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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.12.2008
Aktenzeichen: 5 Ws 425/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57
StGB § 57 Abs. 1
StPO § 44
StPO § 45 Abs. 2 S. 3
StPO § 311 Abs. 2
StPO § 454 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Ws 423/08 5 Ws 425/08

Tenor:

1. Dem Verurteilten wird auf seine Kosten von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss gewährt.

2. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

3. Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die I. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die I. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen die Aussetzung der Vollstreckung der Reste nachfolgender Freiheitsstrafen zur Bewährung abgelehnt:

a.)

6 Monate Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts H vom 2. Februar 2005 (19 a Ds 18 Js 225/04 AG Essen = StVK K 1362/08 LG Essen),

b.)

2 Jahre Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts H vom 19. Juni 2006 (8 a Ls 18 Js 782/05 - 113/05 AG H = StVK K 1364/08 LG Essen),

c.)

8 Monate Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 15. Januar 2007 (56 Ds 18 Js 561/06 - 631/06 AG Essen = StVK K 1363/08 LG Essen).

2/3 der vorgenannten Strafen hatte der Verurteilte am 3. August 2008 verbüßt, die Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts H vom 2. Februar 2005 verbüßte der Verurteilte bis zum 3. Oktober 2008. Seit dem 4. Oktober 2008 wird gegen ihn die Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 15. Januar 2007 vollstreckt, diese Reststrafe wird am 24. Dezember 2008 vollständig verbüßt sein. Im Anschluss ist für die Zeit vom 25. Dezember 2008 bis zum 22. August 2009 die Vollstreckung der restlichen (Gesamt-)Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts H vom 19. Juni 2006 notiert.

Zu einer mündlichen Anhörung des Verurteilten vor der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Frage der Reststrafenaussetzung ist es nicht gekommen. Zu dem auf den 13. Oktober 2008 anberaumten Anhörungstermin, zu dem der Verurteilte vorgeführt werden sollte, ist dieser nicht erschienen. Ausweislich des Vermerks des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer vom selben Tage hatte sich der Verurteilte nach Auskunft der Justizvollzugsanstalt geweigert, in Anstaltskleidung zur Anhörung zu erscheinen, worauf auf die Vorführung verzichtet wurde.

Die ablehnende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 13. Oktober 2008, die sich auf eine ungünstige Legalprognose stützt, ist dem Verurteilten am 23. Oktober 2008 (Donnerstag) zugestellt worden. Dieser hatte bereits zuvor mit Schreiben vom 14. Oktober 2008 die Anberaumung eines erneuten Anhörungstermins beantragt unter Hinweis darauf, dass die Anordnung des "Kammerleiters" der Justizvollzugsanstalt vom 13. Oktober 2008, den Anhörungstermin nur in Anstaltskleidung wahrnehmen zu dürfen, rechtswidrig gewesen sei. Unter Berücksichtigung der Abnutzungserscheinungen und Gebrauchsspuren der Anstaltskleidung müsse ihm eine Wahrnehmung des Anhörungstermins in Privatkleidung gestattet werden. Mit weiterem Schreiben vom 28. Oktober 2008, welches dem Landgericht Essen mittels Briefsendung übermittelt wurde, den Poststempel vom 29. Oktober 2008 trägt und dort am 31. Oktober 2008 eingegangen ist, hat der Verurteilte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 13. Oktober 2008 eingelegt. In seiner Beschwerdeschrift, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, macht er u.a. geltend, dass die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts H vom 2. Februar 2008 bereits vollständig verbüßt sei. Im Übrigen beantrage er seine bedingte Entlassung nach § 57 StGB ausschließlich in Bezug auf das Verfahren StVK K 1364/08, die Reststrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 15. Januar 2007 wolle er noch bis zum 24. Dezember 2008 vollständig verbüßen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, dem Verurteilten von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren und das Rechtsmittel im Übrigen als unbegründet zu verwerfen.

II.

1.

