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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 02.05.2005
Aktenzeichen: 6 U 193/04
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, BGB


Vorschriften:

StVG § 7 n.F.
StVG § 17 n.F.
PflVG § 3 Nr. 1
BGB § 284
BGB § 288
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.06.2004 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das vorbezeichnete Urteil abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger - unter Einschluss des erstinstanzlich zuerkannten Betrages - 4.469,82 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.10.2002 zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe: I. Der Kläger verlangt auch in der Berufungsinstanz vollen Ersatz des Fahrzeugschadens, den er am 27.09.2002 in C2 auf der Ampelkreuzung L-Allee bei einem Zusammenstoß mit dem für ihn von rechts kommenden Pkw Mitsubishi Garant des Beklagten zu 1) erlitten hat. Dieser war zu Beginn der Grünphase ohne vor der Ampel anzuhalten in die Kreuzung eingefahren, die er geradeaus überqueren wollte. Der Kläger, welcher die Kreuzung ebenfalls geradeaus überqueren wollte, nimmt für sich den Nachzüglervorrang in Anspruch und behauptet dazu, er habe die für ihn maßgebliche Ampel bei Grün passiert und habe dann nach dem Passieren der Fluchtlinie der Gehwegkante im Kreuzungsbereich hinter zwei Linksabbiegern wegen Gegenverkehrs warten müssen. Das Landgericht ist nach Zeugenvernehmung und Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger zwar die für ihn maßgebliche Ampel bei Grün passiert habe, dass sich aber nicht feststellen lasse, ob er dann hinter den Linksabbiegern noch im Einmündungstrichter gewartet habe oder aber erst nach dem Überqueren der Fluchtlinie der Gehwegkanten, so dass nicht bewiesen sei, dass es sich bei dem Kläger um einen "echten Nachzügler" gehandelt habe. Es hat deswegen der auf vollen Schadensersatz gerichteten Klage nur auf der Grundlage einer Haftungsquote der Beklagten von 20 % stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger erstrebt vollen Ersatz seines Fahrzeugschadens, die Beklagten dagegen die vollständige Abweisung der Klage. Der Senat hat den Kläger und den Beklagten zu 1) angehört und Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und ergänzende Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses wird auf den darüber gefertigten Berichterstattervermerk Bezug genommen. II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet; diejenige des Klägers hat teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie ebenfalls unbegründet. Die Beklagten sind dem Kläger gemäß §§ 7, 17 StVG n.F., § 3 Nr. 1 PflVG zum Schadensersatz verpflichtet. Da jedoch die Verursachungsanteile beider Parteien gleich zu bewerten sind, muss der Kläger die Hälfte seines Schadens selbst tragen. 1. In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat ebenso wie das Landgericht davon aus, dass der Kläger die für ihn maßgebliche Ampel bei Grün passiert hat, dass sich aber nicht feststellen lässt, ob seine Warteposition hinter den beiden Linksabbiegern im inneren Kreuzungsbereich lag, wo er nach dem Umschalten der Ampel den dann einsetzenden Querverkehr behindert hätte, insbesondere den für ihn von links kommenden, oder ob er die Fluchtlinie der Gehwegkanten noch nicht passiert hatte, so dass er den dann einsetzenden Querverkehr problemlos hätte durchfahren lassen können. Die ergänzende Beweisaufnahme hat zu keinen abweichenden Feststellungen geführt. Insbesondere ist die Behauptung der Beklagten nicht bewiesen, dass der Kläger die für ihn maßgebliche Ampel erst nach dem Umschalten auf Rot passiert