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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.12.2004
Aktenzeichen: 8 W 64/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 661 a
ZPO § 114
1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage aus § 661 a BGB gegen eine im Ausland ansässige Versenderin von Gewinnzusagen kann nicht mit der Begründung versagt werden, es bestehe ein Erfahrungssatz, wonach die Vollstreckung einer titulierten Forderung in solchen Fällen aussichtslos sei und deshalb die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete oder mutwillig sei (gegen OLG Dresden, NJW-RR 2004, 1078 = JurBüro 2004, 147).

2. Prozesskostenhilfe ist in solchen Fällen auch nicht regelmäßig auf Teilklagen zu beschränken, um das Kostenrisiko zu reduzieren.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

8 W 64/04

In Sachen

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 6. 10. 2004 gegen den Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 24. 9. 2004

am 28. Dezember 2004

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin T in C Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung bewilligt.

Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.

Tatbestand:

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die in Italien ansässige Antragsgegnerin aus zwei Gewinnzusagen gem. § 661 a BGB in Höhe von insgesamt 35.000 € abzüglich verrechneter Kaufpreisforderungen der Antragsgegnerin in Höhe von ca. 480 €.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig, da ernsthafte Vollstreckungsaussichten nicht ersichtlich seien. Bei der Antragsgegnerin handele es sich um eine Briefkastenfirma, die über kein eigenes Personal und nicht einmal einen eigenen Telefonanschluss verfüge.

Zudem würde eine bemittelte Partei angesichts der gravierenden Risiken bei der Realisierung des angestrebten Titels allenfalls eine Teilklage über einen Betrag erheben, der unterhalb der Zuständigkeitsgrenze des Landgerichts liege.

Diesen Beschluss ficht die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde an, mit der sie konkrete Vollstreckungsmöglichkeiten aufzeigt.

Gründe:

Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. In Abänderung des angefochtenen Beschlusses ist der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage zu bewilligen.

1.

Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin bietet hinreichende Erfolgsaussichten, wovon auch das Landgericht ausgeht. Die Antragstellerin hat in beiden Fällen die Voraussetzungen eines Anspruchs aus einer Gewinnzusage der Antragsgegnerin gem. § 661 a BGB dargelegt.

2.

Der Senat hält die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch nicht wegen zweifelhafter Vollstreckungsaussichten für mutwillig.

a)

Zwar ist allgemein anerkannt, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn feststeht, dass die Vollstreckung aus dem angestrebten Titel endgültig oder jedenfalls auf absehbare Zeit aussichtslos ist (OLG Hamm, 29. ZS, NJW-RR 1999, 1737; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 503, 504; OLG Dresden, NJW-RR 2004, 1078; Zöller-Philippi, 24. Aufl. § 114 Rdnr. 29; Musielak-Fischer 4. Aufl. § 114 Rdnr. 41). An die insoweit zu treffende Prognose sind strenge Anforderungen zu stellen, so dass die Verweigerung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Vollstreckungsaussichten nur auf seltene Ausnahmefälle beschränkt bleibt (OLG Hamm, a. a. O.; OLG Düsseldorf, a. a. O.).

b)

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Entgegen der in der Rechtsprechung z. T. vertretenen Auffassung (OLG Dresden, Beschluss vom 23. 12. 2003, NJW-RR 2004, 1078 mit zustimmender Anmerkung Mankowski, VuR 2004, 250, 252 "notorische Unseriosität der Branche"; OLG Karlsruhe, 19 W 37/04, Beschluss vom 16. 8. 2004; ähnlich OLG Hamm, 22. ZS., Beschluss vom 14. 7. 2003, 22 W 34/03) hat der Senat Zweifel, dass in Fällen der Versendung von Gewinnzusagen durch eine im Ausland ansässige Gesellschaft ein Erfahrungssatz besteht, wonach die Vollstreckung einer titulierten Forderung aus der Gewinnzusage aussichtslos ist. Allein der Umstand, dass in vielen Fällen Vollstreckungsbemühungen erfolglos gewesen sein mögen, rechtfertigt diese Verallgemeinerung nicht.

Der Senat verkennt nicht, dass die Versender von Gewinnzusagen regelmäßig nicht nur berechtigte Ansprüche von Verbrauchern in Abrede stellen, sondern auch durch die rechtliche Gestaltung ihres Geschäftsbetriebes Vollstreckungsmaßnahmen erschweren. Andererseits ist dem Senat, der mit einer Vielzahl ähnlicher Verfahren befasst war, durch Presseveröffentlichungen bekannt geworden, dass zumindest in einem dieser Fälle die Zahlung des titulierten Gewinnbetrages erreicht werden konnte. Soweit etwa das OLG Dresden in seinem Beschluss vom 23. 12. 2003 derartige Berichte als vereinzelt und angesichts anderer dem Gericht vorliegender Informationen unerheblich bezeichnet, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Verifizierbare Zahlen über Erfolgsquoten bei der Vollstreckung gegen Versender von Gewinnzusagen liegen, soweit ersichtlich, nicht vor; auf Gerüchte und Berichte in Internetforen kann ein tragfähiger Erfahrungssatz aber nicht gestützt werden.

