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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.01.2004
Aktenzeichen: 6 W 69/03
Rechtsgebiete: ZPO, ZVG, BGB, SGB X


Vorschriften:

ZPO § 448
ZVG § 152
ZVG § 148 Abs. 2
BGB § 254
SGB X § 116 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

6 W 69/03 OLG Hamm

In Sachen

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 10.10.2003 durch den Richter am Oberlandesgericht van Beeck als Einzelrichter am 15.01.2004 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.

Dem Kläger wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... Prozesskostenhilfe bewilligt für eine Klage mit den Anträgen,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn unter Berücksichtigung eines mit 1/3 zu bemessenden Mitverschuldens ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. den Beklagten ferner zu verurteilen, an ihn 1.684,73 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 sämtlichen zukünftigen immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 03.01.2002 zu ersetzen, ferner den materiellen Schäden, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Kläger war seit 1995 Mieter einer Wohnung im Hause ... in ... . Er pflegte seinen Pkw im Garagenhof dieses Hauses abzustellen.

Dazu behauptet er, der Ehemann der Hauseigentümerin habe ihm diesen Platz ausdrücklich zugewiesen.

Am 05.10.2001 ordnete das Amtsgericht Lüdenscheid die Zwangsverwaltung des Grundstücks an und bestellte den Beklagten zum Zwangsverwalter.

Am 03.01.2002 erlitt der Kläger einen Oberschenkelhalsbruch, für den er den Beklagten verantwortlich macht. Dieser hatte im Garagenhof keine Winterwartung veranlasst, obwohl es in der vorangegangenen Nacht zu starken Schneefällen und flächendeckender Glatteisbildung gekommen war. Der Kläger behauptet dazu, er habe seinen Hausarzt aufsuchen wollen und sei infolge der Glätte auf dem Zuweg von der hinteren Kellertreppe des Hauses zu seinem auf dem Garagenplatz abgestellten Pkw gestürzt; das sei die Ursache seiner Verletzung.

Der Beklagte bestreitet dies und macht geltend, er habe keinen öffentlichen Verkehr auf dem Hof eröffnet und diesen auch nicht zugelassen. Für den Winterdienst auf dem privaten Garagenhof sei er nicht zuständig gewesen; darum hätten sich die Garagenbenutzer gekümmert, wenn sie dies für nötig gehalten hätten.

Der Kläger will den Beklagten klageweise auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch nehmen. Die hierfür beantragte Prozesskostenhilfe hat ihm das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss verweigert. Gesetzliche Ansprüche auf Grund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung hat es mit der Begründung verneint, derartige Pflichten bestünden auf einem Privatgrundstück nicht, wenn es nicht ausdrücklich für den öffentlichen Verkehr freigegeben worden sei; hier handele es sich um ein Privatgrundstück, das nicht allein durch die Möglichkeit des Betretens durch Unbefugte zu einem öffentlichen Grundstück werde; auf eine vertragliche Grundlage könne der Kläger sich auch nicht stützen, da er den Abstellplatz für seinen Pkw nicht angemietet habe; wenn er ihm von seinem Vertragspartner unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sei, könne eine Nebenpflicht zur Winterwartung wegen der damit verbundenen Haftungsrisiken nicht angenommen werden. Schließlich habe der Kläger auch seine Darstellung zum Unfallhergang nicht wirksam unter Beweis gestellt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und hat in der Sache überwiegend Erfolg.

1. Der Kläger hat jedenfalls in der Beschwerdeschrift unter Beweis gestellt, dass die benannten Zeuginnen ihn nach seinem Sturz verletzt in dem Garagenhof gefunden haben. Sollte der Beklagte dies bestreiten, so bestünde nach Bestätigung des in ihr Wissen gestellten Sachvortrags durch die Zeuginnen zumindest eine hinreichende Grundlage dafür, dass der Kläger gemäß § 448 ZPO von Amts wegen zum Unfallhergang vernommen wird, sofern - je nach dem Ergebnis der Zeugenvernehmung - überhaupt noch Zweifel an der Verursachung der Unfallverletzungen durch mangelnde Winterwartung bestehen sollten. Dazu wird auf die Möglichkeit hingewiesen, hier im Wege des Anscheinsbeweises Feststellungen zu treffen (vgl. hierzu BGH VersR 94, 324).

2. Den Beklagten als Zwangsverwalter trafen gemäß §§ 152, 148 Abs. 2 ZVG die Verkehrssicherungspflichten der Hauseigentümerin (vgl. Böttcher, ZVG, 3. Aufl., 2000, § 152 Rdn. 12; Stöber, ZVG, 17. Aufl., 2002, § 152 Rdn. 3.7).

Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, dass jeder, der Gefahrenquellen schafft, z.B. durch Eröffnung eines Verkehrs von Menschen auf seinem Grundstück, auch Vorkehrungen zu treffen hat, die zur Abwendung der hieraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind. Diese allgemeine Rechtspflicht besteht neben den Verpflichtungen, die ihm vielfach gemäß Schutzgesetz z.B. durch Polizeiverordnungen über Beleuchtung, Streupflicht und dergleichen besonders auferlegt sind, und auch neben eventuellen vertraglichen Schutzpflichten (vgl. BGHZ 5, 378, 380).

Die Voraussetzungen einer Verkehrseröffnung sind vom Landgericht im angefochtenen Beschluss zu eng gefasst worden.

