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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.08.2007
Aktenzeichen: 6 U 38/07
Rechtsgebiete: StVO, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVO § 3
StVO § 4
StVO § 18 Abs. 8
BGB § 823
BGB § 849
StVG § 7
StVG § 18
ZPO § 411 a
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und der Anschlussberufung - das am 11.12.2006 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 181,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 29.07.2003 zu zahlen.

Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klägerin hat am 29.07.2003 Bekleidungsstücke durch die Spedition L1 transportieren lassen. Der Speditions-Lkw wurde auf der A1 bei N von dem Beklagten zu 3) mit einen Lkw der Beklagten zu 2), haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 1), angefahren, als er sich auf dem eingeengten Seitenstreifen befand.

Die Klägerin hat Schadensersatz in Höhe von 29.686,25 € begehrt, weil sämtliche Kleidungsstücke für den regulären Verkauf nicht mehr hätten eingesetzt werden können, sondern als Havarieware hätten verramscht werden müssen. Der Unfall sei allein von dem Beklagten zu 3) verursacht worden.

Die Beklagten behaupten, dass der Speditions-Lkw rückwärts gefahren sei, und bestreiten, dass die Kleidungsstücke für den regulären Verkauf nicht mehr brauchbar waren.

Das Landgericht hat der Klägerin nur 135,75 € Schadensersatz zuerkannt, im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Beklagte zu 3) habe infolge Unaufmerksamkeit und verspäteter Reaktion den Unfall mitverschuldet, während dem Fahrer des Speditions-Lkw ein Halten entgegen § 18 Abs. 8 StVO anzulasten sei. Da das Verschulden der beiden Fahrer gleich groß sei, betrage die Haftungsquote 50 %. Durch den Unfall seien aber nur 15 Bekleidungsstücke abhanden gekommen. Weitere Schäden oder Verschmutzungen habe der Gutachter der Transportversicherung bei Stichproben nicht festgestellt. Dass die Ware nur zu einem geringeren Preis habe veräußert werden können, stelle keine Eigentumsverletzung dar, sondern einen Vermögensschaden, für den nach §§ 823 BGB, 7 StVG nicht gehaftet werde. Auch die Sachverständigenkosten seien nicht ersatzpflichtig.

Mit der Berufung begehrt die Klägerin noch weitere 22.129,08 €. Die Haftungsquote der Beklagten sei mit 75 % anzusetzen, da der Speditions-Lkw staubedingt zum Stand gekommen, von weitem sichtbar gewesen und die Warnblinkanlage eingeschaltet gewesen sei. Der Schaden umfasse die gesamte Lieferung, weil es sich um eine Sonderanfertigung gehandelt und der Empfänger wegen nicht eingehaltenen Liefertermins den Auftrag storniert habe.

Die Beklagten erstreben mit der Anschlussberufung die vollständige Abweisung der Klage. Der Speditions-Lkw sei rückwärts gefahren. Ein Verschulden des Beklagten zu 2) sei nicht nachzuweisen, zumindest müsse es zurücktreten.

II.

Die Berufung der Klägerin hat nur einen geringen Teilerfolg, während die Anschlussberufung der Beklagten insgesamt unbegründet ist.

Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten in Höhe von 181,00 € zu, §§ 823 BGB, 7, 18 StVG, 3 Nr. 1 Pflichtversicherungsgesetz. Weitergehende Ansprüche scheiden dagegen aus, weil insoweit kein Substanzschaden festgestellt werden kann, sondern es sich um allgemeine Vermögensschäden handelt, für die die Beklagten nicht haften.

1.

Teilweise berechtigt ist der Berufungsangriff hinsichtlich der grundsätzlichen Haftungsquote. Die Beklagten haften zu 2/3 für den Schaden der Klägerin.

Ein Rückwärtsfahren des Speditions-Lkw ist nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen S aus dem Strafverfahren, das gem. § 411 a ZPO zu verwerten war, nur mit einer Geschwindigkeit von weniger als 6,5 km/h möglich. Eine derartige Rückwärtsbewegung war aber nach den Bekundungen des Sachverständigen nicht kausal für die Kollision. Im Rahmen des § 17 StVG zu berücksichtigen bleibt der Verstoß gegen § 18 Abs. 8 StVO - verbotenes Halten auf den Seitenstreifen -, denn für einen Verkehrsstau (auf dem Seitenstreifen?) gibt es keine Anhaltspunkte.

Der Beklagte zu 3) hat zwar weder gegen § 3 StVO (Sichtfahrgebot) noch gegen § 4 StVO (Abstand) verstoßen, war aber erheblich unaufmerksam (§ 1 Abs. 2 StVO). Nach der überzeugenden Aussage des unbeteiligten Zeugen L, der mit einem Pkw in derselben Richtung wie der Beklagte zu 3) fuhr, war der Lkw auf dem Standstreifen von weitem zu sehen und hatte die Warnblinkanlage eingeschaltet.

