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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.06.2009
Aktenzeichen: 9 U 200/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
Der Geschäftsherr eines Verrichtungsgehilfen, der einen anlässlich eines Volksfestes eingerichteten Werbestand eines Automobilclubs mit einem Überschlagsimulator betreut, haftet dem Opfer einer Straftat, die der Verrichtungsgehilfe an einem von dem Stand angelockten Kind im Anschluss an das Volksfest begeht, weder aus § 823 noch aus § 831 BGB auf Schadensersatz, wenn es - wie hier - an einem inneren Zusammenhang zwischen der übertragenen Verrichtung und der Straftat fehlt.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Juli 2008 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.

Gründe:

A.

Der 1994 geborene Kläger begehrt - nachdem das Landgericht den Erstbeklagten C antragsgemäß verurteilt hat - zweitinstanzlich noch von dem Zweitbeklagten mit mindestens 50.000 € vorgestelltes Schmerzensgeld und Feststellung künftiger Ersatzpflicht für eine am 22.7. 2006 im Anschluss an ein Volksfest in M an ihm verübte Geiselnahme mit besonders schwerer Vergewaltigung und besonders schwerem sexuellen Missbrauch. Der vormalige Beklagte zu 1) hatte den Kontakt zu dem ihm bis dahin unbekannten Kläger während dieses Volksfestes angebahnt, als er dort einen - als Attraktion mit einem Überschlagsimulator ausgestatteten - Werbestand des Beklagten zu 2) betreute. Aus diesem Grund nimmt der Kläger auch den Zweitbeklagten als Gesamtschuldner in Anspruch. Er wirft ihm vor, den Erstbeklagten für seine Funktion, die ihm die Kontaktaufnahme und das Schaffen einer Vertrauensbasis erlaubt habe, nicht sorgfältig ausgewählt und überwacht zu haben. Der Beklagte zu 2) hafte als Geschäftsherr des Täters aus § 831 BGB, aber auch aus eigener Sicherungspflichtverletzung, weil er das Einstellungsverfahren der Vertriebsagentur L, deren Arbeitnehmer der Beklagte zu 1) war und die ihm diesen als Personal "geliehen" hatte, nicht ausreichend geprüft und gesteuert habe.

Das Landgericht hat den Erstbeklagten antragsgemäß verurteilt und die Klage gegen den Zweitbeklagten abgewiesen. Insoweit hat es eine Begehung der Straftat in Ausübung einer dem Täter i. S. v. § 831 BGB übertragenen Verrichtung ebenso verneint wie ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Zweitbeklagten hinsichtlich der für die Personalbeschaffung eingesetzten Vertriebsagentur.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge gegenüber dem Zweitbeklagten weiter, lediglich den Feststellungsantrag zu 4. hat er in der Berufungsverhandlung zurück genommen.

Er hält daran fest, der Beklagte zu 2) habe mit der Beschäftigung des früheren Erstbeklagten C als Aufsicht an dem Überschlagsimulator seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem er einem unzureichend ausgewählten und von ihm nicht überwachten einschlägig Vorbestraften die Möglichkeit verschafft habe, unter Ausnutzung der Attraktivität des Überschlagsimulators Kontakt zu Kindern aufzunehmen, eine vertrauensvolle Beziehung zu diesen unter Ausnutzung des dem B allgemein in der Öffentlichkeit entgegen gebrachten Ansehens aufzubauen und schließlich ein Kind - den Kläger - durch Versprechungen in seine Gewalt zu bringen, nämlich zunächst in sein Auto zu locken. Auch habe C bei dem an ihm, Kläger, begangenen Verbrechen in Ausübung einer vom Beklagten zu 2) übertragenen Verrichtung i. S. v. § 831 BGB gehandelt. Mit seiner entgegenstehenden Auffassung würdige das landgerichtliche Urteil folgende erhebliche Einzelheiten des Sachverhalts nicht zutreffend:

- Der Stand mit dem Überschlagsimulator habe insbesondere Kinder angezogen; Zeuge S.

- Der Kläger habe ein positives Bild vom B, dem C aufgrund seiner Arbeitskleidung zuzuordnen war, gehabt, weil seine Eltern als langjährige Mitglieder dessen Pannendienst nicht lange zuvor in Anspruch genommen gehabt hätten.

- C sei besonders freundlich zu den Kindern der Gruppe des Klägers, die mehrere Stunden an dem Stand verbracht hätten, gewesen und habe deren Vertrauen gewinnen können.

- Der stundenlange, vom Zweitbeklagten ermöglichte Kontakt mit den Kindern habe den Tatplan bei C. reifen lassen.

- Speziell die werbende Tätigkeit für einen Automobilclub habe dem C einen glaubwürdigen Vorwand geliefert, den Kläger in sein Auto zu locken, nämlich das Versprechen einer Fahrt mit einem M.

