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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 01.10.2004
Aktenzeichen: 9 U 138/04
Rechtsgebiete: BGB, StGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
StGB § 223
StGB § 230
StGB § 323 c
Die gemeinsame Fahrt in die Niederlande zum - dann dort auch realisierten - Konsum von Drogen begründet keine wechselseitige Garantenstellung; der Teilnehmer an einer solchen Fahrt ist deshalb nicht für gesundheitliche Schäden (schwere Gesundheitsstörung durch angeblich längere Bewusstlosigkeit) eines anderen Drogenkonsumenten aus dem Rauschgiftkonsum verantwortlich zu machen.

Allerdings kann gegen den Teilnehmer ein Anspruch des Geschädigten auf Schmerzensgeld nach §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323 c StGB in Frage kommen; dieser setzt den Beweis einer hilfslosen Lage des Geschädigten (hier: längere Bewusstlosigkeit) und deren positive Kenntnis, zumindest deren billigenden Inkaufnahme voraus


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 07. April 2004 als Versäumnisteil und Schlussurteil verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 2) durch Sachurteil und nicht durch Versäumnisurteil erfolgt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern diese nicht ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe: I. Der Kläger und beide Beklagte fuhren am 01. Dezember 2001 in dem Pkw des Klägers, der von dem Beklagten zu 1) geführt wurde, in die Niederlande (I), um Rauschgift zu konsumieren. Nach ihrer Ankunft kauften sie dort Heroin für den Eigenbedarf und verbrauchten das Rauschgift. Auf der Rückfahrt nach T befand sich der Kläger auf der Rücksitzbank seines Fahrzeuges; ob er dabei bewusstlos war oder nur schlief, ist zwischen den Parteien streitig. Als die Parteien am 02. Dezember 2001 wieder in T eintrafen, setzte der Beklagte zu 1) zunächst den Beklagten zu 2) bei dessen Wohnung ab und fuhr dann zu seiner eigenen Wohnung, wo er sich selbst schlafen legte, während der Kläger in dem unbeheizten PKW verblieb. Am Abend dieses Tages fuhr der Beklagte zu 1) mit dem noch immer in dem Fahrzeug liegenden Kläger zu dessen Wohnung und holte dort den (damaligen) Nachbarn M zu Hilfe, der sodann einen Notarzt herbeirief. Der Kläger behauptet, er sei unmittelbar nach Einnahme der Droge bereits an Ort und Stelle bewusstlos geworden und bis zur Ankunft in T über einen Zeitraum von ca. 24 Stunden bewusstlos geblieben. Infolge dieses langandauernden Zustandes habe er erhebliche neurologische Schäden sowie Nierenschäden davongetragen. Für beide Beklagte sei aufgrund ihrer Erfahrung mit Betäubungsmitteln bereits in den Niederlanden erkennbar gewesen, dass bei ihm nicht lediglich die Wirkung des konsumierten Rauschgiftes eingetreten sei. Desweiteren hätte der Beklagte zu 1) in jedem Fall nach der Ankunft in T erkennen können und müssen, dass er dringend ärztlicher Hilfe bedurft habe. Mit seiner Klage hat der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 30.000,00 Euro sowie die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihm sämtliche noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 01./02. Dezember 2001 zu ersetzen. Während der Beklagte zu 2) keinen Antrag gestellt hat, ist der Beklagte zu 1) dem Klagebegehren entgegengetreten. Er behauptet, der Kläger und der Beklagte zu 2) hätten auf der Fahrt in die Niederlande Alkohol (Bier und Jägermeister) getrunken. Nachdem die Parteien nach dem Heroinkonsum noch etwa eine Stunde lang durch die Niederlande gefahren seien, habe der Kläger von dem Beifahrersitz auf die Rücksitzbank wechseln und sich dort hinlegen wollen. Dort sei er nach kurzer Zeit eingeschlafen und habe auf Teilen der Rückfahrt laut geschnarcht. Er habe sich zu diesem Zeitpunkt in keiner bedrohlichen gesundheitlichen