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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 11.01.2005
Aktenzeichen: 9 U 173/04
Rechtsgebiete: BGB, StrWG, GG


Vorschriften:

BGB § 839
StrWG § 9
StrWG § 9a
GG Art. 34
Ein Regeneinlauf in einer Parkplatzzufahrt, dessen aufliegender Deckel wegen seiner schadhaften Einfassung bei punktueller Belastung aufkippen und dadurch zu einem Fahrzeugschaden führen kann, stellt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar.

Auch wenn die Benutzung des Parkplatzes durch entsprechende Verkehrszeichen Bediensteten einer Schule vorbehalten worden ist, kann ein danach an sich Unbefugter in den Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht des Sicherungspflichtigen einbezogen sein, wenn die Umstände (hier geöffnete Schranke, besondere Verkehrsfrequenz durch Teilnehmer zur Typisierung einer Knochenmarkspende in der Aula der Schule) eine besondere - erweiterte - Verkehrseröffnung nahe legen, wie sie in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit schon stattgefunden hatte.


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 8. Juli 2004 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Zeuge S befuhr am 25. Juli 2003 vormittags mit dem Pkw der Klägerin in M die Zufahrt zu dem Bedienstetenparkplatz des Berufskollegs des Beklagten, um an der in der dortigen Aula vorgenommenen Typisierung zur möglichen Knochenmarkspende für ein Kleinkind teilzunehmen. Nach dem - von dem Beklagten bestrittenen - Vorbringen der Klägerin überfuhr der Zeuge dabei einen auf der Zufahrt befindlichen runden Regeneinlauf, der sich hochstellte und gegen den unteren Bereich des Fahrzeuges schlug. Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für die dabei entstandenen Fahrzeugschäden. Die Zufahrt zu dem von dem Zeugen gewählten Parkplatz ist durch das vor der Einfahrt befindliche Verkehrszeichen Nr. 250 zu § 40 StVO mit dem Zusatzschild "Außer Bedienstete der Schule" nur eingeschränkt erlaubt. Kurz hinter dem Verbotsschild befand sich eine Sperrschranke, die zur Zeit des Vorfalles geöffnet war. Der zu dem Kolleg gehörende öffentliche Parkplatz war voll besetzt, während auf dem Bedienstetenparkplatz noch Parkraum zur Verfügung stand. Dieser Parkplatz war in der Vergangenheit aus Anlaß diverser, in der angrenzenden Sporthalle des Berufskollegs sowie auf dem angrenzenden Sportplatz stattfindender Sportveranstaltungen auch außerhalb der Zeiten des üblichen Schulbetriebes häufig durch Besucher der jeweiligen Veranstaltungen geöffnet und mit Kenntnis des Beklagten genutzt worden.

Die Klägerin behauptet, der Zeuge S habe, im Schrittempo fahrend, das Fahrzeug über den Kanaldeckel gelenkt, wobei der Deckel infolge der instabil ("bröselig") gewordenen Einfassung aufgekippt sei, unter das Fahrzeug geschlagen habe und den PKW unter anderem im Unterboden und Bremsbereich erheblich beschädigt habe. Mit ihrer Klage hat die Klägerin Ersatz ihres mit 3.407,50 Euro bezifferten Schadens begehrt.

Der Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten. Er bestreitet eine Gefährlichkeit des Regeneinlaufs und dessen Ursächlichkeit für die in Rechnung gestellten Schäden. Ferner meint er, eine Verkehrssicherungspflicht habe gegenüber dem Zeugen S nicht bestanden, da dieser den Bedienstetenparkplatz unbefugt genutzt habe. Schließlich hält er der Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden des Zeugen mit der Begründung entgegen, dieser hätte den Regeneinlauf umfahren können und sei im Übrigen schneller als mit der erlaubten Schrittgeschwindigkeit gefahren.

Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen (S, S2) der Klage stattgegeben. Es hat eine schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten und deren Ursächlichkeit für den behaupteten Schaden als bewiesen angesehen, die Einbeziehung des Zeugen S und des von ihm gefahrenen Pkw der Klägerin in den Schutzbereich der Sicherungspflicht bejaht und eine Anspruchsminderung durch Mitverschulden des Zeugen oder die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges verneint.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter, wobei er insbesondere seinen Einwand einer unbefugten Benutzung der Zufahrt zu dem Bedienstetenparkplatz wiederholt und vertieft.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin kann von dem Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 839 BGB in Verb. mit §§ 9, 9a StrWG NW, Art. 34 GG vollen Ersatz des ihr am 25. Juli 2003 entstandenen materiellen Schadens verlangen.

1.

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Einfassung des Kanaleinlaufs einen objektiv verkehrswidrigen Zustand im Sinne einer abhilfebedürftigen Gefahrenquelle dargestellt, der Beklagte die rechtzeitige Vornahme der gebotenen Sicherungsmaßnahmen schuldhaft versäumt und dieses Versäumnis den von der Klägerin angegebenen Fahrzeugschaden verursacht hat.

Dass die porös gewordene Einfassung der von dem Zeugen S befahrenen Parkplatzzufahrt leicht zu Fahrzeugschäden führen konnte, folgt ohne weiteres daraus, dass der Kanaleinlauf durch punktuelle Lasteinwirkung der Räder eines darüber hinwegfahrenden Kraftfahrzeuges in eine Kippstellung versetzt werden und sodann gegen den Fahrzeugboden oder andere tiefliegende Fahrzeugteile schlagen konnte. Da die Einfassung des Einlaufs keine Höhendifferenz zu dem umgebenden Fahrbahnbelag und auch keine sonstige äußerliche Besonderheit aufwies, war ihr Zustand für die darüber fahrenden Kraftfahrer auch nicht ohne weiteres erkennbar. Der Beklagte hätte diesen Gefahrenzustand im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht unverzüglich beseitigen oder als Sofortmaßnahme zumindest davor warnen müssen. Dass er dies nicht getan hat, begründet den Vorwurf der Pflichtverletzung. Diese hat er auch verschuldet, da die porös gewordene Schachteinfassung nur über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden sein kann und daher bei ordnungsgemässer Kontrolle erkennbar gewesen sein muss. Die von dem instabil aufliegenden Kanaleinlaufdeckel ausgehende Gefahr hat sich im Streitfall auch realisiert. Der Senat hat aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen S2 und S keine Zweifel, dass der aufgehebelte Einlauf die von der Klägerin behaupteten Fahrzeugschäden herbeigeführt hat.

2.

Der von dem Zeugen S gefahrene Pkw der Klägerin fällt nach den Umständen des Falles auch in den Schutzbereich der für die Parkplatzzufahrt bestehenden Verkehrssicherungspflicht. Der im Vordergrund der Berufung stehende Einwand des Beklagten, der Zeuge S sei mit dem PKW der Klägerin unbefugt auf der Zufahrt zu dem Bedienstetenparkplatz gefahren, greift auch nach der Beurteilung des Senats nicht durch.

Zwar hatte der Beklagte durch das zu Beginn der Zufahrt angebrachte Verkehrszeichen 250 der StVO mit dem Zusatzschild "außer für Bedienstete" verbindlich angezeigt, dass der Verkehr auf der Zufahrt grundsätzlich nicht für den allgemeinen Verkehr, sondern lediglich für einen begrenzten Personenkreis eröffnet war (beschränkte Verkehrseröffnung). Zu diesem Personenkreis gehörte der Zeuge S als Fahrer des beschädigten Pkw zweifelsfrei nicht.

Die grundsätzlich beschränkte Verkehrseröffnung kann jedoch in Einzelfällen zumindest dann punktuell erweitert sein, wenn bei verständiger Würdigung der Gesamtheit der objektiven örtlichen Gegebenheiten eine Freigabe für weitere Verkehrsteilnehmer naheliegt, soweit diese sich im Rahmen der sachlich grundsätzlich erlaubten Nutzung halten, und wenn ferner der Sicherungspflichtige eine derartige Erweiterung in der Vergangenheit bereits geduldet hat (spezielle Verkehrseröffnung).