Diese Umstände habe das Landgericht auch bei seiner Einschätzung, der Beklagte zu 2) sei zu größerer Sorgfalt bei der Auswahl seines Personals und dessen Überwachung nicht verpflichtet gewesen, verkannt. Richtigerweise ergebe sich dies aber als Verkehrssicherungspflicht aus dem Betreiben des Werbestandes, der den Mitarbeitern die beschriebene Kontaktmöglichkeit zu Kindern eröffne. Deshalb hätte der Beklagte bei der Einstellung des dafür vorgesehenen Personals Vorstrafen der Bewerber prüfen und Sexualstraftäter mit pädophilen Neigungen und Unzuverlässige wie den C, der bereits nach einer früheren Einstellung bei L im Januar 2005 nicht zum Probearbeitstag erschienen sei, ausschließen müssen. Soweit der Beklagte sich bei der Personalrekrutierung der Vertriebsorganisation L bedient habe, habe er dieser entsprechende Vorgaben machen und ihre Einhaltung überwachen müssen. Dass der Beklagte den C auch bei seiner Arbeit an dem Werbestand nicht überwacht habe, zeige sich auch daran, dass diesem der Genuss von vier bis fünf Bechern Bier während der Arbeitszeit möglich gewesen sei.

Zu Unrecht habe das Landgericht die Haftung des Beklagten zu 2) aus § 831 BGB aufgrund rechtsfehlerhafter Verkennung des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Straftat des C und der ihm vom Beklagten zu 2) übertragenen Verrichtung verneint. Insbesondere der örtliche und zeitliche Zusammenhang sei aufgrund der Reifung des Tatplans und der Kontaktanbahnung am Werbestand noch zu dessen Öffnungszeiten gegeben. Die bereits um 21:00 noch während der Öffnungszeit erfolgte Verabredung mit dem Kläger zu dem Treffen nach Dienstschluss auf dem Parkplatz stelle - über bloße straflose Vorbereitung hinaus - bereits eine erste Tathandlung der Entführung dar. Hinzu komme die Erleichterung, durch die Tätigkeit für einen Automobilclub einen Vorwand zum Anlocken gerade mit dem Versprechen der M-Fahrt zu finden und den - vor jeder Simulatorfahrt auszuleerenden - Tascheninhalt der Kinder auf Vorhandensein von Handys, mit denen diese vielleicht später Hilfe rufen könnten, zu kontrollieren. Dass die Straftat nicht zum Aufgabenbereich der dem C vom Beklagten übertragenen Verrichtungen gehörte, stehe der Annahme des insoweit erforderlichen "unmittelbaren" Zusammenhangs nicht entgegen. Dieser ergebe sich vielmehr daraus, dass B. die Aufgabe hatte, den Interessenten an dem Werbestand "freundlich" und für den Automobilclub, dessen Namen er auf seiner Kleidung trug, Vertrauen erweckend zu begegnen. Da der Überschlagsimulator vor allem Kinder angezogen habe, habe Kinderbetreuung zwangsläufig zu den C übertragenen Verrichtungen gehört.

Dass C nicht Arbeitnehmer des Beklagten, sondern der Fa. L gewesen sei, schließe seine Stellung als Verrichtungsgehilfe des Ersteren nicht aus.

Der Beklagte zu 2) beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angefochtene Urteil.

B.

Die Berufung ist unbegründet, weil dem Kläger gegen den Beklagten zu 2) ein Schadenersatzanspruch weder aus § 831 BGB noch aus § 823 I BGB zusteht. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden und im Wesentlichen erschöpfenden Gründe des angefochtenen Urteils, die sich der Senat zu eigen machen kann, Bezug genommen. Was die Berufung dagegen vorträgt, kann eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht rechtfertigen.

I. § 831 BGB greift nicht, weil es sich um den typischen Fall einer Schädigung nicht in Ausübung der übertragenen Verrichtung, sondern bei deren Gelegenheit handelt. Die ausführliche Darstellung des vermeintlich engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Straftat und der dem C übertragenen Verrichtung in der Berufungsbegründung verkennt, dass dieser Zusammenhang allein nicht reicht, und geht an dem Kern des Fehlens eines unmittelbaren inneren Zusammenhangs vorbei. Der nötige innere Zusammenhang wird zwar nicht schon durch die Vorsätzlichkeit der Straftat unterbrochen, die Entführung und Vergewaltigung fielen aber völlig aus dem Rahmen der dem C mit der Betreuung des Werbestandes anvertrauten Aufgaben. Mag er auch für die körperliche Unversehrtheit der Benutzer des Überschlagsimulators mit verantwortlich gewesen sein, so doch nur für die Dauer der Benutzung und im Hinblick auf die durch sie begründeten Gefahren. Der hier zur Würdigung stehende Fall verhält sich im Kern nicht anders als im Schulbeispiel der eines Handwerkers, der von seinem Anstellungsbetrieb zu Reparaturarbeiten in eine Wohnung geschickt wird und den dort für seine Verrichtung erlangten Zugang für einen Diebstahl oder ein Sexualdelikt nutzt. Auch dort besteht zweifellos ein örtlicher und zeitlicher, aber kein innerer Zusammenhang mit der übertragenen Verrichtung, weshalb eine Haftung des Anstellungsbetriebs aus § 831 BGB ausnahmslos abgelehnt wird.

