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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.01.2000
Aktenzeichen: 8 U 91/99
Rechtsgebiete: SGB V


Vorschriften:

SGB V § 103
Leitsatz

§ 103 SGB V

Zur vertraglichen Verpflichtung eines aus einer Gemeinschaftspraxis ausscheidenden Arztes, bei Beendigung der gemeinsamen Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis seinen Vertragsarztsitz in der Gemeinschaftspraxis zu belassen und an der Übertragung seines Vertragsarztsitzes auf einen Nachfolger mitzuwirken.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 91/99 OLG Hamm 4 O 25/99 LG Bochum

Verkündet am 10. Januar 2000

Krämer, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Frey und die Richter am Oberlandesgericht Reinken und Prof. Dr. Saenger

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das am 24. Februar 1999 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Der Verfügungsbeklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO gesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, daß die einstweilige Verfügung vom 25.01.1999 zu Nr. I a) in der Hauptsache erledigt ist. Es hat auch die einstweilige Verfügung zu Nr. I b) zu Recht bestätigt.

1.

Es bestand ein Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers. Denn der Verfügungsbeklagte war verpflichtet, ohne das Einverständnis des Verfügungsklägers keine Willenserklärungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe und/oder dem Zulassungsausschuß der Ärzte und Krankenkassen abzugeben, um seinen Vertragsarztsitz auf einen Praxisnachfolger zu übertragen und auf die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugunsten dieses Praxisnachfolgers zu verzichten. Ebenso war der Verfügungsbeklagte verpflichtet, die mit dem Verfügungskläger bestehende Gemeinschaftspraxis nicht ohne dessen Einverständnis durch Erklärung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe und/oder dem Zulassungsausschuß der Ärzte und Krankenkassen aufzulösen.

Grundlage dieser Ansprüche ist Ziff. 3 des als "Kaufvertrag" bezeichneten Vertrages der Parteien vom 14.01.1997. Darin wurde die Verpflichtung des Verfügungsbeklagten begründet, für den Fall der Beendigung der Gemeinschaftspraxis mit dem Verfügungskläger in dem notwendigen Maße zur Übertragung seines Kassenarztsitzes auf einen Facharzt nach Wahl des Verfügungsklägers mitzuwirken. Der Verfügungsbeklagte, der aufgrund der gleichen Vereinbarung für die Einbringung seines Vertragsarztsitzes vom Verfügungskläger einen Betrag von 30.000,00 DM erhalten hatte und für den Fall des Ausscheidens einen weiteren Betrag von 120.000,00 DM erhalten sollte, verpflichtete sich also, bei Beendigung des Gemeinschaftspraxisvertrages seinen Vertragsarztsitz nicht aus der Gemeinschaftspraxis "mitzunehmen", sondern diesen in der Gemeinschaftspraxis zu belassen und zudem an der Übertragung seines Vertragsarztsitzes auf einen Nachfolger mitzuwirken.

Die Verpflichtung des Verfügungsbeklagten, seinen Vertragsarztsitz bei Beendigung der gemeinsamen Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis zu belassen, ergab sich im übrigen auch aus § 8 Abs. 3 des Vertrages zwischen den Parteien vom 26.05.1997. Darin verpflichtete sich der Verfügungsbeklagte, in jedem Fall einer Kündigung gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe auf den Vertragsarztsitz im Planbereich B und auf das Recht der Ausschreibung nach § 103 SGB V zu verzichten und dieses auf den Verfügungskläger zu übertragen. Er verpflichtete sich ferner, alle dazu erforderlichen Maßnahmen zu treffen und Erklärungen abzugeben, damit der mit seiner Person verbundene Kassenarztsitz der Praxis verbleibe. Schließlich verzichtete er für den Fall der Aufkündigung des Vertrages darauf, Maßnahmen oder Verfügungen zu treffen, die auf eine Verwertung des Kassenarztsitzes durch ihn und für ihn selbst hinauslaufen.

a)

