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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 03.02.2009
Aktenzeichen: 9 U 101/07
Rechtsgebiete: BGB, StrWG NRW


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 839
StrWG NRW § 9
StrWG NRW § 9a
1. Graue Metallketten zwischen mehreren Metallpfosten zur Sperrung einer Fußgängerzone einer Innenstadt stellen bei mangelhafter Erkennbarkeit eine erhebliche und deshalb abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar; sie sind dann mit der Pflicht zur Verkehrssicherung nach §§ 839 BGB, 9, 9 a StrWG NRW nicht vereinbar.

2. Kommt ein Radfahrer , der die Fußgängerzone mitternächtlich zulässig befährt, über eine solche Kette zu Fall, weil sie frühestens auf eine Entfernung von 10 m wahrzunehmen war, kann die volle Haftung der Kommune für den entstandenen Schaden in Betracht kommen, wenn - wie hier - allenfalls ein geringes Mitverschulden (§ 254 BGB) zu diskutieren wäre.


Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 4.000,00 € sowie weitere 109,06 € zu zahlen, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2007 sowie entsprechende Zinsen aus 2.500,00 € für die Zeit vom 5. Oktober 2006 bis zum 9. Januar 2007.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Unfall vom 8. September 2006 noch entstehen werden, soweit materielle Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind.

3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten von 144,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2007 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen eines Sturzes mit seinem Fahrrad am 8. September 2006 auf der B-Straße in der C-Innenstadt in Anspruch.

Die B-Straße zweigt von der Straße O-Straße zwischen zwei Geschäftshäusern ab. Auf der B-Straße befanden sich wenige Meter hinter der Einmündung in den O-Straße vier nebeneinander angeordnete Metallpfosten in grauer Farbe. Drei der Pfosten waren mit zwei Metallketten verbunden, die quer zum Straßenverlauf der B-Straße hingen.

Der Kläger hat behauptet, er sei gegen 23:50 Uhr mit seinem Trekkingrad von der Straße O-Straße kommend rechts in die B-Straße eingebogen. Dabei sei er gegen eine der Ketten gefahren, über den Lenker auf das Pflaster gestürzt und habe sich Verletzungen im Gesicht sowie Prellungen an den Knien zugezogen, insbesondere - was unstreitig ist - einen komplizierten Kieferbruch und eine Nasenbeinfraktur. Seit dem Unfall habe er darüber hinaus Beschwerden im Lendenwirbelbereich. Nach wie vor bestünden Sensibilitäts- und Okklusionsstörungen im Kieferbereich. Ferner sei seine Armbanduhr beschädigt worden.

Die Kette sei für ihn nicht erkennbar gewesen, weil sie fast die gleiche Farbe wie das Straßenpflaster aufgewiesen habe und die Lichtverhältnisse ungünstig gewesen seien. Die Beklagte hätte seiner Meinung nach die Ketten entweder gar nicht erst anbringen dürfen oder sie jedenfalls durch farbliche Gestaltung oder reflektierende Schilder sichern müssen. Die B-Straße sei auch in seiner Fahrtrichtung zum Befahren mit dem Fahrrad freigegeben gewesen. In diesem Bereich der Innenstadt sei eine Fußgängerzone mit dem Verkehrszeichen 239 ausgewiesen und durch Zusatzschild in der Zeit von 20:00 Uhr bis 9:00 Uhr für den Fahrradverkehr freigegeben.

Der Kläger hat beantragt,

1.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 4.000,- Euro, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins aus 2.500,00 Euro seit 5. Oktober 2006 und im Übrigen seit Rechtshängigkeit am 10. Januar 2007 zu zahlen.

