" zu bringen. Der Kindesvater poche auf seinem Recht als türkischer Vater, wonach Kinder "Eigentum" des Vaters seien und männliche Nachkommen spätestens ab dem 6. Lebensjahr in den Haushalt des Vaters gehörten, damit sie dort zu "richtigen Männern" erzogen werden könnten. Es sei daher davon auszugehen, dass egal, welche Entscheidung in den gerichtlichen Sorgerechts- und Umgangsverfahren getroffen würden, der Kindesvater sich über diese gerichtlichen Regelungen hinwegsetzen werde. Diese tiefgreifenden Ängste haben die Großeltern auch in ihrer Anhörung vor dem Senat nachvollziehbar dargelegt.

Es kommt hinzu, dass die Großeltern bereits durch die Aufnahme Ms in ihren Haushalt stark belastet sind, da M das Trauma der Ermordung ihrer Mutter immer noch nicht vollständig verarbeitet hat, deshalb weiterhin großer Zuwendung durch die Großeltern sowie therapeutischer Hilfe bedarf und ebenfalls in Bezug auf den Kindesvater und dessen Familie äußerst angstbesetzt ist. Schon die Aufnahme eines weiteren stark traumatisierten Kindes dürfte die Großeltern an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen, wenn nicht diese überschreiten. Auf dem Hintergrund der tiefverwurzelten Ängste, ist eine Betreuung und Erziehung U durch die Großeltern jedoch nicht zu leisten. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Ängste unweigerlich auf U übertragen und eine Aufarbeitung des Traumas sowie angstfreie Entwicklung behindern würden.

b) Erforderlich ist daher ein außenstehender Einzelvormund, der am ehesten einen dem Kindeswohl dienenden Umgang U mit der Schwester und den Großeltern einerseits und dem Kindesvater andererseits gewährleisten und daran mitwirken kann, dass für U schnellstmöglich eine geeignete, professionelle Pflegefamilie oder Kleinsteinrichtung gefunden wird, in der U feste und dauerhafte Bindungen eingehen kann, eine therapeutische Begleitung bei der Aufarbeitung des traumatischen Verlustes seiner Mutter sowie zur gegebenen Zeit der Umstände ihres Todes gewährleistet ist und die an der Abwicklung des notwendigen Umgangs mitwirken kann.

Der Senat hat Rechtsanwalt N als Berufsvormund bestimmt, weil dieser uneingeschränkt geeignet ist, das in dieser Sache ausgesprochen schwierige und derzeit sehr zeitaufwändige Amt des Vormundes auszuüben. Rechtsanwalt N ist mit dem Sachverhalt in allen Einzelheiten vertraut, hat bereits einen guten Kontakt zu U gefunden, Kontakt zum Kindesvater aufgenommen, war an der Organisation und Vereinbarung der beiden Umgangskontakte am 12.07. und 22.08.2007 und hat an beiden Umgangskontakten teilgenommen. Er kann daher ohne Zeit- und Reibungsverluste an dem für U nach den Erklärungen aller fachlich Beteiligten dringend anstehenden Obhutswechsel und den begleitend durchzuführenden Umgangskontakten des Kindes mit Schwester und Großeltern einerseits und dem Kindesvater andererseits mitwirken.

Rechtsanwalt N hat im letzten Senatstermin seine Bereitschaft zur Übernahme einer Vormundschaft - jedenfalls für eine Übergangszeit - erklärt, wenn sich kein anderer Einzelvormund findet.

Der Senat hat ihm bekannte und aus seiner Sicht ebenfalls geeignete Personen angesprochen, die sich jedoch zu einer kurzfristigen Übernahme der Vormundschaft nicht in der Lage sahen.

Ende der Entscheidung

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