Die Verpflichtung des Verfügungsbeklagten, den von ihm in die Gemeinschaftspraxis eingebrachten Vertragsarztsitz bei seinem Ausscheiden darin zu belassen und bei der Übertragung auf einen Arzt nach Wahl des Verfügungsklägers mitzuwirken, wurde wirksam begründet. Eine solche Vereinbarung ist auch nicht gesetz- oder sittenwidrig und verstößt insbesondere nicht gegen § 138 Abs. 1 BGB. Vielmehr rechtfertigen es die wirtschaftlichen Interessen eines Vertragsarztes, der in einer Gemeinschaftspraxis verbleibt, sich eine entsprechende schuldrechtliche Zusage geben zu lassen, um auf diese Weise die Gemeinschaftspraxis zu erhalten, welche die Grundlage seiner beruflichen Tätigkeit bildet.

b)

Dem Verfügungsbeklagten war die Erfüllung dieser Verpflichtung auch nicht von Anfang an unmöglich. Zwar richtet sich die Neuzulassung eines Vertragsarztes bei Beendigung der Zulassung eines Vertragsarztes, welcher die Praxis bisher mit einem anderen Vertragsarzt gemeinschaftlich ausgeübt hat, nach der öffentlich-rechtlichen Vorschrift des § 103 SGB V. Nach Abs. 6 i. V. m. Abs. 4 S. 3 dieser Vorschrift wählt der Zulassungsausschuß und nicht der Vertragsarzt, dessen Zulassung endet, den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen aus.

Tatsächlich bestehen aber in dem Verfahren nach § 103 SGB V ganz weitreichende Mitwirkungsrechte des Vertragsarztes, der auf seine Vertragsarztzulassung verzichtet. Zum einen hat dieser das Recht, durch einen entsprechenden Antrag das Verfahren zur Ausschreibung und Neubesetzung seines Vertragsarztsitzes überhaupt erst in Gang zu setzen (BSG, NZS 1999, 470).

Aber auch darüber hinaus nimmt der ausscheidende Vertragsarzt bei der Entscheidung des Zulassungsausschusses über die Neubesetzung erheblichen Einfluß. Nach § 103 Abs. 4 S. 2 SGB V wird dem Vertragsarzt eine Liste der eingehenden Bewerbungen zur Verfügung gestellt. Dies soll es dem Vertragsarzt ermöglichen, mit den Bewerbern in Verbindung zu treten und Vertragsverhandlungen aufzunehmen (Hauck, SGB V, z. Bd., Stand 1. August 1999, Anm. 11 zu § 103). Denn aufgrund des in Art. 14 GG garantierten Eigentumsschutzes sieht das Gesetz vor, daß der wirtschaftliche Wert einer Arztpraxis trotz Zulassungsbeschränkungen für den Fall einer beabsichtigten Praxisnachfolge dem bisherigen Vertragsarzt dadurch erhalten bleiben kann, daß für den Praxisnachfolger Zulassungsbeschränkungen durchbrochen werden (Hauck, a.a.O., Anm. 8 zu § 103).

c.)

Im übrigen kommt es für den Fortbestand der vertraglichen Verpflichtungen des Verfügungsbeklagten auch nicht darauf an, ob zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung überhaupt noch eine Gemeinschaftspraxis im Sinne von § 103 Abs. 6 SGB V vorlag. Soweit der Verfügungsbeklagte in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß das Bundessozialgericht für den Fortbestand einer Gemeinschaftspraxis ungeachtet einer fehlenden Kündigung allein auf die realen Verhältnisse und die tatsächliche gemeinschaftliche Praxisführung abstellt (BSG, MedR 1993, 279), betrifft dies nur die Frage, welche öffentlich-rechtlichen Rechte und Pflichten für Vertragsärzte bestehen und wie etwa der Zulassungsstatus zu beurteilen ist oder ob Honorarkürzungen vorzunehmen sind. Von diesen öffentlich-rechtlichen "vertragsarztrechtlichen Belangen" gänzlich unberührt bleiben jedoch die Ansprüche, die im Innenverhältnis zwischen den Ärzten auf gesellschaftsrechtlicher und damit auf privatrechtlicher Grundlage bestehen. Deshalb hätte sogar eine Kündigung des Gemeinschaftspraxisvertrages gerade nicht zur Folge gehabt, daß der Verfügungsbeklagte von seiner privatrechtlichen Verpflichtung befreit worden wäre, bei Vertragsbeendigung an der Übertragung seines Vertragsarztsitzes auf einen von dem Verfügungskläger favorisierten Bewerber mitzuwirken.

d)

Aufgrund der wirksamen Verpflichtung des Verfügungsbeklagten konnte der Verfügungskläger von diesem verlangen, nicht ohne Zustimmung des Verfügungsklägers seinen Vertragsarztsitz auf einen Praxisnachfolger zu übertragen und auf die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugunsten dieses Praxisnachfolgers zu verzichten. Denn in den zugrundeliegenden Vereinbarungen war ausdrücklich geregelt, daß der Verfügungsbeklagte daran mitzuwirken hatte, daß der Vertragsarztsitz in der Gemeinschaftspraxis verblieb und ein vom Verfügungskläger favorisierter Nachfolger zugelassen würde.