2.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Verkehrsunfall vom 9. September 1006 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

3.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn 109,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

4.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 144,59 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte stellt eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Abrede und hat die Auffassung vertreten, dass der Bereich zwischen Absperrung und O-Straße auf Grund seiner Gestaltung eindeutig Gehweg und nicht zum Befahren mit dem Fahrrad freigegeben gewesen sei. Die Kette habe am Beginn der Fußgängerzone gehangen. Sie habe nicht damit rechnen müssen, dass an dieser Stelle Fahrradfahrer verbotswidrig auf die Kette zufahren könnten. Der Bereich sei ausreichend durch Straßenlaternen und Geschäftsbeleuchtung ausgeleuchtet gewesen, so dass die Kette ohne Weiteres zu erkennen gewesen sei. Dem Kläger seien die Örtlichkeiten hinreichend bekannt gewesen. Deshalb treffe den Kläger ein ganz erhebliches Mitverschulden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte keine Verpflichtung getroffen habe, die Kette so zu gestalten, dass sie für Fahrradfahrer auch bei Dunkelheit rechtzeitig hätte erkennbar sein müssen, weil an dieser Stelle das Radfahren verboten sei. Der Bereich vor der Kette aus Richtung O-Straße sei gerichtsbekannt ein reiner Gehweg. Eine Fußgängerzone (Verkehrszeichen 239) sei in diesem Bereich nicht eingerichtet. Erst hinter der Kette beginne die Fahrbahn der B-Straße.

Wegen der weiteren Einzelheiten der tatbestandlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Klageanträge weiter verfolgt und eine Rechtsverletzung rügt. Das Landgericht habe gegen § 291 ZPO verstoßen und zu Unrecht angenommen, dass der Bereich vor der Kette als Gehweg einzuordnen sei. Es sei verkannt worden, dass die Kette hinter dem parallel zum O-Straße verlaufenden Gehweg angebracht gewesen sei. An dieser Stelle handele es sich entweder um eine normale Fahrbahn oder um eine Fußgängerzone, die allerdings ab 20:00 Uhr für den Radfahrerverkehr freigegeben sei. Aber selbst wenn er, Kläger, verbotswidrig gefahren wäre, hätte die Beklagte dennoch mit einem solchen Verhalten rechnen und die Gefahr beseitigen müssen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und ein schriftliches lichttechnisches Gutachten des Sachverständigen Dipl-Ing. I vom 15. Mai 2008 eingeholt. Der Sachverständige ist zur Erläuterung seines Gutachtens mündlich angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf die Berichterstattervermerke vom 11. Dezember 2008 und 3. Februar 2009 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Ansprüche des Klägers sind nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil er verbotswidrig den Bereich vor der Absperrkette befahren haben könnte. Der Kläger kann vielmehr aus §§ 839, 249, 253 Abs. 2, 9, 9a StrWG i.V.m. Art. 34 GG vollen Ersatz der geltend gemachten materiellen und immateriellen Schäden verlangen.

1.) Er hat zunächst einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000,- Euro. Denn die Beklagte hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil die zwischen den Pfosten quer zum Straßenverlauf der B-Straße gespannte Kette eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle darstellte. Die Beklagte hat diese Gefahr selbst und ohne erkennbaren Grund geschaffen. Sie war deshalb zur Abhilfe verpflichtet.

Die Beklagte war als Verkehrssicherungspflichtige verpflichtet, vor solchen Gefahrenquellen zu warnen bzw. sie zu beseitigen, die für den Verkehrsteilnehmer trotz Anwendung der von ihnen zu erwartenden Eigensorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar sind oder auf die er sich nicht rechtzeitig einzustellen vermag (Senat, Urt. vom 30.9.2003, NZV 2004, 142). Ist die Gefahrenstelle nicht durch Naturereignisse oder Eingriffe Dritter entstanden, sondern vom Verkehrssicherungspflichtigen selbst geschaffen worden, ist an die Sicherungspflicht ein besonders strenger Maßstab anzulegen (Senat, Urt. v. 9.11.2001, MDR 2002, 643; Urt. v. 19.7.2006, MDR 1996, 1131). Diese hohen Sorgfaltsanforderungen treffen die Beklagte unabhängig davon, ob die Gefahr nur bei zulässiger Nutzung eintreten kann. Denn der Verkehrssicherungspflichtige hat sich auch auf eine nicht ganz fern liegende bestimmungswidrige Nutzung einzurichten und vorhersehbaren Gefahren entsprechend zu begegnen (BGH VersR 1978, 561; Senat, Urt. v. 25.1.2002, OLGR 2002, 249).