Insofern liegt der hier gegebene Sachverhalt auch entscheidend anders als in dem der Entscheidung des hiesigen 27. Zivilsenats, veröffentlicht in OLGReport Hamm 1999, 47, zugrundeliegenden Fall. Denn die Durchsetzung von Hausverboten und die Wahrung des "Hausfriedens" gegenüber scheinbaren Störern waren spezifischer Gegenstand der Aufgabe des dort eingesetzten Türstehers; eine mögliche körperliche Auseinandersetzung mit scheinbar störenden Gästen fällt in den Zentralbereich der Tätigkeit von Ordnungskräften. Die Schädigungshandlung war so dem zugewiesenen Aufgabenbereich nicht von vornherein fremd.

II. § 823 I BGB unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung gibt ebenfalls keine Grundlage für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch.

a) Man kann mit den Gründen der Berufungserwiderung bereits bezweifeln, dass diese Anspruchsgrundlage neben § 831 BGB überhaupt noch in Betracht zu ziehen ist, wenn die angebliche Verkehrssicherungspflichtverletzung einzig in fehlerhafter Auswahl und Überwachung der schadenzufügenden Hilfsperson besteht, der Schaden mithin nicht auf einen verkehrswidrigen Zustand, sondern auf ein Verhalten der Hilfsperson zurückgeht, weil § 831 BGB sich insoweit als eine gesetzliche Spezialregelung der Verletzung dieser Verkehrssicherungspflichten beim Einsatz von Hilfspersonen darstellt (Vgl. Palandt/Sprau, BGB 68. Aufl. Rz. 45 zu § 823; MüKo/Wagner, BGB 4. Aufl. Rz. 7 zu § 831.) Das kann indes dahinstehen, denn jedenfalls sind die zugrunde zu legenden Entscheidungskriterien inhaltlich identisch. Auch eine aus § 823 BGB zu begründende Verkehrssicherungspflicht zur sorgfältigen Auswahl und Überwachung eingesetzter Hilfspersonen beschränkt sich darauf, diese im Hinblick auf die ihnen übertragene Aufgabe und allen damit funktional zusammenhängenden Tätigkeiten hin richtig auszuwählen und zu überwachen, also nur im bereits oben beschriebenen inneren Zusammenhang mit der ihnen übertragenen Verrichtung.

b) Auf dieser Grundlage musste der Beklagte weder persönlich noch durch Instruktion und Überwachung der Fa. L dafür Sorge tragen, dass an seinem Werbestand keine wegen Sexualdelikten an Kindern Vorbestraften eingestellt wurden. Jedenfalls überspannte die Forderung, dies durch Abverlangen eines Führungszeugnisses bei der Einstellung zu gewährleisten, die Pflicht. Selbst wenn der Überschlagsimulator eine stärkere Anziehungskraft auf Kinder als auf Erwachsene ausgeübt hat, hatte die dem C übertragene Aufgabe keine Kinderbetreuung zum Inhalt. Es war auch für den so ausgestatteten Werbestand nicht typisch, dass sich an ihm von ihren Eltern oder sonst unbeaufsichtigte Kinder in einer Weise aufhielten, die dem C eine das gewöhnliche Maß übersteigende Kontaktmöglichkeit verschaffte. Er oder ein anderer Besucher hätte hier oder an einem anderen Ort den Kontakt aufbauen und mit dem Versprechen einer M-Fahrt - das nicht dem Beklagten zugerechnet werden kann - verführen können. Insoweit ist der primär zur Ansprache von Erwachsenen, die nur als neue Verkehrsclub-Mitglieder in Frage kamen, eingerichtete Werbestand abzugrenzen von Kinderbetreuungseinrichtungen, deren Personal nach strengeren Anforderungen auszuwählen ist. Eine auf Kinder bezogene Betreuungsaufgabe war dem C nicht übertragen, sondern eine auf den Simulator bezogene Aufgabe, die Benutzer vor von diesem Gerät ausgehende Schäden zu schützen.

Das wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass C freundlich zu sein hatte und dem B allgemein großes Vertrauen entgegen gebracht werden mag.

Selbst wenn C für die ihm übertragene Aufgabe, potentielle Neumitglieder anzusprechen und die sachgerechte Benutzung des Simulators zu überwachen, nicht hinreichend zuverlässig gewesen wäre, was der Kläger aus dem Genuss von Bier während der Tätigkeit und dem Versäumen eines früheren Arbeitsantrittstermins herleiten will, hat sich eine daraus begründete Gefahr mit der dem Kläger gegenüber begangenen Straftat nicht ursächlich verwirklicht.

III. Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels trägt der Kläger gemäß § 97 ZPO.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

Ende der Entscheidung

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