Lage befunden, jedenfalls sei eine solche Lage für die Beklagten nicht erkennbar gewesen. Als er den schlaftrunkenen Kläger nach der Rückkehr nach T zum Verlassen des PKW habe veranlassen wollen, habe dieser sich dagegen gesperrt und darauf bestanden, in dem Fahrzeug weiterzuschlafen. Am frühen Abend habe er erneut nach dem noch in dem Pkw liegenden Kläger gesehen und festgestellt, dass dieser über Schmerzen im Rücken geklagt habe. Daraufhin habe er ihn zu seiner Wohnung gefahren, zuletzt sei er zwischen die Rücksitzbank und die Vordersitze gerutscht und habe sich nicht wieder aufrichten können. Erst in diesem Augenblick habe er mit einer bedrohlichen Gesundheitslage des Klägers gerechnet und den Nachbarn M zu Hilfe geholt. Der Beklagte zu 1) bestreitet schließlich auch die behaupteten schweren Gesundheitsschäden des Klägers und deren Zusammenhang mit den Ereignissen vom 01./02.12.2002 mit Nichtwissen. Das Landgericht hat nach auszugsweiser Erörterung der von dem Kläger in Bezug genommenen Strafakten 251 Js 221/02 und 251 Js 216/02 StA Siegen die Klage abgewiesen. Es hat aufgrund der gegensätzlichen Erklärungen der Parteien in den Strafverfahren als nicht feststellbar angesehen, dass vor der Rückankunft in T überhaupt objektiv ein bedrohlicher Gesundheitszustand des Klägers vorgelegen habe. Ferner hat es für die Zeit nach der Ankunft in T bis zum Abend des 02.12.2002 die Wahrnehmung oder Wahrnehmbarkeit eines bedrohlichen Gesundheitszustandes des Klägers für den Beklagten zu 1) für nicht beweisbar erachtet und in der Abendzeit dieses Tages dessen Unterlassung eines Hilferufes wegen der von dem Nachbarn M veranlassten Hilfe als nicht ursächlich für die strittigen Gesundheitsschäden bewertet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung, wobei er seine bisherigen Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt und die einer Haftung der Beklagten entgegenstehenden Feststellungen des Landgerichts angreift. II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlagen in Betracht kommenden Tatbestände der vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung - begangen durch Unterlassen - (§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 223, 230 StGB) sowie der unterlassenen Hilfeleistung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323 c StGB) nicht bewiesen. 1. Soweit das Landgericht für den Zeitraum des Geschehens bis zum Eintreffen in T bereits das objektive Vorliegen eines bedrohlichen Gesundheitszustandes des Klägers in Frage gestellt hat, ist dies nicht zu beanstanden. Zwar würde die von dem Kläger behauptete - über mehrere Stunden andauernde - Bewusstlosigkeit eine Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne der §§ 223, 230 StGB und eine Notlage im Sinne des § 323 c StGB darstellen. Eine solche Bewusstlosigkeit ist jedoch von dem Beklagten zu 1) in dem vorliegenden Zivilprozess ausdrücklich bestritten und auch von dem Beklagten zu 2) in der - durch den Kläger selbst in Bezug genommenen - Strafakte 251 Js 221/02 StA Siegen (Bl. 78) in Abrede gestellt worden. Dem Kläger ist es nicht gelungen, für das tatsächliche Vorliegen der strittigen Bewusstlosigkeit geeigneten Beweis anzubieten. Des weiteren scheitert eine vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung daran, dass die Beklagten die behauptete Bewusstlosigkeit des Klägers nicht durch positives Tun herbeigeführt haben und eine ihnen obliegende besondere Garantenstellung für die Gesundheit des Klägers nicht ersichtlich ist. Insbesondere haben die Beklagten weder durch die Fahrgemeinschaft in die Niederlande noch durch den gemeinsamen Heroinkonsum die nahe Gefahr einer Bewusstlosigkeit des Klägers pflichtwidrig begründet (Ingerenz) noch eine Gefahrengemeinschaft mit Übernahme einer Schutzfunktion für die