Im Streitfall kann allerdings dem Landgericht nicht darin zugestimmt werden, dass der Kläger den Bereich vor der Absperrkette verbotswidrig mit seinem Fahrrad befuhr. Die Pfosten und die dazwischen gespannte Kette befanden sich im Bereich der B-Straße, etwa 5 bzw. 9 Meter Luftlinie von den Häuserecken an der Einmündung zum O-Straße entfernt. Der Vertreter der Beklagten hat im Senatstermin vom 11. Dezember 2007 an Hand von Beschilderungsplänen im Einzelnen die eingerichteten Fußgängerbereiche (Verkehrszeichen 242) erläutert. Danach handelt es sich bei der B-Straße um einen solchen Fußgängerbereich, der ab 20:00 Uhr durch Zusatzschild für Radfahrer freigegeben ist. Die Wirkungen des Verkehrszeichens 242 sowie des angebrachten Zusatzschildes gelten grundsätzlich so lange, bis sie durch das Schild 243 oder ein anderes eindeutiges Verkehrszeichen aufgehoben werden, ohne dass es auf den sog. Sichtbarkeitsgrundsatz ankommt (Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, § 41 Rn. 248 zu Zeichen 242/243). Ein Verkehrszeichen 242/243, das den Anfang bzw. das Ende des Fußgängerbereichs an der Einmündung zum O-Straße kennzeichnet, existiert allerdings nicht. Damit ist das Ende des (nachts für Radfahrer freigegebenen) Fußgängerbereichs und der Übergang zum Gehweg am O-Straße nicht eindeutig abzugrenzen. Demgegenüber greift das Argument der Beklagten, das Ende des Fußgängerbereichs sei allein wegen der unterschiedlichen Pflasterung zu erkennen gewesen, nicht durch. Denn insoweit sind die zur gestalterischen Trennung zwischen Gehwegen und Fahrbahnen geltenden Grundsätze nicht heranzuziehen. Fußgängerbereiche heben in ihrem Geltungsbereich gerade eine ggf. vorhandene Trennung dieser Verkehrsflächen auf. So ist auch im weiteren Verlauf der B-Straße durch unterschiedliche Pflasterung ein "Gehweg" parallel zu den Schaufensterfronten abgesetzt. Dennoch darf auch in diesem Fußgängerbereich innerhalb der zeitlich begrenzten Freigabe mit dem Rad gefahren werden. Allein die uneinheitliche Verlegung des Natursteinpflasters bzw. der Gehwegplatten kann das Zeichen 243 nicht ersetzen.

Die insgesamt ebenso unklare wie unvollständige Beschilderungslage der Fußgängerbereiche muss die Beklagte bei der Beurteilung der Frage, ob sie mit Radfahrerverkehr aus Richtung O-Straße an der Absperrung rechnen musste, gegen sich gelten lassen. Fahrradfahrer, denen wie dem Kläger die Freigabe der B-Straße für Radfahrer von 20:00 Uhr bis 9:00 Uhr bekannt war, konnten auch ohne dort angebrachtes Verkehrszeichen davon ausgehen, dass sie vom O-Straße aus in die B-Straße einfahren durften.

Bei der Kette handelt es sich für die Nutzer der B-Straße um ein besonders gefahrenträchtiges Hindernis, das bei Dunkelheit nur schwer und für Radfahrer buchstäblich allenfalls in letzter Sekunde zu erkennen war. Zu dieser Feststellung ist der Senat auf Grund der glaubhaften Angaben des Klägers in seiner Anhörung und des eingeholten lichttechnischen Sachverständigengutachtens gelangt. Sowohl aus den vom Kläger vorgelegten Lichtbildern als auch aus den vom Sachverständigen gefertigten Aufnahmen ist ersichtlich, dass die Kette nahezu die gleiche schiefergraue Farbgebung aufwies wie das Natursteinpflaster der Straßenoberfläche. Es waren unstreitig keinerlei Reflektoren oder andere auffällige Markierungen vorhanden. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass die Kette nach Einbruch der Dunkelheit bei den bestehenden Beleuchtungsverhältnissen frühestens aus einer Entfernung von 10 m von einem aufmerksam den Verkehrsraum beobachtenden Radfahrer als Hindernis erkannt werden konnte. Erst aus einer Entfernung von 5 m war die Kette deutlich zu erkennen. Selbst bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von nur 10 km/h bliebe dem Radfahrer nur 1,4 Sekunden, um zu reagieren und mit einer Vollbremsung rechtzeitig anzuhalten. Der Sachverständige hat angegeben, dass erst ab einer Geschwindigkeit von ca. 10 km/h ein Fahrrad überhaupt stabil gelenkt werden kann. Es ist zwar zutreffend, dass durch Zusatzschild zugelassene Radfahrer in Fußgängerbereichen ebenso wie andere Fahrzeuge nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen (§ 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO - Nr. 2 zu Zeichen 242/243). Dennoch musste die Beklagte durchaus auch mit höheren Geschwindigkeiten rechnen.

