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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.01.2003
Aktenzeichen: 9 U 120/02
Rechtsgebiete: StVG, PflVersG


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 1 S. 2
StVG § 18 Abs. 1
PflVersG § 3 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das am 30. April 2002 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld insoweit abgeändert, als die Beklagten verurteilt worden sind, als Gesamtschuldner an die Klägerin mehr als 34.127,17 Euro nebst 7 % Zinsen seit dem 10. September 1999 zu zahlen.

Wegen des Mehrbetrages wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des 1. Rechtszuges werden den Beklagten zu 93 % und der Klägerin zu 7 % auferlegt. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu 91 % und die Klägerin zu 9 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern die Klägerin nicht vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Verantwortung für einen Verkehrsunfall am 05.08.1999 gegen 8.35 Uhr auf der L # in C, bei dem das von dem Erstbeklagten geführte LKW-Gespann der Zweitbeklagten in einer Kurve mit dem entgegenkommenden LKW der Klägerin kollidierte. Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und dem Erstbeklagten das Alleinverschulden an dem Unfall angelastet, weil er mit unangepaßter Geschwindigkeit in die Kurve - in seiner Sicht Rechtskurve - eingefahren sei und bei Ansichtigwerden des entgegenkommenden LKWs der Klägerin so stark gebremst habe, daß sein Anhänger auf die Fahrspur des Gegenverkehrs ausgebrochen und dort mit dem LKW der Klägerin kollidiert sei. Hingegen sei dem Fahrer der Klägerin kein unfallursächliches Verschulden anzulasten. Auf die hierzu in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die im wesentlichen die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile rügen. Sie greifen die Feststellung zu einem Verschulden des Erstbeklagten an und meinen, der Erstrichter hätte berücksichtigen müssen, daß der Anhänger ihres Gespanns mit einem Bremskraftregler ausgestattet gewesen sei, welcher ein Überbremsen mit Ausbrechen des Anhängers hätte verhindern müssen. Sie behaupten weiterhin, der Fahrer der Klägerin habe mit seinem LKW die Mittellinie überfahren und dadurch den Erstbeklagten zu seiner gefährlichen Bremsung erst veranlaßt.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat allein zur Schadenshöhe Erfolg. Die ergänzende Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. T hat die Feststellungen und Wertungen des Erstrichters zu einem Alleinverschulden des Erstbeklagten an dem Unfall erhärtet. Die Klägerin kann daher von den Beklagten gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 17 Abs. 1 S. 2 StVG, 3 Nr. 1 PflVersG ihren gesamten bei dem Unfall entstandenen Schaden ersetzt verlangen.

1.

Daß der Beklagte unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit unangepaßt hoher Geschwindigkeit in die Kurve eingefahren ist, ist nicht mehr in Streit. Die ergänzende Beweisaufnahme hat darüber hinaus die Feststellung erhärtet, daß der Erstbeklagte wegen überhöhter Ausgangsgeschwindigkeit und nicht etwa zur Kompensation eines - im übrigen gar nicht erweislichen - Fahrfehlers des Führers des LKW der Klägerin in der Kurve stark gebremst hat, obwohl er damit rechnen mußte, daß sein Anhänger bei einem solchen Bremsvorgang in die Gegenfahrbahn ausbrechen und dort mit dem entgegenkommenden LKW der Klägerin kollidieren werde.

Für eine starke Bremsung in der Kurve hat der Sachverständige T auf das Zeit-Weg-Diagramm verwiesen. Der Anhänger müsse von einer gestreckten Position in die dokumentierte Kollisionsposition gelangt sein. Wie die Rekonstruktion der Fahrlinie zeige, setze der Beginn der Instabilität des Anhängers eine Bremsung mit einem hohen Verzögerungsniveau voraus. Eines Rückgriffs auf die Diagrammscheibe - die nach den Erläuterungen des Sachverständigen ohnehin eine Bremsung nur im Mittelwert, jedoch keine kurzzeitige Spitze aufzeichnet - bedürfe es daher zum Nachweis einer starken Bremsung nicht.