Dem Verurteilten war auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) von Amts wegen nach §§ 44, 45 Abs. 2 S. 3 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO zur Einlegung der gemäß § 454 Abs. 3 S. 1 StPO, § 57 Abs. 1 StGB statthaften sofortigen Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer zu gewähren. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 28. Oktober 2008 ging ausweislich des Eingangsstempels des Landgerichts Essen auf der Beschwerdeschrift dort erst am 31. Oktober 2008 und damit verspätet ein. Die zu beachtende Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO, die mit Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 23. Oktober 2008 in Lauf gesetzt wurde, lief nach § 43 Abs. 1 StPO am 30. Oktober 2008 ab. Nach dem Akteninhalt ist allerdings offensichtlich, dass die Fristversäumung von dem Verurteilten nicht zu verantworten ist und demnach die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nach den §§ 44, 45 Abs. 2 S. 3 StPO vorliegen. Der Verurteilte, der grundsätzlich dazu berechtigt war, die Rechtsmittelfrist bis zu ihrer Grenze auszunutzen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 44 Rdnr. 12 m.w.N.), hat die Beschwerdeschrift unter dem 28. Oktober 2008 und damit rechtzeitig verfasst und zur Postbeförderung aufgegeben, wie sich aus dem auf dem dazugehörigen Briefumschlag befindlichen Poststempel vom 29. Oktober 2008 ergibt. Bei normalem Verlauf wäre die in H aufgegebene Briefsendung am Folgetag, dem 30. Oktober 2008, beim Landgericht Essen eingegangen. Mit einer längeren Postlaufzeit als einem Tag musste der Verurteilte nicht rechnen (zu vgl. BGH GA 1994, 75; OLG Hamm, Beschluss vom 26. April 2007 - 1 Ws 282/07 - bei juris; Meyer-Goßner, a.a.O., § 44 Rdnr. 44).

2.