Gesundheit des Klägers gebildet. Schließlich fehlt es auch am Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer haftungsbegründenden Gesundheitsschädigung und einer unterlassenen Hilfeleistung. Der Kläger hat nicht bewiesen, dass seine - bestrittene - Bewusstlosigkeit für die Beklagten während der Rückfahrt nach T i.S.v. § 230 StGB erkennbar war oder von ihnen gar i.S.d. §§ 223 oder 323 c StGB positiv erkannt bzw. für möglich gehalten und in Kauf genommen worden ist. An dieser Beurteilung vermag auch die Drogenerfahrung der Beklagten nichts zu ändern, da der Kläger sich zur damaligen Zeit in psychiatrischer Krankenhausbehandlung mit entsprechender Medikation befand und zumindest zweifelhaft erscheint, dass die Beklagten die Wirkung des Heroins in Verbindung mit den zuvor verabreichten Medikamenten und dem zumindest nicht auszuschließenden Alkoholkonsum auch nur ansatzweise zutreffend abschätzen konnten. Es kommt hinzu, dass auch die Beklagten selbst Heroin konsumiert hatten und aus diesem Grunde in der Fähigkeit zuverlässiger Wahrnehmung ihrer Umgebung eingeschränkt waren. Schließlich kann eine Unglaubhaftigkeit der Darstellung der Beklagten auch nicht aus den von dem Kläger in der Berufungsbegründung angeführten "Ungereimtheiten" (z.B. Nichterwähnung von Alkoholkonsum durch den Beklagten zu 2), unterschiedliche Zeitangaben der Beklagten für die Ankunft in T, fehlende Erinnerung des Beklagten zu 1) an die Fahrtroute bei gleichzeitig behaupteter Erinnerung an Schnarchgeräusche des Klägers) gefolgert werden, da diese Punkte ersichtlich nicht im Vordergrund der Befragung der Beklagten gestanden haben und zudem gewisse drogenbedingte Erinnerungsmängel durchaus nachvollziehbar sind. Hiernach lassen sich auch nach der Beurteilung des Senats für den Zeitraum bis zum Eintreffen der Parteien in T die tatsächlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nicht feststellen. 2. Für den Zeitraum nach dem Eintreffen in T scheidet eine Haftung des Beklagten zu 2) von vornherein aus, da dieser bereits unmittelbar nach der Ankunft den PKW verlassen hat und aus diesem Grunde auf das weitere Geschehen um den Kläger keinen Einfluss mehr nehmen konnte. Für diesen Zeitraum sind aber auch die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten zu 1) nicht bewiesen. Zunächst einmal kann nicht hinreichend sicher festgestellt werden, dass der Beklagte zu 1) nach dem Eintreffen in T und vor dem Erreichen der Wohnung des Klägers am Abend des 02. Dezember 2001 eine anhaltende Bewusstlosigkeit oder sonstige bedrohliche Gesundheitsbeeinträchtigung erkannt hat oder hätte erkennen können. Sein diesbezügliches Bestreiten ist von dem Kläger nicht widerlegt worden. Dass das Zurücklassen des Klägers in dem unbeheizten Pkw zur Winterzeit gesundheitlich bedenklich war, kann dem Beklagten zu 1) zwar nicht entgangen sein; es ist jedoch nicht substantiiert vorgetragen, dass gerade hierdurch die von dem Kläger in Rechnung gestellten Gesundheitsschäden verursacht worden sind. Dem Landgericht ist ferner zuzustimmen, soweit es eine Haftung des Beklagten zu 1) auch in der Phase nach dem Aufsuchen der Wohnung des Klägers verneint hat. Zwar ist bei lebensnaher Würdigung davon auszugehen, dass der Beklagte nunmehr - wegen der ersichtlichen Unfähigkeit des Klägers, seinen PKW zu verlassen - die bedrohliche gesundheitliche Lage erkannt hatte. Jedoch hat sich seine diesbezügliche Untätigkeit auf den Schadenhergang nicht mehr ursächlich ausgewirkt, da zu diesem Zeitpunkt unverzüglich von dritter Seite - durch den Nachbarn M - ärztliche Hilfe angefordert und in der Folgezeit auch geleistet worden ist. Nach alledem ist das klageabweisende Urteil zu bestätigen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

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