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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.01.2009
Aktenzeichen: 6 WF 426/08
Rechtsgebiete: RVG, VV RVG, BerHG, ZPO


Vorschriften:

RVG § 44
RVG § 45
RVG § 45 Abs. 1
RVG § 55
RVG § 56 Abs. 2 S. 2
RVG § 56 Abs. 2 S. 3
RVG § 58 Abs. 2
VV RVG Vorb. 2.5.
VV RVG Nr. 2500
BerHG § 1 Abs. 1 Nr. 2
BerHG § 2
ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hagen vom 6.10.2008 abgeändert.

Der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hagen vom 19.8.2008 wird dahingehend abgeändert, dass die an den Beteiligten zu 1) aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 810,99 € festgesetzt wird.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) begehrt die Festsetzung der Vergütung gem. § 55 RVG als im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwalt. Der von ihm vertretenen Klägerin war aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die Klägerin ist am xxx geboren; ihre gesetzliche Vertreterin bezieht Leistungen nach dem SGB II. Der Beteiligte zu 1) war für die Klägerin bereits vorprozessual tätig geworden, um Unterhaltsansprüche gegen den Beklagten geltend zu machen. Ein Antrag auf Beratungshilfe ist beim Amtsgericht nicht gestellt worden, da der Beteiligte zu 1) einen solchen Antrag auf Grund der Praxis des zuständigen Amtsgerichts, in Fällen wie dem Vorliegenden Beratungshilfe im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG wegen der Möglichkeit der Inanspruchnahme des Jugendamtes zu versagen, als aussichtslos ansah.

Das Amtsgericht hat, der Ansicht des Beteiligten zu 2) folgend, die geltend gemachte Verfahrensgebühr im Hinblick auf die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG von 1,3 auf 0,65 gekürzt, da die vorgerichtliche Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen sei.

Der Beteiligte zu 1) macht mit ihrer Beschwerde u. a. geltend, durch den angefochtenen Beschluss würden seine Gebührenansprüche in nicht gerechtfertigter Weise gekürzt. Angesichts der Armut seiner Mandantin bestehe für ihn faktisch keine Möglichkeit, den gekürzten Gebührenanteil von dieser zu erhalten. Aus diesem Grund sei auch eine Vorschusszahlung nicht in Betracht gekommen. Beratungshilfe habe nicht erfolgversprechend beantragt werden können.

Der Senat hat die Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts angehört. Diese unterstützt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist aufgrund der Zulassung durch das Amtsgericht zulässig. Sie ist auch begründet.

1.

Der Senat folgt grundsätzlich der mittlerweile in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vorherrschenden Ansicht, dass auch bei der Vergütungsfestsetzung für einen im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt die Anrechnungsvorschrift in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG Anwendung findet (in diesem Sinne auch OLG Braunschweig, B.v.12.9.2008, AGS 2008, 606; OLG Bamberg, B. v. 21.8.2008, JurBüro 2008, 640; OLG Düsseldorf, B. v. 27.11.2008, Az. I 10 W 109/08; OLG Koblenz, B. v. 14.11.2008, Az. 9 WF 728/08; OLG Celle, B. v. 13.11. 2008, Az. 10 WF 312/08; OLG Oldenburg, B. v. 27.5.2008, Az. 2 WF 81/08 sowie B. v. 8.5.2008, Az. 8 W 57/08; LAG Düsseldorf, B. v. 2.11.2007, Az. 13 Ta 181/07, Niedersächs. OVG, B. v. 29.4.2008, Az. 13 OA 39/08; a. A. OLG Oldenburg, B. v. 18.2.2008, Az. 6 W 8/08 und OLG Stuttgart FamRZ 2008, 1013).

Wie der Bundesgerichtshof in Kostenfestsetzungsverfahren bereits mehrfach entschieden hat, entsteht die Verfahrensgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschrift von vorneherein nur in gekürzter Höhe, so dass im Rahmen der Kostenfestsetzung auch keine darüber hinausgehende Kostenerstattung in Betracht komme. Ob die vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist, sei bereits nach dem klaren Wortlaut der Anrechnungsbestimmung ohne Bedeutung. Für die Anrechnung und damit die von selbst einsetzende Kürzung sei nach dieser Vorschrift vielmehr entscheidend, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr bei vorausgesetzter Identität des Streitgegenstandes entstanden ist, der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr also schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hatte (BGH NJW 2008, 1323, 1324).

Aus diesen Ausführungen, die auch vom Senat geteilt werden, folgt zwingend, dass auch bei der Vergütungsfestsetzung des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts die Verfahrensgebühr entsprechend zu kürzen ist, wenn die Voraussetzungen der Anrechnungsvorschrift vorliegen. Denn die Verfahrensgebühr entsteht dann von vorneherein nur in gekürzter Höhe, so dass sie nicht in voller Höhe festgesetzt werden kann. Dies gilt unabhängig von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, denn der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt erhält - vorbehaltlich der Sonderregelungen in Abschnitt 8 des RVG - gem. § 45 Abs. 1 RVG die gesetzliche Vergütung. Er soll also gegenüber dem nicht im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt nicht besser gestellt werden. Sondervorschriften, welche der genannten Anrechnungsvorschrift vorgehen würden, enthalten die §§ 45 RVG nicht. Der in diesem Zusammenhang teilweise zitierte § 58 Abs. 2 RVG ist insoweit nicht einschlägig, da er die Frage der Verrechnung von Vorschüssen und Zahlungen betrifft, während es hier um die vorgelagerte Frage der Entstehung des Gebührenanspruchs geht. Auch steht § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO der Anrechnung nicht entgegen, weil diese Forderungssperre nur die nach der PKH-Bewilligung entstehende Vergütung betrifft, während die Geschäftsgebühr bereits zuvor durch die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts für seinen Mandanten entstanden ist.