Der Verfügungskläger konnte von dem Verfügungsbeklagten weiterhin verlangen, daß dieser nicht ohne seine Zustimmung gegenüber dem Zulassungsausschuß die bestehende Gemeinschaftspraxis mit dem Verfügungskläger auflöste. Denn nur so konnte sichergestellt werden, daß im Interesse des Fortbestandes der Gemeinschaftspraxis nach § 103 Abs. 6 SGB V vom Zulassungsausschuß bei der Bewerberauswahl das Interesse des Verfügungsklägers als des verbleibenden Vertragsarztes vorrangig zu berücksichtigen war. Denn der Zulassungsausschuß darf im Fall der gemeinschaftlichen Praxisausübung nach § 103 Abs. 6 SGB V bei der Neuzulassung eines Vertragsarztes einen Bewerber nicht zulassen, bei dem der verbleibende Vertragsarzt begründet darlegt, daß ein Gemeinschaftsvertrag nicht abgeschlossen werden kann (Hauck, a.a.O., Anm. 16 zu § 103).

Soweit der Verfügungsbeklagte die Berechtigung des Verfügungsklägers unter Hinweis darauf bezweifelt, zum Zeitpunkt des Verfügungsantrages habe eine Praxisgemeinschaft mit dem Verfügungskläger nicht mehr bestanden, ist dies unerheblich. Zwar hat das Bundessozialgericht, auf das sich der Verfügungsbeklagte beruft, in einer Entscheidung darauf abgestellt, daß es für die Anwendbarkeit des § 103 Abs. 6 SGB V auf die realen Verhältnisse und die tatsächliche gemeinschaftliche Praxisführung ankomme (BSG, MedR 1993, 279). Diese Entscheidung des Bundessozialgerichts beruht aber auf einem Sachverhalt, der mit dem zu entscheidenden nicht vergleichbar ist. Denn in dem allein ausschlaggebenden Zeitpunkt, nämlich bei der von beiden Parteien einverständlich betriebenen Beantragung der Ausschreibung, bestand hier jedenfalls die Gemeinschaftspraxis noch. Dies hat der Verfügungsbeklagte in seinem Antrag vom 10.09.1998 gerade zum Ausdruck gebracht.

2.

Der Verfügungsgrund ergab sich aus der Eilbedürftigkeit der beantragten Entscheidungen. Ohne die Untersagungsverfügung wäre zu befürchten gewesen, daß der Verfügungsbeklagte die darin bezeichneten Erklärungen abgegeben und auf diese Weise die vertraglichen Ansprüche des Verfügungsklägers vereitelt hätte. Dies belegt allein schon die Tatsache, daß die Stellungnahme des Verfügungsbeklagten gegenüber dem Zulassungsausschuß mit Schreiben vom 20.12.1998 zur Folge hatte, daß dieser in seiner Sitzung vom 21.04.1999 dem vom Verfügungsbeklagten vorgeschlagenen Dr. V die Vertragsarztzulassung erteilte.

3.

Da dem Verfügungsbeklagten mit der einstweiligen Verfügung vom 25.01.1999 zu Nr. I a) lediglich die Abgabe von Willenserklärungen in der Sitzung des Zulassungsausschusses vom 27.01.1999 untersagt wurde, war zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung insoweit die Erledigung der Hauptsache festzustellen. Die einstweilige Verfügung zu Nr. I b), mit der dem Verfügungsbeklagten untersagt wurde, die mit dem Verfügungskläger bestehende Gemeinschaftspraxis nicht ohne dessen Einverständnis durch Erklärung aufzulösen, war zu bestätigen.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 ZPO.

Ende der Entscheidung

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