Ungeachtet des in der Diskussion immer wieder verwandten Begriffs der "Briefkastenfirmen" erscheinen erfolgversprechende Vollstreckungsmaßnahmen auch nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein. Immerhin handelt es sich im vorliegenden Fall wie auch bei vielen anderen Versendern von Gewinnzusagen um Unternehmen, die als Versandhandelsunternehmen in Deutschland tätig sind. Ziel der Gewinnzusagen ist es gerade, Interesse für die im Versandhandel vertriebenen Produkte zu wecken. Bei dieser Geschäftstätigkeit entstehen z. B. Zahlungsansprüche oder Kontoguthaben, die als Vollstreckungsobjekte denkbar sind. Dem Senat ist darüber hinaus bekannt, dass etwa über Internet-Tauschbörsen titulierte Forderungen gegen Versender von Gewinnzusagen angekauft werden, z. B. mit dem Ziel, gegen Kaufpreisforderungen aufrechnen zu können.

Selbst wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Forderung letztlich nicht oder nicht in voller Höhe realisiert werden kann, darf dies nicht dazu führen, dem Rechtssuchenden, der die Rechtsverfolgungskosten nicht tragen kann, den Zugang zu den Gerichten von Vornherein zu versagen. Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, eine Partei, die ihre Kosten selbst zu tragen hat, würde eine solche Klage vernünftigerweise nicht erheben. Ob die Rechtsverfolgung unvernünftig war, lässt sich erst im Nachhinein feststellen. Die hier erforderliche Prognose fällt nicht derart negativ aus, dass der im Rechts- und Sozialstaatsgebot auch verfassungsrechtlich verankerte Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe dahinter zurücktreten müsste. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Gebots, Steuermittel sparsam einzusetzen.

Die vom Landgericht eingenommene restriktive Haltung bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klagen aus § 661 a BGB steht auch im Widerspruch zu den mit der Einführung dieser Vorschrift verbunden Intentionen des Gesetzgebers, die unlautere, aber gleichwohl sanktionslose Versendung von Gewinnzusagen zu unterbinden. Gegenüber wirtschaftlich schwachen Verbrauchern könnte die wettbewerbswidrige Praxis ohne nennenswertes Risiko für die betroffenen Unternehmen fortgesetzt werden.

c)

Selbst wenn man entgegen der oben dargestellten Auffassung einen Erfahrungssatz bejahen wollte, dass die Vollstreckung aus Titeln über Gewinnzusagen regelmäßig aussichtslos ist, hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren konkrete Vollstreckungsmöglichkeiten aufgezeigt, die dem Erfahrungssatz im Streitfall entgegenstehen. Es ist nicht Aufgabe der Antragstellerin im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren und würde ihre derzeitigen Möglichkeiten auch überfordern, im Einzelnen konkret darzulegen oder gar unter Beweis zu stellen, dass und in welchem Umfang die erwogenen Pfändungen zum Erfolg führen werden.

d)

Schließlich folgt der Senat auch nicht der Auffassung des Landgerichts, die Antragstellerin könne allenfalls Prozesskostenhilfe für eine Teilklage beanspruchen, um das Kostenrisiko zu reduzieren. Der Senat lässt offen, ob dieser Gesichtspunkt in anders gelagerten Fällen zur Versagung oder nur eingeschränkten Bewilligung von Prozesskostenhilfe führen kann. Im Streitfall kann die Antragstellerin jedoch nicht auf eine Teilklage verwiesen werden.

Sie müsste nämlich Sorge haben, dass hinsichtlich des nicht eingeklagten Teilbetrages Verjährung eintreten könnte, was der Beschränkung auf eine Teilklage entgegensteht (Musielak-Fischer, § 114 Rdnr. 42). Bereits das Erkenntnisverfahren gegen im Ausland ansässige Parteien kann nach den Erfahrungen des Senats erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, zumal wenn dem Rechtsstreit ein Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren vorausgeht und der Prozess durch mehrere Instanzen geführt wird. Anschließend müsste aus dem erstrittenen Urteil die Vollstreckung betrieben werden, die bei im Ausland ansässigen Schuldnern wiederum nicht unerhebliche Zeit dauern kann. Aus dabei gewonnen punktuellen Erkenntnissen lässt sich zudem nur schwer die tragfähige Prognose aufstellen, dass nicht etwa in einigen Jahren bessere Vollstreckungsmöglichkeiten vorliegen werden. Jedenfalls dann könnte der Restbetrag nicht mehr mit Erfolg gerichtlich geltend gemacht werden, wenn zunächst nur ein Urteil über einen Teilbetrag erwirkt worden wäre.

3.

Die Antragstellerin kann die Verfahrenskosten auch nicht aus ihrem Einkommen oder Vermögen tragen.

Ihr war deshalb in Abänderung des angefochtenen Beschlusses Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung zu bewilligen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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