Das damit zulässige Rechtsmittel des Betroffenen hat auch in der Sache - vorläufig - Erfolg. Der angefochtene Beschluss unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil die nach § 454 Abs. 1 S. 3 StPO zwingend vorgeschriebene mündliche Anhörung des Verurteilten unterblieben ist und kein Ausnahmetatbestand vorliegt, nach dem vorliegend eine mündliche Anhörung ausnahmsweise entbehrlich wäre. Die mündliche Anhörung des Verurteilten vor einer zu treffenden Entscheidung über die Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB ist gemäß § 454 Abs. 1 S. 3 StPO zwingend vorgeschrieben. Zweck dieser Anhörung ist nicht nur die Gewährung des rechtlichen Gehörs, vielmehr soll durch die mündliche Anhörung auch erreicht werden, dass sich das Gericht durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Verurteilten einen persönlichen Eindruck von diesem verschaffen kann (zu vgl. BGHSt 28, 138, 141; Meyer-Goßner, a.a.O., § 454 Rdnr. 16), zumal diesem Eindruck besondere Bedeutung beizumessen ist. Einer der in § 454 Abs. 1 S. 4 StPO gesetzlich geregelten Fälle, in denen von der mündlichen Anhörung des Verurteilten ausnahmsweise abgesehen werden kann, ist hier nicht gegeben. Darüber hinaus ist allerdings anerkannt, dass die mündliche Anhörung auch dann unterbleiben kann, wenn der Verurteilte auf die mündliche Anhörung ausdrücklich verzichtet (vgl. BGH NJW 2000, 1663) oder die Vorführung zu dem bereits anberaumten Anhörungstermin ablehnt (vgl. OLG Celle Nds. Rpfl. 1994, 79; OLG Düsseldorf NStZ 1987, 524; MDR 1981, 1039; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1999, 24 L; KG, Beschluss vom 15. Dezember 1998 - 1 AR 1427/98 = 5 Ws 671/98 - bei juris; Thüringer OLG, Beschluss vom 6. September 2006 - 1 Ws 306/06 - bei juris; OLG Hamm MDR 1975, 775; Meyer-Goßner, a.a.O., § 454 Rdnr. 30). Auch die Weigerung des Verurteilten, bei der Vorführung zur mündlichen Anhörung Anstaltskleidung zu tragen, kann zum Wegfall der Verpflichtung zur mündlichen Anhörung führen, wenn dieses Verhalten als Verzicht auf die mündliche Anhörung zu werten ist (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302; OLG Hamm MDR 1990, 653). Als ernsthafter Verzicht des Verurteilten auf seine mündliche Anhörung kann dessen Weigerung, sich in Anstaltskleidung statt in eigener Kleidung vorführen zu lassen, jedoch nur dann aufgefasst werden, wenn die den Antrag des Verurteilten auf Tragen eigener Kleidung ablehnende Entscheidung der Vollzugsanstalt sachlich gerechtfertigt ist (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.). Hierzu gehört auch eine nachvollziehbare und für den Verurteilten nachprüfbare Begründung der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt über die Nichtgestattung des Tragens eigener Kleidung einschließlich der Darlegung der zugrunde liegenden Ermessenserwägungen. Daran fehlt es vorliegend. Da die hier maßgebliche Frage der Vorführung zu Gericht (§ 36 Abs. 2 StVollzG) hinsichtlich des Tragens eigener Kleidung im Gesetz nicht gesondert geregelt ist, bemisst sie sich im Grundsatz nach der allgemeinen Regelung des § 20 Abs. 2 S. 2 StVollzG, wonach die Entscheidung über das Tragen eigener Kleidung im Ermessen der Justizvollzugsanstalt steht. Bei der Ermessensausübung ist allerdings das verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu berücksichtigen und dabei dem Interesse des Betroffenen Rechnung zu tragen, in einer von ihm als angemessen empfundenen Kleidung vor Gericht zu erscheinen (vgl. BVerfG NJW 2000, 1399). Ob unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben und der gesetzgeberischen Wertung in § 20 Abs. 2 S. 1 StVollzG eine dem Gefangenen günstige Ermessensentscheidung die Regel zu sein hat, soweit die übrigen Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 StVollzG erfüllt sind und zwingende Gesichtspunkte der Sicherheit und Ordnung der Anstalt nicht entgegenstehen, hat das Bundesverfassungsgericht in der vorstehend zitierten Entscheidung offen gelassen. Dies bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung, weil es an jeglicher nachprüfbaren, die wesentlichen Ermessenserwägungen wiedergebenden Begründung der Entscheidung der Vollzugsanstalt fehlt, dem Verurteilten eine Wahrnehmung des gerichtlichen Anhörungstermins in eigener Kleidung nicht zu gestatten. Unter diesen Umständen durfte die Strafvollstreckungskammer die Weigerung des Verurteilten, sich zum gerichtlichen Anhörungstermin in Anstaltskleidung vorführen zu lassen, nicht als Verzicht auf die in § 454 Abs. 1 S. 3 StPO vorgesehene mündliche Anhörung werten. Diese Weigerung erfolgte, wie das Schreiben des Verurteilten vom 14. Oktober 2008 noch einmal verdeutlicht, keinesfalls willkürlich.

Der damit festzustellende Verfahrensfehler führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zur erneuten Behandlung und Entscheidung (vgl. BGHR § 454 StPO Anhörung 1; OLG Düsseldorf NStZ 1993, 406; 1981, 454; OLG Karlsruhe, Justiz 1981, 365; Meyer-Goßner, a.a.O., § 309 Rdnr. 8 und § 454 Rdnr. 47).

3.

Der Senat merkt lediglich ergänzend an, dass der Verurteilte, wie von diesem in seiner Beschwerdeschrift zutreffend dargelegt, die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts H vom 2. Februar 2005 bereits am 3. Oktober 2008 - und damit schon zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung - vollständig verbüßt hatte und der angefochtene Beschluss insoweit ins Leere ging. Die (Rest-)Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 15. Januar 2007 wird der Verurteilte voraussichtlich am 24. Dezember 2008 verbüßt haben. Einer bedingten Entlassung vor diesem Zeitpunkt hat der Verurteilte in seiner Beschwerdeschrift widersprochen.

Ende der Entscheidung

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