Bei dieser Beurteilung hat der Sachverständige die bestehende Beleuchtung der Gefahrenstelle durch die vorhandenen Straßenlaternen und die zusätzliche Schaufensterbeleuchtung der umliegenden Geschäfte berücksichtigt. Dabei kann dahin stehen, ob der Sachverständige genau die Lichtverhältnisse vorgefunden hat, wie sie am Unfalltag vorhanden waren. Denn die Frage, ob die eine oder andere Schaufensterbeleuchtung angeschaltet war oder nicht, hat nur ganz geringen Einfluss auf die Unauffälligkeit der Kette. Denn deren Erkennbarkeit hängt nach den Ausführungen des Sachverständigen maßgeblich von dem Kontrast des Hindernisses zu dem Hintergrund ab, vor dem es wahrgenommen wird. Dieser war wegen der ähnlichen Farbgebung gering. Wird die Kette zusammen mit dem Hintergrund stärker beleuchtet, ändert das an den Kontrastverhältnissen nichts. Hinzu kommt, dass jede weitere, im Verhältnis zu den übrigen Lichtverhältnissen grell wahrgenommene Lichtquelle gleichzeitig eine Ablenkung für das Auge bedeutet und die Konzentration auf die beleuchteten Gegenstände beeinträchtigen kann. Bei diesen Sichtverhältnissen ist es durchaus naheliegend, dass Radfahrer - aber auch durch die Schaufenster abgelenkte Fußgänger - die Kette übersehen und sich bei einem Sturz schwerste Verletzungen zuziehen können. Dass der Sturz des Klägers über den Lenker keine weiter gehenden Folgen nach sich zog, ist nur einem glücklichen Zufall und wohl auch der Tatsache zu verdanken, dass er mit mäßigem Tempo unterwegs war.

Der Sturz des Klägers ist durch die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verursacht worden. Dabei ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger so, wie er es vorgetragen hat, gegen die Kette gefahren und deshalb zu Fall gekommen ist. Dies hat der Kläger lebhaft und anschaulich in seiner mündlichen Anhörung durch den Senat geschildert. Nach seinen Angaben ist er frontal gegen die Kette gefahren mit den Händen noch am Lenker so mit dem Rad gestürzt, dass er mit der Nase auf das Pflaster geschlagen ist. Er hat dazu Fotos vorgelegt, die unstreitig Blutflecken unmittelbarer hinter der Kette bzw. den Pfosten auf dem Pflaster zeigen. Steht danach fest, dass der Kläger in unmittelbarer Nähe der Gefahrenquelle zu Fall gekommen ist, so spricht auch der Anschein dafür, dass die Gefahrenstelle Ursache des Sturzes war (BGH NJW 2005, 2454). Diesen Anschein hat die Beklagte nicht widerlegt.

Der Beklagten war die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht zumutbar, da sie mit einfachen Mitteln deutliche Sichtbarkeit der Kette hätte erreichen oder aber wenn sie, ohne erkennbare Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, besser gleich ganz auf die Kette verzichtet hätte. Immerhin sind die Ketten kurz nach dem Unfall ersatzlos von der Beklagten entfernt worden. Von der Beklagten ist kein plausibler Grund vorgetragen worden, welchem sinnvollen Zweck die Kette an dieser gefahrenträchtigen Stelle mitten in der Innenstadt von C auf einer Einkaufsstraße dienen sollte. Kraftfahrzeuge wurden bereits durch die vorhandenen Metallpfosten vom Weiterfahren abgehalten. Mit fernzuhaltenden Fahrradfahrern rechnete die Beklagte nach eigenen Angaben nicht. Warum die mit Dreikantschlüssel herausnehmbaren Pfosten ausgerechnet durch eine derart verkehrsgefährdende Kette gesichert werden mussten, erschließt sich nicht.