habe und bis zur Kollisionsstelle durchgefahren sei; vielmehr ist auch der Senat aufgrund der Aussage des Zeugen C und der Ausführungen des Sachverständigen Dr. L1 davon überzeugt, dass der Kläger nach dem Passieren der Ampel zunächst nicht weiterfahren konnte, weil zwei Linksabbieger vor ihm zunächst den Gegenverkehr durchfahren lassen mussten, und dass er erst weiterfahren konnte, nachdem inzwischen die Ampel umgeschaltet und der Querverkehr Grün erhalten hatte. Die Richtigkeit der Beobachtung des Zeugen C wird gestützt durch das Ergebnis der Unfallanalyse. Denn das ungebremst kollidierende Fahrzeug des Klägers bewegte sich zu diesem Zeitpunkt mit ca. 30 km/h. Diese Geschwindigkeit wäre völlig ungewöhnlich für einen Fahrer, der bei spätem Gelb oder frühem Rot noch fliegend in die Kreuzung einfährt und diese noch vor dem Einsetzen des Querverkehrs passieren will. Sie passt dagegen gut zu dem Anfahrvorgang eines Nachzüglers, ohne dass allerdings die Geschwindigkeit einen hinreichenden Rückschluss darauf zulässt, ob es sich um einen echten Nachzügler handelt, also um einen solchen, der im inneren Kreuzungsbereich gewartet hat, oder um einen unechten Nachzügler, also um einen solchen, der nach dem Passieren der für ihn maßgeblichen Ampel noch vor der Fluchtlinie der Gehwegkanten angehalten hat. Eine abweichende Feststellung lässt sich auch nicht auf die Aussage der Zeugin X gründen, welche - aus der gleichen Richtung wie der Beklagte zu 1) kommend - im linken der beiden Geradeausfahrstreifen vor der für sie maßgeblichen Ampel gewartet hatte und nach Umschalten auf Grün angefahren war, während der Beklagte zu 1) nach dem Umschalten auf dem rechten der Fahrstreifen an ihr vorbeigefahren war. Es liegt nahe, dass ihr Eindruck von einer hohen Geschwindigkeit des Klägers deutlich durch den anschließenden Unfall beeinflusst war und auch dadurch, dass sie sich darüber erschrocken hat, dass sie bei einem zügigeren Start möglicherweise selbst mit dem Kläger zusammengestoßen wäre. Unter diesen Umständen gibt der Senat den auf objektiven Anknüpfungspunkten und wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Ergebnissen des Sachverständigengutachtens den Vorzug vor dem durch subjektive Momente beeinflussten Erinnerungsbild der Zeugin. Zu der weiteren Frage, ob der Kläger beim Anhalten hinter den Linksabbiegern sich bereits im inneren Kreuzungsbereich oder aber davor befand, hat auch die weitere Beweisaufnahme keine eindeutigen Erkenntnisse erbracht. Der Zeuge C wusste dies nicht zu sagen, und nach den Ausführungen des Sachverständigen war es - je nachdem, wie weit die Linksabbieger in den Kreuzungsbereich eingefahren waren und wie lang ihre Fahrzeug waren - durchaus möglich, aber nicht sicher, dass der Kläger zumindest partiell in den inneren Kreuzungsbereich eingefahren war und in dieser Warteposition den dann einsetzenden Querverkehr behindert hätte. 2. Auf dieser Tatsachengrundlage führt die Abwägung der haftungsbestimmenden Verursachungsanteile gemäß § 17 StVG nach Auffassung des Senats zu einer hälftigen Schadensteilung. Zutreffend ist das Landgericht von dem Grundsatz ausgegangen, dass bei der Abwägung nur feststehende, d.h. zugestandene, unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden dürfen (vgl. Hentschel, § 17 StVG Rdnr. 21 m.w.N.). Das kann hier aber nicht zu dem Ergebnis führen, dass dem Kläger deswegen der höhere Verantwortungsanteil anzulasten ist, weil die Umstände nicht feststehen, unter denen er den Nachzüglervorrang in Anspruch nehmen durfte. Richtig ist zwar, dass derjenige, welcher bei Grün die Haltelinie und die für ihn maßgebliche Ampel passiert