Der Erstbeklagte durfte aufgrund des Bremskraftreglers auch keineswegs darauf vertrauen, daß sein Gespann auch bei dieser heftigen Bremsung stabil bleiben werde. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang zunächst erläutert, daß der Bremskraftregler als Vorgänger des heutigen ABS-Systems ohnehin nur dazu geeignet war, hohe Bremskraft bei Beladung zu regulieren, nicht aber das Gespann in seiner Fahrlinie zu stabilisieren. Die Stabilität des Gespanns sei im Streitfall überdies gleich mehrfach gefährdet gewesen und zwar durch das Vorhandensein von vier Achsen und drei Gelenken an dem LKW-Gespann, die hohe Querbeschleunigung während der Kurvenfahrt, das Einsetzen von Regen und schließlich durch die Reibwertschwankungen infolge der Bremsung. Daß ein mit den Fahreigenschaften eines Lkw vertrauter Fahrer diese erhebliche Gefährdung für die Stabilität des Fahrzeugs erkennen konnte und mußte, liegt auf der Hand. Auch mit Bremskraftregler durfte der Erstbeklagte angesichts der vorgenannten äußerst ungünstigen Bedingungen keineswegs darauf vertrauen, es werde schon alles gutgehen.

2.

Auf der anderen Seite läßt sich auch nach der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen kein Verstoß des LKW-Fahrers der Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot feststellen, erst recht nicht, daß ein derartiger Verstoß unfallursächlich geworden wäre. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige noch einmal darauf hingewiesen, daß der LKW der Klägerin über eine großradige Kurve in die kleinradige Unfallkurve hinein fuhr. Er hat sodann anhand seiner Skizze in Anlage E 3 seines Gutachtens (Bl. 255 d. A.) veranschaulicht, daß die Rekonstruktionen seiner Fahrlinie kein Überfahren der Mittellinie ergebe. Unabhängig hiervon schließt der Sachverständige weiterhin aus, daß der Erstbeklagte ein Überfahren der Mittellinie durch den ihm entgegenkommenden LKW der Klägerin hätte sehen können und dies anhand eines Lichtbildes von der Unfallörtlichkeit ( Blatt 193 d.A. ) noch einmal veranschaulicht.

Darüber hinaus hat der Sachverständige klargestellt, daß der Fahrer des LKWs der Klägerin die Kollision auch bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 30 km/h nicht hätte vermeiden können, vielmehr die Kollisionskonfiguration dieselbe geblieben wäre und allein die Differenzgeschwindigkeit etwas geringer gewesen wäre. Daß eine geringere Differenzgeschwindigkeit allerdings dem Wert nach zu geringeren Schäden an dem Auflieger geführt hätte, hat der Sachverständige ausgeschlossen und in diesem Zusammnhang dargelegt, daß der Schaden an der Seitenaufwand des Aufliegers allenfalls in seinem Längenausmaß geringfügig kürzer ausgefallen wäre. Nach allem war die Geschwindigkeitsüberschreitung des Fahrers der Klägerin nicht unfallursächlich und im Rahmen der Abwägung gleichfalls nicht zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen.

3.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile tritt die auf seiten der Klägerin allein zu berücksichtigende Betriebsgefahr ihres Lkw vollständig zurück. Denn der Erstbeklagte hat mit seiner unangepaßt hohen Geschwindigkeit die ganz entscheidende Ursache für den Unfall gesetzt. Anders als für den Lkw der Klägerin, bestand für sein Gespann die Gefahr, daß er bei einer Bremsung in der Kurve sofort mit seinem Fahrzeug in die Gegenfahrbahn gelangen werde, weil er in seiner Fahrtrichtung in eine Rechtskurve hineinfuhr. Seine vor diesem Hintergrund besonders gefährliche hohe Fahrgeschwindigkeit führt zu einem Anspruchsausschluß.

4.

Der von der Klägerin mit 51.255,45 Euro (100.246,95 DM) in Rechnung gestellte Unfallschaden ist nur in Höhe von 48.698,99 Euro (95.246,95 DM) ersatzfähig, denn nach den Ausführungen des Sachverständigen ist für den Restwert des Aufliegers ein um 2.556,46 Euro (5.000,-- DM) höherer Betrag anzusetzen, was zur Folge hat, daß sich die Schadensposition "Wiederbeschaffungswert" um eben diesen Betrag reduziert. Die Recherchen des Sachverständigen haben ergeben, daß im Handel - und zwar auch im seriösen Handel - eine Zerlegung des geschädigten Aufliegers nicht erfolgen wird, vielmehr ein Verkauf des beschädigten Aufliegers in die Ostblockländer zu erwarten ist. Der Restwert des Aufliegers ist daher nicht um Zerlegungskosten in Höhe von 2.556,46 Euro zu schmälern.

Nach den vorprozessualen Zahlungen von 14.571,82 Euro (28.500,-- DM) verbleibt nach allem ein Betrag von 34.127,17 Euro.

Die Zinsforderung rechtfertigt sich aus Verzug (§ 284 Abs. 1 BGB), die Zinshöhe ist seitens der Beklagten zugestanden.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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