2.

Im vorliegend zur Entscheidung stehenden Fall scheitert eine Anrechnung gem. Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG indes daran, dass eine Geschäftsgebühr nicht entstanden

ist.

Zum Zeitpunkt der Übernahme des Mandats durch den Beteiligte zu 1) lagen auf Seiten der späteren Klägerin die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe unzweifelhaft vor. Die am xxx geborene Klägerin ist ein Kind ohne Einkünfte und Vermögen, deren gesetzliche Vertreterin bezog Leistungen nach dem SGB II. Diese Umstände waren dem Beteiligten zu 1) bei Übernahme des Mandats bekannt. Es bestand vor diesem Hintergrund für den Beteiligten zu 1) sowie die gesetzliche Vertreterin der späteren Klägerin kein Zweifel, dass mangels Leistungsfähigkeit für die Klägerin der Abschluss eines Kosten verursachenden Anwaltsvertrages nicht in Betracht kam. Aus diesem Grunde ist es auch zu einem dahingehenden Vertragsschluss nicht gekommen. Das außergerichtliche tätig werden des Beteiligten zu 1) für die Klägerin durch das Fertigen des Schreibens vom 25.10.2007 an den Unterhaltsschuldner stellte gegenüber seiner Mandantin aus den genannten Gründen vielmehr die faktische und von einem entsprechenden Willen getragene Gewährung einer Beratungshilfe nach § 2 BerHG dar. Dies folgt nicht zuletzt aus den Ausführungen des Beteiligten zu 1) in seiner Beschwerdeschrift sowie in seiner Stellungnahme vom 10.1. 2009, wo u. a. vorgetragen wird, dass die Beantragung von Beratungshilfe ausschließlich deswegen unterblieben sei, weil in Fällen wie dem Vorliegenden, nämlich der Geltendmachung von Unterhalt für minderjährige Kinder, es ständige Praxis des zuständigen Amtsgerichts sei, Beratungshilfeanträge mit der Begründung abzulehnen, der Unterhaltsgläubiger könne die Hilfe des Jugendamtes in Anspruch nehmen. Der Annahme einer Gewährung von Beratungshilfe des Beteiligten zu 1) gegenüber seiner Mandantin steht nicht entgegen, dass deren gesetzliche Vertreterin weder vor noch nach der Beratung einen Antrag auf Beratungshilfe beim Amtsgericht gestellt hat (Hartmann, Kostengesetze, Nr. 2500 VV RVG Rn. 1 m. w. N.). Insoweit handelt es sich um eine zwischen den Parteien des Anwaltsvertrages getroffene Vereinbarung über die Gewährung von Beratungshilfe. Diese hindert den Rechtsanwalt daran, später eine Geschäftsgebühr gegenüber seinem Mandanten geltend zu machen. Denn die Bewilligung der Beratungshilfe hatte zur Folge, dass dem Beteiligten zu 1) gegenüber seiner Mandantin allenfalls ein Anspruch nach Nr. 2500 VV RVG in Höhe von 10,- € zustand. Dagegen war ein Anspruch auf eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ausgeschlossen, da für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe der Rechtsanwalt ausschließlich eine Vergütung nach dem BerHG erhält, § 44 RVG, Vorb. 2.5. vor Nr. 2500 VV RVG. Konsequenz der unterbliebenen Bewilligung von Beratungshilfe durch das Amtsgericht ist allerdings, dass dem Rechtsanwalt gegenüber der Landeskasse kein Anspruch nach den Nr. 2501 ff. VV RVG zusteht, so dass er - je nach dem weiteren Geschehensablauf - Gefahr lief, abgesehen von der sich auf 10 € belaufenden Gebühr nach Nr. 2500 VV RVG, die zudem erlassen werden kann und offenbar vorliegend auch erlassen worden ist, unentgeltlich zu arbeiten.

Ob grundsätzlich dann, wenn einer Partei Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung gewährt worden ist, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ausscheidet, weil regelmäßig die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe vorliegen und der Rechtsanwalt verpflichtet ist, den Rechtssuchenden auf die Möglichkeit der Beratungshilfe hinzuweisen und er im Fall der Versäumung dieser Pflicht nicht die Zahlung einer Geschäftsgebühr verlangen kann (in diesem Sinne OLG Oldenburg, B. v. 23.6.2008, Az. 5 W 34/08, JurBüro 2008, 528 m. w. N.; vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf a. a. O.), kann daher im vorliegenden Fall dahinstehen.

3.

Dem Festsetzungsantrag des Beteiligten zu 1) ist daher in vollem Umfang zu entsprechen. Ein anteiliger Abzug der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG oder der Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG kommt mangels Entstehens nicht in Betracht. Eine fiktive anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG (in diesem Sinne wohl OLG Oldenburg JurBüro 2008, 528, 529) scheidet deswegen aus, weil das Unterlassen der Beantragung von Beratungshilfe dem Beteiligten zu 1) aus dem von ihm angeführten Gründen nicht vorgeworfen werden kann.

4.

Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG entbehrlich.

Ende der Entscheidung

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