Die Verletzung der objektiven Sorgfaltsanforderungen indiziert ein subjektiv vorwerfbares und damit schuldhaftes Verhalten der Beklagten.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist der Senat von den unstreitigen Verletzungsfolgen ausgegangen. Bereits diese Folgen rechtfertigen ein Schmerzensgeld in der zugesprochenen Höhe. Der Kläger hat sich einen Kieferbruch sowie einen Nasenbeinbruch zugezogen. Der Sturz auf das Gesicht ging darüber hinaus mit einem Blutverlust und Weichteilschwellungen einher. Diese Verletzungen sind naturgemäß äußerst schmerzhaft. Ausweislich des Auszuges aus der Krankenkartei des behandelnden Gesichtschirurgen trug der Kläger bis zum 2.9.2006 eine Schiene über der Nase. Bis zum 9.10.2006 waren der Ober- und der Unterkiefer geschient. Damit sind Ess- und Trinkbeschwerden und auch Schwierigkeiten beim Sprechen unausweichlich. Der Kläger war bis zum 22.9.2006 und am 6.10.2006 krankgeschrieben. In seiner mündlichen Anhörung durch den Senat hat er fortbestehende Sensibilitätsstörungen im Kieferbereich glaubhaft geschildert. Gefühlsstörungen im Bereich des Oberkiefers sind darüber hinaus auch in den Krankenunterlagen des Gesichtschirurgs dokumentiert. Die weiteren Beschwerden werden vom Kläger selbst so wenig substantiiert dargelegt, dass sie bereits deshalb nicht berücksichtigt werden konnten. Welche Beschwerden der nicht ganz "passende" Aufbiss außer leichten Korrekturbewegungen bei spontanen Kaubewegungen hervorruft, hat der Kläger nicht dargelegt. Die angeblich auf den Unfall zurückzuführenden Rückenschmerzen konnten nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen des behandelnden Arztes vom 27.10.2006 nicht mehr mit einem entsprechenden Befund belegt werden. Die Untersuchung ergab vielmehr einen "altersentsprechenden Befund". In die Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch der grobe Verstoß der Beklagten gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht eingeflossen.

Der vom Senat in Ansatz gebrachte Betrag von 4.000,- Euro erscheint auch unter Berücksichtigung der für vergleichbare Verletzungen zugesprochenen Beträge (vgl. Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldtabellen, 24. Auflage, Nr. 877, 1084, 1116, 1250, 1290) angemessen.

2. Demgegenüber ist ein Mitverantwortungsanteil des Klägers gemäß § 254 BGB nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Dem Kläger gereicht die Tatsache, dass er bei Anspannung der erforderlichen Sorgfalt die Kette so zeitig hätte erkennen können, dass er gerade noch hätte anhalten können, im Ergebnis der Abwägung der gegenseitigen Verschuldens- und Verursachungsbeiträge nicht zum Nachteil. Der Sachverständige hat die Bremsmöglichkeiten wie oben dargelegt auf Grundlage der Angabe des Klägers berechnet. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass er eine Geschwindigkeit von (nur) 10 km/h zu Grunde gelegt hat. Denn darunter liegende Geschwindigkeiten wären unrealistisch, weil das Fahrrad dann zwangsläufig instabil wird. Andererseits hat der Kläger selbst angegeben, dass er lediglich mit Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Der Verstoß gegen die Obliegenheit zur Eigensicherung ist aber nur als gering zu bewerten, weil der Kläger nicht mit derart schlecht sichtbaren Hindernissen, die überhaupt erst ab einer Entfernung zwischen 10 und 5 m ausreichend erkennbar sind, rechnen musste. Es ist dabei nicht auf die isolierte Sichtbarkeit der Kette bei statischer Betrachtung aus einer bestimmten Entfernung abzustellen, sondern auf die Fahrt als dynamischem Vorgang. Es ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Kläger sein Augenmerk auch auf den Verkehrsraum jenseits der Kette gerichtet hielt. Der Senat verkennt nicht, dass der Radfahrer verpflichtet ist, auf kurz vor ihm auftauchende Hindernisse unverzüglich zu reagieren. Es kann allerdings nicht verlangt werden, dass der Radfahrer lückenlos auch den Bereich zwischen 5 und 10 m vor seinem Rad im Auge noch gezielt behält und auf Hindernisse überprüft, die - bei an sich übersichtlicher Lage - aus mehr als 10 m Entfernung noch nicht zu erkennen waren. Der Kläger war durch verschiedene Lichtquellen, die zu unterschiedlichen Lichtreizen führten, abgelenkt. Das ergibt sich anschaulich aus den vom Sachverständigen angefertigten Lichtbildern. Hinzu kommt, dass der Kläger nach einer Rechtskurve in die Straße einbog und sich auch über den weiteren Verlauf der Straße orientieren musste.