Bei dieser Sachlage ist die überwiegende Schadensverursachung dem Beklagten zu 3) anzulasten, § 17 StVG. Nach der Aussage des Zeugen L war die Unaufmerksamkeit des Beklagten zu 3) groß. Das Verhalten des auffahrenden Beklagten zu 3) wiegt deshalb doppelt so schwer wie der Verursachungsanteil des unerlaubt haltenden Speditions-Lkw. Daraus folgt eine Quotierung von 1/3 zu 2/3. Die von der Berufung der Klägerin gewünschte Haftung von 3/4 kommt dagegen nicht in Betracht, weil der nach dem Gutachten des Sachverständigen S teilweise in die rechte Fahrspur hineinragende Lkw doch eine erhebliche Gefahrenquelle für den fließenden Verkehr darstellte.

2.

Zur Schadensproblematik hat das Landgericht richtig entschieden.

§ 7 StVG verlangt eine Beschädigung der Sache. Ist eine Sache wie das Ladegut eines Fahrzeugs von einem Unfall zwar mittelbar betroffen, eine Substanzschädigung aber nicht konkret feststellbar, besteht keine weitergehende Haftung (vgl. Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 3 RdNr. 45). § 823 BGB verlangt eine Verletzung des Eigentums, also ebenfalls eine Substanzverletzung. Allgemeine Vermögensschäden sind nach Deliktsrecht grundsätzlich nicht zu ersetzen. Auch die StVO ist kein Gesetz zum Schutz des allgemeinen Vermögens (vgl. BGH, NJW 2004, 356, 357 f).

Im vorliegenden Fall sind Schäden am Ladegut nur für 15 fehlende Teile nachgewiesen. Weitere Beschädigungen hat der Havariekommissar bei seinen Stichproben nicht festgestellt. Auch aus den Bildern über den Unfall in dem Strafverfahren ergeben sich keine weiteren Beschädigungen. Was dort im Graben liegt, ist die Ladung des Beklagten zu 3). Kleidungsstücke ohne Schutzfolie sind auf den Bildern nur in wenigen Stücken zu erkennen. Der angesichts des Bestreitens der Beklagten der Klägerin obliegende Beweis eines weitergehenden Schadens ist nicht geführt.

Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 12.06.2007 den Zeugen N2 für weitergehende Substanzschäden benannt hat, war dieses neue Angriffsmittel gem. § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Seit dem Hinweis des Landgerichts vom 25.01.2005 musste der Klägerin klar sein, dass das Gericht nur von einem Schaden in Form von 15 Fehlteilen ausging. Die verspätete Benennung des Zeugen beruht somit auf einer Nachlässigkeit der Klägerin.

Eine Einwirkung auf die Nutzungs- oder Verkaufsfähigkeit der weiteren Bekleidungsstücke ist nicht festzustellen. Was die Klägerin hier letztlich ersetzt haben will, ist der Verlust des vorgesehenen Absatzes an einen bestimmten Besteller. Dieser hat die Stornierung aber nicht wegen Beschädigungen ausgesprochen, sondern wegen nicht eingehaltenen Liefertermins, wie die Berufungsbegründung auf Seite 10 selbst ausgeführt hat. Es ist nur von dem Verlust einer Absatzmöglichkeit unter mehreren auszugehen.

Eine Sonderanfertigung, die anderweitig nicht abgesetzt werden konnte, kann nicht angenommen werden. Nach den vorgelegten Rechnungen handelt es sich um übliche Konfektionsware - Hosen, Röcke, Sets - in gängigen Größen. Ob mit dem vorgesehenen Abnehmer tatsächlich ein Fixgeschäft vorgelegen hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es ist nicht dargetan, warum die nicht beschädigten 1.969 Kleidungsstücke nicht im sonstigen regulären Geschäftsgang veräußert werden konnten. Die Beklagten haben ausdrücklich bestritten, dass sämtliche Kleidungsstücke für den regulären Verkauf nicht mehr brauchbar gewesen wären. Die beweispflichtige Klägerin hat dies nicht nachweisen können. Der von ihr geltend gemachte Verlust des vorgesehenen Abnehmers ist nur ein typischer Vermögensschaden, kein Substanzschaden.

Auch die Sachverständigenkosten sind nicht zu ersetzen. Inhalt des Gutachtens sind im Wesentlichen Restwertermittlungen unter der Prämisse eines Notverkaufs. Warum hier ein Verkauf außerhalb des regulären Geschäftsganges notwendig gewesen sein sollte, legt das Gutachten aber nicht dar. Für die Feststellung der Anzahl der Fehlteile war ein Sachverständigengutachten nicht erforderlich.

3.

Für die Fehlteile hat das Landgericht nachvollziehbar einen Schadensbetrag von insgesamt 271,50 € geschätzt. Gegen diese Schätzung sind Einwendungen nicht erhoben worden. Bei der zugrunde zu legenden Haftungsquote von 2/3 ergibt sich dann ein Schadensbetrag in Höhe von 181,00 €.

Der Zinsausspruch beruht auf § 849 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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