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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.12.2006
Aktenzeichen: 6 W 62/06
Rechtsgebiete: PflVG, BGB, Straßenreinigungssatzung


Vorschriften:

PflVG § 3 Nr. 1
BGB § 254
BGB § 254 Abs. 1
Straßenreinigungssatzung § 2 Abs. 3
Straßenreinigungssatzung § 3 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat jedenfalls vor dem angerufenen Landgericht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1.

Ein Direktanspruch gegen die Antragsgegnerin zu 2), bei der die Antragsgegnerin zu 1) haftpflichtversichert ist, besteht nicht. Die in § 3 Nr. 1 PflVG getroffene Ausnahmeregelung über den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer gilt nur für die Kfz-Haftpflichtversicherung, nicht aber für die anderen Haftpflichtversicherungszweige (vgl. Thume, VersR 06, 1318 unter II 1).

2.

Soweit Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) in Betracht kommen, unterliegen sie jedenfalls einer Kürzung gemäß § 254 BGB wegen mitwirkenden Verschuldens der Antragstellerin mit der Folge, dass die landgerichtliche Streitwertgrenze nicht erreicht wird und deshalb eine Erfolgsaussicht für eine Klage vor dem Landgericht mangels Zuständigkeit nicht besteht.

2.1

Die Antragstellerin ist ihrem Sachvortrag zufolge auf dem L-Weg in N vor dem Betriebsgebäude der Antragsgegnerin zu 1) gestürzt, und zwar in einem Bereich, in welchem die Zufahrt zum Betriebsgelände der Antragsgegnerin zu 1) über den zur öffentlichen Straße gehörenden Gehweg führte. Eine Ersatzpflicht der Antragsgegnerin zu 1) kommt aufgrund der Anliegerhaftung deshalb in Betracht, weil die Stadt N in § 2 Abs. 3 ihrer Straßenreinigungssatzung die Winterwartung für die Gehwege auf die Anlieger übertragen hat. Ihre daraus herzuleitende prinzipielle Winterwartungspflicht wird denn von der Antragsgegnerin zu 2) auch nicht in Abrede gestellt.

Für die zeitlichen Grenzen der durch Ortssatzung übertragenen Winterwartungspflicht gilt aber ein strenger Bestimmtheitsgrundsatz (vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 04, 171). Art und Umfang des Pflichtengefüges sind von vornherein auf ihre Normierung begrenzt (vgl. OLG Hamm - 27. ZS - VersR 91, 1419). Die Antragsgegnerin zu 1) brauchte zur Erfüllung der auf sie verlagerten Winterwartung keinesfalls mehr zu leisten, als in § 3 Abs. 5 der Straßenreinigungssatzung festgelegt war. Deshalb brauchte in der Nacht entstandene Glätte an Werktagen - um einen solchen handelte es sich bei dem Unfalltag - erst bis 7.30 Uhr beseitigt zu werden. Die im Klageentwurf zitierte Rechtsprechung, wonach sich Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung nach den Umständen des Einzelfalles richtet (BGH NJW 93, 2802 und 91, 33), würde für den vorliegenden Fall lediglich die Streu- und Räumpflicht innerhalb ihrer zeitlichen Grenzen konkretisieren sie aber nicht über diese hinaus ausweiten.

Der Unfall hat sich gegen 6.55 Uhr und damit vor Beginn der am Unfalltag entstandenen Beseitigungspflicht, bezogen auf die in der Nacht entstandene Glätte, ereignet.

2.2

Nach dem unter Beweis gestellten Sachvortrag der Antragstellerin ist sie jedoch auf Glätte gestürzt, die nicht erst in der letzten Nacht entstanden war, sondern schon seit mehreren Tagen unverändert fortbestand, weil die Antragsgegnerin zu 1) jedenfalls an dieser Stelle schon seit mehreren Tagen ihrer Winterwartungspflicht nicht nachgekommen war. Wenn das der Fall war, liegt es allerdings nahe, dass dann die Haftung der Antragsgegnerin zu 2) nicht vollständig gemäß § 254 Abs. 1 BGB an einem völlig überwiegenden Eigenverschulden der Antragstellerin scheitert. Zwar muss das Mitverschulden der Antragstellerin bei der Abwägung gemäß § 254 BGB deutlich ins Gewicht fallen, wenn ihr seit mehreren Tagen die Glätte an der Stelle bekannt war, an der die Zufahrt den Gehweg kreuzt, und es ist nicht erkennbar, weswegen sie dann der daraus resultierenden Gefahr nicht dadurch begegnet ist, dass sie den Gehweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite benutzt oder auf andere Weise die Gefahrenstelle umgangen hat. Bei der Abwägung kann aber das gesteigerte Verschulden der Antragsgegnerin zu 2), wenn sie sich über mehrere Tage hartnäckig ihrer Winterwartungspflicht entzogen hat, nicht außer Betracht bleiben. Es kann nicht angehen, dass ein Anlieger dadurch, dass er nur lange genug seiner Sicherungspflicht nicht nachkommt, die Gesamtverantwortung auf den Geschädigten verlagert, weil diesem dann ja die Gefahr hinreichend bekannt sein musste.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im angefochtenen Beschluss zitierten Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Hamm (NZV 04, 645). Denn in dem dort zugrunde liegenden Fall bestand keine durch Satzung nach Zeit und Umfang klar geregelte Winterwartungspflicht, und über die - vom 9. Zivilsenat verneinte - Frage, ob trotz der geringen Verkehrsbedeutung der Straße an der Unfallstelle gleichwohl aus anderen Gründen eine Winterwartungspflicht der Gemeinde bestand, konnte man geteilter Meinung sein mit der Folge, dass ein Verschulden auf Beklagtenseite - wenn es überhaupt vorlag - allenfalls gering war. Davon kann im vorliegenden Fall auf der Grundlage des Sachvortrags der Antragstellerin nicht die Rede sein.

Da sich aber aus ihrem eigenen Sachvortrag ein deutliches nach Auffassung des Beschwerdegerichts mit 50 % zu bewertendes Mitverschulden ergibt, dürfte in sachlicher Hinsicht Erfolgsaussicht allenfalls für einen solchen Teil der beabsichtigten Klage bestehen, dass die Streitwertgrenze für den Zugang zum Landgericht (§ 23 Nr. 1 GVG) nicht erreicht wird. Der Feststellungsantrag dürfte bei voller Haftung der Antragsgegnerin zu 2) jedenfalls nicht mit mehr als 3.000,00 Euro zu bewerten sein. Die addierten Werte von Zahlungs- und Feststellungsantrag lägen danach bei hälftiger Haftungsquote unter 5.000,00 Euro. In einem derartigen Fall besteht mangels Zuständigkeit für eine Klage beim Landgericht insgesamt keine Erfolgsaussicht mit der Folge, dass hierfür keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann (vgl. Senat, MDR 95, 1065 = VersR 96, 774; BGH MDR 04, 1435 = VersR 05, 245).

Ende der Entscheidung

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