Zwar mag in der bloßen Duldung eines Verkehrs für sich allein noch keine Verkehrseröffnung liegen (vgl. OLG Bamberg VersR 69, 85). Andererseits kann aber auch ein nur beschränkter Verkehr eröffnet werden, also ein Verkehr nicht für die Allgemeinheit, sondern nur für einen bestimmten Kreis von Verkehrsteilnehmern (vgl. Senat VersR 93, 491; BGH VersR 85, 360). Deshalb kommt es hier nicht darauf an, ob der Garagenhof ausdrücklich (oder auch nur konkludent durch seine Gestaltung) zum allgemeinen Verkehr für die Öffentlichkeit freigegeben war. Denn es versteht sich auch ohne spezielle ausdrückliche Gestattung von selbst, dass die Mieter, zu denen der Kläger gehörte, das Haus auch auf dem Weg über die hintere Kellertreppe verlassen und von dort aus den Garagenhof überqueren durften. Ihnen gegenüber war dort jedenfalls der Verkehr eröffnet.

Das gilt nicht nur für diejenigen Mieter, die über den Garagenhof zu ihren in den Garagen abgestellten Fahrzeugen gelangen wollten, sondern auch für den Kläger, selbst wenn er dort keine Garage gemietet hatte, sondern sein Fahrzeug auf dem Hof abgestellt hatte, was offenbar bis dahin nicht beanstandet worden war, ein Verbot ist vom Beklagten erst später ausgesprochen worden, nachdem es wegen des Unfalls zu Auseinandersetzungen gekommen war. Am Unfalltage hat sich der Kläger jedenfalls nicht unbefugt auf den Hof begeben.

Deswegen kommt es auch nicht darauf an, ob ihm - wie er unter Beweisantritt vorgetragen hat - dieser Platz für sein Auto durch mündliche Nebenabrede zum Mietvertrag ausdrücklich zugewiesen worden war, und ob er dafür ein gesondert ausgewiesenes Entgelt zahlte.

Es kommt für die Verkehrssicherungspflicht des Beklagten auch nicht darauf an, ob die Garagenmieter sich in der Vergangenheit selbst um eine eventuelle Räumung gekümmert hatten, wenn sie diese für notwendig erachteten. Zwar kann ein Grundstückseigentümer seine Verkehrssicherungspflicht und damit auch eine im privaten Bereich des Grundstücks gegenüber den Mietern bestehende Räum- und Streupflicht auf die Mieter übertragen. Dass das geschehen sei, behauptet der Beklagte selbst nicht, und er ist auch nicht der ihm in jedem Falle verbleibenden Überwachungspflicht nachgekommen. Demgemäß ist er im Ausgangspunkt dem Kläger, wenn dieser infolge der Glätte auf dem Hof gestürzt ist, zum Schadensersatz verpflichtet.

2. Andererseits dürfte es dem Kläger angesichts der von ihm geschilderten Wetter- und Glätteverhältnisse kaum verborgen geblieben sein, dass die Hausverwaltung der Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen war. Wenn er gleichwohl ohne weitere Sicherungsmaßnahmen den glatten Hof überquert hat, so gereicht ihm dies gemäß § 254 BGB zum anspruchskürzenden Verschulden, welches der Senat auf der Basis des derzeitigen Erkenntnisstandes mit 1/3 bewertet. Die Hauptverantwortlichkeit trifft aber den Beklagten, der sich um seine Räum- und Streupflicht nicht gekümmert hat.

3. Zur Höhe des materiellen Schadens gilt:

3.1 Als Eigenanteil für den Transport zum Krankenhaus sind dem Kläger Kosten in Höhe von 11,00 Euro entstanden, die aufgrund der Haftungsquote zu 2/3, also in Höhe von 7,33 Euro erstattungsfähig sind.

3.2 Die Zuzahlung zur Krankenhausbehandlung wird regelmäßig durch entsprechende häusliche Ersparnisse beim Ernährungsaufwand kompensiert, so dass insoweit kein Schaden verbleibt.

3.3 Der Kläger hat unter Vorlage von Belegen für die Zeit vom Unfall bis Ende Oktober 2002 ein monatliches Nettoeinkommen von 15.370,60 Euro dargelegt. Bis zum 12.02.2002 hat sein Arbeitgeber 2.173,82 Euro als Lohnfortzahlung geleistet, so dass bis Ende Oktober 1992 als Verdienstausfall13.196,78 Euro verblieben. Unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote von 1/3 ergibt sich ein Schadensersatzanspruch von 8.797,85 Euro.

Dieser ist gemäß § 116 Abs. 3 SGB X entsprechend dem quotenmäßigen Anteil auf den bzw. die Sozialversicherungsträger übergegangen, die Leistungen in Höhe von insgesamt 10.680,68 Euro erbracht haben, so dass hier 2/3 = 7.120,45 Euro abzusetzen sind. Dem Kläger ist danach ein Schadensersatzanspruch von 1,677,40 Euro verblieben.

3.4 Zusammen mit dem quotenmäßigen Eigenanteil an den Krankentransportkosten in Höhe von 7,33 Euro ist danach ein Anspruch auf Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 1.684,73 Euro schlüssig dargelegt.

4. Bei dem Schmerzensgeldzahlungsanspruch hat der Senat das Mitverschulden des Klägers berücksichtigt und ferner die Begrenzung auf einen beschränkten Bemessungszeitraum wegfallen lassen, da die Voraussetzungen nicht dargelegt sind, unter welchen ausnahmsweise ein zeitlich begrenztes Schmerzensgeld verlangt werden kann (vgl. hierzu Lemcke, r+s 00, 309 m.w.N.).

5. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO; Nr. 1156 der Anlage zu §11 GKG.



Ende der Entscheidung

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