So liegt der Fall hier. Die am 25.Juli 2003 in dem Aulabereich des Berufskollegs vorgenommene Typisierung zur möglichen Knochenmarkspende für ein Kleinkind stellte eine von dem Beklagten in seinen Räumen zumindest erlaubte Großveranstaltung dar. Die an dieser Veranstaltung teilnehmenden Personen konnten nicht alle ihre Fahrzeuge auf dem vorhandenen öffentlichen Parkplatz abstellen, da dieser überfüllt war. Zugleich stand auf dem Bedienstetenparkplatz noch genügend Parkraum zur Verfügung und befand sich auf der zu dem Bedienstetenparkplatz führenden Zufahrt - außer dem Verkehrszeichen 250 - eine Absperrschranke, die zum Zeitpunkt der Grossveranstaltung geöffnet war. Diese geöffnete Schranke durfte unter den gegebenen Umständen von dem Zeugen S als Ausnahme von dem durch das Verkehrszeichen zum Ausdruck gebrachten grundsätzlichen Verkehrsbeschränkung und damit geradezu als Einladung für eine Nutzung verstanden werden. Schliesslich hatte der Beklagte in der Vergangenheit zumindest häufiger bewusst zugelassen, dass auch Nichtbedienstete diesen Parkplatz etwa bei Sportveranstaltungen genutzt hatten. In Anbetracht dieser besonderen objektiven Umstände und des Vorverhaltens des Beklagten bei anderen in den Gebäuden des Beklagten abgehaltenen Veranstaltungen (Sportereignisse) war von einem Freigabewillen für die Teilnehmer der Typisierung für eine Knochenmarkspende - und damit auch für den Fahrer des Klägerfahrzeuges - auszugehen.

Da der Zeuge S die Zufahrt auch lediglich im Rahmen ihrer grundsätzlichen Zweckbestimmung - d.h. zum Erreichen des Parkplatzes - genutzt hat, bestand die Verkehrssicherungspflicht auch ihm gegenüber und zugleich gegenüber der Klägerin als Eigentümerin des von ihm gefahrenen Kraftfahrzeugs.

3.

Für ein Mitverschulden des Zeugen S sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Da die porös gewordene Einfassung des Kanaleinlaufs nicht nur ungewöhnlich, sondern auch äußerlich unauffällig war, brauchte der Zeuge mit ihr als Gefahrenquelle nicht zu rechnen. Dass nicht noch weitere Schadenfälle - anderer Geschädigter - bekannt geworden sind, besagt nichts Gegenteiliges, da die anderen Fahrzeugführer den kritischen Gefahrenpunkt durch Zufall vermieden haben können. Eine Überschreitung der zur bestimmungsgemäßen Benutzung der Zufahrt erlaubten Geschwindigkeit ist gleichfalls nicht bewiesen und zudem wegen der im Unfallbereich vorhandenen rechtwinkligen Kurve überaus unwahrscheinlich. Die Klägerin braucht sich auch die Betriebsgefahr ihres Kraftfahrzeuges nicht anspruchsmindernd entgegen halten zu lassen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Zeuge S den Schadenfall bei äußerster Vorsicht hätte vermeiden können oder dieser für ihn ein unabwendbares Ereignis dargestellt hat. Denn In jedem Fall wiegt der Pflichtenverstoß des Beklagten wegen des offensichtlich bereits seit längerer Zeit bestehenden schadhaften Zustandes der Einfassung so schwer, dass demgegenüber auch eine etwaige - einfache - Betriebsgefahr des Pkw vollständig zurücktreten müsste.

4.

Die von dem Landgericht vorgenommene Schadensberechnung ist der Höhe nach mit der Berufungsbegründung nicht konkret angegriffen worden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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