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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.07.2002
Aktenzeichen: 5 Ws 218/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 454
1. Das Schweigen der Staatsanwaltschaft auf die im Verfahren der bedingten Entlassung gestellte Anfrage des Gerichts, ob auf die Anhörung des Sachverständigen verzichtet werde, kann nicht als ausdrücklicher Verzicht auf die Anhörung ausgelegt werden, der allein das Absehen von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen rechtfertigt.

2. Zum Verfahren zur Einholung des Verzichts des Verurteilten auf die mündliche Anhörung des Sachverständige,


5 Ws 218/02 OLG Hamm

Beschluss Strafsache

gegen D.P.

wegen Vergewaltigung (hier: Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 13. Mai 2002 gegen den Beschluss der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 2. Mai 2002 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 07. 2002 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

3. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt (Entscheidung des Stellvertretenden Vorsitzenden).

Gründe:

I.

Die 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund in Castrop-Rauxel hat mit dem angefochtenen Beschluss die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Münster vom 9. Februar 2000 abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen und den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurückzuweisen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 57 StGB, 454 Abs. 3 StPO statthaft und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache - vorläufigen - Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben.

Die Strafvollstreckungskammer, die den Verurteilten gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO hat begutachten lassen, hat nach Eingang des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. R. vom 12. März 2002 und dessen Bekanntgabe an die Staatsanwaltschaft und den Verurteilten entgegen der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 454 Abs. 2 S. 3 StPO (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 29. Juli 1998, NStZ-RR 1999, 122 f.) von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen abgesehen, obwohl die Staatsanwaltschaft hierauf nicht verzichtet hatte (§ 454 Abs. 2 S. 7 StPO).

Zur Frage der mündlichen Anhörung des Sachverständigen im Termin zur Anhörung des Verurteilten am 2. Mai 2002 ist ausweislich des Akteninhalts eine Erklärung der Staatsanwaltschaft i.S.d. § 454 Abs. 2 S. 7 StPO nicht herbeigeführt worden. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer mit der Übersendung des schriftlichen Gutachtens an die Staatsanwaltschaft die Anfrage verbunden, ob auf die Anhörung verzichtet werde. Hierauf hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht reagiert. Ihr Schweigen zu diesem Punkt ist nicht als ausdrücklicher Verzicht im Sinne der vorgenannten Vorschrift auszulegen, der allein das Absehen von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen rechtfertigt (vgl. OLG Bamberg a.a.O.; Senatsbeschluss vom 21. Juni 2001 - 5 Ws 249/01 -; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 454 Rdnr. 37 a m.w.N.). Dass die Staatsanwaltschaft der Aussetzung des Strafrestes widersprochen und die Strafvollstreckungskammer in diesem Sinne entschieden hat, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht.

Schon dieser Verfahrensmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer. Die Anordnung und Durchführung eines Termins zur Anhörung des Sachverständigen durch den Senat als Beschwerdegericht - die zwar nicht ausgeschlossen erscheint - kommt regelmäßig und so auch hier nicht in Betracht (vgl. OLG Hamm a.a.O.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. August 2001 - 4 Ws 942/01 -; NStZ-RR 2002, 154 (155) m.w.N.).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Art und Weise der Einholung des Verzichts des Verurteilten auf eine mündliche Anhörung des Sachverständigen erheblichen Bedenken begegnet. Ausweislich der Akten hat die Strafvollstreckungskammer mit Verfügung vom 15. März 2002 dem Verurteilten eine Durchschrift des Gutachtens des Sachverständigen Dr. R. vom 12. März 2002 übersandt und damit die Anfrage verbunden, ob auf eine Anhörung des Sachverständigen verzichtet werde. Hierauf ist keine Antwort des Verurteilten erfolgt. Da das Schweigen des Verurteilten nicht als ausdrücklicher Verzicht i.S.d. § 454 Abs. 2 S. 7 StPO auszulegen war (vgl. oben), bestand gemäß § 454 Abs. 2 S. 3 StPO die zwingende Notwendigkeit, den Sachverständigen mündlich zu hören. Wenn die Strafvollstreckungskammer gleichwohl einen Anhörungstermin anberaumt hat, ohne hierzu auch den Sachverständigen zu laden, und ohne Erörterung der Frage einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen zu Beginn der Anhörung erst später kurz vor deren Beendigung die Erklärung des Verurteilten einholt, er verzichte auf eine Anhörung des - nicht anwesenden - Sachverständigen, so bewirkt diese Verfahrensweise eine Aushöhlung der aus § 454 Abs. 2 S. 3 bis 7 StPO folgenden Rechte des Verurteilten, die sicherstellen sollen, dass das Sachverständigengutachten diskutiert und das Votum des Sachverständigen hinterfragt werden kann (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.). Denn es liegt auf der Hand, dass sich ein Verurteilter - allein schon um das Verfahren gemäß § 57 StGB nicht in die Länge zu ziehen - zur Abgabe einer derartigen Verzichtserklärung im Anhörungstermin gedrängt fühlen wird. Dem dürfte in geeigneter Weise nur dadurch zu begegnen sein, dass entweder vor Anberaumung und Durchführung des Anhörungstermins eine eindeutige Erklärung aller i.S.d. § 454 Abs. 2 S. 7 StPO verzichtsberechtigten Beteiligten herbeigeführt oder von vornherein der Sachverständige zum Anhörungstermin geladen wird.

2.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen (Entscheidung des Stellvertretenden Vorsitzenden). Eine solche kommt zwar entsprechend § 140 Abs. 2 StPO auch im Vollstreckungsverfahren (ausnahmsweise)dann in Betracht, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten erscheint, weil der Verurteilte zur eigenen Verteidigung nicht hinreichend in der Lage ist. Diese Voraussetzungen liegen, was das Beschwerdeverfahren angeht, nicht vor.

Ende der Entscheidung

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