hat, dann aber zum Stehen gekommen ist, bevor er die Fluchtlinien der Gehwegkanten passiert hat, nach Umschalten der Ampel dem einsetzenden Querverkehr den Vorrang einzuräumen hat. Nur wenn er nach dem Überqueren dieser Fluchtlinie im inneren Kreuzungsbereich zum Stehen gekommen ist, so dass er in dieser Warteposition den einsetzenden Querverkehr hindern würde, darf er als "echter Nachzügler" mit Vorrang vor dem Querverkehr als sog. "echter Nachzügler" die Kreuzung räumen (vgl. Hentschel, § 37 StVO Rdnr. 45, 45 a m.w.N.). Auf der Grundlage der oben festgestellten Tatsachen kann aber auf Seiten des Klägers ein Vorfahrtverstoß, durch welchen die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs bei der Abwägung ein erheblich höheres Gewicht erlangen würde, gerade nicht festgestellt werden. Weil zur Warteposition des Klägers - innerhalb oder außerhalb des eigentlichen Kreuzungsbereichs- keine hinreichend sicheren Feststellungen getroffen werden konnten, ist vielmehr offengeblieben, welchem der beiden Unfallbeteiligten der Vorrang zustand. Deswegen kann weder zu Lasten der einen noch der anderen Seite ein Vorrangverstoß angenommen werden, welcher dem jeweiligen Verursachungsanteil bei der Abwägung gemäß § 17 StVG ein entscheidendes Übergewicht verschaffen würde. Ein derartiges Übergewicht kann auch aus den sonstigen feststehenden Umständen nicht hergeleitet werden. Allerdings befand sich der Kläger schon nach seinem eigenen Vorbringen allein deswegen, weil er im Kreuzungsbereich zum Stehen gekommen war und diesen nicht hat räumen können, bevor der Querverkehr einsetzte, in einer gefahrenträchtigen Situation, welche die Annahme einer erhöhten Betriebsgefahr auf seiner Seite rechtfertigt. In ähnlicher Weise war aber auch die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugs erhöht, weil er in der frühen Grünphase ohne vor der Kreuzung anzuhalten, also "fliegend" in diese eingefahren ist. Das durfte er nur dann, wenn er übersehen konnte, dass keine Nachzügler behindert wurden (vgl. KG VM 85, 44); auf den Vertrauensgrundsatz konnte er sich dabei nicht berufen (vgl. BGH NJW 61, 1576; Hentschel a.a.O.). Möglicherweise ist der Beklagte zu 1) diesen Anforderungen nicht gerecht geworden, da er kurz nach dem Umschalten der Ampel auf Grün auf dem rechten Fahrstreifen fliegend in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl auf dem linken Fahrstreifen die Zeugin X soeben anfuhr, hinter welcher sich der Zeuge F mit seinem Fahrzeug befand, so dass die Sicht des Beklagten zu 1) in den für ihn linken Bereich der Kreuzung beeinträchtigt war. Es kann aber nicht hinreichend sicher festgestellt werden, dass dieser Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 1) für den Unfall ursächlich geworden ist, da ungeklärt ist, von welcher Warteposition aus der Kläger gestartet ist, insbesondere also ob er nach dem Passieren der für ihn maßgeblichen Ampel und der Haltelinie bereits soweit vorgefahren war, dass der Beklagte zu 1), der unstreitig bei Grün in die Kreuzung eingefahren ist, ihn dort als Gefahr hätte wahrnehmen können. Da sich somit auf beiden Seiten lediglich eine objektive Erhöhung der Betriebsgefahr, aber kein unfallursächliches Verschulden feststellen lässt, erschien dem Senat eine hälftige Schadensteilung sachgerecht. 3. Der Sachschaden des Klägers in Höhe von 8.939,64 Euro ist demgemäß von den Beklagten zur Hälfte, also i.H. von 4.469,82 Euro zu ersetzen. Die Zinsentscheidung und die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 284, 288 BGB, §§ 92, 100, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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