Anlass, den Zwischenraum zwischen den Sperrpfosten näher ins Auge zu fassen, bestand allerdings deshalb, weil der Kläger die Sperrpfosten als solche bereits aus größerer Entfernung deutlich hatte wahrnehmen können. Denn es lag im Bereich des Vorhersehbaren, dass sich im Zwischenraum der beiden Pfosten eine Absperreinrichtung befinden könnte. Da er den Fahrtweg durch zwei der Pfosten gewählt hatte, war er gehalten, diesen Zwischenraum darauf zu überprüfen, ob er hindurch fahren konnte. Dieser allerdings als geringfügig zu wertende Verstoß gegen die gebotene Eigensorgfalt tritt aber in der Abwägung gegenüber der besonders schweren Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten, die im Streitfall deutlich überwiegt, zurück (vgl. Senat, Urt. v. 30.4.2996, VersR 1997, 891).

Einen Beweis dafür, dass der Kläger alkoholbedingt in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt gewesen sein könnte, hat die Beklagte nicht erbracht. Dass die Lichtanlage des Fahrrades des Klägers möglicherweise nicht den geltenden Anforderungen entsprach, hat sich nicht nachteilig ausgewirkt. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass die Erkennbarkeit der Kette von der verwendeten Fahrradbeleuchtung angesichts der übrigen vorhandenen Lichtquellen nicht abhängig war. Dem Kläger kann auch nicht allein deshalb ein Mitverschulden angelastet werden, weil er seit Jahren in der Innenstadt Bielefelds wohnt und sich dort entsprechend gut auskennen mag. Denn daraus ergibt sich nicht, dass dem Kläger das konkrete Hindernis bekannt war. Selbst wenn ihm die Ketten schon früher einmal aufgefallen wären, könnte nicht festgestellt werden, dass die Gefahr ihm noch am Unfalltag gegenwärtig war. Die Beklagte hat dies weder konkret dargelegt, noch insoweit Beweise angeboten.

3. Der Anspruch auf Zahlung des materiellen Schadensersatzes in Höhe von 109,06 Euro für die Reparatur der Armbanduhr ist durch die Reparaturrechnung vom 9. November 2006 bei Geltung der Beweiserleichterungen des § 287 ZPO ausreichend belegt.

4. Der Feststellungsantrag ist ebenfalls begründet. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO ergibt sich schon daraus, dass nicht überblickt werden kann, ob die nicht unerheblichen Verletzungen des Klägers vollständig folgenlos ausgeheilt sind, so dass Folgeschäden nicht völlig unwahrscheinlich sind.

5. Der Anspruch auf die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich ebenfalls aus §§ 839, 249, 253 Abs. 2, 9, 9a StrWG i.V.m. Art. 34 GG. Der Kläger hat insoweit lediglich eine 0,65-fache Gebühr nach einem Streitwert von 2.500,- Euro zzgl. Auslagenpauschale und MWSt. angesetzt.

6. Die Zinsen waren zuzusprechen gemäß §§ 286, 288, 291 BGB.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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